Читать книгу Tillas Mühle - Verena Maria Mayr - Страница 11

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Wenn ihr Bauch über die Unterhose quoll, deren Gummi hässliche Streifen in ihrem weichen Fleisch hinterließ, wie bei einer frisch gefüllten Wurst, die portioniert wurde, dann verabscheute sie ihren Körper und sich selbst umso mehr. Warum kann ich nicht aufhören, mich vollzustopfen? Jeden Abend, wenn sie sich nach einem Essanfall fast übergeben musste, schwor sie sich, am nächsten Tag damit aufzuhören. Wenn es dann wieder nicht klappte, weil ihr Kopf sagte, dass es doch egal war, wie sie aussah und ihr Körper nach Süßem verlangte, gab sie sich dem kurzen Vergnügen wieder machtlos hin. Ein teuflischer Kreislauf, der sich nicht nur mit mehr Kilos auf den Hüften, Oberschenkeln, an Busen und Kinn bemerkbar machte, sondern auch ihren Energiehaushalt und Humor negativ beeinflusste. Oft fuhr sie Arthur in letzter Zeit grundlos an, und der Arme hatte ohnehin schon genug durchzumachen. Sie war ungeduldig geworden, ständig gereizt und spürte immense Aggression in sich. Alle und alles zerrten an ihren Nerven wie ehrgeizige junge Buben, die das Seilziehen gewinnen wollten.

Sie fühlte sich unendlich frustriert. Das konnte doch nicht ihr Leben sein? Angst, nie wieder einen Mann kennenzulernen und für den Rest ihres Lebens allein zu bleiben, stieg in ihr auf. Vielleicht war es sogar besser, wenn sie alleine blieb. Aber sie sehnte sich so sehr nach einer Zweisamkeit, wie ihre Eltern sie gehabt hatten.

Tilla warf einen Blick auf die Uhr; in fünfzehn Minuten musste sie Atti vom Taekwondo abholen. Diesen teuren Spaß hatte ihr ihre Schwiegermutter eingeredet, weil sie gelesen hatte, dass es gut für Körper und Geist sei und ihr reizender Enkel dann automatisch Selbstverteidigung lernte. Dass sie sich an den Kosten beteiligen wollte, hatte sie rasch vergessen. Ebenso wollte sie nicht einsehen, dass ihr liebster Enkel Sport jeder Art hasste und zudem an einem starken Reizhusten litt. Da der Hausarzt aber der Meinung war, dass der Husten nicht durch körperliche Betätigung ausgelöst würde, hatte er ihm keine Turnbefreiung ausgestellt. Jede Woche musste Tilla Atti drohen, nicht mehr mit ihm ins Kino zu gehen – die einzige Sache, mit der er sich noch erpressen ließ –, wenn er die Saison nicht beenden würde. Leider hatten sie die Kündigungsfrist nach dem Probemonat um drei Tage verpasst und die Schule hielt nichts von Kulanz. Tilla war der Meinung, dass es ihrem Sohn ganz gut tun würde sich sportlich zu betätigen. Erfolge, mental wie figürlich, sah sie jedoch keine. Wahrscheinlich hatte Atti ihre Gene geerbt. Eilig packte sie ihre Handtasche, warf die Wohnungstür hinter sich zu und lief zur U-Bahn, die vor ihrer Nase davon fuhr. Mist! Keuchend erklomm sie immer zwei Stufen auf einmal nehmend zwanzig Minuten später zum modernen Turnsaal in den ersten Stock hinauf und stieß mit ungebremster Wucht mit dem Meister zusammen, der aufgrund seiner sportlichen Perfektion nach kurzem Wanken wieder gerade und fest auf den Beinen stand.

„Warum denn so hektisch?“

Warum wohl? Weil ich eine alleinerziehende, gestresste, frustrierte, unbefriedigte, unterbezahlte, schlecht behandelte Mutter bin!?

„Ich wollte Atti pünktlich abholen, aber die U-Bahn …“ Tilla schnaufte sich die Seele aus dem Leib und stützte ihre Hände auf die gebeugten Oberschenkel.

„Er ist nicht da.“

„Er ist schon gegangen?“, präzisierte Tilla und richtete sich mit hochrotem Kopf auf.

„Ihr Sohn war heute gar nicht da.“ Tilla sah Meister Wu verständnislos an. Wahrscheinlich musste einfach noch mehr Sauerstoff in ihr Hirn gelangen.

„Kommen Sie kurz mit in mein Büro?“

Tilla nickte, ahnte nichts Gutes und folgte ihm mit gemischten Gefühlen, die sich aus Neugier, Angst und Sorge zusammensetzen. Ohne ihn richtig wahrzunehmen hörte Tilla, wie Meister Wu ihr sagte, dass ihr Sohn Arthur bereits die letzten fünf Mal nicht mittrainiert hatte und er sie nur anscheinend fertig umgezogen vor dem Gebäude abgepasst hat. Er habe es zufällig entdeckt, wollte sich aber nicht in Familienangelegenheiten einmischen.

Ach nein? Aber das Geld für nicht genutzte Trainingseinheiten zu kassieren machte dem Meister nichts aus.

Ihr Sohn, ihr kleiner, süßer Atti, ihr Ein-und-Alles log sie an? Vertraute er seiner eigenen Mutter nicht mehr? Wann war es so weit gekommen? Wie war es so weit gekommen? Warum? Es strömte gerade zu viel Sauerstoff in ihr Hirn.

In Gedanken versunken kehrte Tilla nach Hause zurück. Als sie aufsperrte und die Tür öffnete, kam ihr Arthur schon entgegen.

„Hallo, Mama! Wir haben uns wohl verpasst“, grinste er.

„Warum lügst du mich an?“, polterte Tilla los. Sie hatte sich ein pädagogisch wertvoll aufgebautes Vorgehen überlegt. Ihr Gehirn war wie leergefegt. Wo war denn jetzt der ganze Sauerstoff, um es ausreichend und vernünftig zu durchbluten.

„Scheiße! Ich meine Scheibenkleister! Verdammter Mist!“

„Mama!“

„Was soll das?“, schrie Tilla ihren Sohn an. Sie war außer sich vor Wut. Sie wollte ihn packen und durchschütteln.

„Mama …“

„Ich mache alles für dich! Alles!, hörst du? Ich arbeite in einem Scheiß-Büro, lasse mich mobben, rackere mich ab, dein Vater unterstützt uns überhaupt nicht, deine Großeltern sind eine Frechheit und machen mich zusätzlich fertig – und du hintergehst mich! Es kotzt mich alles so an! Es ist alles so scheiße! Ich kann und will nicht mehr!“

Eine Emotionslawine überrollte Tilla, sie konnte sie nicht mehr anhalten. Es musste alles raus. Tränen rannen ihr über die Wangen und als sie den Kopf zornig zur Seite drehte, sah sie ihr Gesicht im goldrandverzierten Spiegel, das hässlich und entstellt aussah. Arthur starrte seine Mutter entsetzt an.

Als Tilla bemerkte, dass ihr Sohn zu weinen begonnen hatte, kam sie endlich zu sich. Entsetzt über ihren Gefühlsausbruch umarmte sie ihr Kind, das von Schluchzern geschüttelt wurde.

„Es tut mir leid, Atti.“ Sanft schob sie ihn von sich und hob sein Kinn, um ihm in die Augen zu schauen. Traurigkeit und Scham meinte sie darin zu lesen. „Ich möchte verstehen, warum du das Training abgebrochen hast. Ich war der Meinung, es würde dir Spaß machen.“

„Taekwondo an sich schon. Aber …“

„Ja?“, ermunterte Tilla ihren Sohn weiterzusprechen.

„Es anderen haben sich über mich lustig gemacht, weil ich manche Bewegungen nicht so gut konnte. Ich bin einfach zu dick.“ Tränen kullerten ihm über die Wangen.

„Aber das stimmt doch gar nicht“, protestierte Tilla.

„Mama, ich weiß, dass es so ist.“

„Hat Meister Wu dazu nichts gesagt?“

„Nein.“

„Was hast du denn dann gemacht, wenn du nicht dort warst?“

„Ich war beim Maci“, murmelte Arthur.

„Welcher Mekki? Ist das ein neuer Freund? Von dem habe ich ja noch nie gehört.“

„Mama, du lebst echt hinter dem Mond.“ Arthur musste kichern.

„Ich verstehe gar nichts mehr.“ Tilla betrachtete ihren Sohn aufmerksam. Was war ihr nur in letzter Zeit alles entgangen?

„Ich meine McDonald’s“, klärte er sie auf.

„Aha. Und was hast du dort gemacht?“

Arthur senkte wieder seinen Kopf und flüsterte: „Ich habe dort Burger gegessen.“

„Allein?“

„Ja.“

Rückblickend fiel Tilla ein, dass der Geruch ihres Sohn nach dem Training sie stets irritiert hatte. Jetzt war ihr klar warum er nicht nach Turnhalle, Sport und Umkleidekabine gerochen hatte. Es war der Duft des Frittierten, das Atti mit Deodorant übersprüht hatte.

„Ging es dir dann besser?“ Ihr eigener Besuch unlängst in einer Fastfoodkette fiel ihr ein. Sie konnte Arthur so gut verstehen.

Er nickte. „Am Anfang schon. Da beruhigt mich das Essen. Aber danach fühle ich mich wieder schlecht.“

„Das kenne ich, mein lieber Schatz. Ach, warum bist du denn mit deinen Sorgen nicht zu mir gekommen?“

„Du hast doch selbst so viel um die Ohren. Ich wollte dich nicht zusätzlich belasten.“

„Oh, Atti. Das wird sich jetzt ändern.“

Nach einem langen Gespräch, vielen Entschuldigungen und Umarmungen war Arthur schließlich erschöpft ins Bett gefallen und Tilla ließ sich mit einer Tasse Beruhigungstee auf der Wohnzimmercouch nieder. Ach Mist, ich mach mir eine Tasse Heiße Schokolade mit Schlagsahne. Sie nahm ihr Handy und wählte Paulinas Nummer, um ihr Herz auszuschütten.

Tilla hat es so satt. Ständig schlich sich Konrad aus der Verantwortung. Nie war er da, wenn man ihn brauchte. Auch diesmal wälzte er jede Art von Verantwortung auf sie ab. Immerhin wäre sie die meiste Zeit mit ihrem Kind zusammen, es könne daher ja nur ihre Schuld sein, wenn Arthur Schwierigkeiten bekäme. Dass er zu dick war, lag auch an ihren falschen Ernährungsgewohnheiten. "Du machst doch ständig nur Fertigpizza!"

Tilla fragte sich wieder einmal, warum sie ihn überhaupt ins Vertrauen gezogen hatte. Sicher war ihr von Anfang an bewusst, dass er psychisch nicht sattelfest war. Tilla hatte gedacht, dass sie ihn mit ihrer Energie retten konnte. Was für eine Selbstüberschätzung! Mit ihrer Liebe wollte sie ihn „heilen“. Und geliebt hatte sie ihn wirklich. Zumindest dachte sie, dass es sich wie Liebe anfühlte. Wenn sie ihre Hochzeitsfotos ansah, fing sie jedes Mal zu weinen an und fragte sich, wie sich ein Mensch nur so verändern konnte. Wesensveränderung – das gab es doch nur in Romanen …

Sie wirkten wie das perfekte glückliche Paar, das in der Toskana geheiratet hat. Wie wundervoll. Das Wetter war herrlich, dass Essen fantastisch, die gemietete Villa ein Traum, alle Gäste gut drauf. Ja, selbst die Sonne trotzte der Familie Steinhoff nicht. Wie hätte sie es auch wagen können. Die Wedding-Planerin hatte alles wunderbar organisiert. War es einfach zu perfekt gewesen? Das Ende eines kurzen Traums erfolgte jedenfalls abrupt. Zwei Monate nach der Hochzeit war sie schwanger und Konrad zog sich zurück. Immer häufiger wollte er alleine spazieren gehen – sie ahnte, dass er sich mit anderen Frauen traf –, er wurde gereizter, nichts konnte sie ihm mehr Recht machen. Er beklagte sich darüber, dass sie ihm zu viel abverlangte und keine Rücksicht auf ihn nahm. Rücksicht, pah! Tilla zeigte Mitgefühl, sie bemitleidete ihn, aber letztendlich verachtete sie Konrad für seine Schwäche und klagte ihn an, nichts zu tun und alles ihr zu überlassen. Nicht einmal bei Arthurs Geburt war er dabei. Er hätte ohnehin geahnt, dass es zu einem Kaiserschnitt kommen würde und da wäre er umsonst im Warteraum gesessen. Als das Kind ein Jahr alt war, meldete Tilla ihren Sohn für die Kinderkrippe an und ging wieder arbeiten, weil Konrad kein Geld nach Hause brachte, aber es für ihn unzumutbar war, sich den ganzen Tag um ein Kleinkind zu kümmern.

Sie musste in der Früh aus dem Bett, machte das Frühstück für sich und Arthur, brachte ihn in die Krippe, ging ins Büro – verdiente das Geld –, holte den Kleinen von der Kinderbetreuungsstätte ab, spielte mit ihm, kochte, putzte, wusch, kaufte ein und organisierte das Familienleben. Wenn Konrad einen guten Tag hatte war er dabei, ansonsten zog er sich die Bettdecke über den Kopf und blieb tagelang im Bett. Er reagierte auf nichts. Tilla fing an es zu hassen.

Als Arthur sechs wurde und kurz davor stand in die erste Klasse Volksschule einzutreten, waren sie getrennt. Konrad war einfach ausgezogen. Tilla war monatelang so vor den Kopf gestoßen, dass sie gar nicht realisierte, was genau da in ihrer Beziehung passierte. Sie blickte zurück, sie schaute dazwischen, sie verdrängte das Morgen und suchte nach einer Antwort. Konrad suchte kein einziges Mal das Gespräch mit ihr.

Wenn sie ihn spontan konfrontierte, endete jeglicher Erklärungsbedarf in sarkastischen Anklagen, sodass Tilla sich noch schäbiger fühlte. „Du kapierst es ja doch nicht.“ Irgendwann ergab sie sich der Situation und fuhr fort, ihr Leben mit Arthur als Alleinerzieherin zu organisieren. Tilla deckte sich mit Fachliteratur ein und schleppte Arthur zum Kinderpsychologen. Sie erklärte ihm, dass ihr Vater eine unsichtbare Krankheit im Kopf habe, woraufhin sie sich den Zorn ihres Schwiegervaters zuzog.

„Was bildest du dir ein, Tilla? Wenn ich noch einmal höre, dass du meinem Enkel solche Sachen über meinen Sohn erzählst, dann wirst du mich kennenlernen.“

Tilla versuchte, die Drohung zu ignorieren und erklärte: „Da hast du vielleicht etwas falsch verstanden. Ich habe mich professionell beraten lassen, wie man Kindern die psychische Erkrankung eines Elternteils kindgerecht beibringt.“

Daraufhin verlor der alte Steinhoff fast endgültig die Fassung. „Mein Sohn hat keine psychischen Probleme! Du kannst einen wirklich fertig machen. Langsam fange ich an zu verstehen, warum Konrad dich verlassen hat. Solltest du noch einmal erwähnen, dass mein Sohn nicht“, er rang nach Luft und spie das Wort „normal“ aus, „dass mein Sohn nicht normal sei, dann hetze ich dir die besten Anwälte Wiens hinterher. Für Arthur wäre es dann bestimmt besser, bei seinen normalen Großeltern zu leben.“

Tilla geriet in Panik wegen dieser direkten Drohung. Der alte Steinhoff hatte einflussreiche Freunde. Beinahe alles könnte sie ertragen, nur nicht, ohne ihren Arthur zu leben.

Warum Konrad sich dann nicht scheiden lassen wollte, war ihr aber nicht klar. Eine Erklärung von ihm lautete: „Ich habe dich doch nicht geheiratet, um mich von dir scheiden zu lassen.“ Demonstrativ trug er noch immer seinen Ring.

Tilla vermutete, dass er bei manchen Frauen auf diese Weise gut ankam. Sie konnte sich exakt vorstellen, wie er den armen, verlassenen Ehemann spielte. Vielleicht hing es mit der Art seiner Erkrankung zusammen? Das Opfer musste die Täterin bestrafen indem es der Noch-Ehefrau das Leben zur nicht bewusst erkennbaren Hölle machte, in der sie schmorte und sich aus lauter unbegründeter Angst eine körperliche Distanz anaß.

Schlussendlich oder endlich hatte Tilla nach jahrelanger Überlegung, diverser Familienaufstellungen, Channeling und einigen Therapiestunden letztes Jahr endlich eine kompetente Anwältin kontaktiert, die Paulina ihr empfohlen hatte („nimm sie, sie hat meine Promi-Freundin Tina M. hervorragend vertreten und deren bescheuerten Mann bluten lassen“), und die Scheidung eingereicht.

Die attraktive Frau, die ihr bereits ergrautes Haar nicht färbte, war durch und durch professionell, nur ihr gelegentliches Kopfschütteln und das Zurechtrücken ihrer großen Hornbrille verrieten Tilla, dass sie es mit ihrem Warten übertrieben hatte.

„Schätzchen“, sagte sie mit energischer, tiefer Stimme „ich will Sie weder belehren noch kränken, aber die Begrüßungsbussis sind ab sofort Geschichte. Der Richter hat es Gott sei Dank nicht gesehen.“

„Ich denke immer an unser gemeinsames Kind“, versuchte Tilla sich zu rechtfertigen und dachte wieder an die Worte ihres Schwiegervaters. „Obwohl, …“ Sie hielt nachdenklich inne.

„… Sie es gar nicht gerne mögen“, beendete die Anwältin Tillas Satz und diese nickte bestätigend. Tatsächlich mochte sie die zwei hingehauchten Wangenküsse nicht leiden. Sie konnte Konrads Nähe in keiner Hinsicht mehr ertragen und ihn schon lange nicht mehr riechen.

„Das kenne ich. Machen Sie sich deswegen keine Vorwürfe. Das passiert häufig. Männer lassen ihre Frauen nicht gerne ziehen.“

Tilla blickte sie mit großen Augen an. „Aber er ist doch gegangen!“

„… und sagt, dass Sie ihm die Luft zum Atmen genommen und ihn unterdrückt hätten.“

Tilla blickte ihre Anwältin mit großen Augen an und nickte. „Woher wissen Sie das?“

„Meine Liebe, wir kriegen das hin. Sie sind – wie die meisten meiner Klientinnen – …“ Tilla wusste, dass die Anwältin ihre Worte sorgfältig wählte, und war ihr dankbar dafür. Mit leiser Stimme fuhr sie fort: „… zu nett, und haben im Vorfeld einige Dinge nicht bedacht.“

War es verwunderlich, dass sie zu einer nervenlosen Mutter mutierte und ihr Sohn Probleme hatte, die er vor ihr oder ihnen verschwieg?

Fast flüsternd erzählte sie ihr von den Drohungen ihres Schwiegervaters. Doktor Prada, wie Tilla ihre perfekt gekleidete Anwältin innerlich nannte, zog ihr moosgrünes Kostüm zurecht und richtete sich noch gerader auf. „Ich kenne Doktor Steinhoff sehr gut. Er ist kein leichter Gegner. Dennoch, Ihren Sohn kann er Ihnen nicht wegnehmen. Gibt es eigentlich psychologische Atteste von Ihrem Mann?“

„Nein, die gibt es nicht. Zumindest habe ich keine.“

„Bitte erzählen Sie mir Ihre Geschichte“, forderte Doktor Prada sie auf und Tilla legte los.

„Mein Mann spielt seinen Eltern gerne den armen, verlassenen Sohn vor. Meine Schwiegermutter ist vollkommen auf seiner Seite, sie verabscheut mich regelrecht. Sein Vater weiß, dass es nicht allein an mir liegt, dass ich mich getrennt habe, aber er hält ihm nach wie vor die Stange. Er weiß und war selbstverständlich nicht davon angetan, dass sein Sohn so oft fremdgegangen ist. Er selbst hatte in seinen ersten Ehejahren eine Geliebte, das weiß ich von Konrad, aber er war diskret gewesen. Seiner Meinung nach hätten die jungen Männer heutzutage hatten keinen Stil, sie wüssten sich nicht zu benehmen. Die jungen Frauen heutzutage hätten andererseits kein Durchhaltevermögen mehr. Sie verlassen ihre Männer und mühen sich alleine mit Kind, Haushalt und Arbeit ab. Das ist die Ansicht meines Schwiegervaters.“

„Ja, diese Einstellung ist mir bekannt. Die alte Generation …“ Doktor Prada schüttelte leicht ihren Kopf.

„Ich bin mir nicht sicher, wie lange Konrad sich an seines Vaters Loyalität noch festhalten kann. Er hat, was ich weiß, noch keinen neuen Job gefunden. In die Kanzlei seines Vaters wollte er nie einsteigen, sie übernehmen schon gar nicht.“

„Wissen Sie, warum nicht?“

„Ich vermute, das hat mit seiner Erkrankung zu tun. Konrad ist sehr intelligent, er hat einen extrem hohen IQ, die besten Schulen besucht, ein Jus-Studium abgeschlossen …“

„Und nun will oder kann er nichts daraus machen.“ Es war eher eine Feststellung, als eine Frage und Tilla nickte zustimmend.

„Er hat sich vor ungefähr zwei Jahren in die Psychiatrie einweisen lassen. Seinen Eltern hat er den ersten Aufenthalt dort als Kur verkauft. So lange er krank war, hatte er eine Entschuldigung, um keine Verantwortung für seinen eigenen Sohn, für sich oder gar sein gesamtes Leben übernehmen zu müssen. Von mir und unserer Beziehung brauchen wir gar nicht reden.“

„Und dazwischen hat er nie gearbeitet?“

„Doch. Gelegentlich ist Konrad in kleine Kanzleien eingestiegen. Den Job hatte er aber immer nur bekommen, weil sie sich erhofften, durch den Namen Steinhoff gewinnbringende Klienten zu lukrieren. Es war beschämend. Und so groß ist Wien nun auch nicht.“

„Verstehe.“

„Wenn er gegangen wurde, um es nett auszudrücken, gab er mir die Schuld an dieser Situation. Ich war zu nörgelig. Nie konnte er mir etwas Recht machen, immer wusste ich alles besser und trieb ihn ständig dazu etwas zu tun. Ich würde das Wort „Ruhe“ nicht kennen. Dabei wollte ich ihn nur unterstützen und motivieren.“

„Hat er das nur von Ihnen oder auch von vorherigen Beziehungen behauptet?“

„Nun ja, er tendiert meiner Meinung nach dazu die Dinge zu verdrehen. Als wir uns kennengelernt haben zum Beispiel, hatte er sich gerade von seiner letzten Freundin getrennt. Irgendwann habe ich herausbekommen, dass es umgekehrt war. – Ich denke, dass ich eine willkommene Ablenkung war. Ich war damals gut drauf. Spontan, witzig und wir …“ Tilla errötete.

Doktor Prada bedeutete ihr weiterzureden.

„… wir hatten viel Spaß im Bett. Es war nicht Liebe auf den ersten Blick gewesen, aber ich denke, dass Konrad sich irgendwann dann doch in mich verliebt hat. Zumindest hat er mir einen Heiratsantrag gemacht und ich habe ihn angenommen. Unsere Hochzeit war so toll gewesen. Zu der Zeit ist es Konrad, denke ich, auch wirklich gut gegangen. Er hatte nämlich, fällt mir gerade ein, sogar mit dem Gedanken spekuliert, sich von seinem Vater in die Kanzlei einführen zu lassen. Damals war er davon überzeugt gewesen, es zu schaffen. Alles war perfekt.“

„Und wann ist die Märchenblase dann geplatzt?“, fragte die Anwältin direkt.

„Ich wurde schwanger und sobald Arthur da war, fühlte er sich als die zweite Geige, das fünfte Rad am Wagen, luftähnlich hat er einmal gesagt.“

Tillas Mühle

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