Читать книгу Tillas Mühle - Verena Maria Mayr - Страница 10

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Seit Arthur auf der Welt war, fühlte Tilla sich nicht mehr so alleine. Dieses kleine Würmchen füllte eine Leere, die ihr selbst nie so bewusst geworden war. Als ihre Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, war sie fünfzehn und hatte beschlossen, nie mehr jemanden zu lieben. Ihr Ex-Mann Konrad hatte sie deshalb „Frau ohne Herz“ genannt – am Anfang spaßeshalber, weil er es als Herausforderung betrachtete, sie für sich zu gewinnen. Zum Schluss vorwurfsvoll, weil Tilla sich ihm nicht vollends öffnete (dafür taten das genug andere). Schließlich trennten sie sich, obwohl bei Tilla Konrads Depressionen und seine Unfähigkeit, eigenständig zu leben, an erster Stelle standen. Seine Untreue war der Auslöser, dass sie die Scheidung einreichte, der er sich lange entgegensetzte. Doch jedes Mal, wenn sie von einem Seitensprung erfuhr, starb etwas in ihr und sie schwor sich, sich nie wieder vollends auf einen Mann einzulassen.

Bei Arthur war alles ganz anders. Tilla liebte ihn vom ersten Moment an mit jeder Faser ihres Körpers. Bereits in der Schwangerschaft fühlte Tilla eine Verbundenheit, die sie zuvor nur mit ihren Eltern erlebt hatte. Es war, als wäre dieses unfassbare Gefühl in jeder ihrer Zellen gespeichert. Manchmal hatte sie den Eindruck, Konrad wäre eifersüchtig auf seinen Sohn. Mit der Zeit erkannte Tilla, dass Konrads einschmeichelnde Aufmerksamkeit Besitzanspruch und Kontrollsucht tarnten. Sie dankte dem Universum jeden Tag, dass die Richterin beim Sorgerechtsstreit auf ihrer Seite war. Gelegentlich schreckte sie im Schlaf hoch, weil sie träumte, dass Konrads Forderung nach alleiniger Obsorge stattgegeben wurde.

Ihre Eltern wären entsetzt gewesen ob ihrer Beziehung und viel mehr deren Ende. Sie waren unzertrennlich gewesen und liebten Tilla mit gleicher, inniger Hingabe. Wehmütig erinnerte sich Tilla an ein gemeinsames Familienritual: während ihre Mutter ihre dichten, schwarzen Locken auf einer Seite zu einem Zopf flocht, versuchte ihr Vater sie auf die gleiche Weise auf der anderen Seite zu bändigen. Am Ende hatte Tilla einen straffen und einen etwas lockeren Zopf, weil ihr Vater immer Angst hatte, seiner Kleinen weh zu tun. Das entsprach in etwa dem Erziehungsstil ihrer Eltern und sie lachten jedes Mal, wenn Tilla sich bei ihrem Vater durchsetzte und ihre Mutter ihr Vetorecht in Anspruch nahm. Irgendwie einigten sie sich trotzdem und Tilla hatte nie das Gefühl, ihre Eltern würden nicht an einem Strang ziehen. Ihr Zusammensein war geprägt von Toleranz und gegenseitiger Wertschätzung.

Es war der Traum ihres Vaters gewesen, ihre Mutter zu einem romantischen Überraschungswochenende nach Triest einzuladen. Tilla hatte ihm bei den Vorbereitungen geholfen und sich mehr als einmal auf die Zunge gebissen, um nichts zu verraten. Sie sollte inzwischen bei Mimi bleiben. Am übernächsten Tag wollten sie zurück sein. Tilla winkte ihnen aufgeregt nach, als sie in dem knallroten Cinquecento aufbrachen. Doch am Ende waren sie nie in Triest angekommen. Tilla sollte ihre Eltern nie wieder sehen.

Auf der Pack zerquetschte der tonnenschwere Lastwagen eines übermüdeten Fahrers das kleine Auto als wäre es ein Spielzeug. Seit diesem furchtbaren Tag bedeutete das Wort „Auto“ für Tilla Tod und sie stieg bis zu Arthurs Geburt in keines mehr ein. Sie las Unfallstatistiken und zuckte bei jeder Unfallmeldung im Radio zusammen. Tilla beschloss, niemals den Führerschein zu machen. Sie würde sich ohnehin nie wieder in ein Auto setzen. Da kam ihr Wien zudem gerade Recht, denn in der Hauptstadt konnte sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bequem alle gewünschten Ziele erreichen.

Ihre Fruchtblase hatte ihr dann einen Strich durch die Rechnung gemacht. Diese platzte nämlich zehn Tage vor dem errechneten Geburtstermin genau auf der Mariahilferstraße, wo Tilla noch die letzten Babysachen einkaufen wollte. Die netten Sanitäter vom Roten Kreuz konnten die hysterische werdende Mutter dann überreden, sich von der Rettung ins Spital fahren zu lassen. So kam es, dass ein Baby für einen zweifachen Neubeginn verantwortlich war. Tilla öffnete ihr Herz wieder, und wenn es unbedingt sein musste, fuhr sie sogar im Auto mit.

Tillas Mühle

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