Читать книгу Die Liebe ist das Ende - Ute Dombrowski - Страница 4
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ОглавлениеDelia hatte das Büro betreten und sofort das Fenster aufgerissen. Die Hitze hatte sich in alle Ecken eingenistet und nur am Morgen konnte man die Luft von draußen noch ins Zimmer lassen. Sie trat an den kleinen Kühlschrank und schaute hinein. Unentschlossen nahm sie einen Joghurt und eine Karotte in die Hand und sah die Lebensmittel abwechselnd an.
„Ach was soll‘s, esse ich eben beides.“
Mit der Hüfte drückte sie die Tür zu und ging zu ihrem Schreibtisch, der sehr unaufgeräumt aussah, ganz im Gegenteil zum Arbeitsplatz von Roberto. Auf dessen Schreibtisch hatte alles seinen Platz und nirgends gab es „überflüssiges Zeug“, wie er zum Beispiel die Fotos und die Blumen nannte, die Delia aufgestellt hatte.
Sie legte die Füße auf den Tisch und freute sich über ihre braungebrannten Beine, die unter der kurzen Jeans hervorschauten. An den Füßen trug sie weiße Turnschuhe und als Oberteil ein weißes Shirt. Alles in allem war sie eine attraktive Frau, nach der die Männer sich umdrehten, nur einer nicht: Kollege Roberto. Weil es so warm war, war sie froh über ihren neuen lässigen Kurzhaarschnitt.
„Eine Frau ist nur eine Frau, wenn sie lange Haare hat“, hatte Roberto erklärt, als sie sich vor einem Monat die langen blonden Haare abschneiden ließ.
Jetzt wurde die Tür geöffnet und ein gutaussehender, gepflegter Mann betrat das Büro. Er trug ein weißes Hemd und eine Jeans, dazu leichte Stoffschuhe. Seine schwarzen Haare, die bis zu den Schulterblättern reichten, hatte er zu einem Zopf zusammengebunden, und er duftete nach einem teuren Parfüm. Seine fast schwarzen Augen blieben an den langen Beinen seiner Kollegin hängen, aber nur, um zu meckern.
„Füße auf dem Tisch? Mann, Delia, du siehst immer mehr wie ein Kerl aus.“
Die Kommissarin kannte die Launen ihres Kollegen und machte keine Anstalten, die Füße vom Tisch zu nehmen. Sie biss herzhaft in die Karotte und kaute.
„Guten Morgen, mein charmanter Kollege“, sagte sie mit vollem Mund.
Roberto, ein in Spanien geborener und in Berlin aufgewachsener Mann, nahm eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank und setzte sich an den Schreibtisch, um den Computer hochzufahren. Delia Böschinger arbeitete nun schon acht Jahre mit Roberto Caranio zusammen und sie verstanden sich eigentlich gut, aber es gab keinerlei private Kontakte. Delia war neugierig, wie er lebte, aber er tat mit allem sehr geheimnisvoll. Sie wusste nur vom Buschfunk, dass er alleine lebte, seit ihn seine Freundin für einen älteren Mann mit viel Geld verlassen hatte. Aber das war vielleicht nur Fantasie. Im Stillen gefiel er ihr, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er einer von den Guten war.
Als das Telefon klingelte, setzte sich Delia auf, nahm ab und meldete sich. Dann lauschte sie.
„Ah ja“, sagte sie am Ende, „wir kommen sofort.“
Roberto sah sie fragend an.
Delia erklärte knapp: „Eine Leiche im Wald beim Bergsee.“
Roberto nahm die Wasserflasche, drückte sich die Sonnenbrille, die er auf den Kopf geschoben hatte, auf die Nase und folgte der Kommissarin. Sein Blick blieb an ihren schlanken Beinen und ihren schwingenden Hüften hängen, wobei er tief durchatmen musste. Nein, sie ist nur meine Kollegin, dachte er und zwang sich, woanders hinzuschauen.
Er setzte sich ans Steuer und Delia berichtete während der Fahrt, was vorgefallen war.
„Im Wald in der Nähe vom See hat ein Spaziergänger eine weibliche Leiche entdeckt. Er hat die Polizei gerufen und den Rettungsdienst.“
„Warum das?“
„Weil er erst dachte, sie lebt noch, aber er hatte Angst sie anzufassen und nachzusehen.“
„Spurensicherung?“
„Ist unterwegs.“
Schweigend fuhren sie weiter. Manchmal wünschte sich Delia, dass sie einen Kollegen hätte, der gesprächiger war, aber es hatte auch Vorteile: Sie konnte in Ruhe nachdenken.
Auf dem Parkplatz für Wanderer stand schon ein Streifenwagen und ein Kollege sperrte den Bereich ab, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre. Kein Mensch war weit und breit zu sehen.
„Wo ist sie?“, fragte Delia und der junge Polizist in Uniform zeigte in den Wald hinein.
Roberto schwieg noch immer und so liefen sie nebeneinander her, bis sie eine Kollegin in Uniform sahen, die sich mit einem Mann mit Hund unterhielt. Er schüttelte immer wieder den Kopf. Der kleine weiße Mischling lag ruhig neben den beiden auf dem trockenen Gras.
„Guten Morgen, Sina“, sagte Delia und begrüßte die Kollegin mit Handschlag.
Roberto ging wortlos vorbei, er hatte nur genickt. Die beiden Frauen verdrehten die Augen.
„Ich bin Kommissarin Delia Böschinger, der schweigsame Kollege ist Kommissar Roberto Caranio. Sie sind?“
Der ältere Mann mit einem Strohhut auf dem Kopf sagte freundlich: „Ich bin Walter Wachtnickel, das ist Zeus. Er hat gebellt und mich hier hineingezogen. Wir laufen immer am Waldrand entlang bis zum See, wo dieses Jugenddingsheim ist, aber heute ist Zeus wie irre gewesen. Und da lag sie dann.“
Delia nickte, beauftragte Sina, die Personalien des Mannes aufzunehmen und wollte eben Roberto folgen, da fiel ihr etwas ein.
„War noch jemand hier? Haben Sie andere Menschen gesehen?“
Der alte Mann schüttelte nur den Kopf und zuckte mit den Schultern. Delia lief jetzt zu ihrem Kollegen, der bei der Leiche kniete.
„Ach du Scheiße!“, entfuhr es ihr. „Das ist ja noch ein Kind. Oh mein Gott, wer tut sowas?“
Roberto murmelte: „Sie wurde erdrosselt. Guck mal die Würgemale am Hals. Das ist ein Mist, armes Mädchen.“
Delia horcht auf. So einfühlsam war ihr Kollege selten. Meistens spielte er den harten Kerl, aber Delia ahnte, dass er ganz tief in seinem Inneren einen weichen Kern hatte. Seine Reaktion auf die Tote bewies das deutlich. Urplötzlich war sie milde gestimmt und legte eine Hand auf Robertos Arm. Der schüttelte sie abrupt ab und sah seine Kollegin böse an.
„Wer weiß, was die hier gewollt hat“, sagte er jetzt mit harter Stimme. „Klamotten wie eine Erwachsene.“
Enttäuscht stand Delia auf und dachte: Du Arsch. Aber trotzdem schaute sie das Mädchen genauer an. Sie trug hautenge Jeans, die knapp über dem Knöchel endeten, dazu ein rotes Top, das hochgerutscht war und den Blick auf die Spitze eines roten Büstenhalters freigab. Ihre langen braunen Haare lagen fächerartig neben ihrem Kopf und waren verschmutzt. Sie hatte weiße Turnschuhe an den Füßen, wie sie auch die Kommissarin gerne mochte. Ihre Augen waren stark geschminkt, der Lippenstift verschmiert.
„Sie sieht wirklich nicht sehr kindlich aus. Trotzdem ist das kein Grund, jemanden zu töten.“
In diesem Moment traf die Spurensicherung ein und übernahm die Arbeit. Nach fünf Minuten reichte ein junger Kollege Delia einen Personalausweis.
„Sandy Hickerring, sechzehn Jahre alt.“
Dann las sie die Adresse vor.
Roberto sagte: „Das ist gar nicht so weit weg, aber sie war vielleicht in dem Jugendheim. Also, lass uns mal fragen, ob sie jemanden vermissen. Wie lange ist sie schon tot?“
Der junge Mann erklärte: „Acht bis zehn Stunden plus minus. Nach der Obduktion mehr.“
„Warte noch eine Weile mit dem Transport, wir müssen erst klären, wer sie vermisst. Ob sie mit jemandem verabredet war?“
Auf Delias Frage reagierte niemand, so zuckte sie nur mit den Schultern. Die beiden Kommissare liefen zurück zum Auto und machten sich auf den Weg um den See herum zum Jugendheim.