Читать книгу Tillas Mühle - Verena Maria Mayr - Страница 7
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ОглавлениеMimi stöhnte, als sie sich in den bequemen alten Ohrensessel, der schräg zum Kamin stand, sinken ließ. Der Besuch ihres Sohnes Eduard, der sie diesmal ohne Louis sprechen wollte, hatte sie, wie immer in letzter Zeit, erschöpft. Sogar seine Frau Ilsa hatte diesmal, wenn auch ihrer Ansicht nach nicht überzeugend genug, versucht, sie zum Verkauf der Ölmühle zu überreden. Das war eigentlich nichts Neues, denn zum ersten Mal war ihnen, sogar ihr selbst, der Gedanke gekommen, als Mimis Mann Hans vor zwei Jahren gestorben war. Die Mühle hatte sie selbst dann noch ein Jahr lang mit Louis‘ Hilfe, der seit jeher über der Mühle wohnte, weiter geführt.
Seit gut einem Jahr stand sie komplett still. Die Wirtschaftskrise, Louis ging auf die 70 zu, fehlende Motivation ihrerseits, Eduard, der mit dem Ölgeschäft ohnehin nichts mehr zu tun haben wollte, hatten diese Überlegungen bewirkt.
Diesmal ließ Ilsa zum ersten Mal anklingen, dass Mimi auch das Haus verkaufen sollte, es sei doch alles viel zu groß, jetzt wo sie sich den Fuß gebrochen hätte und auf Hilfe angewiesen sei. Die verpachteten Ackerflächen, auf denen früher der eigene Kürbis angebaut worden war, könnten zum Verkauf angeboten werden. Wie wollte sie sich denn außerdem um den großen Garten kümmern? Das konnte auch Louis nicht mehr bewältigen, er hatte es ja immerhin mit der Gicht. Welche Gicht? Sie wären – auf einmal hatte sie in Wir-Form gesprochen und Zustimmung heischend zu Eduard geschaut, der peinlich berührt aus dem Fenster starrte – ganz zufällig auf eine wunderschöne Einrichtung, die betreutes Wohnen hieße, gestoßen. Das sei extra für rüstige, Mimi hasste das Wort rüstig in Verbindung mit sich selbst, Damen wie sie konstruiert worden, denn da könnte sie alles selbst machen, würde jedoch, was?, jetzt fehlte Ilsa das richtige Wort und sie blickte Unterstützung suchend zu ihrem Mann.
„Eduard, jetzt sag doch auch mal was“, forderte sie ihn leise, ohne ihn anzusehen, auf.
Edi blickte seine Mutter unsicher an. „Mama, wir machen uns halt Sorgen. Du weißt schon. Du ganz allein hier …“
„Louis ist doch auch hier“, warf Mimi ein.
„Mama, er ist …“ Eduard hielt im Satz inne, denn der Blick seiner Mutter schien zu sagen „sag auf keinen Fall alt“.
Er räusperte sich. „… er hat gesundheitliche Probleme. Die Gicht.“
„Woher habt ihr bloß das mit der Gicht?“ Mimi war entnervt, aber Eduard ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. „… und ist nicht mehr der Jüngste. Welche Hilfe kann er schon für dich sein?“, entgegnete Eduard.
Ilsa nahm den Faden wieder auf. Sie schien sich gefasst zu haben und Mimi wusste, dass ihr Edi nicht sehr durchsetzungsstark war.
„Maria“, setzte Ilsa zum Schlussplädoyer an. Niemand außer Ilsa nannte sie so. „Die Zeiten sind schlechter geworden. Der Grund hier liegt abseits, niemand würde dich hören, wenn du überfallen werden oder du wieder stürzen solltest. Du weigerst dich ja ein Handy zu benützen. Dabei haben wir dir so ein schönes mit extra großen Tasten letzte Weihnachten geschenkt. Louis ist gleich stur wie du, und er könnte sich auch niemandem mehr zur Wehr setzen. Es wäre doch für alle am besten, wenn du“, sie räusperte sich, „wenn ihr hier alles abstoßen und euch eine gemütliche Rente machen würdet. Ihr könntet reisen und euer Leben genießen.“ Wehmütig sah sie Mimi an, die den Verdacht hegte, dass sie sich selbst eine Auszeit herbeisehnte.
Mimi hatte nie etwas von Yoga oder Meditation gehalten. Jetzt wünschte sie sich, eine richtige Atemtechnik gelernt zu haben, um einige Sekunden Bedenkzeit zu gewinnen. Mimi atmete tief durch die Nase ein und wieder aus. „Meine Lieben, ich bin gerührt, dass eure Gedanken um mich kreisen. Aber macht euch bitte nicht zu viele Sorgen. Ich werde über euren Vorschlag nachdenken und mir etwas einfallen lassen.“
Eduard und Ilsa schienen erleichtert und voller Vorfreude auf Aussichten, die Mimi unbekannt waren. Lächelnd verabschiedeten sich ihr Sohn und ihre Schwiegertochter. Na also – geschafft! Eine Zeit lang war sie die beiden los.
Maria Emilia wäre nicht verwunderter gewesen, wenn ihr Sohn ihr die Mitteilung gemacht hätte doch mehr Gefallen am männlichen Geschlecht zu finden, als an Ilsa. Für einen kurzen Moment war sie sogar geschockt gewesen. Doch ihr angeborener Pragmatismus übernahm rasch wieder das Kommando. Sie hätte sich lediglich eine herzlichere, weniger distanzierte Schwiegertochter gewünscht. Und auf den Enkel, der nie das Licht der Welt erblickte, hatte sie sich lange umsonst gefreut, obwohl ihr Louis immer wieder zu verstehen gegeben hatte, dass sie auch ohne Großmutter zu werden glücklich sein würde. Sie war weder dumm noch blind und wusste, dass sich die beiden nicht liebten. Wie karg es um ihr Liebesleben bestellt war, konnte sie jedoch nur ahnen.
Nach Hans‘ Tod gestand sie sich ein, dass weder Ilsa noch Eduard ihr sehr nahe standen. Ihr Sohn hatte sich nach seiner Hochzeit vollkommen verändert. Sie erkannte ihn nicht wieder. Jeder Versuch ihrerseits ihm nahe zu sein, wurde von ihm abgebrochen. Irgendwann sagte sich Mimi, dass ihr Sohn als Erwachsener Wege einschlug, die sich mit ihren nicht kreuzten. Louis brauchte viel Zeit und Liebe, um sie zu trösten.
Einzig zu ihrer Nichte und Stieftochter Tilla und deren Sohn Arthur hatte sie eine liebevolle, innige Verbindung. Aber die beiden lebten weit weg in Wien und kamen nicht sehr oft zu Besuch, weil Tilla ihren spärlichen Urlaub als alleinerziehende Mutter sorgsam einsetzen musste. Maria Emilia mied die Stadt so gut sie konnte.
Als Tilla noch mit Konrad verheiratet gewesen war, waren sie gelegentlich gemeinsam in die Südsteiermark gekommen. Tillas Mann gab bald zu Bedenken, dass die Fahrt für ein Wochenende zu lang wäre, und im Urlaub wollte er gerne neue Ziele erkunden. In Wahrheit fürchtete er Mimis analytischen Blick mit der hochgezogenen linken Augenbraue und ihre entwaffnende Ehrlichkeit, die keine Widerrede duldete.
Er war Mimi von Anfang an nicht sympathisch gewesen und sie fragte sich, was ihre kluge Nichte wohl an diesem unselbständigen Waschlappen von Mann gefunden hatte. Vor Hans hatte Konrad regelrecht Angst gehabt und Louis war ihm suspekt, weil er ihn in kein Schema einordnen konnte. Lediglich Eduard und Ilsa konnten ihm einige Worte und Wohlbehagen abringen.
„Das Anwesen ist wundervoll – man könnte natürlich noch viel mehr daraus machen –, deine Familie ist etwas gewöhnungsbedürftig“, waren seine Worte zu Tilla nach ihrem ersten Besuch auf Birkenhof gewesen, die Mimi zufällig mitgehört hatte. Daraufhin war er ihr noch unsympathischer gewesen und am liebsten hätte sie ihn des Hofes verwiesen. Doch sie befürchtete, Tilla dann noch seltener zu sehen und hielt sich zurück.
Nach Jahren des Wartens hatte anscheinend auch Tilla es aufgegeben an Konrads Gewöhnung zu hoffen. Dennoch telefonierten sie und Mimi immer wieder miteinander und schrieben sich ab und zu Briefe, was Mimi wegen Tillas knapper Zeit sehr schätzte. Aber sie war schon mit ihrem Sohn nicht zurechtgekommen, wie sollte sie es diesmal besser machen? Obwohl – sie hatte Eduard immer geliebt und versucht, im beizustehen.
Natürlich hatte sie getan, was ihr Mann Hans für richtig hielt. Das war so gewesen und sie hatte es beizeiten nie in Frage gestellt, weil sie aufgrund ihrer Lüge meinte, nicht das Recht dazu zu haben. Nur in letzter Zeit stellte sich der eine und andere Zweifel ein. Hätte sie sich gelegentlich durchsetzen sollen? Hätte sie sich gar gegen ihn stellen sollen? Sie war schließlich nicht immer einer Meinung mit ihrem Mann gewesen. Genauer betrachtet fast nie.
Louis. Louis war immer für sie da gewesen und sie verstanden sich ohne Worte. Mutter Herzogs Einmischung – sie hätte die Mühle niemals geopfert – gepaart mit Mimis Eheversprechen und dem einzigen Erben ließen sie bei ihrem Mann Hans bleiben. Wenigstens konnte sie ihre Liebe zu Louis ausleben ohne, dass er oder die Leute im Dorf etwas bemerkten, denn Mutter Herzog hatte diesbezüglich Wort gehalten. Niemanden wunderte es, dass Louis und Maria Emilia gemeinsam auf Birkenhof leben blieben. Für Außenstehende konnten sie Geschwister sein. Der Nachname war ohnehin derselbe.
Louis schlenderte grinsend ins Wohnzimmer mit zwei Tassen Tee in der Hand. Die dunkelrote untergehende Sonne tauchte das Wohnzimmer in ein warmes Licht. „So, so, die Gicht.“
„Sag mir, dass nichts Wahres daran ist“, fuhr Mimi ihn aufgebracht an.
„Wenn es so wäre, wärst du die erste, die davon erfahren würde.“ Er grinste sein charmantestes Altmännergrinsen. Mimi kannte es so gut. Nein, ihr Louis würde sie niemals anlügen.
„Es geht dir also gut?“
„Es ist mir niemals besser gegangen.“
„Hör auf zu grinsen.“
„Einen Schuss in den Tee, meine Liebe?“
„Ach, wenn ein Tee uns helfen könnte … Dieses Land ist unsere Heimat. Soll nun alles, wofür wir gelebt haben für immer zu Ende sein?" Mimi seufzte, Tränen standen ihn ihren Augen.
„Maria Emilia, mach dir keine Sorgen. Es wird alles gut. Bald ist es soweit." Louis lächelte beruhigend, wie er meinte und knipste das Licht der alten Biedermeier-Stehlampe an.
„Edi will die Mühle nicht! Wann kapierst du das endlich, du alter Sturkopf? Es liegt doch auf der Hand!“ Mimi war wütend und setzte nach: „Die Mühle steht seit mehr als einem Jahr still. Unser lieber Sohn möchte sie verkaufen, nicht wiederbeleben“, fasste Mimi enttäuscht zusammen.
Louis betrachtete sie amüsiert. „Edi liebt die Mühle. Es wird alles gut. Es kommt, wie es kommen muss. Und bald ist es soweit“, wiederholte er sich.
„Sei nicht immer so kryptisch." Mimis Ton war zum Schneiden.
„Was bin ich?" Louis schüttelte sich vor Lachen und seine weißen Stirnfransen baumelten lustig.
„Kryptisch."
„Wo hast du dieses Wort denn aufgeschnappt?" Er wischte sich eine Träne aus seinem faltigen Augenwinkel. „Du liest gerade wieder einen deiner Romane!“
„Ich trinke meinen Tee heute allein", fauchte Mimi und zog sich in ihre geliebte Küche zurück, von wo aus sie noch immer Louis' Lachen hören konnte.