Читать книгу Tränen im Sommer - Ute Dombrowski - Страница 9

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„Er ist so süß!“, schwärmte Simona wie immer in der Pause.

Die Mädchen standen seit einiger Zeit in der Nähe der Großen auf dem unteren Teil des Schulhofes, wo Ricardo mit Linda knutschte, während Martin auf dem Handy herum tippte und Kevin dumpf vor sich hin starrte. Nach ein paar Minuten riss sich Linda von Ricardos Lippen los und ging zu ihren Freundinnen. Nelly hatte genauso hingeschaut. Nun erschrak sie, als Ricardo Martin anstieß und in die Richtung der beiden Mädchen zeigte. Nelly zog schnell den Kopf ein und drehte sich um.

Simona wurde rot und sagte leise: „Er hat mich angesehen. Oh, mein Gott, ich falle tot um. Er hat mich bemerkt. Hast du das gesehen? Ich werde irre.“

„Ja, das habe ich gesehen. Ich freue mich für dich.“

Nelly war in diesem Moment klar, dass Ricardo nicht Simona, sondern sie angeschaut hatte. Niemals würde sie ihrer Freundin das antun. Niemals. Aber in ihrem Inneren zerriss ihr fast das Herz, so sehr fühlte sie sich zu dem aufregenden, jungen Mann hingezogen.

„Ob ich ihn ansprechen sollte?“

„Was? Aber Simona! Spinnst du? Er ist der Mann, er muss zu dir kommen. Du wirst doch so einem Kerl nicht nachlaufen. Außerdem hat er Linda.“

„Stimmt“, erwiderte Simona traurig, „das hätte ich fast vergessen. Oh Mann, ich bin so verliebt. Er ist der schönste Junge auf der ganzen Schule.“

Es läutete zum Hineingehen und die Mädchen wandten sich in Richtung Tür, als hinter ihnen jemand lachte. Nelly drehte sich um und sah Paolo, der von der Sporthalle kam.

„Na, die Damen? Alles klar?“

„Ja, es ist alles in Ordnung. Was macht die Arbeit?“

Simona hatte nur mit offenem Mund zugesehen, wie unbeschwert sich ihre Freundin mit einem aus der Oberstufe unterhielt, als wäre es das Normalste von der Welt. Sie griff nach Nellys Ellbogen und wollte sie mit sich ziehen.

„Mädels, lasst die Finger von Ricardo und der Clique. Er ist keiner von den Guten.“

„Aber du, oder was?“, fauchte Simona Paolo nun an und stemmte die Fäuste in die Seiten. „Was fällt dir ein uns zu belauschen?“

„Mädchen, ich habe nicht gelauscht, ihr habt einfach zu laut getratscht. Pass auf deine Freundin auf, Nelly. Bis dann.“

Er überholte sie und war zwischen den Menschen, die ins Haus drängten, verschwunden. Hinter sich hörten Nelly und Simona die Sportlehrerin keifen, weil es ihr nicht schnell genug durch die Tür ging. Sie stiegen die Treppe hinauf und stellten sich vor den Chemieraum. Nach zwei Minuten kam die Chemielehrerin und der Unterricht begann. Nelly konnte sich nicht konzentrieren, so sehr kämpfte sie mit dem schlechten Gewissen ihrer Freundin gegen­über. Am Ende der Stunde bat Frau Mosch sie zu einem kurzen Gespräch.

„Was ist denn los, Nelly? So unaufmerksam warst du noch nie. Ist etwas passiert?“

„Nein, ich hatte nur Kopfschmerzen, entschuldigen Sie bitte, nächstes Mal arbeite ich wieder besser mit.“

„Ich muss mir wirklich keine Sorgen machen?“

Nelly schüttelte den Kopf und verließ den Raum, vor dessen Tür Simona gelauscht hatte.

„Was hat die denn für ein Problem? Nun sag mal, da arbeitest du mal eine Stunde nicht mit und die denkt gleich sonstwas. Es ist doch alles in Ordnung, oder?“

„Ja! Was wollt ihr denn alle von mir?“, platzte es aus Nelly heraus. „Ach, entschuldige bitte, du kannst ja nichts dafür. Ich habe Kopfweh und möchte nur heim. Aber die eine Stunde Mathe schaffe ich schon irgendwie.“

Simona hatte erschrocken geschwiegen. So hatte sie ihre Freundin ja noch nie erlebt. War sie etwa … verliebt? In diesen Paolo? Sie kicherte leise und folgte Nelly zum Mathematikraum. Nachdem Nelly zu Hause angekommen war, trank sie eine Tasse kalte Milch und ging in ihr Zimmer. Dort warf sie sich auf das Bett. Ratlos und verwirrt legte sie sich den dicken Teddybären über den Kopf. Wuschel war zu ihr gesprungen und versuchte, sich an Nelly zu kuscheln. Sie drehte sich um und sah zur Decke. Wuschel hüpfte um sie herum und leckte dann ihr Gesicht. Nelly setzte sich auf und nahm das kleine, schwarze Fellbündel in den Arm.

„Ach Wuschel, was soll ich nur machen? Simona ist meine beste Freundin und ich bin in den Kerl verknallt, den sie liebt. Bitte sag mir, was ich tun soll! Mit ihr reden? Sie wird mich hassen! Er hat mich heute auf dem Schulhof angesehen und Simona dachte, er meint sie. Es ist alles Mist. Ich hasse die Liebe.“

Am Nachmittag, Nelly hatte gerade ihre Hausaufgaben fertig und wollte mit Wuschel hinausgehen, da ging unten die Tür und Katja rief nach ihr.

„Nelly, bist du da?“

„Ja, Mama, warte, ich komme runter. Ich gehe jetzt mit Wuschel.“

Sie küsste ihre Mutter auf die Wange und griff nach ihrer Jacke. Es war Mai, aber das Wetter war nur wenig frühlingshaft. So langsam gingen Nelly der Wind und die Kälte auf die Nerven. Sie wollte Frühling, die Frühlingsgefühle waren schon da. Seufzend schlüpfte sie in die Schuhe.

„Was ist los, mein Kind? Gibt es etwas Neues an der Liebesfront?“

„Frag lieber nicht. Ich … er … willst du nicht ein Stück mitkommen? Du bist doch Expertin in Sachen Liebes-Katastrophen, vielleicht weißt du einen Rat.“

Katja lachte und zog sich die Jacke wieder an, die sie gerade an die Garderobe gehängt hatte. Die beiden schlenderten gemütlich los und sahen Wuschel zu, der überall seine Nase hineinsteckte und laut hörbar schnüffelte. Ab und zu bellte er einem im Wind umherfliegenden Blatt hinterher.

„Dann schieß mal los.“

„Heute waren wir auf dem Schulhof und Simona hat wie immer ihren Ricardo angehimmelt. Dann ging seine Freundin weg und er hat seinen Freund auf uns aufmerksam gemacht. Besser gesagt, auf mich. Er hat mich angesehen. Simona dachte, sie wäre gemeint. Aber ich habe genau gespürt, dass er mich meint und nun bin ich total verwirrt. Es fühlt sich so gut an, Mama. Ist das Liebe?“

„Mein Kind, ich glaube schon. Sie fühlt sich warm und prickelnd an. Und man hat Bauchweh oder einen trockenen Mund.“

„Mist, dann bin ich verliebt. Aber das kann niemals gutgehen. Er hat eine Freundin. Simona liebt ihn. Er ist voll alt. Er hat miese Freunde. Was soll ich nur machen?“

Sie waren beim Weingut angekommen und Wuschel sprang aufgeregt an Benjamin hoch, der ihnen aus der Vinothek entgegenkam.

„Was ist passiert, mein Engel? Du siehst traurig aus.“

„Dein Engel ist verliebt, lieber Onkel Benjamin.“

„Ach du Schande, jetzt geht das los“, rief Benjamin lachend.

„Jetzt geht was los?“, fragte Christian, der eben neben ihnen aus dem Auto stieg.

„Liebe geht los, lieber Vater einer pubertären Tochter.“

„Ach was, Nelly ist noch viel zu jung für die Liebe“, sagte Christian streng und Nelly sah an seinem Blick, dass es ihm absolut ernst damit war.

Katja küsste ihn sanft auf die zusammengekniffenen Lippen und strich ihm besänftigend über den Arm. Sie wusste, dass er seine Tochter über alles liebte. Und wenn Unheil drohte, würde er eingreifen und sein Kind retten. Aber die Liebe war kein Unheil, sie war nichts Böses, sondern der Lauf des Lebens.

„Schatz, die erste Liebe ist die Schönste. Unsere Tochter ist nun erwachsen, da verliebt man sich schon mal.“

„Wer ist der Typ?“, knurrte Christian. „Wie alt ist der? Ist er aus deiner Klasse? Was will der von dir?“

„Oh, Papa, wenn du so doof zu mir bist, dann sage ich gar nichts. Ich bin mir ja selbst noch nicht einmal sicher, ob ich das gut finde.“

Benjamin sagte in die Runde: „Nun regen wir uns mal alle wieder ab und gehen ins Haus. Mir tut das Bein weh und ich habe Kaffeedurst.“

Als Christian und Katja mit großen Schritten vorangingen, legte Benjamin einen Arm um Nellys Schulter und hielt sie zurück.

„Du bist halt sein kleines Mädchen und jeder junge Mann wird eine Bedrohung sein. Also, wenn der Junge dir wichtig ist, dann kämpfe. Eltern wollen nur das Beste und das ist gut so, aber als Heranwachsende muss man eigene Erfahrungen machen, besonders mit der Liebe.“

„Danke, Onkel Benni, wenigstens du verstehst mich. Papa ist total streng und Mama mit ihrem verrückten Liebesleben kann mir auch nicht helfen.“

„Was weißt du denn über das Liebesleben deiner Mutter?“, fragte Benjamin lachend.

„Sie hat mir vor einer Weile alles erzählt, auch, dass du beinahe mein Vater gewesen wärst.“

„Oha, das hat sie also erzählt. Nun, ich wäre gerne dein Papa gewesen. Aber Christian ist als Papa echt wunderbar, vergiss das niemals.“

Nelly küsste Benni auf die Wange und bedankte sich für seine einfühlsamen Worte. Sie rief nach Wuschel und alle drei liefen in die Küche.

Tränen im Sommer

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