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Prolog

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Wenn die Frauen auf den Feldern ihre Lieder anstimmten, schloss Louis die Augen und fing an zu träumen. Er musste ihnen nicht mehr zusehen, er wusste, wie sie jede ihrer Bewegungen, die sie von ihren Müttern und Großmüttern gelehrt bekommen hatten, wie von selbst und als wären sie in Trance ausübten. Er sah sie auf ihren Holzschemeln im Kreis auf dem Feld umringt von gelben Köpfen in der späten Nachmittagssonne sitzen. Bunte Kopftücher schützten sie vor den noch immer heißen Septemberstrahlen. Singend gruben sich ihre Finger in das weiche, klebrige Fruchtfleisch, um die zarten grünen Kerne auszulösen. Gelegentlich würde eine sich aufrichten und den Rücken strecken, weil die gekrümmte Haltung steif machte. Dafür würde die raue Haut ihrer abgearbeiteten Hände am Abend zart wie Seide sein.

Bald würde die Ernte bei ihm in der Mühle ankommen und dann konnte er endlich mit Maria Emilia die erste Pressung vornehmen. Das Herzog-Öl war tatsächlich herzoglich und das grüne Gold machte seinem Namen zurecht alle Ehre.

Gemeinsam würden sie die Kerne waschen und trocknen. Ein Teil wurde sofort verarbeitet, ein Teil wurde gelagert, damit immer frisch gepresst werden konnte. Es war Louis‘ Aufgabe, die trockenen Kerne in das Steinmahlwerk zu füllen. Wasser und Salz mengte Maria Emilia bei.

Louis begab sich zu seiner Schallplattensammlung, die in einer Mauernische des Pressraums eingerichtet war. Sein Plattenspieler stand ebenso dort auf einem der groben Holzbretter, die er der Nische maßgeschneidert verpasst hatte. Wie immer würde er „My way“ von Frank Sinatra, mit dem er eine gespenstische Ähnlichkeit besaß, spielen. Wie immer hatte er eine Cordhose an. In seinem Kleiderschrank variierten sie in der Farbe von braun über beige bis grau. Diesmal trug er eine mittleren Brauns, das dem Kürbisacker glich. Ein flüchtig gebügeltes hellblaues Hemd war genauso flüchtig in den Hosenbund gestrickt worden. Dafür saß die umgebundene dunkelblaue Fliege so perfekt wie sein dunkles Haar, das mit einer duftenden Pomade zurückgegelt worden war. Er strich sich noch einmal mit der Handfläche über das dichte, vom Gel gehärtete Haar, als die Tür aufflog.

Maria Emilia sauste in einem zitronengelben Kleid herein „sie kommen, die Kerne kommen!“ und umarmte Louis stürmisch, der sie einmal hochhob und durch die Luft fliegen ließ, dass es vor Leidenschaft knisterte.

„Mein allerliebster Louis, presst du wieder mit Hemd und Fliege?“ Mimi liebte es, ihn zu necken. In all den Jahren hatte sie ihn noch nie nachlässig gekleidet erlebt.

„Wie immer, meine Liebe“, erwiderte er und stellte sie rasch auf dem Boden ab, bevor jemand sie zusammen sah.

Da ging auch schon die Tür auf und zwei Arbeiter zerrten Jutesäcke gefüllt mit getrockneten Kernen in die Mühle.

„Gute Ernte“, sagte der erste und öffnete seinen Sack, damit Louis und Mimi sich selbst überzeugen konnten.

Plötzlich flog die Tür wieder auf und die vierjährige Tilla, verfolgt von Mimis Sohn Eduard stürmte herein. Die Kleine mit ihren schwarzen Korkenzieherlocken jauchzte vor Freude, weil sie meinte, ihren älteren Cousin, der ihr einen Vorsprung gewährt hatte, abgehängt zu haben. „Gegen Edo gewonnen!“

Sie liefen beide auf Louis zu, der ihnen seine Arme entgegenstreckte. Er umfasste Tilla an beiden Händen und wirbelte sie wie ein Karussell ein paar Mal um seine eigene Achse. Nachdem er sie sicher auf dem Boden abgestellt hatte, umarmte er Eduard kurz und klopfte ihm leicht unbeholfen die Schulter.

„Wer will Öl pressen?“ Mimi stand mit den Händen in den Hüften breitbeinig vor ihnen.

„Ich, ich“, schrien sie gleichzeitig. Die beiden Kinder fassten sich an den Händen, nahmen Mimi in die Mitte und hüpften ausgelassen um sie herum.

„Nicht so wild. Mir wird schon schwindlig. Holt eure Arbeitsschürzen und bringt mir meine auch gleich mit.“ Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Sofort zischten sie los.

Der Blick mit dem Louis Mimi bedachte drückte Wehmut aber auch Freude aus. Liebevoll lächelte sie ihn an. „Wie Geschwister, nicht wahr?“

Louis‘ Ausdruck wechselte schlagartig. Er täuschte einen Hustenanfall vor und drehte sich von Mimi weg. Sie wusste nicht, dass ihre Bemerkung sich in einigen Jahren tatsächlich bewahrheiten sollte.

Als die Kinder zurückkehrten, hatte Louis sich wieder im Griff. Sie banden sich gegenseitig die Schürzen und fingen an, die Kerne in das Mahlwerk zu füllen. Dort wurde gemahlen und geknetet.

„Tilla und Eduard, ihr dürft mir helfen, Wasser und Salz beizumengen“, sagte Mimi und verteilte Messbecher. Stolz halfen die beiden mit.

Wenn das Wasser verdampft war, wurde die Masse unter ständigem Rühren schonend geröstet. Das war Louis‘ Aufgabe, denn bei der Röstung war die Erfahrung des Pressmeisters ausschlaggebend. Eine kleine Unachtsamkeit und die richtige Temperatur war verloren. Diese musste jedoch unbedingt stimmen, denn die Kerne sollten nicht zu hell, aber auch nicht zu dunkel werden. Schwitzend krempelte er seine Ärmel hoch und lockerte seine Fliege.

„Ich weiß es, dieses Mal wird es fantastisch“, hauchte Maria Emilia. Eine Strähne hatte sich aus ihrem Zopf gelöst und hing ihr in die Stirn.

Ja, heute würde die zauberhafte Magie ihrer tiefen Gefühle füreinander in das kostbare Öl fließen. Louis hatte vorhersehend einige der kleinen Flaschen vom Speicher geholt.

Tillas Mühle

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