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Taras Schamajda

„Der Deutsche wollte Opa überreden, seine Tochter zu heiraten … damit die Rote Armee ihn in Ruhe lässt“

Mein Opa, Mykola Wasyljowytsch Kutko, lebte in Lysytschansk in der Oblast Luhansk. Geboren ist er 1921 im Dorf Wilschana des Rajons Dworitschansk in der Oblast Charkiw. Er war Zeuge der Zwangskollektivierung, des Holodomor und aller Schrecken des Krieges. Opa ist 2013 gestorben.

Das Leben vor dem Krieg

Vor der Zwangskollektivierung gehörte die Familie Kutko zu den vermögenden mittelständischen Bauern.

„Wir hatten Land, Vieh, einen großen Garten, haben viel gearbeitet, aber lebten auch gut“, erinnert sich Opa. „Doch 1929 begannen die Kommunisten, den Leuten alles wegzunehmen. Sie nahmen uns einen schönen Pflug, Ochsen, Pferde – alles.“

Opa Mykola Wasyljowytsch Kutko kann bis heute nicht ohne Tränen vom Holodomor sprechen:

„Die Kommissare nahmen uns alles weg, was sie ko

Mykola Wasyljowytsch Kutko:

„Die Kommissare nahmen uns alles weg ... Die Kommunisten schnüffelten mit ihren Hunden in jedem Hof herum und suchten nach versteckten Lebensmitteln. In Russland ... gab es so etwas nicht, und die Leute gingen dorthin, um Gold und Taufkreuze für Brot einzutauschen, doch sie wurden an der Grenze angehalten ... und zum Sterben zurückgeschickt.“

nnten: Brot, jedwedes Essen, alle Äpfel bis auf den letzten. Die Leute gruben gefrorene Rüben aus den Feldern aus. Auf den Straßen lagen überall Leichen. Die Kommunisten schnüffelten mit ihren Hunden in jedem Hof herum und suchten nach versteckten Lebensmitteln.

In Russland, in unserem Nachbarland, gab es so etwas nicht, und die Leute gingen dorthin, um Gold und Taufkreuzanhänger für Brot einzutauschen, doch sie wurden an der Grenze angehalten und von den Zügen und Wagen geworfen. Man nahm ihnen alles ab und schicke sie zum Sterben zurück.“

In Mykolas Familie sind seine Tante, sein Onkel, sein Opa und seine Oma gestorben. Vater und Mutter wurden krank und starben ebenfalls einige Jähre später. 1937 nahm die Tante den Jungen mit nach Lysytschansk und überzeugte die dortigen Bergarbeiter, ihn als Waisen in die Ausbildung aufzunehmen. Seitdem lebte er im Donbass und 1939 arbeitete er im Melnykow-Bergwerk, wohin er auch nach dem Krieg zurückkehrte und mehr als ein halbes Jahrhundert als Bergmann tätig war.

Rückzug

Mykola wurde im Mai 1941 in die Armee einberufen, und im Juni begann der Krieg. Er diente damals in der Ausbildungsabteilung des Luftregiments bei Kolomyja.

Es gab nicht genug Fahrer für den Rückzug der Menge an Fahrzeugen, daher engagierte man Mykola als Assistent eines Kraftfahrers.

„Wir sind hinter den sich zurückziehenden Panzerverbänden in Richtung Kyjiw gefahren“, erinnert sich Opa. „Unsere Flugzeuge waren in Kamjanez, und alles wurde in den ersten Tagen des Krieges zerstört, damals fing man an, uns zu bombardieren. Die ‚Messerschmitts‘ tauchten plötzlich auf, schossen auf die Fahrzeuge … Die Straßen rauchten und waren mit kaputtem Gerät versperrt, die Massen, die Massen an Toten wurden durch die Gegend gekarrt …“

Als das Autobataillon sich zurückzog, waren wir nur nachts unterwegs; für eingeschaltete Scheinwerfer drohte Erschießung. Es kam deshalb vor, dass Wagen umkippten.

Beim Rückzug nach Osten brannten sie in Schytomyr eine Tankstelle nieder, damit die Deutschen sie nicht kriegen.

„Unser Autobataillon, bis zu 80 Autos, kam nicht mehr hinterher und versuchte, in diesem Chaos zu seinem Regiment aufzuschließen – mit Treibstoff und Patronen, aber ohne Lebensmittel. Damit uns die deutsche Luftwaffe nicht bemerkte, waren wir nur nachts unterwegs; wer seine Scheinwerfer einschaltete, dem drohte die Todesstrafe.

Doch ohne Scheinwerfer war es sehr schwierig. An der Desna ist ein Wagen im Regen umgekippt, wir haben ihn kaum herausziehen können. Erst bei Bila Zerkwa konnten wir unser Regiment aufholen, nach der Rückkehr aus Tschernihiw.“


Mein Opa Mykola Kutko. 1945

In Gefangenschaft

Im September 1941 ist die Kolonne in der Oblast Charkiw in einen schweren Bombenangriff geraten. Viele Menschen sind gestorben und Opa wurde am Kopf verletzt. Er wachte erst in der Kriegsgefangenschaft auf.

Die Deutschen schossen auf die Gefangenen oder schlugen sie mit Gewehren. Zuerst wurden sie zu Fuß getrieben, dann in Waggons gesetzt und nach Holm gebracht. Dort überwinterten sie in Gruben. Polen und manchmal Ukrainer aus der UdSSR konnten freigelassen werden, Russen aber nicht.

„Wir wurden jeweils zu fünft in einer langen Kolonne aufgereiht. Neben mir haben Leute geweint und in der Kolonne nach ihren Lieben gesucht. Wer auf das Wort ‚Sohn!‘ hörte, wurde von den Deutschen erschossen oder mit Gewehren geschlagen. Das Wetter war trocken, über der Kolonne eine Menge Staub. Erst wurden wir zu Fuß nach Westen getrieben, dann in Waggons gesetzt und nach Schytomyr gefahren, und ein paar Tage später nach Holm.“

Den Winter 1941 – 1942 verbrachte Mykola Kutko in Holm (das heute zu Polen gehört). Sie überwinterten in Gruben, die in die Erde gegraben wurden. Viele Leute kamen und wollten die Gefangenen zu sich holen. Die Deutschen entließen polnische Staatsangehörige aus der Gefangenschaft, manchmal auch Ukrainer aus der UdSSR, besonders wenn deren Verwandte mit Papieren angereist waren, aber die Russen ließen sie nicht frei. Aus Holm wurden Opa und die anderen weiter in ein Konzentrationslager 120 Kilometer von Berlin entfernt gebracht, danach in ein anderes Lager in der Nähe von Fürstenberg, wo sie den ganzen Winter bleiben mussten.

„Im Frühjahr 1942 wurden wir aus Strahlrohren ‚gebadet‘ und in die Stadt gebracht. In Fürstenberg suchten sich die deutschen Bauern Gefangene aus. Jeder, der Gefangene auf seinem Hof aufnahm, trug die persönliche Verantwortung für sie. Unser Herr war nicht geizig – er ließ uns im Kornspeicher wohnen und erlaubte uns, Lebensmittel zu nehmen und Essen zu kochen. Wir waren zu zehnt, hauptsächlich Ukrainer.“

Die Tatsache, dass Opa sich noch aus dem Donbass mit deutscher Elektrotechnik auskannte und ein wenig Deutsch sprach, sorgte dafür, dass er in eine „privilegierte Position“ kam: im Feld arbeitete er kaum, sondern blieb zu Hause und wartete die Ausrüstung.

Die wundersame Rettung

1942 erkrankte Mykola an Fleckfieber. Viele Leute starben daran, und es schien, als würde auch ihm dieses Schicksal zuteilwerden. Im Spital für Kriegsgefangene in Guben wurde Mykola bewusstlos, und als er die Augen aufmachte, wurde er schon als hoffnungsloser Fall in die Leichenhalle gebracht.

Gerettet hatte ihn eine Begegnung, die man nur ein Wunder nennen kann.

„Als man mich zur Leichenhalle brachte, bemerkte dies ein Polizeimajor, ein Ukrainer, und sagte: ‚Wo bringt ihr ihn hin? Er lebt doch noch!‘ Dann beugte er sich über mich und fragte:

‚Wo kommst du her?‘

‚Aus der Oblast Charkiw‘, sage ich.

‚Aus welchem Rajon?‘

‚Aus Dworitschansk.‘

‚Und aus welchem Dorf?‘

‚Aus Wilschany.‘

‚Zu wem gehörst du denn?!‘

Ich antwortete ihm.

‚Sofort umdrehen!‘ – befahl der Polizist. Man brachte mich umgehend ins Krankenhaus, wo der Unbekannte sagte:

‚Passt mir auf diesen Mann auf!‘, und zu mir sagte er: ‚Ich bin Hryzko Tschubenko, merk‘ dir das.‘

Später fand ich heraus, dass das mein Onkel war. Diese wundersame Begegnung rettete mir das Leben. Ich wurde mit Fischfett gesund, und Tschubenko sah mehrmals nach mir. Später klagten die Deutschen ihn wegen irgendwelcher Zuwiderhandlungen an und erschossen ihn.“

Im Krankenhaus

Als Opa wieder gesund war, wurde er zum Aufseher im Krankenhaus und lebte zwei Jahre dort. Er lernte noch besser Deutsch – und das half ihm in vielen Situationen aus der Patsche.

Die sowjetischen Gefangenen hatten nicht genug zu essen, weil sich Stalin im Gegensatz zu den Regierungen anderer Länder weigerte, sie über das Rote Kreuz versorgen zu lassen. Franzosen versorgten sie, dann trafen aus den USA Pakete ohne Empfänger­namen mit Lebensmitteln ein.

Die Gefangenen hatten nicht genug zu essen, besonders die sowjetischen. Die Franzosen teilten ihr Essen mit ihnen. Dann trafen aus den USA Pakete ohne Empfängernamen für die sowjetischen Gefangenen ein.

Mykola lernte Deutsche in der Küche kennen und konnte daher Essensreste mitnehmen – einige Liter Suppe, die er den Gefangenen im Spital gab. Er versorgte auch die Ärzte, die ebenfalls sowjetische Gefangene waren.

„Im Spital kannte man mich und ließ mich überall hinein. Ich freundete mich mit den Franzosen und Jugoslawen an, die auch in unserem Spital arbeiteten“, erzählt Opa. „Die Franzosen durften sich überhaupt in der ganzen Stadt frei bewegen. Ich weiß noch, wie der französische Arzt und Major sich immer auf Deutsch mit unserem Chirurgen Rajskyj aus Melitopol über die Operationen beraten hat.“

Währenddessen kam die Front immer näher an Deutschland heran.

„Die amerikanische Luftwaffe bombardierte die Nachbarstadt Cottbus so, dass die Erde bebte. Etwa 20 Bomber waren unterwegs, und drumherum noch mehr Jagdflugzeuge als Beschützer“.

Mykola Wasyljowytsch Kutko:

„Im Spital ... erinnere ich mich, wie der französische Arzt und Major sich immer auf Deutsch mit unserem Chirurgen Rajskyj aus Melitopol über die Operationen beraten hat.“

Die Gefangenen im Spital wurden nicht so gründlich bewacht, und Mykola Kutko beschloss zusammen mit einem verletzten sowjetischen Piloten, zu fliehen. Sie bereiteten sich vor und verließen nachts das Krankenhaus. Doch sie stießen auf einen Polizisten, der die Straße entlangfuhr.

„Der Pilot stürmte nach links, ich blieb stehen, und der Polizist bemerkte mich. ‚Halt! Wo kommst du her?‘, fragte er mich. Ich sagte ihm, dass ich im Arbeitszimmer eingeschlafen sei und jetzt zum Spital Nr. 104 müsse. Der Polizist brachte mich zum Spital: ‚Hier habt ihr euren Mann.‘ Die Wachen kannten mich und schöpften daher keinen Verdacht.“


Mein Opa ist 89 Jahre alt, doch an die Vergangenheit erinnert er sich sehr gut

Ein unerwartetes Angebot

Im Frühjahr 1945 lud Michael, ein Wächter aus dem Spital, Mykola plötzlich zu sich nach Hause ein.

„Als wir ankamen, brachte seine Frau uns etwas zu essen. Und er sagte zu mir:

‚Ich habe eine 18-jährige Tochter und sonst niemanden. Lass mich dich als ihren Ehemann eintragen.‘

Er dachte, dass die sowjetische Regierung ihn nicht anrühren würde, wenn er zur Familie eines Mitglieds der Roten Armee gehörte. Die Deutschen hatten große Angst um ihre Familien, denn unsere Soldaten richteten tatsächlich so einiges in Deutschland an, das habe ich später mit eigenen Augen gesehen.

‚Die Sowjets werden mich doch sofort erschießen!‘, sagte ich zu ihm. ‚Und dich auch.‘

Aber Michael glaubte mir nicht und versuchte, mich zu überreden, seine Tochter zu heiraten, versprach mir Kleidung und Geld. Der Mann konnte nicht verstehen, dass für die sowjetische Regierung alle Gefangenen Verräter waren, und wer sich mit einem feindlichen Soldaten verbandelte, der konnte erst recht nicht weiterleben.“

Die Befreiung

Im April 1945 nahm die Rote Armee das Spital ein. Niemand wusste, welches Schicksal einen erwartete. Viele Gefangene und Ostarbeiter versuchten, nach Westen zu fliehen. Überall schnüffelten die Spezialeinheiten herum und suchten nach sowjetischen Bürgern.

Im Spital hörte man, dass in anderen von den Sowjets eingenommenen Gebieten Gefangene oft als Volksfeinde verhaftet oder sogar erschossen wurden. Doch Opa und seine Kameraden hatten Glück. Jeder wurde auf die Schnelle verhört, in einer Badestube gewaschen und mit einer Uniform versehen. Sogar die Polizisten, die nicht an den Verbrechen der Nazis beteiligt waren, wurden in der Roten Armee aufgenommen. Mykola Kutko wurde gleich der Rang des Oberfeldwebels verliehen. In Deutschland diente er bis 1946.

Im Februar 1946 wurde Opa zusammen mit anderen Bergarbeitern demobilisiert. Die Bergwerke des Donbass, die die Rote Armee beim Rückzug gesprengt oder geflutet hatte, mussten erneuert werden.

Interessant war, dass er während des gesamten Krieges nicht den Eid der Roten Armee abgelegt hatte: der Krieg hatte ihn in der Ausbildung überrascht, und danach hatten die Kommandeure nicht mehr die Zeit dafür gehabt.

Der Zweite Weltkrieg in der Ukraine

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