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Taras Antypowytsch

Ein mit Milch und Käse freigekauftes Leben

Die Rettung meines Opas, Iwan Tymofijowytsch Denysko, haben wir einem estnischen Hauptmann zu verdanken, der seine Soldaten nicht in eine sinnlose Schießerei gegen deutsche Maschinengewehre schickte, dem Hofherrn Lazis, der ihn für Milch, Käse und Butter von den Deutschen freigekauft hat, und einem unbekannten Mann, der in einer Bescheinigung vom Spital schrieb, dass Opa in der Armee die Position des Schreibers im Hauptquartier innehatte und so geprüft worden war.


Mein Opa aus der Oblast Poltawa, Iwan Tymofijowytsch Denysko (1922 – 1992), hat im Zug vom Beginn des Zweiten Weltkriegs erfahren. Dieser brachte die Rekruten aus der Ukraine in die Rote Arbeiter- und Bauernarmee zum neu vom kommunistischen Imperium eingenommenen Gebiet – in das Baltikum.

Sie bekamen auf die Schnelle vorsintflutliche Gewehre, man zeigte ihnen, wie sie den Abzug drücken mussten – und schickte sie in die Schlacht gegen die Deutschen. Die Kämpfe auf lettischem Territorium endeten für meinen Opa und seine Waffenbrüder (oder eher Brüder ohne Waffen) in einer Einkesselung. Sie versuchten zu fliehen, liefen durch Wälder und Moore nach Osten.

Eines Nachts waren sie erschöpft im Gehölz eingeschlafen. Opa wachte vom Geräusch von Motorrädern auf. Er sprang auf und sah, wie ihr Kommandeur mit einer weißen Fahne im Wald stand – der estnische Hautpmann, und Deutsche mit Maschinengewehren und Motorrädern hatten das Wäldchen eingekesselt. Widerstand war zwecklos. Danke an den estnischen Hauptmann, der seine Jungs nicht in eine sinnlose Schießerei gegen die motorisierte Armada von Soldaten mit Maschinengewehren geschickt hatte.


Mein Opa Iwan Denysko mit meiner Oma Maria – damals noch seine Verlobte. 1947

In Opas Tasche war ein Häuflein Zucker. Dieses Häuflein, gemischt mit etwas Wasser, war einige Tage lang seine ganze Nahrung im Kriegsgefangenenlager.

Währenddessen hatten die Deutschen die Gefangenen auf die lettischen Höfe verteilt, deren Besitzer das Reich mit Lebensmitteln versorgen sollten und dafür zusätzliche Arbeitskräfte bekamen.

Opa hatte Glück. Sein Herr Lazis vom Hof mit dem gleichen Namen war ein anständiger und gerechter Mensch. Als er sah, dass Opa jede Arbeit machen konnte und gewissenhaft und ordentlich war, begegnete er ihm auf Augenhöhe. Sie aßen am gleichen Tisch zu Mittag, arbeiteten auf demselben Feld.

Doch es waren wahrscheinlich Opas Kosakenwurzeln, die vermutlich aus Krementschuk stammen, die ihm nicht erlaubten, mit einer solchen, auf den ersten Blick komfortablen, Gefangenschaft zufrieden zu sein. Eines Tages floh er mit einem anderen Gefangenen naiverweise … nach Osten, in die Ukraine.

Natürlich hatten die Deutschen sie sehr schnell geschnappt. Sie wurden stark verprügelt. Man hätte Opa getötet, wenn Herr Lazis ihm nicht zu Hilfe gekommen wäre. Er lud Eier, Milch, Käse und Butter auf einen Wagen – alles, was er mitnehmen konnte – und fuhr los, um Iwan Denysko von den Deutschen freizukaufen. Und er schaffte es. Sein Kamerad wurde wohl doch getötet, denn nach dem Krieg hat Opa ihn nicht wiedergefunden.

In den von Deutschen befreiten Gebieten wurden die Gefangenen wieder eingesammelt und in die Reihen der Roten Armee mobilisiert. Man ging mit ihnen nicht so um wie mit anderen Soldaten: morgens verteilte man Waffen und nahm sie ihnen abends wieder weg.

Als die Deutschen sich aus Lettland davonmachten, wurden die Gefangenen aus den Höfen wieder eingesammelt und in die Rote Armee mobilisiert. Opa fiel die Rolle zu, an den Schlachten in Richtung Königsberg teilzunehmen.

Er erinnerte sich immer mit Bitterkeit daran, wie man mit ehemaligen Gefangenen umging: morgens gab man ihnen Waffen und sammelte diese abends wieder ein. Auf dem Schlachtfeld waren sie demnach alle gleich, ansonsten jedoch Menschen zweiter Klasse.

Am 9. Oktober 1944 wurde Opa am Bein verletzt. Bombensplitter rissen ihm einen Teil Knochen und Wade heraus. Der Fahrer, der ihn ins Spital brachte, hat gesagt:

„Sei diesem Splitter dankbar, denn du lebst noch, und hast schon ausgekämpft.“

Doch Opa dankte diesem Splitter nie, denn die Wunde ging seitdem jeden Sommer auf und verheilte immer langsamer, bis sie ihn ins Jenseits begleitete.

Nach dem Krieg arbeitete er auf dem Mähdrescher. In seinem Heimatdorf Sahruniwka in der Oblast Poltawa brachte er allen Bewohnern bei, Heu nur auf der Raufe zu lagern, wie man es in Lettland macht, und nicht auf dem Boden, wo es feucht wird und rottet.

Die, die in den Gebieten waren, die vor dem Krieg der UdSSR einverleibt wurden, erzählten von den Verbrechen der sowjetischen „Befreier“: sie flüchteten so eilig vor den Deutschen, dass sie die erschossenen politischen Gefangenen nicht mehr begraben hatten. Während der Schlachten zersetzten sich die Leichen in der brennenden Sonne.

Seiner Familie erzählte er von den schrecklichen Taten der Moskauer „Befreier“ des lettischen Volkes im Sommer 1941. Sie erschossen damals alle politischen Gefangenen, und flohen so schnell vor den Deutschen, dass sie es nicht einmal schafften, sie zu begraben. Als die Kämpfe in vollem Gang waren, zersetzten sich die Leichen in der brennenden Sonne.

Abgesehen vom estnischen Hauptmann und Herrn Lazis ist Opas Leben einem unbekannten Mann zu verdanken, der Opa im Spital eine Bescheinigung ausstellte, dass dieser im Hauptquartier Schreiber wäre. Opa war nie Schreiber gewesen, selbst seine Schrift eignete sich überhaupt nicht für so einen Posten. Offensichtlich war der Mann von Mitgefühl für den Jungen erfüllt, der so sehr nach Hause wollte und nicht wusste, wie es den ehemaligen Gefangenen ergehen würde, die auf den Gutshöfen der Lazis arbeiteten. Opa wurde ein Posten „zugeschrieben“, der zum „Blitzableiter“ werden sollte: er diente im Hauptquartier und war daher geprüft.

Und tatsächlich entging Opa der Verfolgung.

Übrigens schrieb man, als Opa im Krankenhaus lag, eine Todesmeldung über ihn und schickte sie an seine Mutter, meine Uroma Oleksandra Karpiwna Denysko. Wenn der Brief aus dem Spital diese Nachricht nicht überholt hätte, dann wäre Uroma wahrscheinlich verrückt geworden vor Trauer. Denn es gingen drei Todesmeldungen gleichzeitig bei ihr ein: von ihren Söhnen Iwan und Petro sowie ihrem Vater Tymofij Josypowytsch Denysko. Die Formulierung war immer gleich:

„Wird an der Front seit Dezember 1943 vermisst.“

Tatsächlich ist Opas Bruder Petro, den man als Lehrer 1940 in den Grenzschutzdienst bei Brest einberufen hatte, in den ersten Kriegstagen gefallen.

Uropas Tymofijs Geschichte war dagegen noch tragischer. Ihn und andere ältere Herren aus Sahruniwka mobilisierte man in die Nachschubtruppen der Armee. Uropa wurde Stallbursche in der Konsumgenossenschaft im Dorf Narymaniw in der Oblast Astrachan. Er transportierte Waren in Läden. Für die gesparten Kopeken kaufte er chromgegerbtes Leder für Stiefel, um bei seiner Rückkehr seine Familie mit Schuhen zu versorgen. Man sagt, dass lokale Banditen ihn deswegen umgebracht hatten. Nachdem er deutsche Kugeln vermieden hatte, ist er Opfer irgendwelchen Gesindels an der Wolga geworden.

Der Zweite Weltkrieg in der Ukraine

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