Читать книгу Liebeschaos: Süß wie Cherry Cola - Ute Jäckle - Страница 9

5. Kapitel

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Völlig erschlagen verließ ich am Spätnachmittag das Krankenhaus. Draußen tröpfelte es leicht, alles war nass. Die großen Pfützen am Boden, in denen sich das Sonnenlicht spiegelte, verrieten, dass sich ein heftiger Regenschauer über die Stadt ergossen hatte. Vor lauter Arbeit hatte ich nichts davon mitbekommen. Zügig marschierte ich los in Richtung S-Bahn-Haltestelle, die feinen, lauwarmen Tropfen fühlten sich herrlich erfrischend auf meinem Gesicht an. Von Erlangen waren es zwanzig Minuten mit der Bahn bis nach Nürnberg, Zeit genug für ein kleines Nickerchen nachher im Abteil, das ich bitter nötig hatte. Immer wieder stieg Nicks entsetztes Gesicht vor meinem inneren Auge auf, in dem Moment, als er den Schluck des Salzkaffees nicht herunterbekommen hatte. Ich gratulierte mir selbst zu diesem grandiosen Einfall. Der kleine Dämpfer, den ich Nick hatte verpassen können, war umso süßer gewesen, weil ich endlich einmal die Chance erhalten hatte, meine Fähigkeiten vor allen anwesenden Ärzten unter Beweis zu stellen. Ich hatte mich wie ein Experte gefühlt, den man in einer wichtigen Angelegenheit um seinen hochgeschätzten Rat gefragt hatte. Vielleicht sollte ich in meiner Freizeit mehr Fachbücher lesen. Schluss mit diesen ganzen Erotikromanen. Christian Grey konnte mir nicht das geben, was ein eiterndes Knie für mich bedeutete. Manchmal musste man eben Prioritäten setzen.

Ein Auto brauste mit aufheulendem Motor von hinten heran und fuhr in rasantem Tempo an mir vorbei, direkt durch eine Pfütze. Die hochschießende Wasserfontäne prasselte nach allen Seiten und traf mich mit voller Wucht. Erschrocken japste ich nach Luft. Schmutzwasser triefte von meinen Haaren und mein weißes Outfit war von oben bis unten mit Dreckspritzern übersät. Als ich dem Wagen hinterhersah, knirschte ich mit den Zähnen. Es war eindeutig Nicks auffällig rotes Cabriolet. Elender, hinterhältiger Bastard. Das würde er mir büßen.

Selten kam mir der Heimweg länger vor und vor lauter Wut schaffte ich es noch nicht einmal, ein wenig zu dösen. Entsprechend erschöpft schleppte ich mich zu Hause ins Wohnzimmer und warf mich aufs Sofa. Mit beiden Händen glättete ich mein zerzaustes Haar, das nach allen Seiten abstand, als hätte ich es mir gerauft. Pia kam herein und reichte mir ein Glas Cherry Coke. »Du siehst aus, als hättest du einen Drink bitter nötig.«

Ich nahm ihr das Glas ab. »Danke, das habe ich auch.« Pia war wirklich ein Schatz. Wir wohnten zwar erst seit ein paar Monaten als WG zusammen, aber freiwillig würde ich sie nie mehr hergeben. Als meine vorherige Mitbewohnerin mit ihrem Freund nach Barcelona gezogen war, hatte der mir im Gegenzug seine Schwester Pia als Nachfolgerin für das leer stehende Zimmer vermittelt. Zu dem Zeitpunkt hatte Pia gerade erst mit dem BWL Studium in Nürnberg begonnen, da sie die Uni in München geschmissen hatte.

Nachdem ich einen großen Schluck Cherry Cola getrunken hatte, fühlte ich mich auf jeden Fall erfrischter. »Du hättest ruhig einen Schuss Bacardi hineinmischen können. Nach diesem Tag brauche ich was Härteres.«

Sie setzte sich neben mich und streichelte mitleidig meine Schulter. »Was ist denn mit dir passiert? Hast du Schlamm-Wrestling gemacht?«

»Nick«, sagte ich knapp, der Name allein sollte als Erklärung für meinen ramponierten Zustand ausreichen. Nach einer kleinen Pause, in der Pia mich fragend musterte, als wäre ihr der Typ vollkommen unbekannt, fügte ich hinzu: »Ich bin fix und fertig. Stell dir vor, was Nick heute schon wieder gemacht hat.« Mein Seufzer geriet vielleicht etwas theatralisch, aber sei’s drum.

»So schlimm?« Sie setzte sich seitlich auf die Waden. Eine ganze Reihe zusätzlicher Sommersprossen tummelten sich seit unserem Besuch am See auf ihrer Nase. Obwohl Pia gestern die meiste Zeit im Schatten gelegen war, zierte noch immer ein Hauch von Röte ihre helle Haut.

Ich stellte das halb leere Glas auf dem Sofatisch ab. »Er ist mit seinem beschissenen Cabrio durch eine riesengroße Pfütze gefahren, natürlich genau in dem Moment, als ich da langgelaufen bin.«

Pia lachte kopfschüttelnd. »Ihr könntet eure Differenzen zur Abwechslung auch mal wie zwei Erwachsene austragen. Indem ihr euch einfach ignoriert zum Beispiel.« Interessiert musterte sie die braunen Spritzer, die bis hoch zu meinen Schultern reichten, als würde sie im Kaffeesatz lesen.

Ich winkte ab, sie hatte ja keine Ahnung. »Kultivierten Umgang kannst du mit dem Kindskopf vergessen.«

»Das war auch nicht sehr nett von ihm. Warum hat er das gemacht?«

»Keine Ahnung.« Ich spürte, wie Hitze in meinem Gesicht bis hoch zur Stirn kroch.

»Bist du sicher?« Pia schnappte sich mein Glas und trank einen Schluck.

»Okay, ich hab ihm heute Morgen Salz in seinen Milchkaffee gestreut.«

»Aida«, mahnte sie mich scharf und erinnerte mich dabei erschreckend an meine Mutter. Mist, die hatte ich gestern auch noch anrufen wollen. Das Telefonat musste ich nachher schleunigst nachholen, sonst schickte sie mir am Ende noch ein Suchkommando auf den Hals.

»Was?« Ich hob die Hände. »Er wollte mir eine schnelle Nummer in der Verbandskammer aufschwätzen.«

»Und weil du nicht mitgemacht hast, hat er dir im Gegenzug eine Pfützendusche verpasst«, schlussfolgerte sie.

»So ähnlich.« Ich winkte ab, alle Details musste sie auch nicht wissen. »Egal. Themenwechsel. Was ist mit Chad, dieser Birne? Hat er sich schon gemeldet?«

»Er kam heute Morgen vorbei.« Sie zuckte mit den Achseln, als wäre das nichts Besonderes.

»Oh, oh.« Der Mann hatte Courage, das musste man ihm lassen. Pia hatte gestern nicht so gewirkt, als wollte sie lediglich eine Nacht über den Knatsch schlafen.

Der Hauch eines Lächelns streifte über Pias Gesicht. »Chad stand völlig aufgelöst vor der Tür und erzählte mir, sein Goldfisch wäre entführt worden und nun wüsste er nicht, was er tun sollte. Er hatte einen Erpresserbrief dabei, in dem stand, dass der Kidnapper den Fisch erst wieder rausrücken würde, wenn ich mich mit ihm versöhne. Die Handschrift sah schwer nach der seines Mitbewohners aus.«

Ich prustete in meine Hand. »Ist das niedlich. Und? Was hast du gemacht?« Chad hatte wirklich dermaßen einen an der Klatsche, aber dafür fielen ihm auch immer die süßesten Aktionen ein, um Pia milde zu stimmen. Und mit diesen Missionen hatte er an manchen Wochen viel zu tun.

»Ich habe mir den Brief durchgelesen, in dem stand klipp und klar, dass Franky wohl für immer in den Weiten der Kanalisation verschwinden würde, wenn ich nicht einlenke. Was sollte ich da tun?« Sie hob die Hände an. »Nachher bin ich noch schuld an Frankys verfrühtem Ableben«, gluckste sie. »Also hab ich Chad reingelassen, zufällig hatte er noch Brötchen und eine Flasche Sekt dabei, wie gemacht für ein Frühstück im Bett. Wir haben wirklich alles für Frankys Rettung gegeben, das kannst du mir glauben.« Sie nahm meine Hand und sah mir in die Augen. »Es war für einen guten Zweck, was sollte ich tun? Ich wollte ein Leben retten.«

»Du hast dich sozusagen geopfert«, spielte ich mit.

»Treffender hätte ich es nicht formulieren können.« Lachend stand sie auf. »Ich hab echt keine Ahnung, warum ich so an dem Blödmann hänge. Vor allem, da er sowieso nur noch ein paar Wochen hier ist. Warum halse ich Idiotin mir absichtlich eine Riesenladung Herzschmerz auf? Bin ich masochistisch veranlagt?«

»Weil du ihn liebst.« Ich kratzte etwas angetrockneten Dreck von meiner Hose. »Wer weiß, was kommt. Die absolute Sicherheit hast du sowieso nie.«

»Das stimmt auch wieder.«

Sie setzte sich in Bewegung. »Ich muss lernen. Dank Chad habe ich heute meine Statistikvorlesung verpasst.«

»Viel Spaß mit den Zahlen.« Ich winkte ihr zu und kramte mein Handy aus der Tasche, um meine Mutter anzurufen, die mir die letzten Tage schon fünf Nachrichten hinterlassen hatte. Mein schlechtes Gewissen regte sich, weil ich mich viel zu selten bei ihr meldete. Aber in meinem Leben war einfach so viel los, dass die Zeit nur so dahinflog.

»Löwenstein«, meldete sich meine Mam mit fröhlicher Stimme. Nach der Scheidung von meinem Vater vor siebzehn Jahren hatte sie ihren Mädchennamen wieder angenommen. Damals war ich gerade erst sechs Jahre alt gewesen, aber ich erinnerte mich noch deutlich, wie er eines Morgens das Haus verlassen hatte und einfach nicht mehr zurückgekehrt war. Seit diesem Tag hatte ich nichts mehr über seinen Verbleib in Erfahrung bringen können, als hätte mein Vater aufgehört, zu existieren. Noch immer tat mein Herz weh, wenn ich daran dachte.

»Hi, Mam. Wie geht’s?«

»Gibt es dich auch noch? Ich versuche seit Tagen, dich zu erreichen.« Sie klang ein wenig vorwurfsvoll.

»Tut mir leid, ich habe so viel im Krankenhaus zu tun, Überstunden ohne Ende. Ich bin fix und fertig.«

»Du Ärmste«, sofort veränderte sich ihr Tonfall, wurde mitleidig und besorgt. »Ob dieser Beruf wirklich das Richtige für dich ist, wenn du dabei zugrunde gehst?«

»Tue ich nicht, der Job ist toll. Ist halt nur gerade etwas stressig, das ist alles. Was gibt es Neues bei dir?«, wechselte ich das Thema und gähnte. Heute würde ich früh schlafen gehen.

»Nicht viel. Ich habe mich für einen Malkurs bei der Volkshochschule angemeldet. Aquarell mit Schwerpunkt Blumen.«

»Klingt toll, das macht bestimmt Spaß.« Ich freute mich, dass meine Mutter endlich mal wieder etwas für sich tat.

»Du hast mich ja auch lang genug bequatscht«, stellte sie lachend fest. »Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden.«

»Für den Anfang auf jeden Fall. Du wirst sehen, ein bisschen Abwechslung wird dir guttun.« Meine Mutter konnte richtig toll malen. Als ich klein war, hatte sie mein Zimmer in ein Aquarium verwandelt, indem sie die Wände mit Fischen, Meeresschildkröten und Nixen in eine riesige Unterwasserwelt umgestaltet hatte. Dorthin hatte ich mich nach dem Unfall am liebsten zurückgezogen, überall war Wasser gewesen, in meinen vier Wänden hatte mir nichts passieren können.

»Ich hoffe nur, Opa kommt solang allein zurecht«, gab sie zu bedenken.«

»So ein Kurs dauert doch nicht länger als zwei oder drei Stunden, das ist doch kein Problem.« Ich spürte ihre Zweifel durch das Telefon. Hoffentlich meldete sie sich nicht wieder ab. Seit zehn Jahren pflegte meine Mutter hingebungsvoll meinen Opa, der nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt war. »Und wenn es gar nicht anders geht, sag mir Bescheid. Ich versuche es so einzurichten, dass ich in der Zeit heimkommen kann.« Mein Elternhaus lag nur eine halbe Stunde von Nürnberg entfernt. Irgendwie schafften wir Franken es nicht, den Landkreis zu verlassen. Unser Herz hing einfach an der Gegend.

»Quatsch«, schlug sie mein Angebot aus. »Du hast sowieso schon so viel zu tun. Das kriege ich schon irgendwie geregelt. Aber was ich dich fragen wollte. Magst du Sonntag nicht zum Mittagessen kommen? Opa und ich vermissen dich so.«

Sonntag hatte ich frei, das würde passen. »Wenn du deinen leckeren Sauerbraten mit Klößen machst, hätte ich nichts dagegen.« Meine Mutter war die beste Köchin der Welt. Ich war schon viel zu lang nicht mehr zu Hause gewesen und vermisste die beiden und ihr Essen total.

»Kriegst du. Ich koche die doppelte Portion, dann kannst du den Rest für dich und deine Mitbewohnerin mitnehmen.«

Das klang verlockend, Pia würde sich sicher auch freuen. Leider waren unser beider Kochkünste nicht die besten, weshalb es meistens nur Milchreis oder Nudeln mit Ei gab. »Super. Ich freue mich. Bis Sonntag dann.«

»Ich mich auch. Hab dich lieb, Schatz.«

»Ich dich auch, Mam. Tschüss.«

Nachdem ich aufgelegt hatte, schnappte ich mir meinen E-Book-Reader vom Tisch und kuschelte mich in die Sofakissen. Gestern hatte ich mir einen heißen Erotikroman heruntergeladen, den würde ich mir jetzt zu Gemüte führen.

Liebeschaos: Süß wie Cherry Cola

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