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Bianca Bonnét und Michael Verskoff waren am frühen Morgen an den Rhein geschickt worden. Mitten auf dem Weg hatte ein früher Jogger einen toten Mann gefunden und den Notruf gewählt. Die Schicht hatte gerade gewechselt und Michael war wie immer mies gelaunt, wenn er so früh aus dem Bett geklingelt wurde.

Der Morgennebel hing noch in der Luft, es tropfte von den Zweigen der Bäume und es war empfindlich kühl. Wenn dann die Sonne ihre warmen Strahlen ausbreitete, war die Erinnerung an den Winter schnell verflogen. Es war kurz nach fünf. Der Jogger stand frierend und bleich neben einer Bank, die Streife, die schon vor Ort war, hatte ihn mit einer Decke und einem warmen Kaffee versorgt. Michael nickte Bianca mürrisch zu und ging zur Leiche. Bianca trat zu dem Mann in der Sporthose. Er hatte seine Mütze tief ins Gesicht gezogen und trat von einem Bein auf das andere.

„Guten Morgen, ich bin Bianca Bonnét von der Kriminalpolizei, das da hinten ist mein Kollege, Kommissar Verskoff. Herr …?“

„Beckert.“

„Herr Beckert, Sie haben den Toten gefunden, warum laufen Sie denn schon so früh hier herum?“

„Ist das jetzt verboten? Ich laufe jeden Morgen vor der Arbeit meine Strecke, dann bin ich frisch genug für einen langen Tag im Büro. Ich komme übrigens wegen Ihnen zu spät.“

Der Jogger hatte genauso schlechte Laune wie der Kommissar, Bianca war das gewohnt und blieb ruhig und freundlich.

„Das tut mir sehr leid, Herr Beckert, aber wir sind gleich fertig. Haben Sie etwas Ungewöhnliches bemerkt? War etwas anders als sonst?“

„Klar war etwas anders als sonst oder denken Sie, hier liegt jeden Morgen eine Leiche auf dem Weg. Ich dachte erst, es hätte wieder jemand seinen Müll hier abgeladen und bin näher heran. Dann sah ich, dass es ein Mensch war. Das ganze Blut war vollkommen ekelhaft, eine Sauerei. Ich hoffe, ich bin nicht hineingetreten, als ich geschaut habe, ob er noch atmet.“

„Haben Sie ihn bewegt?“

„Nein, als ich das Loch in seinem Hals gesehen habe, wusste ich, dass er hin ist.“

„Wie konnten Sie im Dunkeln ein Loch im Hals sehen?“

„Es war nicht dunkel.“

Er zeigte auf seinen Kopf, wo eine runde Taschenlampe von einem Stirnband gehalten wurde, und schaltete sie ein. Sofort wurde Bianca von einem grellen, weißen Licht geblendet. Sie kniff die Augen zusammen und bedankte sich für die Vorführung.

„Sehr gut, Sie können gehen, wenn die Kollegen Ihre Personalien aufgenommen haben. Wir werden uns gegebenenfalls noch einmal an Sie wenden. Bitte melden Sie sich, wenn Ihnen noch etwas einfällt.“

Sie gab ihm ihre Karte und nickte dem Mann noch einmal freundlich zu. Danach ging sie zu Michael hinüber, der gerade mit dem Notarzt sprach, der zuerst vor Ort gewesen war.

„Er war schon tot, als wir eintrafen, und das seit Stunden. Näheres zur Todeszeit können Sie bei der Obduktion erfahren, hier ist für uns Schluss. Man hat ihm die Kehle zerfetzt, er hatte keine Chance.“

„Danke, Doktor. Bianca, was sagt der Mann? Hat er etwas gesehen? Woher hat der Typ einen Kaffee?“

„Lieber Michael, der nette Kollege von der Streife hat ihm aus seiner Isolierkanne etwas angeboten, sicher wirst du nicht in den Genuss dieses Getränks kommen. Der Zeuge hat die Leiche nur gefunden, aber niemanden gesehen. Er hatte genauso schlechte Laune wie du so früh am Morgen. Hast du denn etwas erfahren?“

„Der Kerl ist tot, auf seiner Brust liegt eine kleine weiße Rose aus Stoff. Er liegt schon eine Weile hier und so wie es aussieht, sollte er auch direkt gefunden werden. Wo ist denn dein Schatz von der Spusi?“

„Er ist nicht mehr mein Schatz. Also hör auf zu sticheln. Komm, wir fahren ins Büro und ich koche uns einen schönen Kaffee.“

„Dazu sage ich nicht nein, meine liebe Kollegin.“

Die beiden stiegen in den Dienstwagen und fuhren zurück ins Präsidium. Bianca musste im Auto still vor sich hin grinsen. Vor einem Jahr hatte sie sich zum ersten Mal mit Pit Deicker von der Spurensicherung verbabredet, sie hatten sich öfter getroffen und ineinander verliebt, aber dann stellte sich heraus, dass Pit ein Kontrollfreak war. Er wachte eifersüchtig und cholerisch darüber, mit wem Bianca redete, telefonierte oder Mails austauschte. Selbst den Kellner, bei dem sie ihr Essen bestellte, musterte er argwöhnisch. Sie fühlte sich wie in einem Käfig, aber wenn Pit gerade mal nicht vor Wut platzte, war er liebevoll und ein guter Liebhaber. Vor zwei Monaten hatte sie sich endgültig von ihm getrennt und ging ihm nun so gut wie möglich aus dem Weg. Michael kümmerte sich in dieser Zeit ruhig und besonnen um sie, denn Pit veranstaltete die eine oder andere Aktion, mit der er Bianca beweisen wollte, dass sie nicht ohne ihn leben könnte.

Sie war froh gewesen, dass Pit heute Morgen keinen Dienst hatte und lehnte sich nun entspannt zurück. Michael ärgerte sie ab und zu mit ihrem „Schatz von der Spusi“, aber er durfte das. Seit sie wieder alleine war, benahm er sich freundlicher, war ausgeglichener, weil er das Rauchen aufgegeben hatte und er hatte sich sogar den Bart wieder abrasiert. Jeden Tag duftete er gut und war schlank und drahtig, weil er wieder begonnen hatte zu laufen.

„Wo fangen wir denn an? Weißt du den Namen des Mannes?“

Michael blätterte in seinen Notizen.

„Robert Weißlinger, neununddreißig Jahre, wohnt in Rüdesheim.“

„Weißlinger … Weißlinger … den Namen kenne ich doch … warte … das Mädchen, das neulich im Park gefunden wurde. Sie ist im Krankenhaus gestorben, ihr Stiefvater hieß Weißlinger und stand kurzzeitig unter Verdacht, aber ihm konnte nichts nachgewiesen werden. Er ist beim Verhör vor Trauer zusammengebrochen und hatte berichtet, dass die Kleine immer abgehauen ist, wenn es mal Streit gab. Es lief schon eine Vermisstenanzeige des Stiefvaters, was ihn erheblich entlastet hat. Die Frau, um viele Jahre jünger, hat das bestätigt, aber es kam den Beamten vor, als wäre sie eingeschüchtert gewesen. Auf die Frage, woher die alten Verletzungen und Narben stammten, gab sie an, dass ihr leiblicher Vater sie öfter geschlagen hat. Die Staatsanwältin musste sich geschlagen geben, weil der Oberstaatsanwalt sie zurückgepfiffen hat.“

„DIE Staatsanwältin? Deine Freundin?“

„Ja, meine Freundin Nele war zuständig, aber die Ermittlungen laufen nicht mehr in Richtung der Familie. Sie war sich sicher, dass er der Täter war.“

„Anscheinend hat ihn jetzt jemand dafür bestraft.“

„Die Rose war weiß. Wenn sie rot gewesen wäre, könnte man an ein Verbrechen aus Leidenschaft denken, aber sie war weiß und weiß steht für Unschuld, Reinheit, aber auch Abschied.“

„Ach ja, da spricht die hochsensible Frau. Nun guck nicht schon wieder so böse, ich bin doch froh, dass es dich gibt und du diejenige von uns beiden bist, die mit dem Herzen denkt.“

„Das hast du aber nett gesagt. Dankeschön.“

„Ich bin immer nett.“

Bianca begann zu lachen und rief dann in der Gerichtsmedizin an, um zu fragen, was es Neues gab. Sie brummte ab und zu in den Hörer, hörte lange und geduldig mit verkniffenem Gesicht zu und legte dann auf.

„Und?“, fragte Michael.

„Ein Stich in die Schulter, mit großer Kraft ausgeführt, Täter ist in etwa gleich groß, also eher klein, aber kräftig. Dann ein zweiter Stich in den Hals und der Doktor hat mir gerade erklärt, wie der Täter mit dem Messer in der Wunde herumgerührt hat. Widerlich. Ansonsten war er wohl danach sofort tot, weil es ihm die Halsschlagader zerrissen hat. Da hatte jemand Kenntnisse der Anatomie.“

„Nein, das muss man dafür nicht, denke ich, weil jedes Kind weiß, wenn man einem die Halsschlagader durchschneidet, ist man ziemlich tot.“

Bianca sah ihn grimmig an und erwiderte: „Kinder denken nicht an solche Dinge, nur Erwachsene. Tu nicht immer so überheblich, das bist du nämlich gar nicht.“


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