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Persönliche Erinnerungen an die ersten Jahre Über die Anfänge der Kriminalpolizei
von Hans Kaleth und
Georg Schießer, aufgezeichnet von
Eberhard Bergmann

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Der Aufbau der Berliner Kriminalpolizei nach dem Zweiten Weltkrieg verlief so ungewöhnlich wie die Einstellung des damals 25jährigen Berliners Georg Schießer, der es später bis zum Ersten Hauptkommissar brachte, Leiter der Inspektion Brand und Katastrophe und danach lange Jahre Inspektionsleiter des Sittendezernats war.

Am 27. Mai 1945, einem Sonntag, trat Georg Schießer seinen Dienst in der Dircksenstraße am Alexanderplatz an. In der noch halbwegs erhaltenen Eingangshalle des alten Hausvogteigefängnisses, das während des Krieges bereits als Kripozentrale gedient hatte, versammelte sich eine Reihe von Männern, die schon am nächsten Tag die Kriminalität im zerstörten Berlin bekämpfen sollten. Bereits wenige Wochen nach Kriegsende waren vielfältige Delikte zu beklagen: vom eher harmlosen Schwarzmarktgeschäft bis hin zu Einbrüchen, Raubüberfällen und Morden. Die Versammelten wurden namentlich aufgerufen und einzelnen Fachdezernaten zugeteilt – Fahndung (F), Mord (M), Betrugsdezernat (B) und Einbruchsdezernat (E) –, die alle einen bestimmten Raum zugewiesen bekamen.

Im erhaltenen Polizeigefängnis des riesigen Präsidiumskomplexes residierte die Dienststelle »Kriminalkommissar vom Dienst« (KKVD) und der Vernehmungsrichter. Dieser hatte sogar eine Art Schnellgericht in seinen Amtsräumen eingerichtet-als Außenstelle des Kriminalgerichts Moabit. Der forsche Herr entpuppte sich später als Berufsverbrecher und mußte natürlich den Dienst quittieren.

Sehr bald stellte sich heraus, weshalb man die neu aufgestellte Truppe an einem Sonntag einbestellt hatte. Die frischgebackenen Kripoleute mußten nämlich erst einmal Hand anlegen und in den Büros Ordnung schaffen, zum Beispiel Schränke aufstellen, Unrat beseitigen und Stühle zusammensuchen.

Zur Kriminalpolizei war Georg Schießer durch einen Zufall gekommen. Er hatte seine Braut zu einer Polizeidienststelle begleitet, auf der sie früher gearbeitet hatte. Sie wollte dort nach Kollegen sehen und mitteilen, daß sie noch am Leben sei. Während Georg Schießer auf dem Flur wartete, fiel ihm auf, daß mehrere Männer in zwei verschiedenen Schlangen anstanden. Er erkundigte sich und erfuhr, daß es sich um Bewerber für die neu zu schaffende Kripo handele. Die eine Schlange bestand aus ehemaligen Beamten, die andere aus Bewerbern »ohne Vorkenntnisse«. Da der 25jährige noch keine neue Arbeit hatte, reihte er sich bei den »Unbedarften« ein – so wie er gekommen war, ohne Schlips und Kragen im Freizeitanzug.

Als er an der Reihe war, fragte ihn der Mann hinter dem Schreibtisch: »Waren Sie in der Partei oder SS?« Als Georg Schießer glaubwürdig verneinte, schüttelte ihm der andere die Hand und erklärte, er sei angenommen. Das hatte sich eine Woche vor seinem Dienstantritt in der Dircksenstraße zugetragen.

Um die Ausrüstung der neuen Kripo war es jämmerlich bestellt. Außer einem Ausweis, der zum Betreten der Straße nach der Sperrstunde berechtigte, hatten die neuen Polizisten nichts. Keine Kripomarke, keinen richtigen Polizeiausweis, keine Pistole, keine Handschellen. Etwas später gab es Pistolen, jeweils ein paar für jede Dienststelle. Die Waffen mußte man beantragen, wenn ein gefährlicher Einsatz bevorstand, und nach Beendigung des Auftrages sofort wieder abliefern.

Die Arbeitsbedingungen im Büro waren katastrophal. Es gab kein Papier und keine Vordrucke. Anzeigen wurden oft auf den Rückseiten alter Fahndungsplakate aufgenommen. Erst sehr viel später besorgte der damalige Präsident der Zentralverwaltung für die Brennstoffindustrie in der Sowjetzone und spätere stellvertretende Oberbürgermeister von Berlin, Ferdinand Friedensburg, zwanzig Schreibmaschinen für die Kripo, die er irgendwo beim Magistrat ergattert hatte.

Mit 180 Reichsmark netto im Monat konnte sich ein Kriminalanwärter damals gerade mal eine Packung Zigaretten kaufen. Deshalb wurden die Kripoleute oft angepflaumt: »Für ’ne Packung Zigaretten geht ihr den ganzen Monat arbeiten? Schön doof!«

Zu den ersten Aufgaben von Georg Schießer gehörte es, bei Razzien gehortete oder sogar gestohlene Lebensmittel aufzuspüren. Dabei wurden ganze Straßenzüge von der Schutzpolizei abgesperrt, und die Kripo mußte Wohnung für Wohnung durchsuchen. »Dabei waren wir aber großzügig«, erinnert sich Georg Schießer, »wir nahmen nur größere Mengen mit und erstatteten bloß dann Anzeige.«

Immer wieder kam es vor, daß ältere Kollegen von Schießer in diesen ersten Wochen plötzlich abgeholt wurden, zumeist von Russen. Sie standen unter dem Verdacht, entweder einer nationalsozialistischen Organisation angehört zu haben oder an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen zu sein. Das Sagen auf den Dienststellen hatte stets jemand, der Kommunist oder Häftling in einem Konzentrationslager gewesen war. Allerdings hatte auch jede Dienststelle noch einen ordentlichen Inspektionsleiter, der jedoch in personellen Fragen nicht allein entscheiden konnte.

Schlimm wurde der erste Winter. Die Büros waren mit alten eisernen Öfen ausgerüstet. Brennmaterial gab es nicht. Um nicht auf der Dienststelle zu erfrieren, mußten sich die Kripoleute selbst helfen. Und so machten sie sich auf den Weg ins angrenzende frühere Polizeipräsidium, hingen Türen aus, bauten die Rahmen ab, entfernten die Fensterkreuze und schleppten sie zu ihren Dienststellen. Dort wurden die Sachen zersägt und verfeuert.

Georg Schießer erinnert sich noch gut an die Probleme, die auftauchten, als die westlichen Alliierten ihre Sektoren übernahmen. Sie hingen damit zusammen, daß die Kripozentrale im Ostsektor lag. Das Untersuchungsgefängnis Moabit und die Vernehmungsrichter befanden sich hingegen im britischen Sektor, und es gab jedesmal Schwierigkeiten, Häftlinge und Festgenommene dorthin zu bringen. Die Genehmigung für derartige Transporte mußte stets von den Sowjets erteilt werden.

Auch ein Leichenschauhaus gab es in den frühen Tagen der Kripo bereits wieder. Es befand sich in der Hannoverschen Straße in Berlin-Mitte. Geleitet wurde es von Medizinalrat Dr. Weimann, der später ein bekannter Gerichtsmediziner im Westteil der Stadt wurde, wo auch sein damaliger Vertreter, Dr. Spengler, Karriere machen sollte. In der ersten Zeit nach dem Krieg wurden bereits fünfzig Mordfälle pro Monat bearbeitet.

Nach der Gründung der Kripozentrale wurden nach und nach die einzelnen Kriminalinspektionen in den Bezirken wieder eingerichtet. Die Rekrutierung der Mitarbeiter der Kripo – Beamte gab es damals nicht – erfolgte auf ähnliche Weise wie bei der Zentrale. Allerdings meldeten sich vermehrt ehemalige Kripobeamte, die aus der Gefangenschaft zurückgekommen waren. Sofern sie nicht »belastet« waren, konnten sie zu ihren alten Dienststellen zurückkehren.

Ganz allmählich konnte die Kripo wieder normal arbeiten, soweit das in einer Stadt möglich war, die in Sektoren eingeteilt war und in der vier Besatzungsmächte das Sagen hatten. Die Kontroversen zwischen der Sowjetunion und den Westalliierten führten 1948 zur Teilung der Stadt.

Im Juli 1948 kam es zur endgültigen Spaltung der Berliner Polizei. Am 26. Juli suspendierte Bürgermeister Dr. Friedensburg den Polizeipräsidenten Markgraf und forderte dessen Stellvertreter, Dr. Johannes Stumm, auf, die Amtsgeschäfte kommissarisch zu übernehmen. Markgraf wurde weiterhin von sowjetischer Seite getragen, und Stumm begann seine Tätigkeit in Westberlin, in einer Polizeikaserne in der Friesenstraße (Kreuzberg). Am 29. Juli rief Stumm im Rundfunksender RIAS alle verfassungstreuen Polizeibeamten dazu auf, ihren bisherigen Dienst in der neuen Verwaltung fortzusetzen. Sie sollten sich in der Friesenstraße registrieren lassen. Die Stadt hatte nun zwei Polizeipräsidenten (Markgraf und Stumm) und zwei Polizeipräsidien (in Ost- und in West-Berlin).

Rund siebzig Prozent der Polizeibeamten – sowohl von der Kripo als auch der Schupo – folgten dem Aufruf von Dr. Stumm, sich im neuen Präsidium zu melden. Daran erinnert sich Landeskriminaldirektor a. D. Hans Kaleth, der am 1. Dezember 1947 als Anwärter in die Kriminalpolizei eingetreten war. Schon vor der endgültigen Teilung der Stadt zeichnete sich dies im polizeilichen Bereich ab. Um zu verhindern, daß amtliches Material über Straftäter in das neue Präsidium im Westteil der Stadt gebracht werden konnte, wurden alle Angestellten bei Dienstschluß einer Leibesvisitation unterzogen, bevor sie die Kripozentrale verlassen konnten. Hans Kaleth fand das empörend und beschwerte sich bei seinem Kommissariatsleiter, über den es aus früheren Zeiten eine Akte wegen Bettelei gab, wie jeder Kollege wußte.

Der Vorgesetzte schickte ihn zu einem kommunistischen Kripovorgesetzten, der ihm bedeutete, er könne seinen Hut nehmen, wenn ihm etwas nicht passe. Kaleths Hinweis, daß am Tage jedermann unkontrolliert das Gebäude verlassen könne und daß die abendliche Leibesvisitation nicht nur unsinnig sei, sondern auch einen schlechten Eindruck auf die Bevölkerung mache, wischte der Kommunist vom Tisch. Anschließend verlangte er Kaleths Polizeiausweis. Dieser behauptete, den Ausweis nicht bei sich zu haben, worauf er kurz danach zu Hause »Besuch« von zwei Kollegen erhielt, die den Ausweis einforderten. Da gerade eine Nachbarin die Treppe hochkam, rief er dieser zu, sie solle die französische Gendarmerie verständigen, er sei in Schwierigkeiten. Daraufhin verschwanden die beiden Kripoleute – ohne Kaleths Ausweis.

Auf Anraten von Kollegen meldete sich Kaleth krank. Er ließ sich in eine Liste für Dienstwillige im Westsektor eintragen und arbeitete später bei der Kripo im Westteil. Ein paar Tage nach dem Zwischenfall bekam Hans Kaleth die Mitteilung aus Ostberlin, er sei entlassen worden:

Nach den mir vorliegenden Unterlagen haben Sie hier Ihren Dienst nicht wieder aufgenommen. Das ist eines Polizeiangehörigen unwürdig. Ich entlasse Sie daher nach Paragraph 626 BGB. Begeben Sie sich zum nächsten Arbeitsamt, lassen Sie Ihr Arbeitsbuch umschreiben, den Begriff Kriminalbeamter entfernen und Ihre vorherige Berufsbezeichnung eintragen.

Gezeichnet Markgraf.

Berliner Polizei von 1945 bis zur Gegenwart

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