Читать книгу Liebeschaos: Süß wie Cherry Cola - Ute Jäckle - Страница 5

1. Kapitel

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»Ganz schön voll hier.« Meine Mitbewohnerin Pia sah sich nach allen Seiten um. Überall auf der Liegewiese verstreut lagen oder saßen Leute auf ihren Handtüchern, die sich unterhielten, lasen oder einfach nur chillten. Kaum ein Plätzchen war mehr frei, schon gar nichts im Schatten. Ich aalte mich gern in der Sonne, aber Pias helle Haut nahm sehr schnell die Farbe eines gekochten Hummers an, sodass wir uns nicht irgendwo mitten hineinlegen konnten. Auch Luca und Ben suchten das Gelände mit Blicken ab.

Luca deutete mit ihrer zusammengerollten Badematte zu ein paar vereinzelten Büschen am Rand, die etwas Schatten spendeten. »Vielleicht können wir uns da noch irgendwo hinquetschen. Oder möchtest du lieber woanders liegen, Pia?«

»Hm, lauern im Gebüsch nicht diese fiesen Zecken?« Pia schob nachdenklich ihre Nase zur Seite, auf der ein paar vereinzelte Sommersprossen prangten, während mir die Sonne schon fast das Gehirn weichkochte.

»Pia muss sich ja nicht reinlegen«, kam es leicht genervt von Lucas Freund Ben, einem der attraktivsten Männer, die ich je in meinem Leben erblicken durfte. Manche Frauen hatten einfach Glück. Die beiden passten so gut zusammen, dass es mich ein Stückweit an Schicksal glauben ließ oder eine göttliche Fügung des Himmels, die mich bisher leider noch nicht ereilt hatte.

»Wir hätten einen Sonnenschirm mitnehmen sollen«, warf ich nachdenklich ein.

»Haben wir aber nicht.« Pia zog ihren dunkelblonden Pferdeschwanz fest.

»Wir finden schon einen Platz.« Ben marschierte mit großen Schritten voran. Er bekam immer recht schnell die Krise, wenn wir Mädels uns nicht rasch genug für etwas entscheiden konnten. Aber manche Dinge mussten eben ausdiskutiert werden.

Seufzend folgten wir ihm. Was blieb uns auch anderes übrig? Ich wollte mich endlich auf mein Handtuch legen und entspannen. Heute war mein erster freier Tag seit über einer Woche. Obwohl ich nichts auf der Welt lieber tat, als Medizin zu studieren, schlauchte mich das Pflegepraktikum gerade ein wenig, das ein Pflichtteil meines Grundstudiums war. Vor allem die ständig wechselnden Dienstzeiten hatten es in sich. Bei herrlichen dreißig Grad und strahlendem Sonnenschein mit meinen Freunden ein Weilchen am See abzuhängen und meine Bräune aufzufrischen, war der pure Luxus.

»Na, sieh mal einer an«, hörte ich eine dunkle Stimme von irgendwoher neben mir. »Wenn das nicht die notorisch schlecht gelaunte Aida ist.«

Als mein Name fiel, sah ich mich suchend um und in der Tat war meine gute Stimmung schlagartig hinüber. Das durfte doch nicht wahr sein. Ausgerechnet dieser ätzende Typ. Was machte der denn hier? Nick lag ein Stückweit entfernt seitlich auf seinem Handtuch und winkte mir grinsend. Zwei Typen leisteten ihm Gesellschaft, die mich interessiert begutachteten. Jeder von ihnen hielt eine Bierflasche in der Hand.

»Schlecht gelaunt bin ich nur in deiner Nähe«, konterte ich innerlich kochend. Der Kerl war mein Kommilitone – und besaß die Fähigkeit, mich binnen Sekunden in Rage zu versetzen.

»Was machst du bei diesem Wahnsinnswetter eigentlich draußen?«, fragte Nick. »Chillen permanent übellaunige Gestalten wie du nicht lieber in dunklen Gewölbekellern oder auf irgendwelchen Friedhöfen?«

»Auf dem Friedhof werde ich erst chillen, wenn ich auf deinem Grab tanze.«

Seine bescheuerten Kumpels brachen in Gelächter aus und sogar er stimmte mit ein. Hach, wie lustig die drei das fanden.

Seit dem ersten Semester trug ich meine ganz persönliche Fehde mit Nick Brockmann aus. Dabei war es mir egal, dass neunundneunzig Prozent meiner Kommilitoninnen ihn für einen absoluten Traumprinzen hielten. Eigentlich war ich so ziemlich die Einzige, die sich nicht von seinem perfekten Aussehen einlullen ließ. Er war ein dermaßen übler Egoist, dass mir schon fast schlecht wurde. Im ersten Semester hatte er sich aus einer von uns Neulingen gegründeten Lerngruppe schon nach dem ersten Treffen wieder verabschiedet, weil wir ihm lerntechnisch zu langsam gewesen wären. Die gemeinsam erarbeiteten Lösungen zum Begleitskript hatte er aber dann doch haben wollen und Marga aus unserer Gruppe bezirzt, sie ihm zu kopieren. Im zweiten Semester hatte er vor allen Leuten in der Mensa herausposaunt, mein frisch gestochenes Tattoo im Dekolleté – ein chinesisches Schriftzeichen – würde übersetzt Ente süßsauer bedeuten. Das war schlichtweg gelogen, wie er sehr wohl gewusst hatte. Aber die grölende Menge um uns herum hatte die Wahrheit natürlich nicht mehr interessiert. Im dritten Semester hatte ich das große Pech, ihm als Labortpartnerin zugeteilt worden zu sein. Ich hatte mich von ihm als sterbenslangweilige Labormaus titulieren lassen müssen, weil ich keine Lust darauf gehabt hatte, mit ihm Körperflüssigkeiten auszutauschen, damit wir sie hinterher unter dem Mikroskop untersuchen konnten. Ja, klar. Im Dienste der Wissenschaft verstand sich selbstredend. Im vierten Semester hatte er mir das Thema einer Facharbeit vor der Nase weggeschnappt, auf die ich mich schon wochenlang vorbereitet hatte. Einfach nur, weil er der Professorin erzählt hatte, er würde das gern machen. Angeblich hatte er von meinen Ambitionen diesbezüglich nichts geahnt. Er vielleicht nicht, aber die bestimmt schon in den Wechseljahren steckende Professorin hatte davon gewusst und ihn gnadenlos vorgezogen. Und ich wollte nicht wissen, was er ihr im Gegenzug für diesen dreckigen Deal geboten hatte. Im fünften Semester hatte er mich gefragt, ob ich zugenommen hätte, weil mein Rock hinten angeblich gerissen wäre. Es war ein Schlitz im Stoff gewesen, da war nichts gerissen gewesen. Der Fiesling hatte mir lediglich mitteilen wollen, dass er mich für fett hielt. Da war ich mir zu hundert Prozent sicher. Die Krönung allerdings war im aktuellen Semester gekommen. Dieser Mistkerl war doch tatsächlich derselben Station für das Pflegepraktikum zugeteilt worden wie ich, sodass wir uns nun zwei Monate lang, ohne jegliche Ausweichmöglichkeit, auf demselben engen Raum aufhielten. Und jetzt verfolgte der Arsch mich sogar in meiner Freizeit.

»Jetzt werd mal nicht gleich sauer, Muffelchen«, sagte er betont milde.

»Nenn mich nicht immer Muffelchen«, knurrte ich. Dieses Wort war seine Lieblingsbeleidigung für mich, weil er mich für eine notorisch mürrische Person hielt, wie er mir mal erklärt hatte. Dabei galt meine Antipathie ausschließlich ihm! Aber diesen kleinen Unterschied wollte Nick natürlich nicht wahrhaben.

»Was hast du eigentlich gegen mich?« Er war sich allen Ernstes keiner Schuld bewusst. Nicht einer einzigen. Einfach unglaublich.

»Du bist ein aufgeblasener Wicht, der sich für den Mittelpunkt des Universums hält?«, half ich ihm auf die Sprünge, ließ es aber wie eine Frage klingen. Sollte er ruhig ein wenig darüber nachdenken. Nick wusste genau, was ich von ihm hielt. Und die miese Nummer mit der Facharbeit würde ich ihm sowieso niemals verzeihen. Dank ihm hatte ich mir kurzfristig ein anderes Thema suchen müssen, für das ich am Ende eine zwei als Note kassiert hatte, die meinen Einser-Schnitt kaputt machte.

Mit einer Hand strich er sich die hellbraunen Haare zurück, die ihm sofort wieder in die Stirn fielen. Er war so ein gottverdammter Poser.

Drei blonde Bikini-Schönheiten schlenderten mit wackelnden Hüften an uns vorbei und lächelten die Kerle an. Sofort verlor Nick das Interesse an mir und grinste breit zurück. Das war so typisch für ihn. Zum wiederholten Mal fragte ich mich, wie ein Mensch so oberflächlich sein konnte und mit genau dieser Masche mehr Frauen anzog als Channing Tatum. Nick sonnte sich in der Aufmerksamkeit der gertenschlanken Grazien. Höchste Zeit für mich, das Feld zu räumen. Ich sah mich um. Huch, meine Freunde standen nicht mehr neben mir. Schließlich entdeckte ich sie in der Nähe der Büsche liegend. Vor lauter Rage wegen Nick hatte ich nicht mal bemerkt, dass sie schon weitergeschlendert waren. Ohne Abschiedsgruß setzte ich mich in Bewegung, sollte sich Nick doch von diesen blonden Hohlköpfen anhimmeln lassen, für mehr reichte es bei ihm sowieso nicht.

»Hey.« Ich ließ meine Badetasche neben Pia ins Gras fallen, bevor ich mein Handtuch hervorholte und es ausbreitete. Rasch streifte ich mir noch mein mohnblütenrotes Sommerkleid über den Kopf, bevor ich mich in meinem schwarzen Badeanzug, den ich darunter trug, darauflegte. Auch Luca und Ben dösten vor sich hin.

Pia öffnete träge ein Auge. »Wer war der heiße Typ?«

Das durfte doch nicht wahr sein. Was fanden alle an diesem Kerl?

»Nick.« Mehr gab es nicht zu erläutern. Immerhin kannte sie sämtliche Storys über Nicks Gemeinheiten und ich informierte sie auch regelmäßig über seine dummen Sprüche, mit denen er mich in der Öffentlichkeit liebend gern und mit voller Absicht blamierte.

Sie stützte sich auf den Ellenbogen ab. »Der Nick?«

»Ja, genau der Idiot.«

»Du hast mir nie gesagt, dass er so gut aussieht.«

»Nur äußerlich, in seinem Inneren ist er hässlich wie die Nacht.« Interessierte sich denn heutzutage niemand mehr für den Charakter eines Menschen?

Glücklicherweise beendete Pias klingelndes Smartphone jeglichen weiteren Austausch über diesen Angeber. Ich wollte einfach nur vergessen, dass der Kerl existierte. Schlimm genug, seinen Sprüchen morgen wieder auf der Krankenstation schutzlos ausgeliefert zu sein. Auch dort hatte er in Nullkommanichts sämtliche Frauen um den Finger gewickelt. Sogar die Oberärztin war hellauf begeistert von ihm und ich hatte keinen blassen Schimmer, weshalb.

»Hey, Chad. Wo bleibst du?«, fragte Pia neben mir in ihr Handy. Am Telefon war ihr Freund, ein amerikanischer Austauschstudent, der irgendwann in den nächsten Wochen zurück in die Staaten reiste, was meine arme Mitbewohnerin schwer belastete. Die beiden telefonierten ein paar Minuten miteinander. Meine Pia tat mir so leid.

»Du solltest heute in deiner Bude übernachten«, sagte sie in ihr Smartphone. »Mir reicht es langsam.«

Ich horchte auf. Schon wieder hatten die beiden Knatsch. In letzter Zeit häufte sich der Ärger zwischen den zweien bedenklich. Warum konnte Chad ihr nicht mal verbindlich sagen, wie es mit ihnen nach seinem Umzug weitergehen sollte?

»Jeder Mensch mit Augen und Hirn im Kopf versteht, what the problem ist«, äffte sie ihn nach, denn Chad neigte dazu, je nach Lust und Laune deutsch und englisch in seinen Sätzen zu vermischen. »Nur du nicht. … Ja, bye.«

Pia warf ihr Smartphone zurück in die Badetasche. »Mistkerl«, fluchte sie leise.

Luca setzte sich auf. »Ist was?«

»Chad schafft es nicht her. Er muss noch mit der Uni in Atlanta telefonieren und ein paar wichtige Dinge klären. Wegen der Zeitverschiebung kann er erst jetzt anrufen.«

»Und das dauert so lang?«, fragte ich. Chad war nicht unbedingt das, was man unter einem zuverlässigen Menschen verstand. Im Gegenteil.

»Anscheinend.« Sie legte sich zurück auf ihr Handtuch und schloss die Augen. »Von mir aus braucht er sich gar nicht mehr blicken zu lassen. Langsam hab ich echt die Nase von ihm voll.«

»Wann haut er denn wieder ab in die Staaten?«, wollte Ben wissen.

»In sechs Wochen. Zu Semesterbeginn muss er an der Georgia Tech sein«, gab Pia Auskunft. »Soll er sich doch solang mit einer anderen vergnügen. Ich bin raus.«

»Mach mal halblang. Es kann doch gut sein, dass er wirklich noch einen Haufen zu erledigen hat«, wagte Ben sich zum ungünstigsten Zeitpunkt auf ein gefährliches Terrain. Von Luca wusste ich, dass Ben vor ihrer Zeit einer der größten Womanizer der Erlanger Universität gewesen war. Ben musste ein Draufgänger durch und durch gewesen sein und ich nahm ihm das bei seinem bloßen Erscheinungsbild ohne jeglichen Zweifel sofort ab. Ich wäre ihm höchstwahrscheinlich ebenso mit Haut und Haar verfallen, musste ich mir zu meiner Schande eingestehen. Sein Körper war superathletisch, aber nicht übertrieben muskulös, und sein Gesicht schlichtweg umwerfend. Aber am Auffälligsten stachen seine Augen heraus, ein seltenes Blauschwarz, das ich so noch nie gesehen hatte.

Pia setzte sich wieder auf. »Und weil er so viel zu tun hat, war er gestern auch den ganzen Tag mit dir weiß Gott wo unterwegs und hat es dann abends auf dem Boot so richtig krachen lassen.«

Das Boot hieß eigentlich The Boat und war einer der angesagtesten Nachtclubs Nürnbergs. Ben selbst hatte ihn vor ein paar Monaten eröffnet, was unserer Clique jederzeit freien Eintritt bescherte. Vitamin B war in der Tat sehr angenehm.

»Wir haben die ganze Nacht im Club gearbeitet«, verteidigte sich Ben, während er eine Flasche Wasser aus Lucas Badetasche kramte.

»Hattest du deswegen heute Morgen so einen dicken Kopf, dass du dir drei Schmerztabletten auf einmal eingeworfen hast?«, sprang Luca Pia zur Seite. Ihr stanken Bens exzessive Männerabende, die er sich öfters mal leistete und meist derart ausarteten, dass hinterher zwei Tage lang nichts mehr mit ihm anzufangen war.

»Wir hatten ein paar Bierchen«, verteidigte er sich, worauf Luca prustete.

»Und vielleicht noch den einen oder anderen Tequila«, schob er hinterher und zog umgehend die geballte Aufmerksamkeit meiner beiden Freundinnen auf sich.

Ich erhob mich. Für Streitereien hatte ich heute keinen Nerv, die Nachtschicht steckte mir noch in allen Knochen. »Ich hol mir was Kaltes zu trinken. Will noch jemand was?«

Nachdem die Mädels mit den Köpfen geschüttelt hatten, zog ich davon. Pia und Luca wollten gerade etwas ganz anderes. Und zwar den armen Ben zerfleischen.

Eine endlose Warterei in der langen Menschenschlange am Kiosk später, hielt ich endlich eine Flasche mit eiskaltem Mineralwasser in der Hand. Es prickelte erfrischend in meiner Kehle, als ich einen großen Schluck nahm. Einen Moment blieb ich stehen, denn die kalte Flüssigkeit fror fast mein Gehirn ein.

Gemütlich schlenderte ich über die Wiese zurück zu unserem Platz, in der Hoffnung, dass sich die erhitzten Gemüter zwischenzeitlich ein wenig beruhigt hatten. Die Sonne brannte erbarmungslos auf meine Schultern, was mittlerweile sogar mir zu viel war.

Kurz darauf kam ich an Nick vorbei, den mein Bewusstsein die letzten Minuten gnädigerweise aus meinen Gedanken gestrichen hatte. Er lag neben seinen beiden ebenfalls dösenden Kumpels auf einem Handtuch im Gras und sonnte sich. Die Augen waren geschlossen, beide Arme hatte er über dem Kopf abgelegt, wodurch seine Muskeln deutlich hervortraten. Zum ersten Mal begutachtete ich die vielen Tattoos auf seinen Armen, die sich bis hoch zu den Schultern zogen, genauer. Betrachtete auch sein markantes Kinn mit den winzigen Bartstoppeln. Diese hellbraune Haarsträhne hing ihm wieder lässig in die Stirn. Mein Blick glitt über seinen Adamsapfel, der sich deutlich an seinem Hals abzeichnete, weiter bis zu seinem muskulösen Brustkorb. Seine Haut war glatt und tief gebräunt, eine feine dunkle Haarlinie zog sich vom Bauchnabel nach unten und verschwand im Bund seiner hellgrünen Badeshorts. Sein makelloses Erscheinungsbild machte mich wütend. Er war nichts weiter als ein elender, gottverdammter Blender. Dieser Arsch!

Ein Gedanke zuckte durch meinen Kopf, ein kleines Säuseln, das mir zuflüsterte: Tu es, los mach es, trau dich. Ich grinste in mich hinein. Wie von selbst schraubte meine rechte Hand den Verschluss meiner Wasserflasche ab. In Zeitlupe hob ich den Arm. Nick und seine beiden Kumpels schlummerten selig vor sich hin, ein paar Schweißtropfen kullerten über Nicks Brustkorb. Höchste Zeit für eine Abkühlung. Dann kippte ich die Flasche und ein großer Schwall Eiswasser traf auf Nicks Brust. Schneller als erwartet, setzte er sich auf. Er japste nach Luft. Verdammt, hatte der Kerl eine Reaktion. Mit großen Augen sah er mich an, bevor ich die Flasche fallen ließ und die Flucht antrat.

»Aida, du bist fällig«, tönte Nicks Stimme dichter hinter mir, als mir lieb war. Scheiße! Kreischend erhöhte ich mein Tempo und sprang in Panik über am Boden liegende Leute. Ich hörte Nick näher kommen. »Ich krieg dich sowieso«, rief er.

»Im Leben nicht«, gab ich zurück und hastete weiter. Mist, meine Kondition ließ zu wünschen übrig. Schon im nächsten Moment legte sich eine Hand um meinen Oberarm, die meinem Spurt ein jähes Ende bereitete.

»Kleines Miststück«, sagte Nick an meinem Ohr, ehe er mich im Rekordtempo schnappte und wie einen eingerollten Teppich bäuchlings über seine Schulter warf.

»Lass mich runter, du Blödmann.« Ich stützte mich so gut es ging an seinem Rücken über den Shorts ab.

Er lachte. »Ich glaube, du brauchst eine kleine Abkühlung.«

Als er sich in Bewegung setzte, bemerkte ich mit einem Blick an seiner Hüfte vorbei, dass er den Badesteg anvisierte. »Wehe«, drohte ich ihm und trat nach ihm. »Wag es nicht.«

Nick schnappte meine Beine und hielt mich im Klammergriff, Gegenwehr war zwecklos. Als ich seine Hand auf meinem Hintern spürte, hielt ich den Atem an. »Nimm sofort deine Finger von meinem Hintern oder du bist ein toter Mann.«

»Ups, das war ein Versehen.« Sein amüsiertes Lachen drang an meine Ohren. Ihm tat das nicht leid, in keinster Weise. Dennoch rutschte er brav mit der Hand in Richtung Oberschenkel, was die Sache nicht wirklich besser machte.

»Pfoten weg«, fauchte ich.

»Irgendwo muss ich dich ja festhalten«, verteidigte er sich und betrat die hölzernen Planken des Stegs.

»Du musst mich überhaupt nicht festhalten, lass mich runter.« Ich trommelte mit beiden Händen auf Nicks Rücken herum, bis er mich endlich von seinen Schultern gleiten ließ und ich auch noch direkt in seinen Armen landete. Er hielt mich am Rücken und unter den Kniekehlen fest, ignorierte meine düstere Miene. Sein Blick schweifte unangenehm langsam über meinen – im Vergleich zu seinem – nicht ganz so makellosen Körper. Würde sein Aussehen etwas über seinen Charakter verraten, müsste Nick einer lebenden Version von Gollum ähneln. Aber nein, ein ganzes Füllhorn an körperlicher Perfektion war über diesem Mistkerl ausgeschüttet worden.

»Warum trägst dieses Teil eigentlich?«, fragte er mit dem Kinn auf meinen schwarzen Badeanzug deutend. »Damit siehst du aus wie eine Oma.«

»Du bist so ein Arsch. Lass mich runter.« Ich wand mich strampelnd in seinen Armen. Verdammt, er sollte mich endlich loslassen, das letzte, was ich wollte, war irgendeine Art von Körperkontakt.

Aber er hielt mich einfach nur fester. »War nicht böse gemeint. Du hast doch eine ganz gute Figur. Damit solltest du einen Bikini tragen.«

Seine Ansage schnürte mir kurz die Kehle zu. Unbeabsichtigt hatte er meinen wundesten Punkt getroffen, der ihn einen riesengroßen Scheiß anging. »Lass mich endlich runter, du Arsch. Sonst kannst du …« Noch bevor ich ausreden konnte, nahm Nick Anlauf und sprang.

Ich stand wie ein begossener Pudel am Ufer des Sees, das warme Wasser tropfte aus meinen dunkelbraunen Haaren.

»Fiesling«, schleuderte ich ihm entgegen.

Er lachte. »Humorlos wie immer.«

Obwohl ich es nicht wollte, musterte ich möglichst unauffällig seine muskulösen, tätowierten Arme. Wassertropfen glitzerten wie ein Meer aus Brillanten auf seiner gebräunten Haut. Neben ihm kam ich mir vor wie eine Seegurke.

»Du hast es übertrieben.« Ich war unverhältnismäßig sauer. Immerhin herrschte eine Affenhitze und verdammt, ja, es war nur etwas Wasser. Bei jedem anderen hätte ich mitgelacht. Aber er – Nick – hatte mich in den See geworfen, was für mich fast schon einer Kriegserklärung gleichkam.

»Du bist so eine Mimose.« Nick kramte aus der kleinen Innentasche seiner Shorts einen Zwanzig-Euro-Schein hervor. »Ich kauf dir ein neues Wasser. Und vielleicht sogar ein Eis, damit du mal ein bisschen netter zu mir bist.«

»Lass stecken.« Ich winkte ab. Am liebsten hätte ich ihn einfach stehen gelassen, aber ich wollte mich nicht wie die letzte Zicke aufführen.

»Jetzt komm schon.« Nick verdrehte kurz die Augen.

»Okay.« Hoffentlich klang ich nicht zu genervt. Sollte er mir halt ein neues Wasser kaufen, wenn es ihm so wichtig war.

Am Kiosk studierte Nick die Eiskarte.

»Welches möchtest du?«, fragte er.

»Keins.«

»Oh, Mann. Für dich finde ich nicht mal ein Wort.«

Ich zuckte mit den Achseln. Seine Nähe machte mich nervös. Normalerweise war mein ganzes System darauf ausgerichtet, Abstand zu diesem Kerl zu halten. Und ich wollte ihn auch am liebsten so schnell wie möglich wieder loswerden. Am besten, ich suchte mir ein blödes Eis aus, damit ich mich endlich davonmachen konnte. »Dann nehm ich halt eins«, sagte ich und ignorierte, dass er mich ansah. Immerhin hatte er mir mal eine wichtige Note versaut und würde ganz sicher nicht zögern, mich erneut kaltzustellen, sobald er einen Vorteil für sich sah. Auch wenn er mich jetzt so charmant anlächelte und seine grauen Augen funkeln ließ.

»Nimm doch ein Calippo.« Nick lachte leise. Nichts schien seine gute Laune trüben zu können. »Ich schaue Frauen gern dabei zu, wenn sie das lutschen.«

Ich verbarg mein Augenrollen nicht. »Und du wirst nicht neidisch?«

»Du darfst gern mal meinen Riesenlolli probieren, wenn du Lust auf was Süßes hast.«

»Oh Gott, du bist so ein Angeber«, sagte ich mangels Schlagfertigkeit.

»Stehst du nicht auf Süßes?« Nick studierte mein Gesicht. Unwillkürlich fragte ich mich, was er wohl gerade über mich dachte.

»Du bist nicht süß. Katzenbabys sind süß oder Küken.« Sein Geruch stieg mir in die Nase. Er roch nach Sommer, einer Prise Salz und frisch geschnittenem Gras.

»Schnurren kann ich auch, wenn du die richtigen Stellen streichelst.« Seine Stimme war tiefer geworden, wurde harzig und rauchig wie guter Bourbon. Oh, ging er etwa in den Flirtmodus über? Unzählige Male hatte ich ihn schon in dieser Tonlage mit irgendwelchen Frauen an der Uni reden hören und sie waren allesamt dahingeschmolzen. Bei mir biss er auf Granit.

»Das wird garantiert nie passieren.« Ich schüttelte mich allein bei dem Gedanken daran.

Ihn schien meine Abfuhr nicht sonderlich zu treffen. Er zuckte lediglich mit den Achseln. »Muss schwer sein, sich immer so im Griff zu haben. Ich weiß nicht mal weshalb. Du stehst doch auf mich. Wo ist das Problem?«

Ich hasste es, dass er mich mit schöner Regelmäßigkeit auf meinen kleinen Anfall von Schwäche hinwies, der mich im ersten Semester bei seinem Anblick überfallen hatte. Etwas, das ich nur zu gern verdrängen und vergessen würde, wenn es sich schon nicht ungeschehen machen ließ. In meiner allerersten Uniwoche hatte ich einer Kommilitonin von einem Typen in meinem Anatomie-Kurs vorgeschwärmt, der heiß wie die Saharasonne war. Nick, den ich damals noch gar nicht persönlich gekannt hatte, war richtiggehend aus der Menge herausgestochen und natürlich nicht nur mir aufgefallen.

Das sofortige Ende meiner Schwärmerei hatten die ersten Worte eingeläutet, die ich aus seinem Mund gehört hatte. Überheblicher, arroganter Bastard war danach noch die schmeichelhafteste Bezeichnung gewesen, die mir auf Anhieb für ihn eingefallen war.

Leider hatte Marga damals nichts anderes zu tun gehabt, als Nick zu stecken, dass ich ihn scharf wie eine Peperoni fand. Von da an hatte es Nick zu einer Art sportlicher Disziplin auserkoren, mir das Leben schwer zu machen, indem er mir seine sexuelle Willigkeit demonstrierte, wann immer sich die Gelegenheit ergab. Er hörte einfach nicht damit auf, obwohl ich ihm schon hundertmal gesagt hatte, dass er mich mal konnte. Ego-geboostet wie Nick nun mal war, fand er meine umnachtete Schwärmerei zu lustig, um die Sache auf sich beruhen zu lassen.

»Ich nehme ein Sandwich-Eis«, sagte ich schließlich auf die bunte Karte deutend, damit ich endlich von hier wegkam. Von dem Ding konnte man abbeißen, was mir noch am unverfänglichsten zu essen erschien.

Nick bestellte für sich ein Magnum-Mandel. Mit unserem Eis in der Hand schlenderten wir zurück. Das Wasser hatte er glatt vergessen, wie mir unterwegs auffiel.

»Wem bist du morgen im Krankenhaus zugeteilt?«, fragte er plötzlich.

»Lehmann.«

»Ich auch. Morgen darf ich ihr bei der Gallen-OP zuschauen.«

Mir blieb der Mund offen stehen. »Wie du darfst zuschauen? Die nimmt nie Praktikanten mit in den OP, wir sollen erst mal die Grundlagen lernen, sagt sie immer. Und damit meint sie Bettpfannen leeren.«

Er zwinkerte mir zu. »Sie hält mich für sehr talentiert.«

Nick wusste genau, wie er mich bis aufs Blut reizen konnte. Nur aus diesem Grund erzählte er mir davon. Dieser elende Wichtigtuer. Abrupt blieb ich stehen, ein Gedankenblitz zuckte durch meinen Kopf. »Du schläfst mit der Lehmann.«

»Nein.« Er hob abwehrend beide Hände und wirkte total perplex, als wäre es das Abwegigste auf der Welt, dass ein Kerl wie er sich nach oben rammelte. »Sie weiß meine Qualitäten beim Blutabnehmen zu schätzen. Meinte, ich wäre ein sehr präziser Stecher.« Sein Grinsen wurde breit, während er mein Gesicht beobachtete.

Ich setzte mich wieder in Bewegung. »Du hast mit ihr geschlafen«, sagte ich trocken. Es war nicht zu fassen, der Kerl prostituierte sich schamlos durch sein gesamtes Studium und ihm war das nicht einmal peinlich. Während wir anderen auf der Station jede Drecksarbeit verrichten durften, tummelte sich Nick während des Pflegepraktikums bereits in OP-Sälen und durfte den Ärzten sogar hin und wieder bei Forschungsprojekten im Labor über die Schulter sehen. Und jetzt wusste ich endlich warum.

»Hab ich nicht.« Er klatschte sich eine Hand an die Stirn, als wäre mein Einwand völlig abstrus. »Die Ärzte mögen mich halt und wissen meine Fähigkeiten zu würdigen.«

»Mach doch, was du willst. Mir egal.«

Er hielt mich am Arm fest. »Soll ich Doktor Lehmann mal fragen, ob du morgen auch bei der OP dabei sein darfst?« Er senkte seine Stimme. »Ich weiß auch schon, wie du dich dafür revanchieren könntest.«

Ich wischte seinen Arm von mir. Auf Nicks Almosen konnte ich gut und gern verzichten und wie die Bezahlung aussah, konnte ich mir lebhaft vorstellen.

»Sag bloß, ich darf dann mal von deinem Riesenlolli probieren«, erwiderte ich euphorisch. »In diesen Genuss würde ich sonst ja nie kommen, wo doch so wenige daran lecken dürfen«, ergänzte ich mit einem Kopfschütteln und fragte mich allen Ernstes, ob die alte Lehmann es wirklich so nötig hatte. Das Bild der vor Nick knienden Ärztin stieg vor meinem inneren Auge auf und ich beendete hastig mein Kopfkino. Das war krank.

»Du bist eine wirklich harte Nuss. Irgendwie gefällt mir das.«

»Wie meinst du das?«

Er legte den Kopf in den Nacken und schien zu überlegen. »Ganz ehrlich?«, fragte er schließlich, als stünde er kurz vor der großen Offenbarung, die die Welt verändern könnte.

Ich hasste dieses Getue, sollte er doch einfach damit rausrücken, was er zu sagen hatte, oder für immer schweigen. Wobei mir letzteres fast noch besser gefiel. »Rede halt, du erstickst doch schon fast an deinem Wissen.«

»Also gut«, er winkte ab, »du wolltest es wissen.«

Die Art, wie er das formulierte, war mir nicht geheuer, denn es implizierte zwischen den Zeilen, dass er nicht vorhatte, mir ein Kompliment zu machen.

Eigentlich sollte ich jetzt einen auf Cool machen, ihm mit einem Zeichen von Desinteresse signalisieren, wohin er sich sein blödes Gelaber stecken konnte. Leider siegte die Neugier und das regte mich tierisch auf. »Lass es endlich raus«, zischte ich und leckte einen Tropfen Schokoeis von meinem Daumen.

»Ist ja schon gut. Seien wir mal ehrlich, du bist keine Wow-Frau …«

»Keine was?«, unterbrach ich ihn ungläubig.

»Keine Wow-Frau«, wiederholte er geduldig, als hätte lediglich ein akustisches Problem vorgelegen, obgleich er ganz genau wusste, dass dem nicht so war. »Lass mich doch erst mal ausreden.«

»Rede«, knurrte ich, als würde ich ihm eine geladene Pistole an die Schläfe halten.

»Du bist eher eine Frau für den zweiten Blick.« Nachdem er mich kurz gemustert hatte, ergänzte er rasch: »Das sollte ein Kompliment sein.« Offenbar war ihm die Verdüsterung meiner Miene durchaus aufgefallen. Somit konnte er sich in Zukunft auch den billigen Spruch sparen, man würde meinem süßen Gesicht einfach nie ansehen, wann ich wütend wurde.

»Aha, ein Kompliment. So auf die Art: Aber sie ist nett.«

»Nein, so habe ich das nicht gemeint«, stellte er ungewohnt energisch fest. »Du machst einfach so wenig aus dir.« Mit einer auffälligen Geste deutete er auf meinen schwarzen Einteiler, der im Kaufhaus noch das schickste von allen Modellen gewesen war. Er hätte mal die anderen Ungetüme sehen sollen.

»Warum trägst du so Zeug? Du würdest toll in einem Bikini aussehen, wieso machst du dich absichtlich zwanzig Jahre älter?«

Das war zu viel, in mir brodelte es hoch. »Vielleicht will ich Typen wie dir gar nicht gefallen. Schon mal daran gedacht? Ich scheiß auf Komplimente von dir, vor allem, wenn sie sowieso nur dazu dienen, dass du dich auf meine Kosten lustig machen kannst.« Ich setzte mich wieder in Bewegung. Warum reagierte ich auf einmal so emotional?

Nick hielt mich am Arm zurück und drehte mich zu sich. »Hey.« Er sah mich so durchdringend an, als versuchte er, meine Gedanken zu lesen. »Ich wollte mich nicht über dich lustig machen. Du bist hübsch, aber du bemühst dich nicht einmal, es zu zeigen. Mehr wollte ich dir damit nicht sagen. Sorry, wenn ich dir zu nahegetreten bin.« Er lächelte ansatzweise, während er mir seinen durchtrainierten Körper mit einer weit ausholenden Geste präsentierte. »Du darfst mich jederzeit kritisieren und du wirst sehen, ich nehme es dir nicht übel.«

Widerwillig musterte ich seinen Körper. Leider fand ich keinen einzigen Makel, sogar seine hunderttausend Tattoos auf beiden Armen sahen heiß aus, sie flossen ineinander und fügten sich zu immer neuen Bildern zusammen, hatten Stil. Auf seinem Bauch zeichnete sich jeder einzelne gottverdammte Muskel ab und verführte regelrecht zum Darüberstreicheln. Nur mit Mühe hielt ich meine Hand davon ab, etwas Dummes zu tun. Verdammt, mein Hirn vernebelte in seiner Nähe.

»Du bist nicht mein Typ«, erklärte ich hochmütig. Das war ganz klar gelogen. Optisch fand ich ihn toll, so viel Selbsteinschätzung besaß ich. Er zuckte zusammen und sah mich für einen Moment starr an, was sich wie ein minikleiner Triumpf anfühlte. Ich hatte ihn getroffen – mitten ins Ego. Strike. »Ich muss zugeben, anfangs fand ich dich ganz kurz mal gut.« Ich zuckte mit den Schultern. Das war lang her. »Die Tratsch-Post an der Uni hat es dir schließlich brühwarm zugetragen. Aber weißt du, wann sich das gelegt hat?«

»Wann?«, fragte er knapp, zeigte dabei allerdings keine äußerliche Regung. Zu schade. Ich hätte ihn so gern ein paar Tränen wegblinzeln sehen. »Als ich dich näher kennenlernte. Da merkte ich, dass das Aussehen zu einer unwichtigen Komponente wird, wenn der Rest nicht stimmt.«

»Und der stimmt nicht?«

»Tja …«, Ich musste zugeben, ich genoss es, den Spieß umgedreht zu haben. »Sagen wir mal, du bist so interessant wie ein ausgefülltes Kreuzworträtsel.« Der Kerl war sich seiner gottgegebenen Perfektion so sicher. Vielleicht war er das in den Augen seines weiblichen Fanclubs auch, aber mich konnte er nicht darüber hinwegtäuschen, dass er nichts weiter als ein Blender war.

Bedauerlicherweise fing er sich viel zu schnell wieder und strahlte die gewohnte Selbstsicherheit aus. Nicht mal das kleinste bisschen Freude konnte er einem gönnen.

»Du kennst mich gar nicht«, sagte er schließlich, drehte sich um und schlenderte zurück zu seinem Platz. Im Weggehen winkte er lässig.

Mir blieb der Mund offen stehen. Ich kannte ihn gar nicht? Wer, wenn nicht ich, das jahrelange Opfer all seiner Gemeinheiten, kranken Späße und bescheuerten Scherze, hatte denn mehr Erfahrungen mit ihm sammeln können? Und jetzt ließ er mich einfach stehen? Das wäre eigentlich mein Part gewesen.

Nachdem ich ihm lang genug hinterhergestarrt hatte, ging ich zurück zu meinen Freunden. Nick konnte mich mal.

Liebeschaos: Süß wie Cherry Cola

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