Читать книгу Tillas Mühle - Verena Maria Mayr - Страница 9

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Irgendetwas führte Eduard im Schilde, das spürte Ilsa. Dass er wieder eine Geliebte hatte wusste sie, auch wer sie war. Und deswegen war Ilsa auf der Hut. Ihren Jahre lang mühsam erarbeiteten Status als, wenn auch erduldete, Ehefrau von Eduard Herzog wollte sie sich von einer jungen, vollbusigen Sekretärin nicht wegnehmen lassen.

Eduard war schon damals der beste Fang in der ganzen Stadt gewesen, und alle konnte er haben, er war noch immer sehr attraktiv – zumindest in ihren Augen. Ilsa wusste am besten von den Liebesritualen, die seinetwegen von allen Mädchen ab 15 Jahren mehr oder weniger heimlich durchgeführt wurden. Sie selbst hatte bei Vollmond Kerzen angezündet und seinen Namen hundert Mal wiederholt, bis sie fast in Trance gefallen war. Sie hatte Briefe an ihn geschrieben und verbrannt. Ihre Mutter hatte sie verdächtigt heimlich zu rauchen und ihr eine Woche lang das Ausgehen verboten. Nichts hatte gewirkt, und beim Maifest erkannte Ilsa die einmalige Gelegenheit, Eduard mit viel profaneren Mitteln für sich zu gewinnen. Sie gab sich ihm hin. In ihren Träumen war es unendlich romantisch gewesen. Eduard – Prinz Eduard – war zärtlich, zuvorkommend und einfühlsam. Sie war die wunderschöne, von allen geliebte Prinzessin Eleonora, der Name Ilsa war ihr so verhasst, wie ihre zu breit geratene Nase, ihre dünnen Haare und zu kleinen Brüste.

Eduard hingegen war für sie perfekt: strohblondes, dichtes Haar, kornblumenblaue Augen und eine stattliche Statur – der junge Robert Redford. Er war so betrunken, dass er Mühe hatte in Ilsa einzudringen. Von seinem Atem wurde ihr übel, ihr bestes Kleid zerriss, weil er sie so fest in den Wiesenboden drückte. Als Eduard schließlich kam und mit seinem gesamten Gewicht auf ihr niedersank, wurde Ilsa fast ohnmächtig. Sie wollte vor Enttäuschung weinen. Endlich rührte sich ihr Eduard und sah sie zum ersten Mal direkt an. Ekel schien sein schönes Gesicht zu verzerren. Wortlos sprang er auf, riss seine Hose hinauf, stolperte zum nächsten Baum und übergab sich.

Ilsa wollte vor Scham vergehen. Sie wusste, dass sie hässlich war. Das rieb ihr die fesche Hanna bei jeder Gelegenheit unter die Nase. Ihr gönnte sie Eduard nicht – auf keinen Fall! –, und ein Plan keimte in ihr auf.

Als ihre Tage tatsächlich ausblieben und sie wusste, dass sie ein Kind erwartete, war Ilsa überglücklich. Wenn Eduard sich einmal an den Gedanken gewöhnt hatte, dass er bald Vater werden würde, würde sich die Liebe zu ihr gewiss auch einstellen und sie würden weitere Kinder bekommen, wie es in der Großfamilie Herzog seit jeher war. Ilsa streichelte ihr noch nicht vorhandenes Bäuchlein und machte sich auf den Weg zu Eduard, den sie gleich um ein Vieraugengespräch bitten wollte.

Der schweigsame Louis hatte ihr die schwere Holztür geöffnet und sie hereingebeten, nachdem er sie kurz gemustert hatte. War es Mitleid gewesen, das sie in seinen sanften Augen entdeckt zu glauben hatte? Verwirrt folgte sie dem Adoptivbruder von Eduards Vater, der sie ins Wohnzimmer führte und sachte auf einen Stuhl drückte. Als Eduard salopp den stilvoll eingerichteten Salon betrat, schnellte Ilsa unbeholfen in die Höhe.

„Das ist ja eine Überraschung“, gab sich der große Charmeur selbstsicher, um die aufgetauchte innere Unruhe zu überspielen. „Was führt dich zu mir?“ Eduard konnte sich nur mit Mühe und Not an das Stadtfest erinnern. Es war zwei Monate her und seitdem war er Ilsa bestmöglich aus dem Weg gegangen.

Ilsa senkte die Augen. Sie konnte ihn unmöglich anblicken und ihm sagen, was zu sagen war. Beinahe versagte ihr die Stimme. Leise stolperten die Worte über ihre Lippen. Als sie es wagte Eduard anzusehen, war alle Farbe aus seinem Gesicht gewichen. Benommen torkelte er zur Bar und schenkte sich irgendetwas ein, das er auf einen Zug hinunter kippte. Nachdem er tief durchgeatmet hatte, drehte er sich um und zischte: „Mach es weg. Du musst es wegmachen!“

Wäre der alte Herzog nicht just in diesem Moment eingetreten und hätte sie aufgefangen, wäre sie ohnmächtig auf dem harten Terrakottaboden aufgeschlagen. Gleich darauf war Maria Emilia zur Stelle und legte ihr ein feuchtes Geschirrtuch auf die bleiche Stirn.

Der alte Herzog bedachte seinen Sohn mit einem undefinierbaren Blick. Er bestand darauf, dass sein Sohn die Mutter seines zukünftigen Enkelkindes ehelichen müsse. Ganz Mureck war überrascht wegen der raschen Hochzeit und es wurde hinter vorgehaltener Hand getuschelt, denn ein Kind wurde nie geboren. Ilsas Eltern waren weder reich noch gehörten sie der besseren Gesellschaft an. Ilsas Vater war bei der Post und ihre Mutter war Hausfrau. Sie waren nette Leute, man kannte sie nicht wirklich, denn sie waren sehr zurückhaltend und lebten zurückgezogen in einem kleinen Haus am Stadtrand. Die Tochter hatte man als schüchternes, unauffälliges Mädchen in Erinnerung. Die Gerüchte schwirrten wochenlang wie satte Bienen durch die Straßen.

Die fesche Hanna schoss Giftpfeile auf Ilsa und schloss sie aus ihrer Mädelsrunde aus. Ilsa war das egal. Endlich war sie jemand. Wenn sie schon nicht um ihrer selbst willen anerkannt wurde, dann wenigstens als Frau Herzog Junior. Eigentlich war ihr auch das egal. Was für sie zählte war, dass ihr Prinz sie geheiratet hatte.

Ilsas Mutter war eine nüchterne Person, die die Situation kalt einschätzte. „Ich will nicht wissen, was du getan hast, damit es soweit kommt. Glücklich wirst du mit dem Herzog nicht“, prophezeite sie. Wie Recht sie damit hatte, konnte niemand ahnen.

Niemand hatte etwas dagegen, als Eduard und seine zukünftige Frau nach dem Tod von Ilsas Eltern, kurz vor ihrer Hochzeit, das geräumige Bauernhaus am anderen Ende der Stadt sanierten, um dort zu wohnen. Ilsa fragte sich oft, wie es wäre mit Eduard unter einem Dach zu leben. Die Krankheit ihrer Eltern war schmerzhaft aber zum Glück für die beiden kurz verlaufen. Alle hatten Verständnis dafür gezeigt, dass Ilsa bis zum Schluss für ihre Eltern da sein wollte und bei ihnen blieb. Niemand, schon gar nicht Eduard, hatte sie jemals gefragt, ob sie nach Birkenhof ziehen wollte. Nur Mimi hatte sich täglich erkundigt, wie es ihr gehe und ob sie helfen könne. So kam es, dass Ilsa bis zum Tag ihrer Hochzeit allein im Elternhaus lebte.

Nie würde sie Maria Emilia vergessen, dass sie zu ihr kam, um ihr beim Anziehen zu helfen und ihr eigenes Hochzeitskleid mitbrachte. Sie hatte schlicht keine Zeit gehabt, sich um eines zu kümmern.

„Du bist so schlank, wie ich es war. Das Bäuchlein sieht man kaum“, sagte sie und hielt ihr ein bezauberndes weißes Kleid hin. Das enge, ärmellose Oberteil war entlang der Seitennähte mit kleinen silbernen Perlen bestickt, der lange Rock reichte bis zum Boden und die Rohseide schimmerte wie Perlmutt im hellen Tageslicht. „Ich hoffe, es bringt dir Glück. Willkommen in der Familie Herzog.“ Mimi umarmte sie herzlich.

Ilsa zitterte vor Aufregung so sehr, dass sie kein Wort herausbrachte und die nette Geste nicht erwidern konnte. Sie hoffte, dass sie Maria Emilia ihre Dankbarkeit und Zuneigung mit der Zeit zeigen konnte.

Ihre künftige Schwiegermutter steckte ihr Haar hoch und wartete, bis Ilsa ihre Wimpern getuscht und einen leichten Lippenstift aufgetragen hatte, um ihr den Schleier aufzusetzen. „Du siehst bezaubernd aus.“

„Danke“, hauchte Ilsa und ließ sich von Maria Emilia zum Auto begleiten. Dort fiel ihr auf, dass Louis am Fahrersitz saß. Er musste die ganze Zeit gewartet haben. Nun stieg er aus, um ihr die Tür aufzuhalten und hineinzuhelfen.

„Alles braucht seine Zeit, alles wird gut, Ilsa“, murmelte er. Vorsichtig drückte er die Tür zu und öffnete sie auf der anderen Seite für Mimi, die in ihrem eleganten taubengrauen Kostüm wunderschön aussah und die er mit einem liebevollen Blick bedachte. Sie nickte ihm zu, Louis stieg ein, startete den Wagen und fuhr zur Kirche.

Auf dem Weg dorthin wurden sie auf der Straße immer wieder von Kindern aufgehalten, die die Braut sehen und sich ein Taschengeld verdienen wollten, indem sie Sprüche aufsagten oder ein paar selbst gepflückte Wiesenblumen hinhielten. Mimi nahm die Präsente entgegen und Louis ließ Münzen in die ausgestreckten, kleinen Hände fallen. Ilsa nahm all das nur am Rande wahr. Auf dem Platz vor der wunderschönen Barockkirche, die seit mehr als hundert Jahren das Schicksal ihrer Stadtbürger begleitete, fanden sich viele Schaulustige, die neugierig beobachteten, wie der Wagen parkte und die drei ausstiegen.

Ilsa war froh, sich hinter dem Schleier verstecken zu können und dass Louis ihr den Arm reichte. „Ich fühle mich geehrt, dich zum Altar zu führen“, sagte er.

Das Wetter war so trüb, wie Ilsa sich fühlte. Kein Sonnenstrahl drang durch die dicke Wolkendecken. Jederzeit konnte es zu regnen beginnen. Obwohl es nicht kalt war, fröstelte es sie und sie bekam Gänsehaut, als sie die Kirche betrat, wo Eduard an Hans’ Seite vorne beim Altar stand und ihr entgegenstarrte, als wäre sie ein Geist, den es Kraft der Gedanken zu vertreiben galt.

An Louis’ Seite schritt sie durch den Gang, dessen alter Steinboden mit einem roten Teppich ausgelegt war, der ihre Schritte dämpfte. Maria Emilia folgte ihnen. Laute Orgelmusik durchschnitt die Luft, sodass Ilsa zusammenzuckte. Es gab keine fröhliche Instrumentalmusik oder einen Jungscharchor. Brautjungfern gab es keine. Kinder, die Blumen streuten gab es keine. Ilsa hatte keine Angehörigen. Von der Familie Herzog waren außer Hans, Maria Emilia und Louis nur Tilla und Hans’ Geschwister Renate, Christa und Joachim mit Partnern anwesend.

Vor dem Altar angekommen übergab Louis sie Eduard, der während der gesamten Zeremonie steif neben ihr stand. Sein Trauzeuge war Hans und Maria Emilia war als Trauzeugin für Ilsa eingesprungen, die sich noch immer wunderte, warum ihre Schwiegertochter keine Freundin und ihr Sohn keinen Freund gefragt hatte.

Der alte, etwas schwerhörige Pfarrer begrüßte das Brautpaar und die Mitfeiernden lächelnd und augenzwinkernd. Er schien die frostige Stimmung nicht wahrzunehmen und begann mit dem Eröffnungsgebet. Schließlich war er bei seiner Lieblingspassage angekommen: „Liebes Brautpaar! Ihr seid in dieser entscheidenden Stunde eures Lebens hierher gekommen, um vor uns allen zu bezeugen, dass ihr einander unwiderruflich als Mann und Frau angehören wollt. Bevor ihr den Bund der Ehe schließt, frage ich euch nun einzeln, ob ihr eure Ehe in voller Freiheit und mit aufrichtiger Bereitschaft eingehen wollt.“

Etwas irritiert blickte der Pfarrer zwischen den Brautleuten hin und her, weil niemand antwortete. Ilsa schlug ihren Schleier zurück und nickte leicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit schien es Eduard ihr gleich zu tun und der Pfarrer forderte sie auf das Ehegelöbnis zu sprechen.

„Eduard Hans Herzog, ich frage dich: Bist du hierher gekommen, um nach reiflicher Überlegung und aus freiem Entschluss mit deiner Braut Ilsa Schober den Bund der Ehe zu schließen?“

Ilsa wagte es nicht, Eduard anzuschauen. Gespannt hielt sie die Luft an. Was, wenn …?

„Ja“, presste Eduard hervor.

„Willst du deine Frau lieben und achten und ihr die Treue halten alle Tage ihres Lebens?“

Eduards „Ja“ war kaum vernehmbar und der Pfarrer hielt sich die rechte Hand muschelförmig ans Ohr.

Nachdem Ilsa ihr Ja-Wort gegeben hatte, sagte der Pfarrer: „So schließt jetzt den Bund der Ehe, indem ihr das Vermählungswort sprecht. Dann steckt einander den Ring der Treue an.“

Die Brautleute wandten sich einander zu. Eduard steckte Ilsa den Ring an, Seine Finger waren so eiskalt wie die ihren. Er blickte sie an und sagte kein Wort. Ilsa hielt ihre Tränen zurück und tat es ihm gleich.

„Im Namen Gottes und seiner Kirche bestätige ich den Ehebund, den ihr geschlossen habt. Was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen.“

Ihre Hochzeitsnacht verbrachte Ilsa allein mit Bauchkrämpfen in ihrem großen Doppelbett. Ihr frisch angetrauter Gemahl war nach der Feier losgezogen und hatte sich in den frühen Morgenstunden sturzbetrunken und vollkommen bekleidet neben sie gelegt und war in einen komatösen Schlaf gefallen. Sein alkoholgeschwängerter Atem nahm ihr beinahe die Luft zum Atmen.

Schmerzverzerrt gelangte sie zur Toilette, wo sie sich übergab und kurz ohnmächtig wurde. Als sie wieder zu sich kam, bemerkte sie das Blut, das an ihren Beinen herabfloss. Ilsa entsorgte die Badetücher mit dem blutigen Ausfluss, den die Fehlgeburt in schmierigen, krampfartigen Strömen hinterließ, heimlich. Sie weinte heimlich. Sie trauerte heimlich. Sie schämte sich heimlich.

Nachdem Eduard herausgefunden hatte, dass sie nicht schwanger war – Ilsa hatte ihm gesagt, dass es sich unglücklicherweise um eine Scheinschwangerschaft gehandelt hätte (ein wenig, weil sie kein vorgeheucheltes Mitleid wollte, ein wenig aus Gehässigkeit, weil er sie nicht lieben wollte), zerschlug er wütend alles, was sich in seiner Nähe befand. Er brüllte, wie ein Stier vor dem Todesstoß durch den Torero, er trat gegen die Schlafzimmertür, sodass ein Loch in ihr klaffte und riss sich selbst an den Haaren, ballte die Fäuste und biss seine Zähne aufeinander, dass sie knirschten. Ihr wunderschöner Prinz Eduard erschien in hässlicher Fratze und entpuppte sich als furchterregendes Monster.

Noch nie hatte Ilsa ein Spektakel dieses Ausmaßes erlebt. Sie selbst verschonte er mit Schlägen, aber seine Worte verletzten sie in ihrem tiefsten Inneren. Am selben Tag zog Eduard in ein eigenes Schlafzimmer und erschien nur noch gelegentlich zum Essen oder Schlafen. Lediglich nach außen hin zeigten sie sich als Paar.

Im kleinen Städtchen wurde sie gegrüßt aber nirgendwohin mehr eingeladen. Auch ihre ehemaligen Schulfreundinnen wandten sich von ihr ab. Hier hielt man zusammen. Aber nur, wenn man sich vollkommen anvertraute. Geheimnisse waren nur gestattet, wenn sie ohne allzu große Mühe aufzudecken waren.

Erzählen, was genau geschehen war, hätte Ilsa nie gekonnt. Dafür schämte sie sich vor sich selbst zu sehr. Hätte sie ihr Geheimnis mit den anderen Frauen geteilt, wäre sie bestimmt auf Unverständnis gestoßen. Letztendlich hätte man sie dennoch gemieden und sich zudem das Maul über sie zerrissen. Nein, es war, wie es war und Ilsa musste mit ihrem Schicksal allein zurechtkommen. Sie hatte, um Eduards Frau zu werden, einen hohen Preis bezahlt. Ilsa war eine Geduldete geworden. Sie war vollkommen allein.

Eduard fühlte sich freier und nicht mehr so sehr der Herrschaft seines Vaters und der Beobachtung seiner Mutter ausgesetzt, seit er in seinem eigenen Haus wohnte. Es fiel ihm leichter, seine Liebschaften zu koordinieren, denn seiner Frau gegenüber fühlte er sich weder schuldig noch hatte er das Bedürfnis Rechenschaft ablegen zu müssen. Er tat was ihm gefiel und lebte, als würde Ilsa nicht existieren. Nur zum Schein schlief er ab und an zu Hause.

Niemals zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so einsam gefühlt. Mit den Jahren dachte sie sich, dass sie in einer Großstadt weniger allein gewesen wäre. Aber was hätte sie schon machen sollen, ohne Ausbildung? Ohne eigenes Geld. Ohne Kontakte. Ohne den nötigen Mut zum Neubeginn – und tief in ihr blieb die Sehnsucht nach Prinz Eduards Bild, das sie sich in ihrer blinden Verliebtheit erschaffen hatte. Ihr Prinz – ihr Mann. Ihr Mann – der Fremde.

Ilsa bewunderte die heitere, hübsche Tilla und beneidete sie ein wenig. Sie wirkte stets stark und positiv. Tilla war unabhängig und meisterte als Alleinerziehende das Leben mit ihrem Sohn in einer Stadt weit weg von Mureck. Sie wusste, dass diese Gedanken unrecht waren, aber immer wieder haderte sie mit ihrem Schicksal.

Warum war ihr Baby nicht zur Welt gekommen? Das hätte ihr Leben mit Eduard vielleicht erträglicher gemacht. Um ihrer Scheinehe ein Ende zu bereiten, war sie zu feige. Was hätte sie auch tun sollen? Nachdem ihre Eltern knapp hintereinander an Krebs gestorben waren, war sie allein. So hatte sie wenigstens ein Heim, das sie sich nicht hätte leisten können, und ihre Schwiegereltern behandelten sie gut.

Maria Emilia war eine gescheite, schöne Frau. Energisch, geradeheraus und fordernd, aber gerecht und herzlich, arbeitsam und fleißig. Sie hatten keine innige Beziehung zueinander – Ilsa schaffte es nicht sie Mimi zu nennen, denn das käme ihr zu intim vor – und Ilsa konnte verstehen, dass sie ihren Sohn ihrer Schwiegertochter vorzog und ihm Besseres wünschte.

Letzten Endes zählte jedoch immer Hans‘ Wort. Hans Herzog war ein Mann alten Schlages. Korrektheit war das Wort, das Ilsas Meinung nach am besten auf ihn zutraf. Er war unendlich korrekt, so korrekt, dass er auf Toleranz gegenüber der jugendlichen Fehler seines Sohnes vergaß. Er tolerierte keine geschäftlichen Verfehlungen, und er ließ es nicht zu, dass sein Sohn und seine Frau getrennte Wege gingen. Bei Familienfeiern oder gesellschaftlichen Verpflichtungen hatten sie gemeinsam zu erscheinen. Die außerehelichen Verfehlungen schien er zu ignorieren, diese waren in seinen Augen eine innereheliche Angelegenheit.

Ilsa achtete ihren Schwiegervater, weil er immer fair und höflich zu ihr war, netter als ihr Ehemann. Aber er schien sich nichts aus ihr zu machen, aus Eduard nicht – aus Maria Emilia eigentlich auch nicht – und gab sich nie der Illusion hin, sein Sohn würde einen würdigen Nachfolger mit ihr zeugen. Er hatte ihr nichtssagendes Eheleben nach kürzester Zeit durchblickt.

Tillas Mühle

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