Читать книгу Bis die Gerechtigkeit dich holt - Ute Dombrowski - Страница 12
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ОглавлениеLisa hatte bis zum Wochenende jeden Abend mit Sascha telefoniert. Nun stand sie aufgeregt vor dem Haupteingang des Schlosses Johannisberg, das hoch über den Weinbergen thronte. Die Sonne gab ihr Bestes und tauchte die Landschaft in ein sattes Grün. Vögel zwitscherten, es war zehn Uhr am Vormittag und viele Wanderer und Weinliebhaber waren an diesem Punkt zu ihrem Wochenendvergnügen verabredet.
Dann sah Lisa den dunkelblauen Sportwagen, an dem kein einziger Kratzer mehr von ihrem unfreiwilligen Zusammentreffen zeugte, in die Allee einfahren und in eine Parklücke abbiegen. Lisas Herz klopfte heftig, aber die Freude, den attraktiven Fotografen wiederzusehen, überwog.
Sascha sah gut aus, der Wind wehte durch sein kastanienbraunes Haar, sein Lächeln ließ Lisa schmelzen und als er sie sanft auf die Wange küsste, lief ihr ein wohliger Schauer über den Rücken.
„Guten Morgen, schöne Frau, wie habe ich diesen Tag herbeigesehnt.“
„Ich auch …“, stammelte Lisa und sah auf ihre Schuhspitzen.
„Ich mag es, wenn Sie so schüchtern sind, aber ich tue Ihnen nichts, außer vielleicht …“
Er griff nach Lisas Kinn und hob es ein wenig an. Ihre Blicke trafen sich und Sascha beugte sich vorsichtig zu ihr herab, um seine warmen, weichen Lippen auf ihre zu drücken. Lisa wollte zurückweichen, aber Sascha legte einen Arm um ihre Taille und zog sie an sich. Seine grauen Augen schauten ihr danach forschend ins Gesicht. Es fühlte sich gut an und Lisa schloss die Augen, als sie sich entspannte. Sie küssten sich innig und liefen Hand in Hand los, an der Basilika vorbei den Weinbergen entgegen. Sascha redete, Lisa hörte zu.
„Ich liebe die Weinberge, sie haben so etwas Beständiges. Und wenn man den Rhein sieht, wie er in der Sonne glitzert, dann fragt man sich wirklich, wozu man noch im Ausland Urlaub machen soll. Ich liebe diese Gegend. Wir sind hier aufgewachsen, meine Schwester und ich. Immer, wenn es Krach gab, bin ich in die Weinberge geflüchtet. Nele hatte viel Ärger mit meinem Vater.“
„Ich habe keine Geschwister und meine Mutter ist auch schon tot. Vor kurzem habe ich Kendra kennengelernt, wir haben uns angefreundet. Es war ein böses Ereignis, das uns zusammengeführt hat, aber irgendwie hat es uns die Freundschaft gebracht.“
Lisa berichtete von Hanka, den Ereignissen, der Polizei-Befragung und dem Tod des Stiefvaters. Sascha hatte geduldig zugehört und seinen Arm fest um Lisas Schultern gelegt.
„Ich habe es in der Zeitung gelesen und mit meiner Schwester darüber geredet. Sie war die ermittelnde Staatsanwältin, bis sie vom Oberstaatsanwalt von dem Fall abgezogen wurde. Nele war sehr sauer, denn bei Gewalt gegen Kinder kennt sie keinen Spaß. Vielleicht, weil sie selbst oft geschlagen wurde.“
„Oh, das tut mir leid, meine Freundin hatte eine Schwester, die vom Vater misshandelt wurde. Sie hatte sich vor vielen Jahren selbst getötet, nachdem sie den Vater umgebracht hat. Meine Freundin war zehn Jahre und hat alles mit angesehen.“
„Warum sind Menschen so böse zu Kindern? Die soll man doch lieben! Ich habe meinen Vater auch nie verstanden, irgendwann ist meine Mutter mit uns weggezogen. Dann war Vater plötzlich verschwunden. Wir wissen bis heute nicht, wo er ist oder ob er noch lebt. Unsere Mutter ist vor zwei Jahren gestorben.“
„Hat er dich auch geschlagen?“
„Nein, nur Nele. Ich war ein Junge, er mochte nur keine Mädchen, denke ich. Zu meiner Mutter war er auch nicht gut. Sie hat viel geweint, aber ich war noch klein und habe das nicht verstanden. Und jetzt lass uns nicht mehr über so etwas Trauriges reden. Ich möchte gerne mit dir zusammen sein, Lisa. Du gefällst mir.“
Sie waren stehengeblieben und hatten sich lange geküsst. Lisa hatte nur genickt und Sascha hatte gefühlt, dass sie die Richtige war, die Frau, auf die er schon so lange gewartet hatte. Er hatte seine Kamera mitgenommen und ein paar Bilder vom Schloss und den Weinbergen gemacht. Nun bat er Lisa, sich neben die Reben zu stellen oder auf die Mauer zu setzen. Lisa wollte sich weigern, aber als sie ihre erste Verlegenheit überwunden hatte, genoss sie die Aufmerksamkeit. Sie war gespannt auf die Bilder.
Später gingen sie essen und dann fuhren sie zu Lisa, die in der kleinen Küche Kaffee kochte. Sie machten es sich auf der Couch gemütlich, Lisa hatte ihr Laptop geholt und Sascha lud die Bilder des Ausflugs hoch. Es waren Bilder voller Licht und Farben, wie Lisa die Umgebung während des Spaziergangs gar nicht so deutlich wahrgenommen hatte. Einzelheiten der Reben traten in den Vordergrund, um sie herum fügte sich die atemberaubende Landschaft ein. Als sich Lisa selbst auf den Bildern sah, bekam sie eine Gänsehaut vor Glück und Ergriffenheit, denn sie war wunderschön und strahlte eine faszinierende Natürlichkeit aus.
„Du hast wirklich ein Auge für den Moment, ein Gefühl für die Szene. Ich wusste gar nicht, dass ich so aussehe.“
„Es ist die Realität, du bist die schönste Frau der Welt. Vielleicht verstehst du jetzt, dass ich mich Hals über Kopf in dich verlieben musste.“
„Jetzt bin ich sicher wieder ganz rot. Verzeih mir, wenn ich nicht so locker bin, aber ich muss mich erst an das Ganze gewöhnen. Liebe war mir bisher nicht so wichtig.“
„Du Arme!“, rief Sascha. „Liebe ist das Wichtigste auf der Welt. Davon leben die Menschen. Ohne Liebe wäre die Welt öde und furchtbar. Lass mich dir die Liebe zeigen. Liebe, Liebe … schon das Wort macht mich glücklich. Und jetzt, meine liebe Lisa, fahre ich heim und schaue mir die Bilder noch einmal ganz in Ruhe an und hänge mir das Beste übers Bett. Sehen wir uns morgen wieder?“
„Gerne. Ich vermisse dich jetzt schon. Danke für den schönen Tag. Wo wohnst du denn eigentlich genau?“
„In Assmannshausen auf dem Berg. Ich habe ein kleines Haus in den Weinbergen, dort ist auch mein Atelier und unten im Haus ein kleiner Fotoladen. Wenn du magst, komm doch morgen zum Frühstück zu mir. Ich würde mich freuen.“
Lisa versprach um neun Uhr mit frischen Brötchen bei ihm zu sein, dann schlang sie die Arme um Saschas Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Es fühlte sich gut und richtig an.