Читать книгу Der Zweite Weltkrieg in der Ukraine - Vakhtang Kipiani - Страница 8

Оглавление

Dmytro Krapywenko

„Die Infanterie lief zurück, doch wir waren schon an der Position, also traten wir nicht mehr den Rückzug an“

Mein Großvater mütterlicherseits, Iwan Serhijowytsch Michejew, ein ehemaliger Kraftfahrer im Krieg, erinnert sich auch ein halbes Jahrhundert später an jedes Städtchen auf dem Weg nach Uman, als wäre er erst gestern dort gewesen … Und von meinem Großvater väterlicherseits, Petro Fedorowytsch Krapywenko, habe ich unzählige Medaillen, einen Orden des Vaterländischen Krieges und eine alte, etwas angestaubte Familiengeschichte geerbt.


Iwan Serhijowytsch Michejew: „Ich weiß noch, wie die Deutschen diese Station bombardiert haben. Das war genau wie man in Büchern schreibt, Himmel und Erde brannten“

„Ich weiß noch, wie die Deutschen diese Station bombardiert haben. Das war genau wie man in Büchern schreibt, Himmel und Erde brannten“, erinnert sich mein Opa, als wir in Popilna anhalten. Es ist 1995, wir sind im Bus Korosten-Uman unterwegs zur Hochzeit meiner großen Schwester Marina.

Es ist ein halbes Jahrhundert her, aber er, der damalige Kraftfahrer an der Front, kennt jedes Städtchen noch, als wäre er gestern hier gewesen.

„In Skwyr hat uns die Hausherrin zum Schnaps eingeladen, das war wohl das erste Mal für mich, und wie schlecht es mir am Morgen ging“, lacht er. „Und in Bila Zerkwa haben wir uns mit der Polizei geprügelt, sie hatten uns zu oft ermahnt.“

Mein Großvater mütterlicherseits, Iwan Serhijowytsch Michejew, ist immer schlagfertig im Gespräch, selbst wenn er vom Krieg redet. Nicht, weil er so witzig für ihn gewesen sei. Es ist einfach sein Glück – ich denke, genau dieses hat ihm in schweren Stunden an der Front geholfen.


Mit seinen 86 Jahren fühlt sich Opa Iwan noch jung und verlässt nicht einmal das Steuer.

Wie viele junge Leute damals wollte auch Iwan Michejew zum Fliegerclub gehen und Pilot werden, doch es kam so, dass er stattdessen zum Kraftfahrer ausgebildet wurde.

„Das war auch besser so“, sagt Iwan jetzt. „Sonst wäre ich in den ersten Tagen des Krieges im Gebüsch verbrannt.“

In seiner Heimat, dem Rajon Juriew-Polskyj, Oblast Wladimir (Russland) wurde im Juni 1941 eine Schützendivision formiert, die bei der Verteidigung von Smolensk fast komplett gefallen ist. Doch Opa Iwan wurde als gebildetes Mitglied des Komsomol1 in die Schule für militärpolitisches Kader geschickt, das aus Leningrad evakuiert worden war.

Wer weiß, welche Sterne der frischgebackene Politoffizier Michejew für seine Uniform erhalten hätte … doch die schnelle deutsche Offensive machte ihm einen Strich durch die Rechnung.

Nach einigen Monaten des Lebens als Kursant2 mit kaserneninternen Verfeindungen zwischen „Städtern“ und „Dörflern“, mit der „Dunkelkammer“ (wenn einem ein Mantel übergeworfen wird und alle auf einen einprügeln) für den besonders wütenden Unteroffizier, musste er dann doch an die Front, in die Infanterie, als Schütze.

„Die Stadt Lenins ist in Gefahr“, sagte der Kommissar in seiner Abschiedsrede.

Die schlimmsten Erzählungen I.S. Michejews drehen sich um die Wolchower Front: „Horden an Leichen: junge dunkelhäutige Jungs, Spanier aus der Blauen Division. Es schien, als hätten sie gar nicht gekämpft, sondern wären nur erfroren. Und bei uns schaffte es kaum ein Soldat bis zum dritten Angriff.“

An den Januar 1942 hat Opa die schlimmsten Erinnerungen. Die Front bei Wolchow. Hunger. Mangel an Waffen und Munition. Frost, unüberwindbare Nowgoroder Moore.

„Horden an Leichen: junge dunkelhaarige Jungs, Spanier aus der Blauen Division. Es schien, als hätten sie gar nicht gekämpft, sondern wären nur erfroren“, erinnert sich Opa Iwan. „Und bei uns schaffte es kaum ein Soldat bis zum dritten Angriff.“

Während eines solcher Angriffe explodierte ganz in der Nähe eine deutsche Mine – die Splitter bohrten sich ins Bein, manche konnten nicht einmal die Ärzte im Spital herausziehen. Die Wunden zog er sich im Februar zu, und schon im April war die Armee meines Opas in einen Kessel geraten, in einer Ortschaft mit einem furchtbaren menschenfressenden Namen – Mjasnoj Bor [Fleischwald – Anm. d. Übers.].

Es war die 2. Stoßarmee, deren Reste, geführt von General Wlassow, in Gefangenschaft geriet, der später mit den Nazis kollaborieren und die berüchtigte Russische Befreiungsarmee gründen würde. Nur ein kleiner Haufen Soldaten konnte sich aus der Einkesselung befreien und den Beschützern Leningrads anschließen.

Im Spital gab es „ständig Hirsesuppe“ und eine Kinokomödie aus der Vorkriegszeit anstelle des Abendessens. Umformierung, Umzüge … Und schon wurde Iwan Michejew Fahrer bei Kursk in einer Artilleriebrigade von „Katjuschas“3.

Den ersten Ruhmesorden bekam er für die Schlacht bei Prochorowka, den zweiten für Ochtyrka:

„Die Infanterie lief zurück und deckte uns nicht, doch wir waren schon auf der Position und traten nicht mehr den Rückzug an“, erklärte mir Opa Iwan endlich, nachdem ich nach einigen seiner Versuche, mit Witzen sich um die Antwort zu drücken, immer noch nicht lockerließ.

Die im Frühlingsschlamm bei Schepetiwka zurückgelassene deutsche Militärtechnik, eine Steppe, in der man sich nirgendwo vor den Bombern verstecken kann, die schweren Leiden des am Bauch verletzten Zugführers bei Proskurow4, verbitterte Kämpfe um Schytomyr, die Tränen der verängstigten gefangenen Volksstürmer, Verletzungen in den letzten Tagen des Krieges … Hunderte langer Frontkilometer.

Und gleichzeitig waren sie gut drauf, die Kampfkameraden: Jungs aus Podillja, ehemalige Matrosen, die noch vor dem Krieg in der Flotte dienten und zur Landartillerie geschickt wurden, ulkige Polen in kurzen Hosen, das erste Restaurant, das er in Krakau mit eigenen Augen gesehen hat. Das Witzige und Tragische vermischt sich in den Erzählungen Opa Iwans – das kann nicht einmal jeder talentierte Drehbuchautor. Nun, Opa hat den Krieg nicht nur auf dem Bildschirm gesehen.


An meinen Opa väterlicherseits, Petro Fedorowytsch Krapywenko, erinnere ich mich kaum; er starb, als ich erst acht Jahre alt war. Von ihm habe ich seine unzähligen Medaillen, den Orden des Vaterländischen Krieges und eine alte Familiengeschichte geerbt.


Eine Reihe von Orden ist alles, was mir von meinem Opa Petro aus Kuban geblieben ist. Unter den Medaillen ist der Orden des Vaterländischen Krieges, und der wurde nicht einfach so vergeben.


Petro Krapywenko, ein junger Kerl aus Kuban, gelangte kurz nach Kriegsbeginn an die Front. Genau wie Opa Iwan war auch er Kraftfahrer. Bei der Schlacht um den Kaukasus wurde er verletzt und geriet in Gefangenschaft. Er floh und kämpfte entweder bei den slowakischen oder tschechischen Partisanen, dann schloss er sich der Roten Armee an.

Doch nach dem Krieg erinnerten ihn die „zuständigen Beamten“ an die Gefangenschaft und schickten ihn in den Ural.

Ich weiß nicht, ob es wegen der Deportation oder der Zwangskollektivierung5 und der Repressionen war, unter denen die ansonsten gut betuchte Familie Krapywenko gelitten hatte, aber Opa Petro hasste Stalin von ganzem Herzen.

Nach dem Aufenthalt im Ural kam er nach Tiflis, wo er lange als Busfahrer arbeitete. Unter georgischen Fahrern war es damals in Mode, das Porträt des „Koba“6 in der Kabine aufzuhängen. Petro Krapywenko machte nicht mit und es kam sogar vor, dass er sich mit neuen Kollegen prügelte, die versuchten, Stalin im Bus aufzuhängen.

Petro Fedorowytsch Krapywenko hasste Stalin - entweder wegen der Deportation oder der Kollektivierung und der Repressionen, unter denen die ansonsten gut betuchte Familie Krapywenko gelitten hatte.

1 Anm. d. Übers.: Kurz für „Kommunistischer Jugendverband“, die Jugendvereinigung der Kommunistischen Partei der Sowjetunion.

2 Anm. d. Übers.: Ein Soldat während seiner Ausbildung an einer Bildungseinrichtung des sowjetischen Militärs.

3 Anm. d. Übers.: Ein sowjetischer Raketenwerfer, auch „Stalinorgel“, der seinen Namen dem bekannten russischen Lied verdankt.

4 Anm. d. Übers.: Heute die ukrainische Stadt Chmelnyzkyj.

5 Anm. d. Übers.: Hier ist der Zusammenschluss von landwirtschaftlichen Betrieben zu Kolchosen, also Großbetrieben in der Sowjetunion und die damit verbundene Enteignung samt Zwangsabgaben gemeint.

6 Anm. d. Übers.: Parteipseudonym von Stalin, benannt nach einem legendären und literarischen georgischen Volkshelden.

Der Zweite Weltkrieg in der Ukraine

Подняться наверх