Читать книгу Bis die Gerechtigkeit dich holt - Ute Dombrowski - Страница 6
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ОглавлениеDie dunkle Gestalt hinter dem Baum stand vollkommen ruhig da, das einzige, was sich bewegte, war der Zeiger der Uhr, der unaufhaltsam vorwärtsstürmte. Nein, es war nicht das einzige, was sich bewegte: Das Herz klopfte der Gestalt so laut in ihrer Brust, dass es fast zersprang. Hinter ihr floss der Rhein so entspannt dahin, als ob er schon schlief.
In sieben Minuten war es soweit. Die Dunkelheit war undurchdringlich, nachdem der Mond hinter einer Wolke verschwunden war. Die Gestalt schwitzte unter der schwarzen Wollmaske, aber sie wusste nicht, ob es vor Aufregung oder Hitze war. Die Hände steckten in schwarzen Gummihandschuhen, das Messer in der Hand hatte vorhin im Mondlicht noch silbern geglänzt, aber jetzt war es genauso unsichtbar wie alles andere.
Es war kurz vor Mitternacht, in der Ferne waren Schritte von schweren, festen Schuhsohlen zu vernehmen. Die dunkle Gestalt hinter dem Baum straffte sich. Sie war bereit, den zu richten, der Unrecht begangen hatte.
Ein dicker, grobschlächtiger Mann war in seinen Umrissen zu erkennen, er näherte sich unaufhaltsam und mit eiligen Schritten dem Baum. Die Gestalt kam hinter dem Baum hervor und ließ das Messer mit der langen, scharfen Klinge auf die Person, die fast genauso groß war, niedersausen. Erschrocken fasste sich der dicke Mann an die Schulter, schaute hoch und gab der Gestalt die Möglichkeit, das Messer in voller Länge in seinen Hals zu stoßen. Mit einer kurzen, drehenden Bewegung zerriss die Klinge die Hauptschlagader und ein Schwall von Blut sprang aus der Wunde heraus.
Die Gestalt trat zurück und sah dem Todeskampf des Mannes zu. Sie nickte zufrieden und nahm die Maske ab, sie fühlte Erleichterung. Dann wandte sie sich ab. Der tote Körper des dicken Mannes blieb in der Blutlache liegen. Am Morgen wird man ihn finden, dachte die Gestalt, dann ist es endgültig vorbei. Sie holte eine winzige weiße Stoff-Rose aus der Innentasche der Jacke hervor und ließ sie auf die Leiche fallen.
Sie ging heim, unter die Dusche und ins Bett, aber sie fand keinen Schlaf. Dieser Mann hatte kein Recht zu leben. Wer so etwas tat, hatte sein Recht zu leben verloren. Niemand durfte einem Schwächeren ungestraft wehtun.
„Du wirst nie wieder jemandem etwas antun. Ich habe dich bestraft, weil es sonst keiner tun würde. Die Menschen schweigen, aber das ist nicht richtig!“
Ein qualvoller Schrei kam aus ihrer Brust, ein Schrei voller Erinnerungen und Leid, den niemand hörte. Die Gestalt ballte die Fäuste und versuchte zu schlafen. Als in der Ferne die durchdringende Sirene eines Polizeiautos zu hören war, das mit flackerndem Blaulicht durch das Morgengrauen raste, schlief sie endlich tief und fest.