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Pawlo Solodko

Während der Trennung durch den Krieg haben Oma und Opa sich 250 Briefe geschrieben

Meine Oma väterlicherseits, Nadija Oleksijiwna Nejischschala, lernte meinen Opa, Pawlo Andrijowytsch Solodko, während der Besatzung kennen. Ich habe sie gebeten, mir mehr über diese romantische Geschichte vor der Kulisse des blutigen Weltkrieges zu erzählen. Von meinem verstorbenen Großvater gibt es Erinnerungen an die Front – ich habe sie an die Erzählungen meiner Oma angepasst.


Die Schlacht bei Charkiw war nicht so gut organisiert. Am 12. Mai 1942, als die sowjetischen Streitkräfte in die Offensive übergingen, hatte niemand vor der Gefahr einer Einkesselung gewarnt.

Oma Nadja hat ihren Schulabschluss in Bachmatsch (Oblast Tschernihiw) im Juni 1941 gemacht. Genau zur gleichen Zeit wie mein Opa Pawlo, aber dieser war in Kurin (ein Dorf bei Bachmatsch) zur Schule gegangen und hatte seine Abschlussfeier am 22. Juni. Sie lernten sich da noch nicht kennen, denn im August wurde Opa in die Armee einberufen. Er war neunzehn Jahre alt.


***

Im November 1941 begann unser Rückzug von der Oblast Luhansk in Richtung Stalingrad1.

Wir waren vor allem nachts unterwegs, zu Fuß. Manchmal legten wir 60 Kilometer pro Nacht zurück, geschlafen wurde im Gehen. Bei uns trugen wir Rucksäcke. Es regnete, der Zeltmantel half kaum. Wenn es im Morgengrauen fror, wurde der Mantel zum Panzer.

Unsere Kanonen wurden von Pferden gezogen. Wir konnten schon kaum gehen, und da blieb zu allem Überfluss noch eine Kanone stecken. Wir griffen sie von allen Seiten – einige zogen an den Rädern, andere am Pferdegeschirr.


1941 und 1943 sind aus Kurin etwa 1,5 Tausend Personen an die Front gegangen. 867 sind nicht zurückgekommen.

Als wir am Dorf ankamen, waren die Offiziere mit den Wagen und Lebensmitteln nicht da. Man hatte da noch nicht überall in den Kolchosen die Kartoffeln geerntet – und das hat uns gerettet.

Während des Rückzugs 1941 hatten die hungrigen sowjetischen Soldaten Glück, dass die Kartoffeln noch nicht überall geerntet worden waren.

So waren wir etwa 750 Kilometer gegangen. Dafür ging es mit dem Zug zurück. Am 12. Mai 1942 gingen wir in die Offensive – das war die Schlacht bei Charkiw. Soweit ich das mit meinem Soldatenverstand beurteilen konnte, haben unsere Oberkommandeure sie nicht auf die beste Art und Weise organisiert.

Niemand sprach darüber, dass uns eine Einkesselung drohte. Als man uns am 22. Mai eine trockene Ration für vier Tage gab und uns ermahnte, sie auf acht Tage aufzuteilen, begannen wir zu ahnen, dass wir im „Kessel“ waren.

Eines Mittags Ende Mai sah ich, wie auf unserer Position ein Schwarm „Junkers“-Flieger landete. Ich fiel in den Graben. Die Deutschen schalteten sogar die Sirenen an, um uns psychisch fertigzumachen. Plötzlich gab es eine schreckliche Explosion, die Luft wich mir aus den Lungen. Ich dachte: wahrscheinlich bin ich jetzt tot.

Was dann geschah und wie lange, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Mein Bewusstsein erlangte ich immer nur für kurze Zeit: ich lag auf der Ladefläche eines Wagens, Nacht, Brand, Schießerei. Die Schüsse hörte ich nicht – ich hatte mein Gehör und Sprachvermögen verloren.

Das war wahrscheinlich ein Krankenwagen. Wie viele Nächte ich darauf gefahren bin, weiß ich bis heute nicht. Endlich wurde ich wach. Ich öffnete meine Augen – ein klarer, sonniger Tag. Im Kopf und in den Ohren herrschte ein furchtbarer Schmerz und Lärm. Ich drehte meinen Kopf: neben mir auf irgendwelchen Lumpen lagen Verletzte und stöhnten. Um mich herum waren Schubkarren, Autos, viele Verwundete, blutige Verbände. Deutsche liefen mit Maschinengewehren herum.

Ich zog meinen Sack hinter dem Rücken vor – er war komplett durchlöchert. Auch im Feldmantel entdeckte ich Löcher von den Bombensplittern. Aber meinen Körper hat keiner davon berührt.

Anfang Juni fand ich mich in Uman wieder, in einem Lager für Kriegsgefangene – der bekannten Umaner Grube. Danach siedelte man uns um ins Lager im Dorf Iwanhorod, bei Chrystyniwka. Dort traf ich Iwan Zybulka, mit dem ich gemeinsam gekämpft habe.

Iwan und ich lernten zwei Gleichaltrige kennen – zwei Männer aus Sibirien, die bei Kertsch gefangen genommen wurden. Zu viert fingen wir an, unsere Flucht vorzubereiten.

Um das Lager im Dorf Iwanhorod bei Chrystynywka waren zwei Reihen Stacheldraht gespannt, und über der Erde war auch so ein Draht. An den Ecken waren Türme. Wenn einer der Gefangenen erschossen wurde, wurde dieser auf Befehl der Deutschen hinter dem Zaun beerdigt und ein Birkenkreuz wurde aufgestellt. Von solchen Kreuzen gab es um das Lager herum bereits etliche.

Um uns herum waren zwei Reihen Stacheldraht, über der Erde ebenfalls Draht. An den Ecken standen Türme. Manch einer versuchte, bei der Arbeit zu fliehen, doch die Schneisen im Feld fielen auf – die Wache schwang sich dann aufs Pferd und holte den Flüchtigen ein. Am Abend erschoss man den Unglücklichen beim Lager. Man beerdigte ihn hinter dem Stacheldraht und stellte unbedingt ein Kreuz aus Birkenholz auf (darauf bestanden die Deutschen). Von solchen Kreuzen gab es um das Lager herum bereits etliche.

Unsere Wohnhöhle befand sich in der äußersten Reihe. In der Nacht gruben wir eine Öffnung bis zum Draht. Die Schuhe und Feldmäntel zogen wir aus. Ich kletterte als Letzter durch über den Zaun.

Als ich die erste Reihe überwunden hatte, hörte ich Schritte. Zwischen den Drahtreihen waren drei Meter. Der Wächter kam näher und mein Herz klopfte, bereit, aus der Brust zu springen. Die Haare standen mir zu Berge und ich dachte: verabschiede dich, Pawlo, mit neunzehn Jahren vom Leben. Ich presste mich an den Boden, und die Schritte des Wächters kamen immer näher. Gleich ist er da, feuert eine Salve aus seinem Gewehr … Diese Minute schien ewig.

Und da war der Wächter neben mir … und ging weiter. Vielleicht bemerkte er mich nicht, oder vielleicht war er ein guter Mensch (uns bewachten Letten) und verschonte mich.

***

Als die Deutschen die Station Bachmatsch-Kyjiwska bombardierten, flogen Metallstücke, verbrannte Holzsplitter und Stofffetzen einige Kilometer. Es brannte fürchterlich: auf der Straße, die zur Station Bachmatsch-Homelskyj führt, standen gleich zehn Häuser in Flammen.

Der Krieg begann mit einem schrecklichen Bombardement. An der Station Bachmatsch-Kyjiwskyj versammelten sich Unmengen von Militärzügen (später sagte man, es sei die Folge einer Sabotage gewesen) und am 14. Juli hat man sie so beschossen, dass Metallstücke, verbrannte Holzsplitter und Stofffetzen sogar bis zu uns gelangten, dabei waren wir mehrere Kilometer entfernt. Es brannte fürchterlich – auf der Straße, die zur Station Bachmatsch-Homelskyj führt, standen gleich zehn Häuser in Flammen.

Die Deutschen hatten seltsame Bomben: zwei zusammengesetzte Tröge, und darin war ein Haufen kleiner Brandbomben. Diese Tröge haben die Leute später als Viehtränken benutzt. Und nach dem Krieg war es beliebt, Hunde aus deutschen Helmen zu füttern.

1941 haben die Deutschen statt einer Kolchose eine Gemeinde geschaffen. Sie zahlten nichts für die Arbeit und nahmen sich das Korn und das Vieh. Eine Schule gab es nicht.

1942 begannen sie, einen Wendekreis für Dampflokomotiven zu bauen, und schickten die Jugend dorthin. Angeleitet wurden sie von alten Deutschen, die nicht mehr für die Front taugten. Eines Tages trieben die Deutschen alle Mädels und Jungs, die zur Arbeit gekommen waren, in einem Laden zusammen, um sie nach Deutschland zu bringen. Aber unsere Jungs, die in der Eisenbahnwehr gedient hatten – in so einer schwarzen Uniform – öffneten diesen Laden. Und sie sagten: „Lauft!“

Die Deutschen suchten nicht nach uns – sie wussten nicht, wer uns freigelassen hatte, und hatten selbst Angst, von unseren Jungs bestraft zu werden.

***

Wohin sollten wir gehen? Mit Geographie kannte ich mich aus. Wir brachen nach Nordosten auf und orientierten uns am Polarstern. Wir beschlossen, uns aufzuteilen – Waskow und ich liefen geradeaus, Zybulko und Wasyl bogen links ab.

Die Deutschen erteilten Befehle, die Kriegsgefangenen, Partisanen und „Agenten der Bolschowiki“ betreffend: den Bewohnern war es untersagt, ihnen Essen und Obdach zu geben. Zuwiderhandlung wurde mit Erschießen bestraft. Denjenigen, der sie verriet, winkte ein Grundstück.

Überall hingen Erlasse der deutschen Regierung aus, die untersagte, Kriegsgefangenen Essen und Zuflucht zu gewähren, den „Agenten der Bolschewiki“. Zuwiderhandlung wurde mit Erschießen bestraft, für eine Auslieferung bekam man ein Grundstück zugeteilt. Es gab wenig hinterhältige Menschen, während der ganzen Reise hat uns niemand verraten.

Einige Male liefen wir der Hilfspolizei in die Hände. Ich gebot Waskow mit seiner russischen Aussprache zu schweigen und redete selbst. Ich zeigte den Hilfspolizisten ein Foto meiner Familie und schilderte unsere Geschichte. Sie ließen uns laufen und gaben uns manchmal sogar Ratschläge, wie man am besten durchkommt.

Ende August 1942 kamen Waskow und ich bis nach Kurin. Der Dorfälteste weigerte sich, ihn anzumelden und schickte uns zum Kommandanten für eine Erlaubnis. Doch Waskow war ein waghalsiger Junge: wenn sie mich einsperren, sagte er, laufe ich wieder weg. Den Krieg überlebte er – 1946 schickte er mir einen Brief aus dem Donbass.

Während der Besatzung betrieb man vor allem Selbstversorgungs- und Tauschwirtschaft. Läden und Poststellen waren geschlossen. Man erzählte sich, dass auf unserem Territorium zuerst die ungarische Armee gewesen war. Sie waren noch grausamer als die Deutschen. So kam es vor, dass eine Person, die aus dem Dorf auf den Markt ging, angehalten und erschossen wurde, ohne jegliche Erklärung.

Ende Februar 1943 führte man in der Region eine Strafexpedition durch. Tausende Menschen wurden erschossen und verbrannt. In Kurin waren es 34, unter ihnen der Rektor unserer Schule, Iwan Schyhyl, Lehrer Anatolij Iwanenko und Lehrerin Lukija Suchodolska, meine Freunde Pawlo Makarenko und Andrij Netschyporenko.

In den besetzten Städten hatten die Läden und Poststellen geschlossen. Die Leute überlebten dank der Selbstversorgungs- und Tauschwirtschaft. Man ging grausam mit ihnen um, wobei die Magyaren und Asiaten, die den Deutschen dienten, am schlimmsten waren - sie setzten Häuser samt ihrer Bewohner in Brand und ermordeten sie.

Der Polizist Wasyl Zyban sagte, dass er den Auftrag habe, auch mich mitzunehmen, aber er redete sich heraus und sagte, er habe mich nicht gefunden.

Die Deutschen gingen grausam vor. Nicht einmal die Deutschen, sondern die Magyaren und Asiaten, die bei den Deutschen dienten – sie waren es, die Häuser niederbrannten und Menschen töteten. Sie mordeten überall – in Bachmatsch und Kurin.


***

Letztendlich wurden doch Kinder nach Deutschland geschickt, diesmal gemäß Listen. Diese erstellte der Gemeindevorstand. Ich stand nicht drauf: mein Vater hatte das irgendwie geregelt. Er ging nicht an die Front, denn er war als Eisenbahner von der Wehrpflicht befreit (wie die meisten Leute aus Bachmatsch, die ihr ganzes Leben bei der Eisenbahn gearbeitet hatten – sowohl unter sowjetischer Herrschaft als auch unter den Deutschen, unter der Weißen Armee von Denikin und der Ukrainischen Volksarmee von Petljura).

Im Oktober 1942 wurde verkündet, dass ein neues landwirtschaftliches Technikum öffne, und wer dort studiert, der komme nicht nach Deutschland. Aus den umliegenden Dörfern ging alle Jugend mit mittlerer Reife in dieses Technikum. Auch Pawlo.

Er wurde auf mich aufmerksam und schicke seinen Kameraden vor, um mich kennenzulernen – der setzte sich zu mir und sagte:

„Nadja, ein Junge möchte mit dir befreundet sein.“

Ich sagte: „Wie heißt er?“

„Solodko.“

Und dein Opa saß ein paar Reihen weiter und beobachtete meinen Gesichtsausdruck.

Wir begannen, uns abends beim Wohnheim zu treffen. Er gefiel mir, weil man mit ihm interessante Gespräche führen konnte. Wir haben uns natürlich nicht sofort geküsst (lacht). Wir waren eben wie Klassenkameraden. Wir sprachen über unsere Bekannten, über Literatur …Alle, die die Mittelschule abgeschlossen hatten, lasen viel, denn es gab ja nichts anderes zu tun.

Beliebt waren unter den Jugendlichen damals russische Klassiker und moderne ukrainische Literatur. Man las die Werke von Iwan Le, Oleksa Desnjak, Oleksandr Kopylenko, Juri Janowski, Juri Smolytsch und Sinajida Tulub.

Die Deutschen zerbombten die örtliche Bibliothek, und meine Freundin und ich nahmen einen Sack voll Bücher mit – nicht einmal die besten. Als „beste“ Literatur bezeichnete die Jugend damals ukrainische Klassiker und moderne ukrainische Literatur.

Iwan Le, Oleksa Desnjak, Kopylenko, die Abenteuerromane von Janowskyj und Smolytsch, „Die Menschenfänger“ von Sinajida Tulub. „Krieg und Frieden“ hatte ich gefunden und Gogols „Tote Seelen“, sogar illustriert.

Als Pawlo erfahren hat, dass ich die zerbombte Bibliothek besucht hatte, freute er sich: „Lass uns Bücher tauschen!“

Ich brachte ihm Bücher aus Bachmatsch, und er mir aus Kurin.

Das Technikum gab es noch bis Dezember, dann eröffnete man dort ein Spital.

Im Mai 1943 rief man alle Studenten angeblich für ein Praktikum zusammen, aber tatsächlich für irgendwelche landwirtschaftlichen Arbeiten. Wir waren auch dort zusammen, und es lief richtig gut. Aber im Juni haben wir uns gestritten.

Pawlo kam mit einem Kumpel zu uns ins Wohnheim, und wir mussten einen Eimer Wasser bringen. Er hat uns nicht geholfen. Ich trug den Eimer selbst und kam danach nicht mehr zu unseren Verabredungen. Nicht, dass er es nicht gemerkt hätte, aber er kam gar nicht auf die Idee, zu helfen. Er war es gewohnt, dass in Kurin die Mädels selbst das Wasser schleppten.

Kurin hieß so, weil dorthin die Disziplinararrestanten des Bachmatscher Kosakischen Regiments geschickt wurden, und diese Halunken wohnten dort in Hütten, die man „Kurin“ nennt.

Die Leute aus Kurin nennt man auch heute noch „Brandstifter“, denn dort gab es für alltägliche Vergehen eine grausame Vergeltung: das Haus wurde angezündet. Natürlich gibt es auch dort, wie überall sonst, gute Leute und welche, die anders sind.

Bei uns in Bachmatsch war es nicht üblich, es war ja eine Stadt (lacht).

Also verabredeten er und ich uns nicht mehr. Pawlo versuchte es, doch ich zeigte ihm meinen weiblichen Trotz, und er zeigte mir wiederum den seinen. Ich gab ihm sein Foto zurück und bat ihn, mir meins wiederzugeben. Aber er tat es nicht.

Die Mädels, deren Jungs an die Front gingen, schenkten ihnen Fotos von sich. Auf die Rückseite schrieben sie - auf Russisch, denn das war gehobener Stil!: „Möge dir meine junge Liebe helfen und dich beschützen“.


Meine Oma Nadja in der 10. Klasse – dieses Foto wollte Opa ihr nicht zurückgeben, als er zum zweiten Mal an die Front ging. 1941

Auf der Rückseite meines Fotos hatte ich auf Russisch geschrieben: „Meine junge Liebe soll dir helfen, dich vor Kugeln bewahren.“ Später hat mir dein Opa geschrieben: „Die Worte, die du mir auf das Foto geschrieben hast, beschützen mich anscheinend wirklich.“

Naja, damals schrieben alle so etwas. Auch noch auf Russisch, denn Ukrainisch erschien uns nicht so gehoben, auch wenn alle überall – von der Familie bis zur Schule – unsere Sprache gesprochen haben. Übrigens wurde in der Division deines Opas eine Zeitung auf Ukrainisch herausgegeben. Sie hieß „Für das Vaterland!“ und sein Kommandeur Kolossow, ein Russe, hat ihn ständig gebeten, zu übersetzen, mit so einem russischen Akzent: „Was schreiben sie dort über das Vaterland?“


Oma hat Opa in die Armee 130 Briefe geschrieben ...

Das Foto habe ich ihm noch im Mai geschenkt, und im Juli gab es die ersten Gerüchte, dass die Front näherkomme. Und die Deutschen machten nicht mehr so viel Ärger, wurden ruhig.

Ich habe so etwas gechrieben, denn Pawlo sagte mir mehr als einmal: „Die Front kommt noch zurück, ich gehe noch in den Krieg …“ Aber ich dachte eigentlich nicht darüber nach – ich war achtzehn, und Pawlo zwanzig, und er war bereits Soldat.

Wir trennten uns und sahen uns bis 1946 nicht wieder. „Schreib mir wie einem Kumpel, und Amor hat hier nichts zu suchen“ – ich erinnere mich noch genau an seinen ersten Brief von der Front. Er tat mir so leid, hatte er doch so viel durchgemacht …

Wir schrieben einander viel, doch sehr formell: wir hatten uns ja gestritten, und es gab keine gegenseitigen Liebeserklärungen, alles war sehr ernst.

Aus irgendeinem Grund war ich überzeugt, dass Pawlo zurückkommen würde. Ich schrieb ihm davon, und er antwortete couragiert:

„Wenn deine Worte wahr werden, dann hast du dafür einen Kuss verdient, und sogar mehr.“

Ich glaube nicht an das Schicksal – doch manchmal würde ich es so gerne.

* * *

Als man uns nach dem Ende der deutschen Okkupation zum Wehrdienst musterte, sagte der Offizier: „Wer in der Artillerie gedient hat, geht zwei Schritte vor.“

Diejenigen, die in der Artillerie dienten, hatten höhere Überlebenschancen. Schließlich ist die Artillerie keine Infanterie.

Ich trat vor. Von denen, die zurückblieben, starben viele zwei Monate später – während der Schlacht am Dnepr. Gerüchte verbreiteten sich, dass man ihnen nicht einmal eine Uniform gegeben hatte.

Im November 1943 schickte der Kommandeur des Bataillons den Spähtruppführer und mich an die Frontlinie, um den Feind zu beobachten. Ljutischer Aufmarschgebiet, bei Jasnohorodka. Wir sprangen in den Graben, holten Luft. Der Graben gefiel mir nicht. Ich schlug dem Feldwebel vor, einen neuen zu graben.

Der Boden war sandig, wir waren im Nu fertig – und genau in dem Moment fiel eine Mine in den alten Graben.

Ein kleiner Splitter bohrte sich in meinen Kopf, doch verschonte den Schädel.


... und Opa schrieb 120. Oma bewahrt sie heute noch auf.

Oder der Fall am 7. Dezember 1943 bei der Siedlung Rosa Luxemburgs bei Korosten. Unsere Batterie unterstützte das Bataillon, und die deutsche Infanterie wies zwanzig Panzer auf. Die Kanonen schossen zielgerichtet. Der Bataillonskommandeur, Oberleutnant Rosumowskyj, gab Befehle, ich gab sie weiter an die Batterie.

Wir bemerkten den Panzer, ich lief zur ersten Kanone und zeigte dem Zielführer, woher er kam. Ich lief zurück – gleichzeitig schlug auf dem Gebäude, auf dem der Bataillonskommandeur stand, ein Geschoss ein. Rosumowskyj und der Verbindungsmann Schewtschenko kamen ums Leben.


Ein Ausschnitt aus Omas Brief: „Ich bin aus irgendeinem Grund überzeugt, dass du am Leben bleibst ... Die Zeit mit dir zusammen war die beste meines Lebens.“

Am 28. Dezember 1943 schickte der neue Bataillonskommandeur uns an die Frontlinie, um eine deutsche Kanone und Geschosse als Trophäen zu holen. Zu fünft setzten wir uns auf einen Pferdewagen, mit dem normalerweise Kanonen transportiert werden. Wir waren fast am Ziel, als eine Mörser-Batterie auf ihrem Pferdewagen auftauchte. Dmytro Tkatschenko, der unseren Wagen führte, bat einen Teil von uns, sich auf den Wagen der Mörser zu setzen, denn die Deichsel hob sich bereits unter uns. Alle hatten es sich gemütlich gemacht, niemand wollte absteigen.

Aus irgendeinem Grund beschloss ich, aufzuspringen und lief zu den Mörsern, hinter mir Oleksij Schyla. Und da ertönte eine Explosion – unser Wagen war auf eine Panzerabwehrmine gekommen, und drei Soldaten darauf wurden getötet, die anderen schwer verwundet …


* * *

Ich glaube, dein Opa blieb auch deshalb am Leben, da er die Bildung liebte. Als sie nach der Besatzung erneut gemustert wurden, sagte der Offizier: „Wer in der Artillerie gedient hat, geht zwei Schritte vor“.

Pawlo trat vor, und das rettete ihn. Denn die Artillerie ist ja schließlich keine Infanterie.

Er schrieb mir in seinem Brief: „Ich erinnere mich manchmal an das, was wir in der 10. Klasse in Algebra gelernt hatten. Aber ich weiß nichts mehr: mir schweben irgendwelche Zahlenfolgen vor, Ungleichungen, Wurzeln mit negativen Potenzen usw. Aber mir scheint, als müsste ich da nur ein paar Mal draufschauen und schon könnte ich mich erinnern.“

Er schrieb so etwas und nutze im Krieg selbst eine Tabelle von Logarithmen und irgendwelche technischen Geräte.


Opa beschreibt die Kriegserfolge in Polen und spielt auf die Schönheit der heimischen Mädchen an: „Damals haben wir diese Nazi-Hunde in Galizien plattgemacht, und jetzt tun wir es in Polen hinter der Weichsel ... Es gibt viel Interessantes, aber keine Zeit, es kennenzulernen. Und die meisten polnischen Mädels sind hübsch.“

Nach dem Krieg diente Pawlo noch zu Ende und schrieb dann, dass er schon in Kurin sei. Und ich studierte damals in Kyjiw an der Landwirtschaftlichen Akademie – und antwortete ihm:

„Pawlochen, ich bitte dich sehr – ich fahre in den Ferien nach Hause, dann besuche mich in Bachmatsch“.

Er ist gekommen, und ich bat ihn um Verzeihung. Wir umarmten uns, weinten, und waren nun doch richtig zusammen.

Er konnte nicht in Präsenz studieren, denn 1944 war sein Vater gestorben und Pawlo musste sich um seine Familie kümmern (von seinen vier Brüdern waren nur zwei von der Front zurückgekehrt). Wir heirateten erst im Februar 1949.


Mein Opa Pawlo mit den Schulterstücken eines Feldwebels der Artillerie. Unter den Abzeichen ist der Ruhmesorden und die Tapferkeitsmedaille. 1945

Für die Hochzeit hatte ich nicht einmal ein Kleid, also gab mir Pawlo ein Stück als Kriegstrophäe in Deutschland erbeuteten Satin. Ich ließ mein Kleid privat in Holosijewo, auf der Dobryj-Schljach-Straße nähen, daran erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen. Denn damals konnte man nichts kaufen – nur mein Vater brachte ab und zu Stoff aus Minsk mit, als er als Zugführer auf der Linie Krementschuk – Minsk arbeitete.

Diesen Satin hatte Pawlo mit der Post von der Front gesendet. Er hatte Stücke davon davon nach Hause geschickt. Damals war es so: nach einem Kampf irgendwo in Deutschland brannte ein Laden, einer der Soldaten ging hinein, nahm sich eine Stoffrolle und verteilte sie unter seinen Leuten …

Ich habe einmal gesagt: „Wenn du mir wenigstens einen goldenen Ring mitbringen würdest.“

Und Pawlo erwiderte: „Wenn du nur wüsstest, wie man an solche Ringe kommt. Ein Soldat hackt einem Toten den Finger von der Hand – und nimmt ihm den Ring ab.“

Danach erwähnte ich es nicht mehr.

Etwa zehn Jahre später fuhren wir nach Kyjiw, und da sagte Pawlo: „Lass uns in diesen Laden da gehen.“

Es stellte sich heraus, dass es ein Juwelier war. Wir suchten einen Ehering für mich aus, aber Pawlo lief immer noch ohne herum.

Die ersten fünf Jahre schrie er im Schlaf. Er griff an, schoss und rief jemandem zu: „Wirf die Granate!“, „Hurra!“, und was die Soldaten sonst noch rufen – bis ich ihn in die Seite stieß.

Ansonsten redete er nicht gerne über den Krieg, außer mal unter Männern. Die meisten überlebenden Soldaten erinnerten sich nicht gerne daran.

Familie Solodko. Unten: Pawlo (Opa), Nadija (Oma) und Wolodja (mein Vater, zukünftiger Autoingenieur); oben: Wira (zukünftige Professorin an der Nationalen Universität Kiew-Mohyla-Akademie) und Jura (zukünftiger Arzt). 1966

Er erzählte mir, wie er einmal am Knie verletzt wurde. Außerdem hatte er noch einen Splitter im Hinterkopf. Der war eingewachsen und störte ihn nicht – er ist damit gestorben. Pawlo ezählte, wie er sich weigerte, zwei Kriegsgefangene zu erschießen. Er sagte zu seinem Kommandeur: „In der Schlacht – bitte, aber so kann ich es nicht“.

Dann sprach er von einem Fall, ähnlich wie der, als er aus dem Lager geflohen war: wie er eine Schlacht verließ und so tat, als habe er einen verletzten Deutschen nicht bemerkt – und dieser beschloss, auf ihn zu schießen. Doch Pawlo hörte rechtzeitig das Klicken des Abzugs und schaffte es, sich umzudrehen und als Erster zu schießen.

Über den 9. Mai 1945 schrieb er mir in einem Brief: „Alle waren betrunken, außer mir.“ Er trank und rauchte nicht einmal im Krieg – das war noch etwas, was ich an ihm attraktiv fand.

Von 1952 bis 1984 arbeitete Opa als Schulleiter im Dorf Bachmatsch-1. Oma war dort Lehrerin. Opa starb 2008. Oma wollte ihre Briefe in seinen Sarg legen, doch ihre Kinder erlaubten es nicht.

1 Heute die Oblast Wolgograd in der Russischen Föderation.

Der Zweite Weltkrieg in der Ukraine

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