Читать книгу Verdächtige Stille - Veronika Wetzig - Страница 22
Sonntag, 30. Oktober, 6:33 Uhr
ОглавлениеVerschlafen betritt Ben die Küche, in der es schon nach frischem Kaffee duftet. Clara steht an der Anrichte und ist dabei, das Frühstück vorzubereiten. Als sie Ben bemerkt, dreht sie sich um, legt das Besteck zur Seite und geht mit traurigem Blick auf ihn zu.
„Ben, es tut mir so leid“, sagt sie und schließt ihn vorsichtig in ihre Arme. „Felix hat mir gestern Nacht noch erzählt, was passiert ist.“
Langsam löst sie sich aus der Umarmung und sieht Ben direkt an. „Es ist so schrecklich, wer tut so etwas?“
„Wenn ich das nur wüsste.“ Resigniert lässt Ben sich auf einen Küchenstuhl fallen.
„Hier, trink erst mal einen Kaffee. Felix kommt auch gleich wieder, er musste nur noch einmal kurz in die Werkstatt.“ Im gleichen Moment hören sie, wie Felix das Haus betritt.
„Morgen Ben, ich hoffe, du konntest wenigstens ein bisschen schlafen.“
„Geht schon.“
„Nach dem Frühstück bringt Clara die Mädchen zu ihren Eltern, dann können wir uns überlegen, was wir tun können.“
„Mh…“, Ben starrt gedankenverloren in seine Kaffeetasse. Clara und Felix wechseln einen sorgenvollen Blick über seinem Kopf. In dem Moment ist ein Poltern am Treppenabsatz zu hören. Beide atmen erleichtert auf als Emily, ihre Jüngste, in die Küche gestürmt kommt. Sie ist gerade erst drei Jahre alt, aber ein Energiebündel durch und durch. Ihre rotblonden Locken scheinen immer in Bewegung zu sein und meist steckt sie alle sofort mit ihrem Elan an. Auch jetzt kann sich Felix ein Lächeln nicht verkneifen als Emily einen Moment in der Tür verharrt und dann mit einem Jubelschrei auf Ben zustürmt.
„Onkel Ben!“ Fröhlich wirft sie sich in Bens Arme. Er schafft es gerade noch rechtzeitig, sich auf seinem Stuhl in Position zu bringen. Geschickt fängt Ben die Kleine auf und drückt sie fest an sich. Er merkt, wie sich ein dicker Kloß in seiner Kehle bildet.
„Hallo Emy!“, bringt er krächzend heraus.
Während Emily es sich auf seinem Schoß bequem macht taucht ein weiteres Gesicht in der Küchentür auf. Ben blickt auf und lächelt seit – so scheint es ihm – einer Ewigkeit: „Guten Morgen Sam!“ Samantha ist knapp drei Jahre älter als Emily. Auch ihr Haar ist rotblond, doch es fällt in weichen Wellen auf die Schultern.
„Hallo Onkel Ben?“ Samanthas Begrüßung klingt eher fragend. Doch gleich darauf geht ein Strahlen über ihr Gesicht und sie huscht zu Ben und gibt ihm einen dicken Schmatzer auf die Wange. Samantha ist die ruhigere der zwei Geschwister. Sie wirkt zunächst eher schüchtern, doch macht sie dies schnell durch ihre offene und herzliche Art wieder wett. Während Emily ihren Gefühlen stets freien Lauf lässt, scheint Samantha die Dinge immer erst zu überdenken. Doch zusammen sind die beiden ein unschlagbares Team. Und so grinsen sie sich auch jetzt vergnügt über den Frühstückstisch hinweg an.
„So Kinder, nun setzt Euch aber erst mal ordentlich an den Tisch, damit wir frühstücken können“, bittet Clara die Mädchen freundlich und schiebt für Emily den Stuhl zurück. Emily klettert vorsichtig von Ben herunter und schlurft in ihren rosa Puschen zu ihrem Stuhl.
„Wo ist Tante Marie? Und Annely? Wir könnten eine Schneeballschlacht machen“, fragt Emily freudig aufgeregt.
„Guck mal raus, Emy, da liegt doch noch gar kein Schnee“, klärt Samantha ihre kleine Schwester auf und schüttelt dabei besserwisserisch den Kopf.
Bevor Emily und Samantha Ben mit weiteren Fragen bombardieren können, lenkt Clara schnell ein.
„Papa und Onkel Ben haben heute etwas Wichtiges zu erledigen und damit ihr sie nicht ständig von der Arbeit abhaltet, gehen Oma und Opa heute mit euch in den Zoo. Na wie ist das?“
„Oh ja, das ist auch toll“, ruft Emily begeistert, „aber heute Abend essen wir alle zusammen, dann will ich Annely von den weißen Erdbeeren erzählen, die sind soooo süß.“
„Eisbären, Emy, es sind Bären und nicht Beeren. Beeren hängen am Strauch und dafür sind Bären doch viel zu schwer, meinst du nicht auch?“, klärt Felix seine dreijährige Tochter auf.
Ben beobachtet das Gespräch still und fühlt einen Stich im Herzen. In Gedanken ist er schon wieder bei Marie und Annely. Wenn sie doch nur auch jetzt hier sitzen könnten. Wehmütig beißt er in sein Brötchen und merkt nicht, wie ihm die Marmelade am Finger herunterläuft. „Blut“, brüllt Emily plötzlich, „Onkel Ben, du blutest.“ Erschrocken lässt Ben sein Brötchen fallen und betrachtet entsetzt seine Hand.
„Das ist doch nur Marmelade“, wieder schüttelt Samantha den Kopf. „Kinder“, sie schnalzt mit der Zunge und weiteres Kopfschütteln folgt.
„So, jetzt ist aber mal genug mit Quatschen“, unterbricht Felix das Gespräch freundlich, aber bestimmt, „ihr esst jetzt euer Müsli auf und dann ab zu Oma und Opa, die warten schon.“
Folgsam beugen sich die zwei Kinderköpfe über die Müslischalen. Beide wissen ganz genau: wenn Papa ein Machtwort spricht, ist Schluss mit lustig. Schnell sind die Schalen leer und sofort ist Emily wieder auf den Beinen.
„Können wir jetzt losfahren?“ Fragend sieht sie zu ihrer Mutter hoch. Clara nickt ihr lächelnd zu und sofort ist Emily im Flur verschwunden, um ihre Sachen zu holen. Samantha bringt die leeren Müslischalen zur Spüle und verschwindet dann ebenfalls im Flur.
Clara wirft den beiden Männern einen schnellen Blick zu: „Ich werde in ungefähr einer halben Stunde zurück sein.“
Noch einmal stürmen die beiden Mädchen die Küche und geben Ben und Felix einen dicken Abschiedskuss. Dann fällt auch schon die Tür ins Schloss und plötzlich herrscht bedrückende Stille im Zimmer.