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1.2Verfassung der Frankfurter Paulskirche
Оглавление23Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war 1806 mit der von Napoleon erzwungenen Abdankung von Kaiser Franz II. untergegangen. Die Neuordnung Europas nach dem Sieg über Napoleon auf dem Wiener Kongress 1815 war auf Wiederherstellung überkommener Herrschaftsformen gerichtet und brachte den Angehörigen deutscher Sprache und Kultur keine neue staat(srecht)liche Einheit. Die Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 stellte einen völkerrechtlichen Vertrag dar und begründete einen Staatenbund von 39 souveränen Staaten.7 Der Bundestag als Hauptorgan mit Sitz in Frankfurt hatte keine eigenständigen Rechtssetzungsbefugnisse.8
24Die freiheitlich-demokratischen sowie nationalstaatlichen Bestrebungen9 in der Bevölkerung der deutschen Monarchien und Fürstentümer brachen sich, ermutigt durch die revolutionären Ereignisse in Frankreich im Februar 1848, in der sog. Märzrevolution Bahn.10 In einer Vielzahl von deutschen Staaten kam es zu verfassungsgebenden Versammlungen.11 Als Ergebnis der revolutionären Ereignisse fand am 1. Mai 1848 in den deutschen Staaten die Wahl zur Nationalversammlung statt, die am 18. Mai 1848 in der Frankfurter Paulskirche zusammentrat. Sie beschloss am 27. Dezember 1848 zunächst das „Gesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes“.12 Der Beschluss über die gesamte deutsche Reichsverfassung vom 28. März 1849 trat nicht in Geltung, weil der zum Staatsoberhaupt ausersehene preußische König Friedrich Wilhelm IV. eine Kaiserkrone aus den Händen des Volkes ablehnte und im weiteren Verlauf der geschichtlichen Ereignisse die Fürsten die Oberhand zurückerlangten (sog. Gegenrevolution).13 Zum Scheitern der Paulskirchenverfassung trug auch bei, dass die Gründung eines deutschen Bundesstaates den Vielvölkerstaat Österreich vor die faktisch unmögliche Entscheidung stellte, „in das Reich unter Preisgabe der staatlichen Einheit“ einzutreten oder die „staatliche Einheit unter Ausscheiden aus dem Reich“ zu bewahren14 (Streit um die großdeutsche oder kleindeutsche Lösung).15
Obwohl die Paulskirchenverfassung niemals staatsrechtlich wirksam wurde, entfaltete sie als erste „vollentwickelte Konzeption einer deutschen Gesamtstaatsverfassung“16 eine kaum zu überschätzende Vorbildwirkung für die weitere Verfassungsentwicklung. Dies gilt vor allem für das Verhältnis von Reich und Ländern, die Repräsentation der Länder im Bund, das Verhältnis von Staatsoberhaupt, Regierung und Parlament zumindest bis zur Weimarer Reichsverfassung sowie für die Grundrechtsentwicklung.17
25Die Reichsverfassung von 1871, mit der die staatliche Einheit schließlich verwirklicht wurde, enthielt keine Grundrechte.18 Gemäß der damals herrschenden rechtspositivistischen Auffassung banden die Grundrechte allein die vollziehende Gewalt19, die nach der Reichsverfassung im Wesentlichen den Ländern oblag.20 In deren Verfassungen fanden sich dann auch Grundrechtsverbürgungen.