Читать книгу Liebeschaos: Süß wie Cherry Cola - Ute Jäckle - Страница 8

4. Kapitel

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Doktor Lehmann schenkte Nick ein winziges Lächeln, als wir die Gruppe erreicht hatten. Mich übersah sie vollkommen. Ich war mir sicher, dass sie nicht einmal meinen Namen kannte. Die akkuraten Konturen ihres dunkelbraunen Bobs betonten die Härte in ihrem Gesicht, die nur eben einen Moment gewichen war, als sie meinen Kommilitonen erspäht hatte. Marga streckte sich seitlich hinter der Oberärztin und winkte verhalten in meine Richtung, ihre Augen glühten vor Vorfreude.

»Dann sind wir jetzt vollzählig und können mit der Visite beginnen«, sagte Doktor Lehmann und setzte sich in Bewegung. Ich ließ sie vorüberziehen und gesellte mich zu Marga.

»Ich bin so aufgeregt, unsere erste Visite«, flüsterte sie mir ins Ohr.

»Ich auch«, pflichtete ich ihr bei, dachte dabei aber komischerweise an Nicks Kaffee und fragte mich, wann er wohl den ersten Schluck nehmen würde.

Als erstes steuerten wir Frau Hausers Zimmer an. Meine Hände wurden feucht bei der Vorstellung, die strenge Oberärztin könnte vor der versammelten Mannschaft ein paar Fragen zur Patientin an mich richten. Andererseits fände ich das auch cool. Gestern Vormittag hatte ich vor lauter Sorge ein paar Fachbücher gewälzt und mich in Frau Hausers Fall eingelesen. Nun wusste ich ungefähr, wie die weitere Behandlung verlaufen würde. Das wäre der Hammer, wenn ich vor allen Anwesenden mit meinem Fachwissen glänzen könnte, vielleicht würde Doktor Lehmann sogar mein Name im Gedächtnis bleiben.

Wir scharten uns um das Patientenbett, Doktor Lehmann ließ sich die Krankenakte reichen und studierte sie ausgiebig. Meine Fingerspitzen kribbelten, sie las gerade, was ich hineingeschrieben hatte.

»Guten Morgen, Frau Hauser. Ihrem Knie geht es immer noch nicht besser, wie ich lese.«

»Nein.« Frau Hauser schüttelte traurig den Kopf. »Im Gegenteil. Ich finde, es ist schlimmer geworden.«

Mit einem Nicken gab sie die Akte an den Assistenzarzt zurück und sah sich um.

»Aida di Giorgio«, sagte sie plötzlich mit nachdrücklicher Stimme, worauf ich sichtlich zusammenzuckte.

»Ja«, piepste ich wie eine Maus und räusperte mich. Zaghaft trat ich einen Schritt vor.

»Nehmen Sie bitte die Kompresse herunter.«

Mein Herzschlag schwoll an, sie kannte dank der Krankenakte jetzt meinen Namen, zudem durfte ich vor ihren gestrengen Augen die Kompresse entfernen und vielleicht sogar mit einer Oberärztin über eine Verletzung fachsimpeln. Heute hatte ich das große Los gezogen. Yeah! Marga stieß mir ihren Ellenbogen in die Rippen, sie zappelte neben mir herum und schien noch aufgeregter zu sein als ich.

»Das ist so cool, du Glückspilz«, raunte sie, mir einen leichten Schubs gebend, der mich nach vorn zum Bett bugsierte.

Alle Augen waren auf mich gerichtet, als ich vorsichtig das Stück Gazestoff anhob, das infizierte Gewebe freilegte und es so stolz präsentierte wie ein Archäologe einen prähistorischen Fund.

Doktor Lehmann trat näher und begutachtete die Verletzung von allen Seiten, streifte sich ein Paar sterile Handschuhe über und betastete die äußere Verdickung unter dem leisen Ächzen von Frau Hauser. Die Ärztin sah auf und mir direkt in die Augen. Mein Magen schlug Purzelbäume.

»Was haben wir hier?«, fragte sie auf das geschwollene Knie deutend.

Ich räusperte mich. »Nach einem Sturz hat sich die Wunde infiziert und ist über mehrere Tage nicht geheilt. Die Stelle zeigt die klassischen Entzündungszeichen wie Rötung, Schwellung, Wärme. Außerdem hat die Patientin starke Schmerzen und kann das Gelenk nur eingeschränkt bewegen. Der erste Abstrich hat eine Infektion mit Staphylococcus aureus ergeben. Trotz oraler Eingabe von Antibiotika klingt die Infektion nicht ab und an den Rändern zeigen sich teilweise erste Anzeichen von Nekrose.« Mein Puls im Hals pochte.

»Gut«, sie nickte mir zu und verlagerte ihr Interesse hin zur Ärzterunde. Wie? Das war es schon gewesen? Was war mit alternativen Behandlungsmethoden, dem weiteren Verlauf, den nächsten Schritten? Meine Einschätzung zum Fall. Warum, verdammt noch mal, fragte sie mich nichts? Ich wusste alles, eigentlich könnte ich die Patientin mit Leichtigkeit selbst behandeln.

»Nick«, hörte ich sie sagen und ächzte innerlich auf. Ausgerechnet. Was wollte sie jetzt mit dem, wenn ich neben ihr stand? Nick schob sich zwischen einem Arzt und Marga hindurch und kam näher.

»Ja, Doktor Lehmann?«, fragte er mit deutlichem Respekt in der Stimme.

»Schauen Sie sich die Wunde mal an.« Sie deutete in Richtung von Frau Hauser.

»Das habe ich vorhin schon getan«, erwiderte er völlig unbeeindruckt, als wäre seine Vorab-Visite das Normalste auf der Welt gewesen.

»Oh.« Doktor Lehmann nickte beeindruckt. »Obwohl Sie dem Zimmer gar nicht zugeteilt sind?«

»Ich machte mir Sorgen, als ich hörte, dass Frau Hausers Knie noch immer eitert, deswegen habe ich nachgesehen.« Während er redete, schenkte er Frau Hauser ein freundliches Lächeln, das diese selbstverständlich sofort erwiderte.

Dieser elende Schleimer. Was bildete er sich eigentlich ein? Sie war meine Patientin und nicht seine. Mittlerweile hatte Doktor Lehmann vollkommen vergessen, dass ich existierte. Ihre ganze geschätzte Aufmerksamkeit galt Nick, während ich wie ein Trottel mit der besudelten Kompresse in der Hand neben ihnen stand.

»Wie würden Sie die Patientin behandeln, Nick?«

WAS? Das war meine Frage, mein Part, meine Patientin. Wieso fragte sie jetzt ihn? Ich wusste genau Bescheid, man würde einen Abstrich der Wunde machen und davon ein Antibiogramm anfertigen, zur Bestimmung von Empfindlichkeit und Resistenz der Krankheitskeime.

»Ich würde einen weiteren Abstrich mit Schwerpunkt auf multiresistente Erreger machen. Außerdem ist eine Duplexsonographie sinnvoll. Die Patientin muss sorgfältig auf Anzeichen einer Blutvergiftung hin im Auge behalten werden. Bis ein Ergebnis vorliegt, könnte man zur Unterstützung der Antibiotikagabe beim Spülen der Wunde eventuell mit alternativen Heilmitteln arbeiten«, hörte ich Nick neben mir sagen und hätte ihm am liebsten die versiffte Kompresse um die Ohren gehauen.

»Sehr gut, Nick. Ich bin beeindruckt.« Doktor Lehmann nickte, während sie ihm mal wieder eines ihrer seltenen Lächeln vergönnte. Ich hätte ausflippen können über diese himmelschreiende Ungerechtigkeit.

Der Assistenzarzt redete leise dazwischen und forderte Doktor Lehmanns Aufmerksamkeit, die beiden steckten flüsternd die Köpfe zusammen. Worüber sie wohl redeten? Über Nicks sofortige Beförderung für diesen grandiosen Auftritt?

Ich spürte Nicks Blick wie Sonnenbrand im Nacken und wandte mich ihm reflexartig zu. Völlig locker griff er in die Jackentasche seines Kittels, förderte den Kaffeebecher zutage und drehte sich seitlich, ehe er einen großen Schluck daraus trank.

Ich hörte ihn röcheln und hätte nie gedacht, dass der braun gebrannte Nick rot anlaufen könnte. Seine Backen blähten sich auf, offenbar ließ sich das Zeug nicht herunterschlucken, er kämpfte sichtlich mit der Atmung.

Ein noch nie dagewesenes Gefühl von kindischer Genugtuung überkam mich. Ich konnte meine unverhohlene Freude nicht unterdrücken, was natürlich taktisch unklug war, und strahlte Nick wie eine 500-Watt-Lampe an. In der Hoffnung, dieser Moment möge nie vergehen, war ich sogar versucht, mein Handy aus der Kitteltasche zu zücken. Dieser Augenblick musste für die Ewigkeit festgehalten werden. Schweren Herzens verzichtete ich darauf, wahrscheinlich würde Doktor Lehmann einen Schnappschuss während der Visite nicht wirklich lustig finden.

»Und was würden Sie als Nächstes machen, Nick?«, hörte ich Doktor Lehmann neben mir, was meinem Triumpf eine ganz besondere Würze verlieh.

Nick schluckte dreimal hintereinander, begleitet von Würgegeräuschen, die wie ein Streichkonzert in meinen Gehörgängen hallten. Dann holte er tief Luft.

»Alles in Ordnung mit Ihnen?« Die Oberärztin musterte Nick irritiert.

»Ja, alles in Ordnung« keucht er und wischte sich immer wieder über die Lippen. Er warf mir einen so finsteren Blick zu, als hätte ich soeben seine gesamte Familie ausgelöscht. Wie kam der gleich auf mich?

»Ist wirklich alles in Ordnung?«, fragte ich gespielt mütterlich. »Hast du etwas in den falschen Hals gekriegt?«

»Nein«, knurrte er wie ein Bernhardiner und schüttelte sich hustend. »Reizhusten«, erklärte er und hustete noch einmal in seine Faust.

»Dann schonen Sie Ihre Stimme.« Doktor Lehmann sah mich an. »Wie würden Sie weiter vorgehen? Ich weiß, Sie sind noch Studentin, aber haben Sie vielleicht eine Idee?«

Als ob er kein Student wäre …

Es gab doch einen Gott. Ich schickte ein kurzes Dankgebet gen Himmel, ehe ich mit gewichtiger Stimme mein gestern angelesenes Wissen präsentierte. »Es scheint nicht auszureichen, die Wunde regelmäßig zu spülen, sie sollte deshalb chirurgisch gereinigt werden. Da das Antibiotika bisher keine Wirkung gezeigt hat, sollte man zusätzlich zu dem Abstrich ein Antibiogramm anlegen und das Mittel, das sich als wirksam erweist, intravenös verabreichen. Zeigt der Abstrich, dass multiresistente Krankenhauskeime, wie MRSA, nicht ausgeschlossen werden können, muss die Patientin isoliert werden.«

»Sehr gut, Frau …« Sie warf einen Blick in die Krankenakte. »Frau di Giorgio. Ich bin sehr beeindruckt. Das haben Sie perfekt erklärt.« Dann wandte sie sich an die Patientin. »Wir machen nachher einen Abstrich von der Wunde und setzen die Behandlung mit einem anderen Antibiotikum fort. Mit dem neuen Medikament sollten wir das Problem schnell in den Griff kriegen.«

»Vielen Dank.« Frau Hauser wirkte erleichtert.

Die Truppe setzte sich wieder in Bewegung. Ich schwebte wie mit Engelsflügeln, das war so cool gewesen. Ich hatte mir den besten Job der Welt ausgesucht, der wie für mich gemacht war.

»Du kleines Miststück«, raunte Nick mir ins Ohr.

»Wovon redest du?« Ich tat empört.

»Du weißt genau, wovon ich rede.« Er räusperte sich erneut.

»Geht’s um deinen Reizhusten? Soll ich dir nachher den Hals mit Jod auspinseln?«, schlug ich hilfsbereit vor und bog um die Ecke in den Flur.

Nick musterte mich zwar finster, musste sich eine Antwort allerdings verkneifen, denn er geriet ins Visier von Doktor Lehmann, die ihm einen merkwürdigen Blick zuwarf. Er straffte sich und rückte von mir ab. Hach, das Leben konnte manchmal einfach wunderbar sein.

Liebeschaos: Süß wie Cherry Cola

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