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Polizeidienst in Moabit (1946-48)
von Günter Brosius
ОглавлениеEnde 1945 kehrte ich nach kurzer Kriegsgefangenschaft nach Berlin zurück. Meine Heimatstadt war ein einziges Trümmerfeld. Bei den Menschen herrschte tiefe Niedergeschlagenheit. In Anbetracht der allgemeinen Trostlosigkeit wurde für mich folgende Begebenheit zum Schlüsselerlebnis: Vor dem Brandenburger Tor regelte ein Verkehrsposten den Verkehr und zeigte sich dabei als Sinnbild für eine Ordnung im Chaos. Das weckte in mir den Wunsch, in den Dienst der Berliner Polizei zu treten.
Nachdem ich mein Einstellungsgesuch an das Kommando der Schutzpolizei gerichtet hatte, mußte ich Anfang März 1946 im Dienstgebäude in der Kleinen Alexanderstraße zu einer Einstellungsprüfung erscheinen. Sie bestand nur aus einem kurzen Diktat und einem Aufsatz. Das bereitete mir keine Schwierigkeiten; und der Personalchef erklärte mir, daß ich in Kürze mit meiner Einstellung in den Polizeidienst rechnen könne.
Kurze Zeit später erhielt ich ein vorgedrucktes Schreiben ohne Unterschrift mit der Aufforderung, am 1. April 1946 meinen Dienst beim Polizeirevier 21/22 in der Wullenweberstraße 11 in Moabit aufzunehmen.
Einen Tag vorher wurde ich bei der Polizeiinspektion Tiergarten eingekleidet. Ich erhielt eine Uniform, die teils aus ehemaligen Polizeibeständen und teils aus Wehrmachtsbeständen stammte, sowie einen Tschako, jene Kopfbedeckung, die damals als einziges Bekleidungsteil für alle Polizisten einheitlich war. Außerdem wurde mir als Waffe ein hölzerner Schlagstock aus britischen Polizeibeständen übergeben, der im Polizeijargon »Stuhlbein« hieß. Erst Monate später erfolgte die Ausstattung mit einem Revolver Marke Smith & Wesson. Eine ärztliche Untersuchung fand nicht statt.
Ohne jede Unterweisung versah ich am 1. April 1946 gleich Nachtdienst beim Polizeirevier 21/22. Ein »erfahrener Kollege« – einer, der schon einige Wochen vorher eingestellt worden war – bemühte sich, mir einige Grundbegriffe des Polizeidienstes zu vermitteln. Ich weiß noch, daß ich gleich in der ersten Nacht bei einer wüsten Schlägerei in der Kneipe Alt Moabit/Gotzkowskystraße, vor der wir Standposten versahen, eingreifen mußte. Mit Hilfe der »Stuhlbeine« gelang es uns, die Streithähne auseinanderzubringen, auch wenn mir dabei der Tschako vom Kopf fiel.
Mein Wachthabender war ein überzeugter SED-Mann. Er führte seine Dienstschicht außerordentlich korrekt. 1948 ist er in den Ostsektor zur Volkspolizei übergewechselt.
Eine Schicht dauerte zwölf Stunden, danach hatten wir 24 Stunden frei, so daß wir immer abwechselnd eine Tages- und eine Nachtschicht versahen. Für alle dienstfreie Tage gab es nicht. Von den zwölf Stunden mußten neun im Außerdienst abgeleistet werden. Mein Monatsnettogehalt betrug 176,07 Reichsmark.
In einem Saal des Kriminalgerichts Moabit fand einmal im Monat »Breitenschulung« statt. Unterinspektor »Paule« Schmidt bemühte sich, uns in die wichtigsten Bestimmungen des Polizei- und Strafrechts einzuführen.
Allmählich wurde ich in meinem Beruf sicherer. Ich las jede mir zugängliche Polizeiliteratur und erhielt zum Bestehen meines ersten Lehrgangs, der vier Wochen dauerte, einen Buchpreis. Schon nach einem Jahr wurde ich als stellvertretender Wachthabender eingesetzt. Ein Jahr später konnte ich einen zweimonatigen Weiterbildungslehrgang besuchen.
Die Hauptaufgaben der Schutzpolizei bestanden darin, Gefahrenstellen zu beseitigen und allgemeine Ordnungsprinzipien durchzusetzen.
In vielen Bereichen Berlins lag noch Munition aus dem Krieg. Größere Blindgänger wurden u. a. im Bellevuepark gefunden. Dabei kam es auch vor, daß ein Kollege sich einfach eine Granate unter den Arm »klemmte« und sie auf dem Balkon des Polizeireviers ablegte. Aus heutiger Sicht haarsträubend, aber damals nichts Besonderes.
Geschlossene Einsätze gab es gegen das Schieberunwesen auf dem schwarzen Markt, der sich damals um den Reichstag herum gebildet hatte. Im Tiergarten wurde eine besondere Polizeiwache eingerichtet, weil dort große Flächen an Bürger freigegeben worden waren, um Gemüse anzubauen. Diese mußten nachts gegen Diebstähle gesichert werden.
Die extreme Kälte im Winter 1946/47 brachte eine Reihe weiterer Probleme mit sich. Überall gab es Wasserrohrbrüche. Weitgehend waren auch die Toilettenanlagen durch die eingefrorene Kanalisation außer Betrieb. Das führte dazu, daß die Menschen ihre Fäkalien in irgendwelchen Behältern auf der Straße deponierten. Heute kann man sich das kaum noch vorstellen. Der Einsatz in diesem »Betätigungsfeld« war nicht gerade einfach.
Die Erfüllung sozialer Aufgaben gehörte zu unserem Alltag. Haus um Haus unseres Revierbereiches wurde abgelaufen, um zu erfahren, ob alte hilflose Menschen dort lebten, die wir dem Sozialamt meldeten.
Bei der extremen Kälte war unsere Bekleidung für den Streifendienst natürlich unzureichend. Um einen Schutz für die freiliegenden Ohren zu haben, wurden aus Damenstrümpfen Ohrenschützer angefertigt.
Die Spree war zugefroren. Das hatte für uns wenigstens den Vorteil, daß wir sie überqueren konnten, um in das zu unserem Revier gehörige Hansaviertel zu gelangen, das fast nur aus Ruinen bestand. Wegen der zerstörten Brücken mußten wir sonst einen großen Umweg machen.
Unsere Dienststelle besaß nicht genügend Brennmaterial. Ich weiß noch, daß uns hier »im Wege der Amtshilfe« eine Nebenstelle der Wasserwerke in Alt-Moabit aushalf. Wir trugen den Koks unter unserer Pelerine in Eimern zum Revier, damit es nicht so auffiel. Dort setzten wir uns dann um den Kanonenofen herum, um uns aufzuwärmen und um auf der Herdplatte Brot zu rösten. Weil es nicht zumutbar war, Gefangene in den eisigen Zellen unterzubringen, saßen diese friedlich mit uns am Ofen.
Aufgrund der unzureichenden Versorgung, unter der die ganze Bevölkerung litt, bemühte sich jeder darum, zusätzliche Lebensmittel zu beschaffen. Ich bin damals gemeinsam mit einem Kollegen, der früher Schiffer gewesen war, in Uniform über Land geradelt, um bei Bauern, die der Kollege kannte, Kartoffeln zu hamstern. Wir hatten auf der Rückfahrt an der Stadtgrenze große Mühe, die Kartoffelsäcke durchzubekommen, weil Kollegen der Volkspolizei sie konfiszieren wollten.
Die Polizei war damals im Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) in der Industriegewerkschaft 14 »Öffentliche Betriebe« in der Sektion 5 organisiert. Ich war gleich am Tag meines Dienstantritts auch Gewerkschaftsmitglied geworden. 1947 kam ich in den Betriebsrat der Polizeiinspektion Tiergarten, außerdem gehörte ich zur Betriebsgewerkschaftsleitung. Wir konnten nur wenig zur Festigung der beruflichen Stellung unserer Kollegen tun. Es gab nur Pflichten und keine Rechte. Im wesentlichen bemühten wir uns deshalb um soziale Hilfen. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund hatte den Spitznamen »Freier Deutscher Gemüsebund«, weil die Beschaffung von Gemüse damals eine gewerkschaftliche Leistung war.
Innerhalb des FDGB war eine Gegenbewegung entstanden, um der Dominanz der Kommunisten Paroli zu bieten. Eine unabhängige Gewerkschaftsopposition (UGO), hauptsächlich gestützt durch Polizeiangehörige, die der SPD angehörten, konnte auch bei der Polizeiinspektion Tiergarten die Mehrheit im Betriebsrat erringen.
Nach der Teilung der Gewerkschaft wurde die UGO der Vorläufer des Landesbezirks Berlin des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Es gelang jedoch nicht, innerhalb dieser Organisation eine eigene Polizeigewerkschaft durchzusetzen. Die UGO-Betriebsgewerkschaftsleitungen der Polizei bereiteten daraufhin die Gründung einer eigenen Interessenvertretung vor.
Am 23. Juli 1948 versammelten sich die Vertrauensleute aller Polizeidienststellen in der »Kampfstätte« der Berliner Gewerkschaften, in »Kliems-Festsälen«. Einmütig wurde dort der Beschluß gefaßt, den Verband der Polizeiangehörigen Groß-Berlin zu gründen. Aus diesem Verband entstand später der Landesbezirk Berlin der Gewerkschaft der Polizei.
Ebenfalls im Juli 1948 wurden die bei den Polizeiinspektionen bestehenden Überfallkommandos durch Funkwagen abgelöst. Jede Inspektion erhielt zunächst einen Funkwagen. Ich war sehr stolz, zu den ersten Funkwagenbesatzungen zu gehören. Die Funkwagen waren übrigens Leihfahrzeuge aus alliierten Beständen.
Die Teilung der Berliner Polizei wurde 1948 in der Praxis nur allmählich umgesetzt. Zunächst sprachen die Kollegen hüben und drüben an der Sektorengrenze noch miteinander, bis eines Tages die Ostseite dort Polizeiangehörige aus Sachsen einsetzte, die dann befehlsgemäß jeden Kontakt mit dem »Klassenfeind« ablehnten.
Neben dem Funkstreifendienst bestand ein gut funktionierender Straßenaufsichtsdienst. Alle Straßen und Plätze waren in ein Streifen- und Postennetz einbezogen, das weitgehende Sicherheit für die Bevölkerung gewährleistete. Die Schutzpolizei konnte auf diese Weise ihre Aufgabe hervorragend erfüllen, durch Prävention strafbare Handlungen möglichst schon im Ansatz zu verhindern. Da noch keine speziellen Polizeigesetze erlassen worden waren, beriefen sich die Schutzpolizisten bei der Dienstausübung auf die Berliner Straßenordnung beziehungsweise das Allgemeine preußische Landrecht, wo bestimmte Ordnungsprinzipien vorgeschrieben waren. Besondere Sektionswachtmeister überwachten die Einhaltung dieser Regelung.
Die wichtigste Dienststelle war das Polizeirevier mit dem Revierkriminalbüro als Anlaufstelle für die Bürger. Mit diesem Netzwerk konnte auch die im Chaos des Jahres 1945 entstandene Schwerst- und Bandenkriminalität in den folgenden Jahren erfolgreich bekämpft werden.