Читать книгу Tränen im Sommer - Ute Dombrowski - Страница 14
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ОглавлениеAls Nelly vor der Tür stand, wo sich schon jetzt die Sonne zeigte, holte sie ihr Handy aus der Tasche. Eine Nachricht wurde durch pinkfarbenes Blinklicht angezeigt.
„Oh!“, rief sie und ihre Augen wurden groß. „Ricardo hat mir geschrieben.“
Simona nahm Nelly die Leine von Wuschel ab und zog sie mit sich in Richtung Weinberge.
„Was schreibt er? Zeig her! Lies vor!“
„Er schreibt: Liebste Nelly! Oh, wie süß, ich bin seine liebste Nelly.“
„Weiter!“, forderte Simona.
„Da steht: Ich denke die ganze Zeit an dich und würde dich sehr gerne in die Arme schließen. Ich freue mich auf morgen vor der Schule. Kuss Ricardo.“
„Wie romantisch. Ich beneide dich sehr um diesen Mann.“
„Er ist toll, aber ich bin mir nicht sicher, ob das alles wahr ist.“
„Sag mal, bist du bescheuert? Der coolste Typ der Schule steht auf dich und du fragst dich, ob das wahr ist? Ich an deiner Stelle würde ausflippen. Nelly, er ist verliebt in dich. Jetzt freu dich, verdammt noch mal.“
Nelly sah ihre Freundin an und schob nun auch die letzten Zweifel beiseite. Sie tippte die Antwort: „Ich freue mich auch auf dich. Kuss Nelly.“
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Können wir uns nicht schon heute sehen?“
Nelly zeigte Simona die Frage.
Die Freundin sagte: „Wenn du deine Eltern fragst, ob du heute den Tag mit mir verbringen kannst, werden sie sicher nichts dagegen haben. Dann schreibst du ihm, dass er dich bei mir abholen soll und ihr unternehmt etwas Schönes. Meine Eltern sind nicht zuhause, also wird dich keiner fragen.“
„Aber das ist nicht richtig. Ich belüge doch nicht meine Eltern!“
„Es ist doch nur eine kleine Notlüge, die niemandem schadet. Oder willst du ihn direkt wieder verlieren?“
Nelly spürte eine Welle von Kummer durch ihren Körper laufen. Simona hatte recht: Es war nur eine kleine Notlüge. Sie würde mit Ricardo einen schönen Tag verleben und am Abend wieder daheim sein.
„Also gut. Komm mit heim, dann sagen wir, dass wir dein Zimmer umstellen wollen. Das glauben die mir sofort.“
Gesagt, getan, Nelly und Simona erklärten, dass sie heute nichts mehr für die Schule tun müssten und Simonas Zimmer neu anordnen wollten. Katja wünschte den Mädchen einen schönen Tag und erklärte ihr, dass sie sie zum Abendessen um acht Uhr zurück erwartete. Nelly tippte ins Handy, dass ein Treffen möglich sei und bestellte ihren Ricardo zu Simonas Adresse. Er versprach sie dort in einer Stunde abzuholen.
Simona holte daheim in ihrem Zimmer das Schminkzeug heraus und betonte Nellys Augen und Lippen. Nelly schaute in den Spiegel und fand sich sehr erwachsen. Nach knapp einer Stunde, die sie vor Simonas Haustür auf der Treppe gesessen hatten, fuhr sein dunkelblauer Sportwagen vor. Ricardo stieg aus und kam auf die Mädchen zu. Er setzte sich zwischen sie, küsste Simona auf die Wange und Nelly vorsichtig auf die zitternden Lippen. Nellys Herz klopfte bis zum Hals, als er sie von den Stufen hochzog und sich von Simona verabschiedete.
Nelly winkte Simona und stieg in Ricardos Auto. Sie saß schweigend neben ihm. Er fuhr schnell und sicher. Ab und zu blickte er das schöne Mädchen an, das neben ihm saß.
„Was machen wir mit dem tollen Tag? Wollen wir am Rhein spazieren gehen? Oder hast du eine andere Idee?“
Nelly taute langsam auf. Sie überlegte, aber die Idee mit einem Spaziergang war gut für das erste Date.
„Ja, gehen wir spazieren und lernen uns erstmal besser kennen.“
Ricardo legte für einen Moment die rechte Hand auf Nellys Knie. Sie hatte Gänsehaut am ganzen Körper, so aufregend war die kurze Berührung. Als sie in Hattenheim angekommen waren, fuhr Ricardo von der Bundesstraße ab auf einen Parkplatz. Er öffnete Nelly elegant die Tür und reichte ihr die Hand zum Aussteigen. Sie war einen Kopf kleiner und reckte sich innerlich, weil sie sich in diesem Augenblick wie ein kleines Schulmädchen vorkam. Ricardo verschloss mit der Fernbedienung das Auto, fasste Nellys Hand und lief mit ihr in Richtung der Unterführung, die unter der Bundesstraße hindurch zu einem bereiten Weg am Rheinufer führte.
Eine Weile liefen sie stumm in Richtung Koblenz, bis sie an eine Bank kamen, die zwischen zwei Bäumen in der Sonne stand. Sie setzten sich und Ricardo begann vom Rhein und den Orten im Rheingau zu erzählen. Sein Opa war Winzer und hatte ihn oft mit in die Weinberge genommen, weil seine Eltern schon früher nie Zeit für ihren Sohn hatten. Er war mehr bei seinen Großeltern als zuhause. Irgendwie war Ricardo heute sehr milde gestimmt, was wohl hauptsächlich an der Nähe von Nelly lag. Sie war so natürlich und unschuldig, dass er tatsächlich überlegte, ob er nicht viel zu alt für sie war und er sich lieber eine andere Freundin suchen sollte.
Als er nun den Arm um sie legte, hatte er ein schlechtes Gewissen, aber Nelly übte so eine große Anziehungskraft auf ihn aus, dass er alle Skrupel vergaß und ihr Gesicht zu seinem herumdrehte. Er schaute in ihre sanften, braunen Augen und küsste sie vorsichtig auf die Stirn. Nelly schloss die Augen und lehnte sich mutig an ihn. Sein Mund berührte zärtlich ihre Lippen. Zuerst schüchtern, dann schon etwas forscher gab sie sich seinem Kuss hin. Als seine Zunge ihre Lippen berührte, öffnete sie den Mund und ließ sich von diesem gierigen Kuss einfangen und aus der Realität davontragen. Sanft berührten seine Hände ihre Wangen und er hielt ihr Gesicht fest.
Nelly horchte in sich hinein. Das war schon anders als ein Küsschen in Ehren von einem gleichaltrigen und ebenso schüchternen Jungen, das sie bisher kennengelernt hatte. Ricardos erster richtiger Kuss ließ sie die Erfahrung erahnen, die er mit seinen zahlreichen Mädchen schon gemacht hatte. Nun erschrak sie.
„Ich werde aber nicht mit dir schlafen!“
Ricardo ließ von ihr ab und musste laut loslachen.
„Ach, Süße, das ist doch vollkommen klar. Ich werde so lange warten, bis du bereit bist, mir alles zu geben. Was denkst du denn, was ich für einer bin?“
„Entschuldige“, stammelte Nelly, „aber in der Schule haben sie nicht viel Gutes über dich gesagt. Du wärst ein Weiberheld, der alle Frauen ins Bett zerrt und dann wegwirft.“
Na super, dachte Ricardo, jetzt reden die Neuntklässlerinnen schon so einen Scheiß über mich, ich muss dringend an meinem guten Ruf arbeiten. Dafür erschien ihm Nelly überaus passend. Außerdem war sie wirklich süß und ein echter Glücksgriff. Mal sehen, wie lange sie ihm standhalten konnte, ehe er sie ins Bett kriegte. Früher oder später kamen sie alle freiwillig.
„Es ist traurig, dass du denen glaubst. Ich war vielleicht nicht immer korrekt, aber mit dir ist es ganz anders. Du bist etwas Besonderes.“
Und damit sprach er wirklich die Wahrheit. Das würden Martin und Kevin auch verstehen, wenn er ihnen Nelly vorstellte. Gerade ihr unschuldiges Leben machte sie interessant und unwiderstehlich. In der Hosentasche vibrierte sein Handy. Er nahm es ans Ohr.
„Ey, Alter, warum bist du abgehauen? Wo bist du?“, hörte er Martins müde und verärgerte Stimme.
„Hallo und guten Tag. Ich freue mich, dass ihr wieder wach seid. Ich habe gerade ein herrliches Date mit einem bezaubernden Mädchen. Du störst leider.“
„Bist du bekloppt? Du hast doch nicht etwa das kleine Mädchen aus der Neunten bei dir?“
„Ja, Nelly sitzt neben mir und du hältst uns gerade vom Küssen ab.“
Nelly grinste. Das musste einer seiner Freunde sein. Ricardo küsste sie auf die Schläfe und zog sie dichter an sich. Nelly ließ sich fallen und lehnte sich mit dem Rücken gegen Ricardo, die Füße auf der Bank. Die Sonne lachte dazu, als würde sie sich mit ihr freuen.
„Nein, ich kann dich jetzt nicht abholen, nimm dir ein Taxi“, sagte ihr Freund gerade. „Ich bin zu weit weg. Ja, wir kommen später noch vorbei. Ja, lass gut sein, ich lege jetzt auf. Bis später.“
Ricardo erklärte, dass sie nach dem Spaziergang zu Martin nach Wiesbaden fahren würden. Nelly wusste nicht, was sie davon halten sollte, aber sie wusste, dass die Clique unzertrennlich war. Und anscheinend war klar, dass sie die anderen beiden auch kennenlernen musste. Sie seufzte zufrieden.
„Was ist los? Alles gut, meine Kleine?“
Nelly nickte nur und schmiegte sich in die starken Arme ihres ersten richtigen Freundes.