Читать книгу Verdächtige Stille - Veronika Wetzig - Страница 37

Sonntag, 30. Oktober, 12:49 Uhr

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Die Werkstatt liegt nur zwei Seitenstraßen von Felix‘ Haus entfernt. Mit quietschenden Reifen parkt er den Volvo auf der gegenüberliegenden Straßenseite und reißt die Fahrertür auf. Das Feuer hat die Temperatur trotz des eisigen Herbstwetters auf gefühlte dreißig Grad ansteigen lassen. Drei Löschfahrzeuge stehen vor dem brennenden Gebäude, das heute Morgen noch eine Werkstatt war. Ein Dutzend Feuerwehrleute kämpfen sich durch die lodernden Flammen, um den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Die Luft ist erfüllt von beißendem Rauch, der Felix sogleich Tränen die die Augen treibt. Von der Fensterfront seiner Werkstatt, ist schon nichts mehr übrig, überall verteilen sich kaputte Glasscheiben auf dem Vorplatz. Lediglich die Eisengitter an der Frontseite sind noch zu erahnen. Zwischen den Flammen wirken sie wie brennende Skelette.

Einer seiner besten Kunden hatte ihm letzte Woche noch seine weinrote Pagode zur Lackaufbereitung für den anstehenden Winter anvertraut. Bei dem Gedanken daran, sackt Felix unweigerlich in sich zusammen.

Die Gegend wurde bereits weiträumig abgesperrt, um die vielen Schaulustigen fernzuhalten und vor den umherfliegenden Brandteilen zu schützen.

Felix rennt auf einen jungen Feuerwehrmann in schwerem Schutzanzug zu, der gerade damit beschäftigt ist, die Leute wieder hinter die Absperrung zu drängen.

„Entschuldigung, können Sie mir sagen, was hier passiert ist?“

Gereizt fährt der Feuerwehrmann ihn an: „Sehen Sie nicht, dass ich hier alle Hände voll zu tun habe? Jeden Moment kann wieder ein Benzintank in die Luft gehen, also treten Sie zurück und bleiben Sie auf jeden Fall hinter der Absperrung.“

Felix sieht sich hektisch um, in der Hoffnung, zwischen den vielen Leuten ein bekanntes Gesicht ausfindig zu machen, als er plötzlich Clara entdeckt. Neben ihr steht Herr Schneider aus dem Haus von gegenüber, wie immer mit Hut und Mantel, an der Leine seinen Dackel Mr. Spock. Mit seinen siebzig Jahren ist Herr Schneider wahrscheinlich der älteste Star Trek-Fan, so dass sein altersschwacher Dackel ebenso wenig von dem Wahn verschont blieb wie seine Ehefrau, die er bei passenden Gelegenheiten gern liebevoll auch als seine Nummer Eins vorstellt.

Zielstrebig geht Felix auf die beiden zu.

„Was ist passiert?“, platzt es aus Felix heraus.

Clara fährt herum und ist sichtlich erleichtert, als sie Felix vor sich sieht.

„Herr Schneider hat bei uns zu Hause angerufen und gesagt, dass es in der Werkstatt eine Explosion gegeben hat. Ich bin sofort hierher gelaufen, nachdem ich dir Bescheid gegeben hatte. Glücklicherweise hatte Herr Schneider schon die Feuerwehr alarmiert, die dann auch sofort anrückte“, berichtet Clara aufgeregt.

Felix Blick wandert zu Herrn Schneider, der es scheinbar kaum abwarten kann, seine Geschichte zum wiederholten Male zu erzählen und schon nervös von einem Bein auf das andere tritt.

„Jo, also das war so, ne“, mit seinem typisch langgezogenen altdeutschen Dialekt schildert der alte Mann die Ereignisse. „Ich bin grade aus der Haustür, um mit Mr. Spock im Park spazieren zu gehen. Das machen wir jeden Morgen so. Mr. Spock braucht viel Auslauf, sonst ist er den ganzen Tag so unruhig.“

Der Mann legt eine theatralische Pause ein, besinnt sich jedoch eines Besseren, als er Felix' ungeduldige Miene sieht.

„Äh ja, wo war ich? Ach ja, wir sind also grad aus der Haustür“, mit zittriger Hand deutet er auf die gegenüberliegenden Häuser, „als es auf einmal knallt, aber so richtig. Bums! Vor Schreck hat Mr. Spock sein kleines Geschäft gleich im Hauseingang verrichtet“, schuldbewusst zieht Herr Schneider beide Schultern hoch. „Und dann stand auch schon die ganze Hütte in Flammen. Wir sind dann sofort wieder rein und ich sach' zu meine Else, 'Else es brennt, ruf sofort die Feuerwehr'. Jo, und das hat sie dann auch gleich gemacht, die Gute.“

Wieder legt Herr Schneider eine längere Pause ein.

„Ja, und dann hab ich auch gleich noch bei Ihnen zu Hause angerufen, die Nummer kenn' ich ja, die steht ja immer ganz groß auf Ihrer Werbereklame. Bis heute Morgen jedenfalls.“ Mitleidig betrachtet er Felix, der schwer mit sich kämpft, um Herrn Schneiders Wortschwall nicht zu unterbrechen.

Freundlich aber bestimmt sieht er Herrn Schneider an. „Das war wirklich sehr vorbildlich von Ihnen, Herr Schneider, haben Sie vielen Dank. Aber ich denke, jetzt gibt es hier nicht mehr viel zu sehen. Es wird wohl das Beste sein, wenn Sie mit Mr. Spock erst einmal wieder nach Hause gehen und sich ein bisschen ausruhen.“

Felix wendet sich wieder Clara zu, als sein Blick auf einen großen Mann neben ihr fällt, mit dem sie gerade in ein Gespräch vertieft zu sein scheint.

„Und wer sind Sie?“, fragt Felix abfällig. Der Mann ist mindestens einen Kopf größer als er, trägt einen langen Trenchcoat und seine Lederschuhe wurden mindestens genauso lange poliert wie seine dunkelhäutige Glatze, die Felix unweigerlich an eine Bowlingkugel erinnert. Abschätzig betrachtet Felix den Mann, der ihm sogleich seine große schwarze Hand entgegenhält.

„Entschuldigung, mein Name ist Conelly, Carlos Conelly.“ Die Augenbrauen hochgezogen sieht Felix seine Frau fragend an.

„Herr Conelly ist Hauptkommissar. Er war gerade auf dem Weg nach Hause, als er zufällig über Funk von dem Feuer erfuhr“, mit großen Augen und einem rechtfertigenden Unterton in der Stimme starrt Clara Felix an, in der Hoffnung, dass Felix die Situation nicht falsch interpretiert.

„Aha, und da haben Sie nichts Besseres zu tun, als sich in Ihrer wohlverdienten Freizeit brennende Häuser anzusehen, oder was?“, wirft Felix dem Kommissar schnippisch entgegen.

„Felix!“

„Ist schon in Ordnung, Frau Wagner. Ihr Mann hat ja Recht.“, entgegnet der Kommissar freundlich. „Normalerweise sind wir auch nicht sofort vor Ort. Ich dachte nur, ich verschaffe mir man lieber gleich einen Eindruck, wenn ich schon in der Gegend bin. Solange die Sache noch heiß ist, sozusagen. Kleiner Scherz, tschuldigung.“

Felix ist gar nicht zum Lachen zu Mute und so sieht er den Kommissar nur entgeistert an.

„Naja, jedenfalls weiß ich dann schon mal, worum es geht, wenn ich später Ihre Anzeige auf dem Tisch liegen habe.“

„Meine Anzeige?“ Felix ist sich nicht mehr sicher, ob er noch weiß, worum es überhaupt geht.

„Ja sicher. Ich nehme doch an, dass Sie auf jeden Fall Anzeige wegen Brandstiftung erstatten werden, oder etwa nicht? Es sei denn, Sie haben das Feuer selbst gelegt. Soll auch schon vorgekommen sein. Aber auch dann landet die Sache in jedem Fall irgendwann auf meinem Tisch.“

Kurz ist Felix sprachlos, bevor er seine Stimme wiederfindet. „Was wollen Sie denn damit sagen? Denken Sie wirklich ich bin so blöd, mir meine gesamte Existenz zu zerstören?“ Felix starrt dem Mann entschlossen in die Augen. „Vielleicht sollten Sie lieber mit den Ermittlungen beginnen, anstatt hier Zeit mit wilden Vermutungen zu vergeuden.“

Clara hat inzwischen ihre Hand auf Felix´ Oberarm gelegt und versucht, ihn unauffällig aber bestimmt an die Seite zu manövrieren. Felix fängt noch den lauernden Blick aus den zusammengekniffenen Augen des Kommissars auf, dann wendet er sich ab.

Jetzt ist es Clara, die auf ihn einredet: „Sag mal, bist du verrückt geworden? So kannst du doch nicht mit der Polizei reden!“

Felix sieht sie wütend an: „Aber er darf so mit mir reden, oder was? Was, bitte schön, sind denn das für Aussagen. Kommt her, um die Sache zu sehen, solange sie noch ‚heiß‘ ist. Und dann will er mich auch noch als Brandstifter hinstellen!“ Felix schüttelt unwirsch Claras Arm ab. „So ein blödsinniges Geschwätz ist genau das, was ich jetzt noch brauche.“

Clara sieht ihn nur mitleidig an und Felix merkt, wie sich seine Wut in Verzweiflung wandelt: „Verdammt, Clara, die Werkstatt ist doch alles, was wir haben.“ Felix lässt die Schultern hängen und starrt in die Flammen. Clara drängt sich dicht an ihn und so stehen sie einen Moment lang und beobachten, wie die Feuerwehrleute scheinbar noch immer hilflos versuchen, gegen die Flammen anzukämpfen. Die dicke schwarze Rauchwolke und der beißende Geruch zeugen davon, dass die anliegende Lagerhalle, in der Felix die Saisonreifen seiner Kunden aufbewahrt, ebenfalls Opfer der Flammen geworden ist. Endlich löst sich Clara von Felix: „Sag mal, wo ist eigentlich Ben?“

Verdächtige Stille

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