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9. Kapitel

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Am Montagmorgen musste ich Nick wieder unter die Augen treten. Peinlich, peinlich. Er hatte mich mit seiner scharfen Performance am Samstag fast vor allen Leuten zum Höhepunkt gebracht. Eine Minute länger und ich hätte ihm an Ort und Stelle die Klamotten vom Leib gerissen und wäre über ihn hergefallen. Zu Hause hatte ich als erstes mein Höschen wechseln müssen … Dabei hatte er mich nicht mal berührt. Entweder ich war völlig auf Sex-Entzug oder Nick ein Meister in dieser Disziplin. Wahrscheinlich traf beides zu. Ich war leichte Beute, stellte ich erschüttert fest, und nahm mir vor, Nick künftig keine Gelegenheit mehr für derlei Eskapaden zu bieten. Hoffentlich hielten meine guten Vorsätze auch noch an, wenn Nick mir wieder auf die Pelle rückte und schweinische Dinge in mein Ohr flüsterte. Natürlich würde ich das nicht mal unter Folter zugeben, aber irgendwie hatte ich die Situation auch genossen. Wenn nicht Nick vor mir gestanden hätte, sondern ein anderer Mann, wäre ich vielleicht sogar schwach geworden. Den kleinen Dirty Talk hatte ich die halbe Nacht nicht aus dem Kopf bekommen, bis ich schließlich aus dem Bett gesprungen war und ihn detailgetreu niedergeschrieben und abgespeichert hatte. Vielleicht konnte ich die Szene irgendwann einmal für einen Erotikroman brauchen. Die Versuchung, mit Nick diese und weitere anregende Szenen live zu erleben, war groß. Er war bestimmt sehr kreativ im Bett. Gott sei Dank hielten mich mein Stolz und meine Antipathie ihm gegenüber davon ab, irgendwas in der Richtung mit ihm auszuprobieren. Oder waren es die Narben? Hastig wischte ich alle Gedanken beiseite. Langsam war ich mir selbst nicht mehr geheuer.

Marga schob den Verbandswagen aus Zimmer vier, als ich den Gang entlanghastete, ihre Schicht begann diese Woche eine Stunde früher als meine.

»Hey«, sagte ich atemlos und blieb stehen. »Hast du Frau Hausers Verband gewechselt?«

»Hi.« Sie knallte den Wagen recht unsanft gegen die Wand. »Ja, sieht schon viel besser aus. Das Antibiotikum wirkt.«

»Das klingt gut.« Ich freute mich, dass die nette Frau Hauser keine starken Schmerzen mehr hatte und die Wunde endlich verheilte. Vielleicht konnte sie ihrer fiesen Schwiegertochter dann doch noch ein Schnippchen schlagen.

Wir setzten uns gemeinsam in Richtung Stationszimmer in Bewegung. »Und, was hast du am Wochenende gemacht?« Marga zückte ihr Smartphone und kontrollierte ihre Nachrichten.

»Samstagabend war ich im Boat und Sonntag bin ich nach Hause gefahren, mich ein bisschen verwöhnen lassen.«

»Das hört sich gut an. Ich war schon lang nicht mehr daheim, meine Eltern machen mir deswegen schon die Hölle heiß.«

»Du hattest doch auch frei.« Wir bogen ins Stationszimmer ab, wo ich mir erst mal eine Tasse Kaffee einschenkte, der noch grauenhafter schmeckte als sonst. Aber heute war mir der Geschmack relativ egal, ich brauchte Koffein. Ich wandte den Kopf. »Auch einen?«

»Nein, ich hatte schon einen, mehr vertrag ich von dem Zeug nicht.«

»Was hast du denn jetzt am Wochenende gemacht?«, hakte ich noch mal nach und verzog die Lippen, als sich das bittere Aroma auf meiner Zunge ausbreitete. Irgendwie wollte Marga nicht so recht mit der Sprache rausrücken.

»Gearbeitet«, sagte sie kurz angebunden.

»Hier?« Ich machte eine ausschweifende Handbewegung.

»Ich habe meinen Dienst mit Nick getauscht, er hatte dringende und unaufschiebbare Pläne. Er hat mich quasi bekniet, was sollte ich da machen?«

Mir blieb beinah der Kaffee im Hals stecken. »Du hast was?« Ich konnte es nicht fassen. Warum ließen sich alle Frauen immer von diesem Egomanen einlullen?

»Ich glaube, es war ein Notfall.« Mittlerweile klang Marga sauer, sie musste merken, dass ich sie für naiv hielt. »Du wärst doch auch froh, wenn jemand mit dir seinen Dienst tauscht, wenn es brennt.«

»Nick war am Samstag im Boat und er sah nicht aus, als würde es brennen. Ihm brannte höchstens ein ganz bestimmtes Körperteil«, sagte ich trocken, obwohl mir ein wohliger Schauer über den Rücken rieselte bei der Erinnerung an Nicks heißen Atem auf meiner nackten Haut. Was mir doch glatt entgangen wäre, wäre Marga nicht auf ihn hereingefallen.

»Das ist nicht dein Ernst.« Ihr stand der Mund offen.

»Lass mich raten.« Ich sank auf einen Schreibtischstuhl, immerhin hatte ich noch drei Minuten, bis meine Schicht begann. Somit war kein Grund zur Eile geboten. »Dafür hast du diesen Mittwoch keinen Dienst, was eigentlich Nicks freier Tag gewesen wäre.«

Sie nickte.

»Er ist so durchschaubar«, sagte ich von oben herab. Ich hatte das Gefühl, in Nick lesen zu können wie im Duden. Sämtliche charakterliche Schwächen und Hinterhältigkeiten prangten doch unübersehbar und alphabetisch geordnet in großen Lettern auf seiner Stirn. Man musste nur dechiffrieren können. War ich wirklich die Einzige weit und breit, die ihn durchschaut hatte?

»Da hat er mich wohl reingelegt.« Marga ließ den Kopf hängen. Sie nahm eine Krankenakte und blätterte darin herum, ihre Wangen zierte ein Hauch von Röte. Sie wirkte verletzt und ich hätte ihr den harten Aufprall in der Realität gern erspart, aber langsam sollten die anderen kapieren, was Nick für ein Blender war. Marga konnte sicher ein paar tröstliche Worte brauchen, immerhin hatte sie es gut gemeint. Doch bevor ich den Mund aufmachen konnte, erschien der Fiesling höchstpersönlich im Zimmer.

»Morgen«, grüßte er gut gelaunt und schlenderte zur Kaffeemaschine, er hatte seinen weißen Kittel ausgezogen und locker über die Schulter gehängt. Sein weißes T-Shirt lag eng an, umschmeichelte seinen muskulösen Oberkörper und betonte jeden einzelnen harten Bauchmuskel. Unwillkürlich hielt ich den Atem an.

»Guten Morgen«, brummte ich und war mir sicher, dass Marga ihm bei diesem Anblick augenblicklich verzeihen würde. Aber ich hatte mich getäuscht. Sie ignorierte ihn, was dem Mittelpunkt der Erde selbstverständlich überhaupt nicht auffiel. Kurzerhand beschloss ich, meinem werten Kommilitonen ein wenig auf die Sprünge zu helfen, er sollte nicht unwissend sterben.

»Na, Wochenende noch gut verbracht?«, fragte ich betont vergnügt, als würde mich sein Privatleben tatsächlich interessieren. Sofort stutzte er, schließlich kannte auch er mich gut genug, um zu wissen, dass ich mich einen Dreck um seine Freizeitgestaltung scherte.

»War ganz okay.« Sein Blick schweifte zu Marga, die Strichmännchen auf den Rand eines Blocks kritzelte, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt.

»Du siehst auch sehr erholt aus«, machte ich unnachgiebig weiter, in der Hoffnung, auf einen Moment der Schwäche bei Nick gestoßen zu sein.

Er trank einen großen Schluck aus seiner Kaffeetasse, die er nicht mehr aus den Augen ließ, sobald ich in seiner Nähe auftauchte. Wie konnte man nur so nachtragend sein?

»Erholt, wäre jetzt zu hochgegriffen«, sagte er und bewegte sich in Richtung Tür. Och nein, er würde doch jetzt nicht etwa das Tribunal durch feige Flucht beenden wollen? Das musste ich verhindern.

»Stimmt, du hast ja auch das halbe Wochenende im Boat abgefeiert. War das eine super Stimmung dort, also mich hätte das tierisch angekotzt, wenn ich Dienst hätte schieben müssen. Glück muss man haben.«

Ruckartig hielt er an. Er ließ einen gewichtigen Moment verstreichen, ehe er sich mit langsamen Bewegungen umdrehte, seine stahlgrauen Augen feuerten Blitze in meine Richtung ab, ehe sein Blick auf Marga verweilte. Er hatte es geschnallt. Ich war gespannt, wie er sich jetzt rauswinden würde und lehnte mich zufrieden zurück. Egoistischer Mistkerl. Ob mir jemand Popcorn reichen könnte?

»Ich habe nicht das halbe Wochenende im Boat abgefeiert«, sagte er schließlich, jedes einzelne Wort betonend.

»Ach nicht?« Ich tat erstaunt. »Dann hatte ich wohl mit deinem Zwillingsbruder diese informative und aufschlussreiche Unterhaltung über Anatomie.«

»Ist schon okay«, knickte Marga ein und warf ihren Kuli auf den Block. »Dafür hab ich Mittwoch frei.«

»Das ist nicht dein Ernst.« Ich vergaß mein Drehbuch und redete drauflos. »Er quatscht dir unter Vorspiegelung falscher Tatsachen dein freies Wochenende ab, damit er sich in den Clubs mit irgendwelchen Weibern amüsieren kann, und du sagst halb so schlimm?« Mein Mund stand offen, ich fasste es nicht. »Wozu werden denn die Dienstpläne gemacht? Wieso denkt er, die gelten nicht für ihn?« Ich hatte fast schon vergessen, dass er im Türrahmen stand und redete mich weiter in Rage. »Und er hat nicht einmal ein schlechtes Gewissen. Ganz selbstverständlich geht Mr. Alles-dreht-sich-nur-um-mich davon aus, dass wir nur dazu da sind, ihm sein Leben zu erleichtern. Auch wir haben gern am Wochenende frei, selbst wenn das nicht in sein ichbezogenes Weltbild passt. Andere verarschen, nur um einen Vorteil für sich selbst rauszuschlagen, ist echt das Letzte.« Kurz überlegte ich, ob ich noch einen Satz über allgemeine Charakterschwäche fallen lassen sollte, ließ es dann aber gut sein. Es war alles gesagt, sollte er doch zwischen den Zeilen deuten. Das Mindeste, was man von Nick jetzt erwarten konnte, war eine tränenreiche Entschuldigung mit dem Geloben von Besserung, und diese Einsicht hatte Marga nur meinen klaren und längst überfälligen Worten zu verdanken, zu denen sie selbst ja nicht fähig war. Ich hatte die Ungerechtigkeit, die ihr widerfahren war, offengelegt. Damit hatte ich sogar fast die Welt ein Stückweit besser gemacht.

Nick zeigte keinerlei Anzeichen von Reue, im Gegenteil, mein zugegeben recht impulsiver Auftritt verfehlte seine Wirkung vollkommen. Er ignorierte mich. Ließ sich entweder rein äußerlich nicht anmerken, was in ihm vorging, oder war sich der begangenen Untat tatsächlich nicht bewusst.

»Ich muss bei Herrn Koslowski noch mal Blut abnehmen, sein Zustand bereitet uns Sorgen, wir müssen ihn wahrscheinlich die nächsten Tage auf die Intensiv verlegen. Doktor Lehmann hat gesagt, ihr sollt mitkommen und zuschauen, dann könnt ihr das Blutabnehmen demnächst mal selbst probieren. Es ist nicht schwierig.«

Okay, auf diese Art und Weise konnte man ein missliebiges Thema auch beenden. Nick könnte eine großartige Karriere in der Politik hinlegen.

»Ich muss noch die Kissenbezüge wechseln«, sagte Marga und blinzelte.

»Bitte, komm mit.« Nicks Blick wurde flehentlich. »Schau zu.«

Ihre Lider flatterten. »Ich weiß nicht.«

»Deine großmäulige Freundin ist doch auch dabei.« Er deutete auf mich. »Bitte, Marga«, flehte er noch einmal leise.

»Hey«, sagte ich empört und stand schwungvoll auf. Immerhin hatte ich nur für Gerechtigkeit gesorgt und ich würde mich jetzt ganz bestimmt nicht vor ihm verkriechen. Ich hatte lediglich die Wahrheit ausgesprochen. Er war der Bösewicht in dieser Story und nicht wir!

Energisch schnappte ich die bedrückte Marga bei der Hand und zog sie auf die Beine. »Schauen wir uns an, was der Held des Wochenendes zu bieten hat.«

Nick trat beiseite und ließ uns zuerst durch die Tür gehen, er selbst folgte in zwei Schritten Abstand.

Herr Koslowskis Anblick erschreckte mich, am Freitag hatte er nicht halb so schlecht ausgesehen. Seine Haut zeigte einen unnatürlichen Gelbstich, kraftlos und mit eingefallenen Wangen lag er im Bett. Ich hätte nie gedacht, dass ein Mensch so schnell abbauen konnte. Hastig riss ich mich zusammen und schenkte ihm ein freundliches Lächeln, während Margas Laune noch immer auf dem Tiefpunkt verharrte. Mit hängenden Mundwinkeln starrte die Ärmste vor sich hin. Wahrscheinlich würde sich Nick eher die Zunge abbeißen, als eine simple Entschuldigung über die Lippen zu bringen.

»Guten Morgen, Herr Koslowski. Na, gab es heute wieder die eklige Marmelade zum Frühstück?«, fragte ich.

Er schüttelte den Kopf. »Morgen, Aida. Nichts mehr mit Marmelade, nur noch leichte Schonkost. Dagegen ist der normale Krankenhausfraß ein Fünf-Sterne-Menü.«

Zwischenzeitlich bereitete Nick alles für die Blutabnahme vor, legte Kanülen, verpackte Nadeln und Desinfektionsmittel auf dem Nachttisch ab.

»Wir nehmen heute noch einmal Blut ab, Herr Koslowski«, sagte er und kramte ein paar sterile Handschuhe aus der Box, die bei den Sachen stand.

»Bringt doch sowieso alles nichts mehr, Junge.« Herr Koslowski winkte ab. »Wenn die Leber hin ist, ist sie hin. Der Krebs frisst mich auf.«

»Sie stehen auf der Transplantationsliste, so schnell werden Sie doch nicht aufgeben wollen.« Nick lächelte.

»Wofür soll ich denn noch leben?« In den Augen des Patienten schimmerten Tränen. »Meine Frau ist vor drei Jahren gestorben, Kinder hab ich keine und nicht mal den Hund haben sie mir gelassen. Ist in München im Tierheim geblieben, wo er jetzt versauert, weil sich kein Mensch um ihn kümmert.«

»Man sorgt sich dort bestimmt liebevoll um ihn«, sagte ich in dem verzweifelten Versuch, ihn ein wenig aufzumuntern. Herr Koslowski tat mir so leid.

»Aber Familie hat er keine mehr.« Herr Koslowski schniefte. »Genauso wie ich. Hat doch alles keinen Sinn.« Er drehte den Kopf und sah hoch zu Nick. »Nimm dein verdammtes Blut und dann verschwindet, was interessiert es euch schon, wie es mir geht.«

»Ich habe in der Krankenakte gesehen, dass Sie heute Geburtstag haben«, erwiderte Nick ruhig, »darf man Ihnen trotzdem gratulieren?«

»Nein, darf man nicht«, brummte Herr Koslowski. »Ist ohnehin mein letzter und das ist auch gut so. Wenn man nicht mehr leben will, dann müsst ihr Ärzte das halt akzeptieren.«

»Tun wir«, versicherte Nick. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn Aida Ihnen heute Blut abnimmt?«

Ich zuckte erschrocken zusammen. »Was?«, hauchte ich.

»Du hast doch letztes Mal zugesehen, wie es geht.« Nick blickte mich durchdringend an.

Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück. »Ja, schon, aber ich habe es noch nie selbst gemacht.«

Nick zuckte mit den Schultern. »Einmal ist immer das erste Mal, ich bin ja dabei.«

»Was er damit sagen will, Mädchen«, mischte sich Herr Koslowski ein, »mit mir geht es dermaßen bergab, dass es egal ist, wie Sie stechen.«

»Das wollte ich nicht damit sagen.« Nick schüttelte den Kopf.

»Ja, mach, Mädchen. Dann bin ich wenigstens noch zu was nutze. Lerne an mir.«

»Sind Sie sicher?«, fragte ich mit zittriger Stimme.

»Du führst keine Lebertransplantation durch«, raunte Nick. »Du nimmst ihm nur ein bisschen Blut ab.«

Dieser Kerl konnte einfach nicht aus seiner Haut. Okay, wenn er darauf bestand. Ich musterte leicht verunsichert die Kanülen. Marga stand einfach nur traurig da, während Nick ihr immer wieder einen prüfenden Blick zuwarf. Tja, dein Werk, Junge.

»Weißt du noch, wie man das macht?«, fragte er auf die Utensilien deutend.

»Ein bisschen«, gab ich zu, Nervosität machte sich in mir breit und brachte meine Finger zum Zittern.

Er reichte mir den schmalen blauen Venenstauer. »Zuerst staust du das Blut. Herr Koslowski macht dann eine Faust.«

Nachdem ich den Gurt am Oberarm festgezurrt hatte, starrte ich auf die Armbeuge des Patienten, die Haut färbte sich rötlich.

Nick beugte sich so nah zu mir, dass seine Körperwärme auf mich abstrahlte, was einen wahren Bienenschwarm in meinem Magen Sturm fliegen ließ. Warum hatte er nur immer diese Wirkung auf mich? Dazu noch ausgerechnet jetzt, wo ich mich konzentrieren musste. Ich ertrug seine Nähe kaum.

»Jetzt musst du die Vene ertasten.« Seine Stimme klang dunkel und rau, floss langsam durch mich hindurch wie warmer Sirup. Eine einzige Folter. »Mach das am besten, bevor du die Handschuhe anziehst, dann hast du mehr Gefühl in den Fingern.«

Ich tastete die Armbeuge ab, bevor ich sachte mit der Fingerkuppe klopfte. Die feinen Härchen an meinem Arm stellten sich auf, als Nicks Ärmel mich streifte. Noch immer stand er dicht neben mir. Ich holte zittrig Luft, in der Hoffnung, dass er nichts von meiner unregelmäßigen Atmung mitbekam.

»Nimm nicht die Vene, die du direkt unter der Haut schimmern siehst, die sind meistens zu dünn, du musst eine dickere darunter ertasten. Fühlst du sie?«

Ich drückte leicht mit dem Zeigefinger und entdeckte die geschwollene Vene. »Ja, ich denke, ich hab sie.«

»Gut. Dann zieh jetzt die Handschuhe an und desinfizier die Einstichstelle.«

Nachdem ich alles erledigt hatte, öffnete ich die Verpackung der Nadel und nahm sie heraus.

Meine Hände bebten und die Knie sackten mir beinah weg, nun allerdings vor Schiss. Nick musste meine Panik spüren, er legte eine Hand auf meine Schulter und grub die Finger hinein, was merkwürdigerweise eine beruhigende Wirkung auf mich hatte. Ich mochte seine Berührung, obwohl ich das niemals öffentlich zugeben würde.

»Wenn du stichst, dann mach es schnell, auf diese Art tut es am wenigsten weh«, sagte er leise.

Ich nickte und atmete einmal tief durch, während Herr Koslowski teilnahmslos in den leise laufenden Fernseher starrte.

»Sie sticht jetzt, Herr Koslowski«, sagte Nick, woraufhin der Mann nur achselzuckend nickte.

»Macht ihr mal.«

Noch einmal suchte ich mit dem behandschuhten Finger nach der Vene, was nun tatsächlich nicht mehr so einfach war, aber mittlerweile wusste ich ungefähr, wo sie sich befand, und stach zu. Glücklicherweise hatte ich gleich beim ersten Versuch getroffen. Erleichtert löste ich den Venenstauer und füllte zwei Röhrchen mit Blut. Mein erstes Mal! Mein Herz wurde ganz warm. Liebevoll bewunderte ich die beiden Röhrchen in meiner Hand, in denen die rote Flüssigkeit schwappte. Mein Werk. Wow! Herr Koslowski hatte nur kurz die Lippen verzogen und schenkte mir nun doch ein freundliches Nicken, als ich ein Pflaster auf die Einstichstelle klebte.

»Gut gemacht«, sagte Nick. »Du darfst es beim nächsten Mal probieren«, versprach er Marga, die sich ein gequältes Lächeln abrang.

»Saubere Arbeit, Mädchen«, lobte mich auch Herr Koslowski.

Ich strahlte. Meine Glückshormone tanzten Samba, mit heißen Wangen befreite ich mich von den Handschuhen. Das war so cool gewesen. Selbst Nick hatte nette Seiten. Beinah überfielen mich Gewissensbisse, bis mir Margas gemarterte Miene ins Auge stach.

»Danke schön«, sagte ich. »Ich wünsche Ihnen alles Gute zum Geburtstag.«

»Bist ein nettes Mädel.« Er schluckte. »Aber spielt keine Rolle mehr. Nicht mal den Hund haben sie mir gelassen, nicht mal den Hund.« Herr Koslowski massierte sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen und tat mir nun noch mehr leid. Sein deprimierter Anblick schmerzte mich richtig in der Seele. Der arme todkranke Mann. Leider fiel mir auf die Schnelle nicht ein, wie ich ihn ein wenig aufmuntern konnte. Immerhin war es vielleicht wirklich sein letzter Geburtstag.

Die Tür schwang auf und Doktor Lehmann kam hereingeschneit.

»Guten Morgen, Herr Koslowski«, sagte sie beim Näherkommen. »Wie geht es Ihnen heute? Haben Sie Schmerzen?«

»Nein, bin vollgepumpt mit Schmerzmitteln«, murrte er, demonstrativ in den Fernseher starrend. Doktor Lehmann und Nick wechselten einen ausgedehnten Blick, die beiden schienen sehr vertraut miteinander zu sein. Wie er das immer anstellte, war mir ein absolutes Rätsel. Ob er sich tatsächlich hochschlief?

»Brauchen Sie sonst noch etwas?«, fragte sie.

»Nö.« Er schüttelte den Kopf. »Ich brauch nichts mehr, nur noch einen Totengräber.«

»Darf ich Ihnen trotzdem zum Geburtstag gratulieren?«, Sie lächelte ihn freundlich an.

Er zuckte mit den Schultern. »Dürfen Sie, Frau Doktor. Aber mir ist nicht nach Feiern zumute.«

Leises Winseln wehte wie ein Windhauch durch die geschlossene Tür. Was war das? Ich horchte. Noch einmal, dieses Mal lauter. Auch Herr Koslowski hob den Kopf. »Was is’n das für ein Geräusch?«

»Keine Ahnung.« Doktor Lehmann zuckte mit den Schultern. »Was für ein Geräusch?«

Ein einzelnes Wau löste das Winseln ab. Wo kam das denn her? Ich warf einen Blick zu Nick, der schien nichts zu hören, seelenruhig sammelte er die Utensilien der Blutabnahme zusammen. Dann sprang die Tür auf und ein hellbraunes Fellknäuel stürzte bellend und schwanzwedelnd ins Zimmer.

Ruckartig hob Herr Koslowski den Kopf. »Jacky, wo kommst du denn her, mein Bester?« Er streichelte dem kleinen Hund über den Kopf, der beim Versuch aufs Bett zu hopsen, wild kläffte. Nick hob ihn schließlich auf die Matratze, wo das Kerlchen sich in den Arm seines Herrchens kuschelte und ihm das Gesicht ableckte. Tränen rannen über Herrn Koslowskis Gesicht, unaufhörlich streichelte er seinen Hund. »Dass ich dich noch mal wiedersehen darf.«

Die Szene rührte mich bis in den hintersten Winkel meines Herzens, ich durfte einer wunderbaren Familienzusammenführung beiwohnen und kam aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. Was für ein schönes Geburtstagsgeschenk für diesen todkranken Mann.

»Aber jetzt erzählt doch mal«, sagte Herr Koslowski und wehrte sanft die feuchte Hundeschnauze in seinem Gesicht ab. »Wie kommt Jacky hierher? Dürfen Hunde überhaupt ins Krankenhaus?«

»Wenn sie dem Patienten bei der Genesung helfen, dann ist es ausnahmsweise mal erlaubt.« Nick tätschelte Jackys Kopf und zwinkerte ihm zu. »Man darf sich bloß nicht dabei erwischen lassen.«

»Nick ist am Samstag nach München gefahren und hat Jacky dort im Tierheim abgeholt«, erklärte Doktor Lehmann und mir stockte beinah das Herz. Was? Dafür hatte Nick also den freien Samstag gebraucht? Er hatte seinen Dienst getauscht, um einem schwerkranken Mann einen Herzenswunsch zu erfüllen und mir war nichts Besseres eingefallen, als ihn zu beleidigen und dumm anzumachen. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, der sich nicht wegschlucken ließ. Ich stand da wie festgewurzelt, presste eine Hand vor den Mund und versuchte, die Tränen zu unterdrücken. Es war unheimlich berührend, zu sehen, wie sich der alte Mann und der kleine Hund freuten, wieder zusammen zu sein. Zum ersten Mal bemerkte ich etwas anderes als Resignation in Herrn Koslowskis Gesicht. Nicks Hand legte sich um meinen Nacken, er massierte mich. In völliger Schockstarre ließ ich es über mich ergehen.

»Alles okay?«, fragte er leise und mit einem Hauch von Spott in der Stimme. »Du siehst so blass aus.«

»Nick hat sogar eine Pflegefamilie für Jacky in Nürnberg gefunden, sodass Sie beide sich oft sehen können. Und wenn Sie gesund sind, können Sie den Kleinen wieder mit nach Hause nehmen«, erzählte Doktor Lehmann.

Das war die netteste Aktion, die ich seit Langem mitbekommen hatte. Er hatte obendrein für das Wohlergehen des kleinen Hundes hier vor Ort gesorgt, jetzt fühlte ich mich schrecklich wegen meiner gemeinen Unterstellungen vorhin.

»Ab heute gelten keine Ausreden mehr, Herr Koslowski«, sagte Nick. »Sie werden gebraucht, also lassen Sie sich nicht mehr so hängen.«

»Ganz bestimmt nicht.« Herr Koslowski nahm den kleinen Hund in den Arm, der auf ihm herumwuselte wie ein aufgeregtes Wiesel. »Wir beide gehen wieder nach Hause«, flüsterte er und hob den Kopf. »Das ist der schönste Geburtstag meines Lebens. Vielen Dank dafür.«

»Alles Gute auch von mir«, sagte Marga nun. Ein Glanz schimmerte in ihren Augen, sie strahlte Nick an, als wäre er Superman. Das war er gerade auch. Und ich, ich musste mir schleunigst was einfallen lassen, um mich für meine Vorwürfe zu entschuldigen.

Im Gang lief ich Nick hinterher und stellte mich ihm in den Weg. »Warum hast du nichts gesagt?«, fragte ich aufgelöst, die emotionale Wiedervereinigung von Hund und Herrchen arbeitete noch in mir.

Er musterte mich erstaunt. »Was meinst du?«

»Warum hast du nicht vorhin schon erzählt, dass du den Tag freigenommen hast, um den Hund abzuholen? Das konnte doch keiner ahnen.«

»Und deine Show unterbrechen?« Er lachte amüsiert auf. »Du hattest dich so schön in Rage geredet, nicht mal ein Bulldozer hätte dich aufgehalten.«

»Aber ich war im Unrecht.« Ups! War mir das eben wirklich rausgerutscht?

Sein Grinsen wurde gemein. »Wenn ich dich jedes Mal darauf hinweisen müsste, hätte ich viel zu tun.«

»Haha.« Ich rollte mit den Augen. »Es tut mir leid«, sagte ich schließlich leise und meinte es wirklich so.

Sein Blick ruhte auf meinem Gesicht, so intensiv, dass es mir durch und durch ging. Wie in Zeitlupe legte er eine Hand auf meine Wange und streichelte mich mit dem Daumen. Instinktiv hielt ich den Atem an. »Schon gut, mach dir keinen Kopf. Ich bin härtere Sachen von dir gewohnt.«

Starr vor Überraschung ließ ich es geschehen, dass er mich berührte. Gänsehaut stellte die feinen Härchen in meinem Nacken auf. »Deine Haut ist so zart«, flüsterte er rau und kam einen Schritt näher, dabei fixierte er meinen Mund. »Und deine Lippen haben dieses ganz besondere Rot.« Er strich mit dem Daumen über meine Oberlippe und ließ mich beinah innerlich verglühen. »Sie sehen aus wie geschminkt, aber das sind sie gar nicht.«

»Ich …«, ich räusperte mich, »ich muss noch die Betten machen.« In meinem Inneren herrschte ein heilloses Durcheinander. Ich wollte seine Berührung nicht mögen, tat es aber. Sehr sogar. Nein, das durfte ich nicht zulassen. Er spielte mit mir. Trotzdem stoppte ich ihn nicht.

»Hast du Angst vor mir?« Er schaute mir tief in die Augen, bis ich das Gefühl hatte, er könnte all meine Geheimnisse darin lesen.

»Was?« Mein inneres Beben legte ein paar Nuancen zu. »Nein.«

»Doch.« Seine Augen wurden dunkler. »Ich glaube, du hast Angst davor, was ich mit dir anstellen könnte, und vor allem davor, dass es dir am Ende auch noch gefallen würde.«

»Ich habe keine Angst vor dir«, flüsterte ich, konnte aber seinem intensiven Blick nicht standhalten und strafte meine eigenen Worte Lügen. War er näher dran an der Wahrheit, als mir lieb war?

»Ich frage mich, ob du wirklich so schüchtern bist oder ob du mir nur etwas vorspielst.« Langsam ließ er seine Hand sinken und übrig blieb ein kühles, verlorenes Gefühl auf meiner Haut. Nick lag falsch. Ich spielte ihm nichts vor. Aber er trieb sein Spiel mit mir, ich war nicht so blöd, das nicht zu erkennen. Sobald ich darauf einstieg, würde er merken, wie unerfahren ich war, und das Interesse an mir verlieren. Ich hatte ihm nichts zu bieten, weder optisch noch sexuell, auch wenn er letzteres nicht wusste. Vielleicht mimte ich die Kratzbürste einfach nur, um mich vor einer weiteren Enttäuschung zu schützen.

»Ich muss weiter.« Ich trat einen Schritt zurück. »Urinproben ins Labor bringen.«

»Immer auf der Flucht«, sagte Nick und ließ mich gehen.

Liebeschaos: Süß wie Cherry Cola

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