Читать книгу Verdächtige Stille - Veronika Wetzig - Страница 26

Sonntag, 30. Oktober, 9:00 Uhr

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Als Ben aus dem Bad kommt, liegen auf seinem Bett frische Socken, Jeans und ein Pulli von Felix. Dankbar legt er seine alten Klamotten so ordentlich wie möglich zusammen und zieht sich an. Mit seinen Sachen unterm Arm kommt er in die Küche, wo Clara gerade dabei ist, den Frühstückstisch wieder abzuräumen. „Danke für die Sachen“, lächelt Ben seine Schwägerin an.

„Ist doch klar. Gib mal die alten Sachen her, die schmeiß ich gleich in die Maschine“. Sie nimmt ihm den Haufen ab und Ben setzt sich dankbar an den Tisch.

„Und, wie soll's nun weitergehen?“

„Ich muss jetzt erst mal Annely anrufen und meine Eltern bitten, sie noch ein bisschen länger bei sich zu behalten.“

„Wenn's Probleme gibt, sag' Bescheid. Zur Not kann sie auch zu uns kommen.“

Clara setzt sich Ben gegenüber auf den Stuhl und sieht ihm direkt in die Augen.

„Ben, wir helfen dir. Zusammen schaffen wir das, okay?“

„Das ist lieb von euch. Ich wüsste sonst auch gar nicht, an wen ich mich wenden sollte.“ In diesem Moment betritt Felix die Küche.

„Ich hab gerade versucht, meinen Ansprechpartner bei der Bank zu erreichen. Er hatte mir mal seine Visitenkarte in die Hand gedrückt und gemeint ich solle ihn ruhig anrufen, wenn es mal brennen sollte. Du weißt ja, ab und an spekuliere ich schon ganz gern mal mit ein paar Derivaten und da scheint er auch seinen Spaß dran zu haben. Jedenfalls hat er mir extra noch seine Handynummer auf die Karte gekritzelt. Wie auch immer, ich kann ihn momentan weder auf Festnetz, noch auf Handy erreichen. Ich versuch es nachher nochmal – schließlich ist heute Sonntag und da schläft er vielleicht ganz gern mal aus.“

Felix setzt sich wieder zu Ben an den Küchentisch. Trübes Licht scheint durch das kleine Küchenfenster. Der Sturm hatte sich irgendwann in den frühen Morgenstunden gelegt und auch der Regen hat inzwischen nachgelassen. Draußen zieht nun kalter Nebel auf.

„Also gut, dann werde ich mal unsere Eltern anrufen. Oh Gott, hoffentlich merken sie nicht, dass etwas faul ist.“ Ben atmet noch einmal tief durch und greift mit klammen Fingern zum Telefon.

Bereits nach dem zweiten Klingeln wird der Hörer abgenommen und Ben hört die herzliche Stimme seiner Mutter. „Ja hallo?“

„Hi Mum, ich bin's Ben.“

„Ach Junge, schön dich zu hören. Annely fragt schon den ganzen Morgen nach euch. Sie ist ja so eine Liebe, den ganzen Morgen singt und tanzt sie durchs Haus. Sie macht uns so viel Freude. Selbst Opa ist nicht mehr zu bremsen. Man merkt richtig, wie er aufblüht, wenn Annely bei uns ist. Annely, komm schnell her, Papa ist am Telefon.“

Sofort versucht Ben, den Wortschwall seiner Mutter zu unterbrechen. „Mum, warte“, doch zu spät, seine Mutter hat den Hörer bereits beiseitegelegt und im Hintergrund hört er nur noch wie sie nach ihrer Enkelin ruft. Kurz darauf ertönt die aufgeregte Stimme seiner Tochter am Telefon.

„Papa, Papa, Oma hat mir ein neues Kleid genäht, mit einer ganz tollen Schleife. Opa sagt, ich sehe aus wie eine Prinzessin.“

Vor Bens geistigem Auge erscheint Annely, wie sie in ihrem neuen Kleid mehrere Pirouetten vor dem großen Schlafzimmerspiegel seiner Eltern dreht.

„Und heute machen wir eine Party, nur wir drei und dann darf ich mein neues Kleid anziehen und Opa hat gesagt, er macht sich auch ganz fein, er will seinen besten Anzug anziehen und eine Fliege umbinden – aber das geht ja gar nicht, die sind ja viel zu schnell – und Oma ist gestern extra den ganzen Tag mit dicken Rollen im Haar rumgelaufen. Das sah lustig aus. Und dann essen wir Kuchen, den haben wir gestern alle zusammen gebacken. Wir haben auch Luftballons und heute basteln wir noch Girlanden“, Annelys aufgeregte Stimme überschlägt sich fast und beinahe vergisst Ben den eigentlichen Grund seines Anrufes.

„Oh ja, das hört sich an, als wenn ihr jede Menge Spaß hättet, das freut mich aber für dich.“

„Wenn ihr mögt, könnt ihr auch kommen, ihr seid herzlich eingeladen, der Kuchen reicht bestimmt. Es gibt auch Schlagsahne, die magst du doch so gern. Wir machen dann die Stücke einfach ein bisschen kleiner, das passt schon.“ Unbewusst muss Ben schmunzeln als er seine eigene typische Ausdrucksweise aus dem Mund seiner Tochter hört.

Er muss daran denken, wie er Annely einmal von einem Kindergeburtstag abgeholt hat. Wie alle anderen Eltern stand er mehr oder wenig verloren am Garteneingang und wartete darauf, dass die Mutter von Anne, dem Geburtstagskind, seine Tochter aus der wirren Schar von Kindern wieder bei ihm ablieferte. Es waren um die acht Kinder zwischen vier und sechs Jahren, die den ganzen Garten der Familie belagerten und wild mit Bällen, Seilen und Schaufeln umherwuselten. Extra für den Kindergeburtstag hatte man eine mit Luft gefüllte Hüpfburg anliefern lassen, wo sich die Kleinen richtig austoben konnten. Normalerweise brachte Marie Annely zu solchen Veranstaltungen und natürlich kannte sie auch die meisten Eltern und die dazugehörigen Kinder. Ben hingegen hatte Mühe, sein eigenes Kind unter den vielen kleinen Gästen auszumachen. Erschwerend kam hinzu, dass sämtliche Mädchen dem rosa Hello-Kitty-Wahn verfallen waren. Weil die Kinder kein Ende finden konnten, klatschte Annes Mutter schließlich einmal laut in die Hände und bat darum, dass jedes Kind, den Gegenstand, den es gerade in Händen hielt, auf dem Weg zum Gartentor in die große Spielkiste warf. „Sarah, bist du bitte so nett, und bringst mir noch das Bobbycar nach vorne?“ fragte Annes Mutter freundlich ein blondes Mädchen mit akkuratem Pferdeschwanz. Das Mädchen blickte Annes Mutter nur kurz an und erwiderte dann entschlossen: „Tut mir Leid, aber das ist nicht mein Regal“. Übertrieben selbstbewusst stolzierte sie sodann ohne Bobbycar zum Gartentor. Bereits während sie auf ihre wartende Mutter zusteuerte, war Ben klar, dass es sich nur um den reizenden Nachwuchs von Frau Quast handeln konnte, von der Marie einmal erzählt hatte, dass sie im Supermarkt arbeitet und Kunden gern mit diesem Spruch abservieren würde.

„Heute geht es leider nicht, mein Schatz. Mama und ich“, Ben stockt und schluckt sein schlechtes Gewissen für die Lüge an seiner Tochter runter, „wir haben heute noch etwas Dringendes zu erledigen.“

„Oh schade“, erwidert Annely enttäuscht, bevor sie gleich wieder in einen fröhlichen Singsang übergeht, „na ja, dann bleibt mehr für uns übrig.“

Normalerweise wäre Ben bei Annelys Reaktion enttäuscht, doch jetzt senken sich Bens Schultern vor Erleichterung als er merkt, dass sie scheinbar zumindest momentan keinen gesteigerten Wert auf seine und Maries Anwesenheit legt.

„Genau, dann bleibt mehr für euch übrig. Aber nicht, dass Opa dann abends wieder Bauchschmerzen hat“, scherzt Ben.

„Papa!“ erwidert Annely im strengen Ton, „dann gebe ich ihm einfach meine Bärenwärmflasche, dann sind die gleich wieder weg. So macht Mama das auch immer bei mir.“ Ein warmes Gefühl durchströmt Bens Körper bei den Worten seiner Tochter. „Das mach mal. Gibst du mir noch einmal Oma, mein Schatz?“

„Ja, ich muss jetzt auch weiter alles für die Party vorbereiten.“

„Ich hab dich lieb, mein Schatz.“

„Ich hab dich auch lieb, Papa. Gib Mama einen dicken Kuss von mir“. Bevor Ben noch etwas sagen kann, hat Annely den Hörer schon an seine Mutter weitergereicht.

„Hallo Ben, ich bin´s wieder.“ Er hört das Lächeln in ihrer Stimme und sieht direkt vor sich wie sie am Telefon steht und Annely hinterher sieht, die im Wechselgalopp in die Küche hüpft. „Klingt so, als könntet ihr nicht zu unserer Party kommen?“

„So ist es. Um genau zu sein wollte ich euch eigentlich fragen, ob Annely noch etwas länger als geplant bei euch bleiben kann. Marie und ich haben hier noch so einiges auf dem Zettel und das könnten wir dann mal in aller Ruhe abarbeiten.“ Ben lauscht angestrengt ins Telefon.

„Aber sicher! Ich frag nur mal noch kurz deinen Vater. Du kennst ihn ja, manchmal macht er spontan irgendwelche Termine und da will ich ihm nicht in die Quere kommen. Bleibst du einen Moment dran?“

„Klar.“, Ben hört das Knacken im Hörer, als seine Mutter diesen auf die Kommode legt. Kurz darauf kann er im Hintergrund die leisen Stimmen seiner Eltern hören. Ben sieht nervös zu seinem Bruder rüber, der fragend die Augenbrauen hebt. Er deckt die Sprechmuschel mit der Hand ab und flüstert: „Sie sagt, das wäre kein Problem, aber sie will noch kurz Dad fragen.“ Felix nickt ihm aufmunternd zu.

Kurz darauf ist seine Mutter auch schon wieder am Telefon. „Also dein Vater hat auch nichts weiter vor und Annely kann sehr gern bei uns bleiben. Dein Vater hat gleich angefangen, Pläne für die Woche zu machen. Nehmt euch also ruhig Zeit und regelt alles in Ruhe. Vielleicht sprechen wir einfach Mitte der Woche noch einmal?“

„Klar, so machen wir das!“ Ben atmet erleichtert aus. „Danke, damit helft ihr uns wirklich weiter.“

„Das machen wir doch wirklich gern. Und Ben – bei euch ist doch alles in Ordnung?“

„Aber ja, mach dir keine Sorgen, Mum.“ Ben versucht, so viel Optimismus wie möglich in seine Stimme zu legen.

Seine Mutter zögert noch kurz, doch dann verabschiedet sie sich: „Na gut. Dann bestell doch bitte Marie liebe Grüße von uns und wir hören uns dann Mitte der Woche wieder.“ Ben bestätigt ihr dies und legt auf.

Verdächtige Stille

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