Читать книгу Die Liebe ist das Ende - Ute Dombrowski - Страница 5

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Vor dem Haus stand eine Gruppe aufgeregter Schülerinnen und Schüler, daneben diskutierte ein Mann mit einer Frau.

„Wir müssen die Eltern informieren!“, rief die Frau in dem Moment, als Delia aus dem Auto sprang.

Sie ging zu den beiden und stellte sich und ihren Kollegen vor.

„Polizei?“, fragte der Mann erschrocken. „Was tun Sie hier?“

„Die Fragen stellen wir“, sagte Roberto streng. „Wer sind Sie?“

„Ich bin Jakob Wildmann, der Klassenlehrer dieser Truppe, und das ist meine Kollegin Stefanie Küttlings.“

„Vermissen Sie eine Schülerin?“

Der Lehrer wand sich wie ein Aal, dann nickte er.

„Sandy ist heute früh nicht zum Frühstück erschienen und wir haben sie bis jetzt gesucht. Leider ohne Erfolg. Ich wollte gerade die Eltern informieren.“

„Das können Sie lassen“, mischte sich jetzt die rothaarige Jenna, die annahm, dass der Lehrer die Polizei gerufen hatte, ein. „Wir wollten Sie ärgern, also ist Sandy abgehauen. Sie kommt abends wieder.“

„Das glaube ich kaum“, erklärte Roberto nun mit eisiger Miene.

„Warum?“, fragte Jenna und biss sich auf die Unterlippe.

Jetzt schob Delia den Lehrer und Roberto zur Seite und flüsterte: „Wir haben eine schreckliche Nachricht. Unweit von hier wurde die Leiche eines Mädchens gefunden. Können Sie uns bitte begleiten? Vielleicht ist es Ihre Schülerin.“

„Oh mein Gott, bitte nicht“, sagte Jakob ebenso leise und winkte Stefanie zu sich.

Die kam und sah in das sorgenvolle Gesicht. Die Kommissarin bat sie, sich um die restlichen Jugendlichen zu kümmern und schilderte knapp, was geschehen war.

„Lange braune Haare, schlank, hübsch, etwa sechzehn Jahre.“

Stefanie riss die Augen auf und hielt die Luft an. Tränen traten in ihre Augenwinkel.

„Frau Küttlings, bitte behalten Sie jetzt die Nerven und lassen Sie sich nichts anmerken. Wir haben Herrn Wildmann gebeten, die Tote zu identifizieren. Wenn es Sandy ist, wissen wir es in wenigen Minuten. Bis dahin beschäftigen Sie die Kinder!“

Stefanie nickte und sah den drei Leuten hinterher, die ins Auto stiegen.

Dann wandte sie sich an Jenna: „Und wir unterhalten uns jetzt mal, meine Dame.“

Die drei Mädchen standen zusammen unter einer großen Linde. Die anderen waren ins Haus gegangen.

Roberto, Delia und Jakob waren am Tatort angekommen und liefen in den kühlen Wald bis zu der Stelle, wo man ein Tuch über der Leiche ausgebreitet hatte.

Delia sagte einfühlsam: „Sie müssen jetzt stark sein. Das Mädchen wurde erdrosselt. Sagen Sie es uns gleich, wenn es sich um ihre verschwundene Schülerin handelt.“

Sie traten näher und der Kollege von der Gerichtsmedizin, der gekommen war, um die Tote abzutransportieren, schob das Tuch bis zur Brust herunter. Jakob erschrak und schlug die Hände vor das Gesicht. Dann nickte er.

„Es tut mir leid, Herr Wildmann. Bitte geben Sie mir die Telefonnummer der Eltern. Wir bringen Sie zurück ins Jugendheim. Dort müssen wir alle Schüler und die Kollegin befragen. Vielleicht kann Ihre Kollegin die anderen Eltern benachrichtigen. Kommen Sie.“

Roberto hatte nichts gesagt und überließ auch jetzt Delia das Reden. Dass dieses Mädchen so jung sterben musste, machte ihn unendlich traurig. Er konnte sich noch an die schlimme Zeit erinnern, als seine große Schwester vergewaltigt und getötet worden war. Er war damals sechs Jahre alt gewesen und sie dreizehn. Seine Eltern waren an ihrer Trauer zerbrochen, aber er hatte erst viel später das Ausmaß begriffen. Seitdem waren über dreißig Jahre vergangen, aber das tote Mädchen hatte alte Wunden aufgerissen. Niemand wusste davon, auch Delia nicht. Er hatte nicht vor, jemanden in seine Seele schauen zu lassen, darum gab er sich nach außen hart und stark.

Stefanie kam ihnen entgegen. Die anderen saßen vor dem Haus auf den Bänken oder dem Boden und schwiegen. Jakobs Gesicht sprach Bände.

„Frau Küttlings, Ihr Kollege hat die Tote eindeutig als Sandy Hickerring identifiziert. Sie hatte außerdem ihren Ausweis mit dabei. Sind das alle Schüler?“

Entsetzt nickte sie und begann zu weinen. Die Schüler blickten sorgenvoll auf die vier Erwachsenen, die jetzt zu ihnen traten.

Delia setzte sich zu ihnen und erklärte leise: „Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Mitschülerin und Freundin Sandy heute Nacht Opfer eines Verbrechens geworden ist. Sie ist tot, es tut mir sehr leid.“

Nun brachen alle Mädchen in Tränen aus und nahmen sich gegenseitig in den Arm. Die Jungs sahen auf ihre Schuhe oder malten im Sand, um nicht zu weinen. In diesem Alter musste man Härte zeigen. Heulen durften nur die Mädchen.

„Wir werden jetzt jeden einzeln befragen. Frau Küttlings, bitte rufen Sie alle Eltern an und bitten Sie sie her. Es ist besser, wenn die Kinder nach Hause fahren. Da es ja nicht so weit weg ist, werden wir auch in der Stadt die Ermittlungen leiten.“

Die Lehrerin nickte und ging ins Haus, um zu telefonieren, als ein Mann in Jeans und weißem Hemd auf die Gruppe zukam. Er stellte sich als der Leiter des Jugendheimes vor. Bertolt Krahm war einundsechzig Jahre alt und machte einen auf jung, war Delia aber von Anfang an unsympathisch.

„Was will denn die Polizei hier? Hat wieder mal einer geklaut? Die Stadtkinder sind heutzutage nicht mehr erzogen und sie haben keinerlei Respekt. Ich habe es geahnt.“

Roberto wollte antworten, aber Delia kam ihm zuvor: „Ich kann Ihnen versichern, dass nichts gestohlen wurde. Wir haben einen Mord zu untersuchen.“

„Das ist ja noch schlimmer!“, rief der Leiter des Hauses. „Jetzt werden die Leute über unser Haus herziehen und alles schlechtmachen, weil sie denken, dass man hier ermordet wird. Das haben die ja super hingekriegt.“

„Wie wäre es denn mal mit ein bisschen Mitgefühl und Anteilnahme?“, fragte Roberto jetzt und sah aus, als wolle er den Mann direkt anspringen.

Seine dunklen Augen glühten, als er Delia zunickte und den Lehrer beiseite nahm. Er hatte das Gefühl wegzumüssen, um nicht die Kontrolle zu verlieren.

„So ein Wichser“, murmelte er und Jakob nickte. „Wie kann solch ein Typ dieses Haus leiten? Der hasst doch Kinder und Jugendliche.“

„Das habe ich eben auch gedacht“, sagte der Lehrer und setzte sich etwas abseits auf eine Bank im Schatten.

Roberto blieb stehen und stellte einen Fuß auf die Sitzfläche.

„Hat es denn irgendwelche Probleme dieser Art gegeben? Wurde etwas beschädigt oder gestohlen?“

„Nein, bis jetzt war alles super ausgeglichen und entspannt.“

„Warum sind Sie nicht weiter verreist? Die Kids heute wollen doch ihre Abschlussfahrt nicht in die nächste Umgebung machen?“

„Sie waren fast alle dafür, außer Sandy und die drei Mädchen aus der Clique, aber am Ende haben alle zugestimmt, weil es günstig und gut ist. Wir haben hier bisher viel Spaß gehabt.“

„Was ist denn dran an dem, was die Rothaarige vorhin gesagt hat?“

„Dass Sandy abgehauen ist, um mir eins auszuwischen? Sie sagt wohl die Wahrheit. Es war bestimmt so geplant, dass sie heute Abend wieder auftaucht.“

„Warum wollte sie Ihnen eins auswischen?“

„Sie war schon immer rebellisch. Das war die Retourkutsche dafür, dass wir nicht nach Berlin oder Rom gefahren sind.“

Roberto spürte, dass der Lehrer etwas verschwieg, aber er wollte nicht weiter bohren, denn er ahnte, dass der Mann ihm sowieso nicht die Wahrheit sagen würde. Jetzt nahm er sein Handy und ließ Jakob die Nummer der Eltern eintippen. Eigentlich war es üblich, die Angehörigen zuhause zu informieren, aber eine innere Stimme sagte ihm, dass es gut wäre, die Eltern hier zu haben.

„Hallo, ich bin Kommissar Roberto Caranio“, sagte er, nachdem sich Sandys Mutter gemeldet hatte. „Es gab einen Zwischenfall im Jugendheim. Können Sie bitte herkommen?“

„Um was geht es denn?“, fragte Saneela Hickerring. „Ich bin im Geschäft und habe bis acht Uhr zu tun. Mein Mann arbeitet auch noch.“

„Das möchte ich Ihnen nicht am Telefon sagen. Bitte schließen Sie den Laden, holen Sie Ihren Mann ab und kommen Sie her. Auf Wiederhören.“

Er drückte das Telefon einfach aus und steckte es in die Tasche. Dann wandte er sich wieder Jakob Wildmann zu.

„Werden sie kommen? Was hat Sandy für Eltern?“

„Die Mutter ist Boutique-Besitzerin, der Vater führt ein Hotel. Die beiden arbeiten ausschließlich, warum sie ein Kind haben, wissen sie sicher nicht so genau. Sandy ist viel sich selbst überlassen und darum macht sie auch, was sie will. Geht es mal nicht nach ihrem Willen, flippt sie aus. Sie hat alles zuhause, nur keine Liebe.“

Roberto dachte: Und diese Liebe bekommt sie dann von dir?

Er fragte aber nur: „Hatte sie einen Freund?“

„Keine Ahnung. Dazu können ihre Freundinnen sicher mehr sagen.“

Der Lehrer stand auf und Roberto bat ihn, Jenna zu ihm zu schicken. Das schlanke Mädchen setzte ihr Pokerface auf und schlenderte betont lässig herüber. Roberto sah ihr mit unergründlichem Blick entgegen.

„Sie sind Jenna Wartenfels?“

Die Rothaarige nickte. Dann setzte sie sich und der Kommissar nahm neben ihr Platz.

„Bitte erzählen Sie mir, was gestern Abend los war.“

„Sie können ruhig du sagen, sonst fühle ich mich so alt. Also, ich fange mal ganz vorne an. Wir hatten schon vor der Fahrt geplant, dem Wildmann eine Lehre zu erteilen. Und da hatte Sandy die Idee, abzuhauen, damit er sich Sorgen macht und nach ihr sucht. Heute Abend wollte sie wieder erscheinen und so tun, als wenn sie entführt worden war. Das war der Plan, aber anscheinend ist etwas schiefgegangen.“

„Sie ist ihrem Mörder in die Arme gelaufen und du musst nicht so cool tun, deine Freundin ist tot. Sag mir lieber mal, warum sie den Lehrer bestrafen wollte. Schlechte Noten?“

Jenna schwieg und überlegte. Sollte sie die Wahrheit sagen? Sie entschied sich für die Lüge.

„Der Typ hat Sandy ständig angemacht und weil er nicht bei ihr landen konnte, hat er ihr schlechte Noten gegeben.“

Nun war es heraus und Jenna musste den anderen nur noch mitteilen, dass sie dasselbe aussagen müssten. Dann würde Sandy ihre Rache bekommen, denn die Sache, die die Freundin den Mädchen berichtet hatte, war genau das Gegenteil: Sie hatte monatelang um die Zuneigung des Lehrers geworben, aber der hatte sie stets zurückgewiesen. Allerdings hatte er niemanden eingeweiht, denn er wollte Sandy nicht in Schwierigkeiten bringen. Er hatte sie lediglich gebeten, sich von ihm fernzuhalten.

„Nicht mit mir!“, hatte Sandy empört gerufen, nachdem sie der Clique davon erzählt hatte. „Dieser arrogante Affe soll mir das büßen. Ich liebe jetzt einen anderen, aber der Wildmann hat eine Lektion verdient.“

Als Sandy in der Nacht vor ihrem Verschwinden die Mädchen zusammenrief, hatten sie sich ins Zimmer des Lehrers geschlichen, denn sie hatten ihm Schlafmittel in den Tee gemischt. Die Pillen hatte Isa ihrer Mutter gestohlen. Alles war perfekt gelaufen, als Jenna Sandy in den Armen von Jakob Wildmann fotografiert hatte. Conny hatte das Bild dann vom Handy des Lehrers seiner Freundin Manja geschickt.

Jenna war abgebrüht genug, dem Polizisten ins Gesicht zu lügen und hoffte, dass auch die anderen standhielten. Dieser Arsch ist schuld, dass sie tot ist, dachte sie und nun kamen ihr die Tränen.

„Er ist ihr bestimmt nachgegangen“, schluchzte sie und damit kam etwas ins Rollen, was völlig außer Kontrolle geraten sollte.

Weinend schlurfte sie zu den anderen Mädchen zurück und berichtete in Kurzfassung, was sie ausgesagt hatte, denn das Telefon des Kommissars hatte geklingelt und er war für diesen Moment abgelenkt.

„Denkst du, das kommt nicht raus?“, flüsterte Isa.

„Ach Quatsch, ihr müsst nur alle dasselbe sagen, dann kriegt der Typ das, was er verdient hat.“

Die Mädchen nickten.

„Ja?“, hatte Roberto in den Hörer gerufen.

„Gerichtsmedizin. Sie hatte Sex, aber es gibt keine Anzeichen, dass es gegen ihren Willen geschah. Leider ohne verwertbare Spuren, denn sie haben ein Kondom benutzt.“

„Scheiße, aber danke.“

Die Liebe ist das Ende

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