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8. Kapitel

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»Hallo, ich bin da.« Ein würziger Duft wehte mir entgegen, als ich die Haustür aufschloss.

Meine Mutter erschien im Türrahmen der Küche, ihr nackenlanges Haar hatte dieselbe dunkelbraune Farbe wie meins. Lediglich ein paar Fältchen gruben sich rings um ihre Augen in die Haut, ansonsten sah meine Mutter wie höchstens dreißig aus, obwohl sie dreizehn Jahre älter war. Sie strahlte, als sie mich sah, und eilte auf mich zu. »Du bist da. Ich freu mich so.« Wir nahmen uns in die Arme, ich schmiegte mich an ihre Schulter und fühlte mich sofort geborgen.

»Das Essen ist auch schon fertig«, sagte sie.

»Christine«, rief eine ältere, dunkle Stimme undeutlich aus dem Wohnzimmer. »Ist die Kleine da?«

»Ja, ich bin da, Opa.«

»Geh schon«, meine Mutter nickte mit dem Kopf zur Seite, »er wartet schon den ganzen Vormittag sehnsüchtig auf seinen Liebling.«

»Er ist ja auch mein Lieblingsopa.« Ich ging hinüber ins Wohnzimmer, das meine Mutter aus Platzmangel zu einer Art Krankenstation umfunktioniert hatte. Mein Großvater lag in einem dieser verstellbaren Metallbetten, die ich vom Krankenhaus her kannte, und das meiner Mutter die Pflege erleichterte. Seit meinem Praktikum konnte ich gut nachvollziehen, was sie täglich leistete. Nebenher arbeitete sie vormittags noch in einer Bäckerei und ging frühmorgens Zeitungen austragen. Zusammen mit Opas kleiner Rente und dem Pflegegeld kamen sie gerade so über die Runden.

»Schätzchen«, sagte er mühsam. Seine linke Gesichtshälfte war gelähmt und hing nach unten, was ihm das Sprechen erschwerte.

»Lieblingsopa.« Ich lümmelte mich neben ihn aufs Bett, wie ich das früher schon immer getan hatte.

Meine Mutter kam mit zwei dampfenden Schüsseln ins Zimmer und stellte sie auf den schmalen Esstisch in der Ecke. »Das Essen ist fertig.«

Gemeinsam halfen wir Opa in seinen Rollstuhl und schoben ihn zum gedeckten Tisch, ehe auch wir uns setzten. Voller Vorfreude füllte ich meinen Teller mit Braten und Klößen. Das Essen duftete einfach köstlich. Als ich den ersten Bissen nahm, fiel mir eine Aquarellzeichnung an der Wand auf: Mohnblumen am Rand eines Kornfeldes, inmitten der hohen Halme lag ein Liebespaar versteckt. »Das ist aber schön.« Ich deutete mit der Gabel in Richtung des Bilds. »Von dir?«

Meine Mutter hielt mit dem Fleischschneiden auf Opas Teller inne. »Ich dachte, ich male mich ein bisschen warm für den Kurs.«

»Du ziehst das mit dem Malkurs also durch?«

»Ja, ich muss.« Mam zeigte mit dem Daumen auf Opa. »Er tritt sonst in den Hungerstreik, wenn ich nicht etwas für mich mache.«

Opa nickte. »Was willst du den ganzen Tag bei einem alten behinderten Mann, der noch dazu die meiste Zeit schlechte Laune hat? Geh raus, du bist jung, amüsier dich.«

»Ich will doch nur, dass es dir gut geht«, verteidigte sich meine Mutter.

»Mir geht es viel besser, wenn du nicht so oft da bist.« Er führte mit zittriger Hand ein Stück Fleisch zum Mund. »Dann komme ich mir wenigstens nicht dauernd wie ein Pflegefall vor.«

Ich kicherte. Immerhin kannte ich meinen Großvater gut genug, um zu wissen, wie sehr er meine Mutter liebte und ihr dankbar war. Wahrscheinlich wollte er sie eher vor sich selbst bewahren, damit sie sich und ihre Bedürfnisse nicht völlig aufgab.

»Opa hat recht. Du musst auch mal an dich denken. Wenn du zwischendurch nicht mal auftankst, liegst du bald neben ihm.«

Mam seufzte. »Diplomatie war noch nie deine Stärke. Ihr habt euch wohl gegen mich verschworen. Jaja, ich gehe Montag in den Kurs.« Dann wandte sie sich an ihren Vater. »Hedwig hat gesagt, du kannst in der Zeit anrufen, wenn was ist, sie springt dann schnell rüber.«

»Die alte Wachtel ruf ich garantiert nicht an«, grummelte Opa.

»Dein Altersstarrsinn ist schlimmer, als die Folgen deines Schlaganfalls.« Meine Mutter lehnte sich zurück und betrachtete ihr Bild. »Aber du hast mich jetzt so weit. Ich freue mich auf den Kurs und darauf, ein paar Stunden außer Haus zu sein.«

Opas verhaltenes, schiefes Grinsen verriet mir, dass er genau das mit seiner Show bezweckt hatte. Raffinierter alter Mann.

Nach dem Essen saß ich mit meiner Mutter bei einer Tasse Kaffee in der Küche beisammen, ein wundervoller Kräuterduft stieg mir vom Fensterbrett her in die Nase, der mich an meine Kindheit erinnerte. Opa hatte sich zum Mittagschlaf hingelegt und ich genoss die selten gewordene Zweisamkeit mit meiner Mam.

»Und?« Meine Mutter strich ihre fliederfarbene Bluse zurecht, die ihre blauen Augen leuchten ließ. Leider hatte ich die schnöde, braune Farbe meines Vaters geerbt. »Was gibt es Neues in der Liebe?«

Unerwartet tauchte Nick vor mir in Gedanken auf, als schwacher Funke, nur und dieses Mal konnte ich ihn glücklicherweise aus meinen Gedanken verscheuchen, bevor ich noch ins Grübeln kam, mit welcher der drei Grazien er gestern den Heimweg angetreten hatte.

»Nichts.« Ich zuckte mit den Schultern. »Zu viel zu tun.«

»Bist du sicher?« Sie sah mich durchdringend an. Mist, sie kannte mich einfach zu gut. Dennoch setzte ich ein Pokerface auf. Um weiteren unangenehmen Fragen auszuweichen, warf ich ihr einen Knochen hin, auch wenn es gelogen war. »Da gibt es einen netten Typen an meiner Uni. Mit dem treffe ich mich manchmal, aber es ist nichts Festes.«

»Warum?«

»Warum?«, wiederholte ich. Konnte sie sich nicht ein einziges Mal mit einer simplen Erklärung zufriedengeben?

»Ja, warum?« Sie trank einen Schluck Kaffee. »Wegen deinen Narben?«

»Nein, nicht deswegen.« Mir wurde das Ganze zu intim, ich suchte nach einem unverfänglichen Themenwechsel, bevor meine Mutter mich noch auf mein nicht vorhandenes Sexualleben ansprach.

»Ich hoffe, dass du dich deswegen nicht mehr so quälst wie damals während der Pubertät«, redete sie weiter, bevor ich nach dem Wetter der letzten Tage fragen konnte. »Es ist passiert. Du musst dich so annehmen, wie du bist. Und sieh dich an.« Stolz leuchtete in ihren Augen. »Du bist so hübsch, eine sehr attraktive Frau geworden.«

»Du bist meine Mutter, du musst das sagen«, unterbrach ich sie. »Selbst wenn ich aussehen würde wie Quasimodo, wäre ich in deinen Augen das schönste Wesen der Welt. Was nicht heißen muss, dass andere das genauso sehen.«

Sie nahm meine Hand. »Ich erinnere mich, dass es zu deiner Schulzeit genügend Jungs gab, die hinter dir her waren, aber du hast keinem von ihnen eine Chance gegeben.«

Ja, weil ich mich irgendwann vor ihnen hätte ausziehen müssen und dann wäre Schluss mit großer Liebe gewesen. Dass meine Mutter das nicht begreifen konnte. Die bittere Erfahrung mit Linus reichte mir voll und ganz, ich brauchte keine Wiederholung.

»Warum hattest du seit deiner Scheidung keinen Mann mehr?«, drehte ich den Spieß um. »Immerhin warst du gerade erst sechsundzwanzig als Papa abgehauen ist, nur drei Jahre älter als ich heute. Und trotzdem hast du dir nie wieder einen angelacht.«

»Ich hatte dich …«

»Ach, jetzt bin ich schuld?«, unterbrach ich sie fassungslos.

»Nein, so habe ich das nicht gemeint.« Sie seufzte vernehmlich. »Du warst mir damals wichtiger. Immerhin lag der Unfall erst ein Jahr zurück, du warst kaum über den Berg und ich wollte für dich da sein.«

»Aber später.« Ich hob die Hände. »Jetzt. Warum hattest du in den letzten Jahren nie einen Partner? Hast du das nie vermisst? Dich an jemanden anzulehnen, Zuneigung, Sex«, fügte ich hinzu. Immerhin war Mam nicht nur Mutter, sondern auch eine Frau.

»Nein«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich habe das alles nie vermisst. Man gewöhnt sich ans Alleinsein und irgendwann kann man es sich gar nicht mehr anders vorstellen.«

»Aber du bist attraktiv«, ließ ich nicht locker. »Deine Figur ist super, du siehst zehn Jahre jünger aus, du bist so eine tolle Frau. War in all der Zeit wirklich nie ein Mann hinter dir her? Ich kann mir das ehrlich gesagt nicht vorstellen.«

Sie trank einen Schluck Kaffee. »Natürlich hat mich ab und zu der eine oder andere Mann nach einem Date gefragt. Aber ich wollte keine Verpflichtung eingehen, mir gefällt meine Freiheit. Als dein Vater noch hier lebte, hat er mir immer alles vorgeschrieben: Was ich anziehen sollte, wohin ich gehen sollte, mit wem ich reden sollte. Die Scheidung war für mich wie eine Erlösung, plötzlich durfte ich wieder ich selbst sein – und diese Freiheit möchte ich nicht wieder aufgeben. Ob du es glaubst oder nicht, ich mache immer noch meinen monatlichen Ausflug zu Lotti und bleibe sogar bei ihr über Nacht. Opa passt es zwar nicht, dass er dann zur Nachtpflege ins Altersheim muss, aber dieses eine freie Wochenende, lasse ich mir nicht nehmen. Mit Freundinnen macht das Ausgehen doch viel mehr Spaß.« Ihr Lächeln geriet ein wenig schief. Ich sah ihr an, dass ihr unser Gespräch an die Nieren ging, genauso wie mir.

»Ich wusste nicht, dass er ein so tyrannischer Kerl war.« Wir redeten selten über ihn, meist fragten wir uns lediglich, wo er wohl untergetaucht war und das reichte auch schon, um uns in trübe Stimmung zu versetzen. Anscheinend hatte er sich irgendwo ins Ausland abgesetzt.

»Unsere Differenzen hatten auch nichts mit dir zu tun.« Sie streichelte meinen Handrücken. »Wir haben uns einfach nicht mehr geliebt. Wir waren viel zu jung. Als ich mit dir schwanger wurde, war ich ja gerade mal neunzehn.«

Opa rief nach einem Glas Wasser und störte die Unterhaltung glücklicherweise, bevor wir beide noch gemeinsam in Tränen ausbrachen. Ich stand ebenfalls auf und ging hinüber, fest entschlossen, keine heiklen Themen mehr anzuschneiden. Ich wollte den Tag mit meiner Familie genießen.

Liebeschaos: Süß wie Cherry Cola

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