Читать книгу Verdächtige Stille - Veronika Wetzig - Страница 24

Sonntag, 30. Oktober, 8:10 Uhr

Оглавление

Felix schiebt seinen Teller zur Seite und räuspert sich: „Also, eine Million, ja?“

„Genau“, Ben sieht ihn an. Sein Blick wirkt gleichzeitig resigniert und hoffend. Hatte Felix vielleicht schon eine Lösung gefunden?

„Tja“, Felix sieht ihm fest in die Augen: „dann lass uns mal überlegen!“

„Also ich schätze mal, selbst wenn wir beide all unser Hab und Gut zusammenlegen würden, würden wir keine Million zusammenbekommen, oder? Meine kleine Werkstatt läuft zwar ganz gut, aber um damit einen solchen Betrag zu erwirtschaften, müsste ich wohl noch zweihundert Jahre arbeiten.“

Felix gießt sich noch einen Kaffee ein und rührt gedankenverloren mit dem Löffel in der Tasse.

„Und ich nehme an, bei dir sieht es ähnlich aus, oder?“

Ben nickt zustimmend.

„Marie hat damals zwar ein bisschen was von ihren Eltern geerbt, aber davon haben wir den größten Teil in die Finanzierung unserer Hütte oben gesteckt. Ein bisschen haben wir zur Seite gelegt, für den Notfall, also falls mal die Waschmaschine kaputt geht, oder so. Außerdem haben wir natürlich ein Konto für Annely eingerichtet, für später. Alles in allem komme ich vielleicht auf siebentausend Euro, die ich kurzfristig locker machen kann. Ansonsten ist alles angelegt. Aber selbst wenn das reichen sollte – was definitiv nicht der Fall ist – wie sollte ich das Geld so schnell bis Dienstagabend beschaffen? Was mir außerdem nicht in den Kopf will, warum Marie?“ Einen Moment ist es still, bis Felix mit einer absurden Theorie rausrückt: „Vielleicht hat er sie verwechselt.“

„Verwechselt?“ fragt Ben ihn ungläubig. „Was soll das denn heißen?“

„Na ja, ich hab da letztens einen Artikel gelesen.“ Felix reicht ihm die zerknitterte Ausgabe eines Wirtschaftsmagazins. „Schlag mal auf, Seite sechs. Und wenn mich nicht alles täuscht, handelt es sich nicht um irgendjemanden, sondern um Maries Schwester.“

„Seit wann liest du Wirtschaftsmagazine?“

„Ach, die lag bei uns in der Werkstatt rum, hat wahrscheinlich einer meiner Kunden dort liegen gelassen. Ist mir heute Nacht noch eingefallen, dass ich doch irgendetwas über sie gelesen hatte. Deswegen war ich gerade drüben und hab sie schnell geholt. Ich wollte es euch schon längst gezeigt haben, hatte es aber total vergessen.“

Ben schlägt die Zeitschrift auf und blättert sie kurz durch. Auf Seite sechs ist tatsächlich ein kleiner Artikel über Maries Schwester abgedruckt. Neben der Schlagzeile ist ein Foto von ihr abgebildet, was Ben sofort einen Stich ins Herz versetzt. Wenn er es nicht besser wüsste, könnte man tatsächlich meinen, ein Foto von Marie vor sich zu haben. Die beiden sehen sich wirklich sehr ähnlich, obwohl Sophie ein paar Jahre älter ist. Hastig überfliegt er den Artikel, in dem ausführlich über das Leben von Maries Schwester und dem tragischen Unfall ihres ersten Ehemannes George berichtet wird, der zu Lebzeiten ein gefragter Immobilienmakler war. Mit dessen Tod ging sein gesamtes Vermögen, geschätzte zweihundert Millionen Euro, auf Sophie über. Der Artikel berichtet unter anderem darüber, dass sie sich sehr für Kinder in der Dritten Welt engagiert. Eigene Kinder blieben ihr bisher immer verwehrt. Weiter unten entdeckt Ben noch ein kurzes Interview mit Sophie.

Haben Sie einen Lieblingsfilm?

Titanic

Was essen Sie am liebsten?

Italienisch

Was für Hobbys haben Sie?

Segeln, Golfen

Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?

Adler-Olsen. Ich liebe seine Art zu schreiben.

Welches Land würden Sie gerne noch bereisen?

Grönland

Was machen Sie, wenn Sie mal nicht arbeiten?

Am liebsten ziehe ich mich zurück in meine kleine Holzhütte, fernab von jedem Trubel. Da kann ich so richtig abschalten.

Ungläubig starrt Ben Felix an. „Meine kleine Holzhütte ...“, wiederholt er. „Du meinst … der Typ könnte die beiden wirklich verwechselt haben?“

„Ist doch gut möglich. Schließlich ist in dem Artikel nicht erwähnt, dass Sophie mit 'ihrer Holzhütte' wahrscheinlich eines ihrer Ferienhäuser in Italien meint. Könnte doch sein, dass der Typ den Artikel gelesen hat, Marie dann zufällig irgendwo auf der Straße begegnet ist und sich gedacht hat, ‚Wunderbar‘. Wenn er ihr dann auch noch nach Hause gefolgt ist, hat er vielleicht angenommen, dass es sich dabei um 'die kleine Holzhütte' handelt.“ Mit beiden Händen zeichnet Felix Gänsefüßchen in die Luft.

Ben denkt einen Moment über die neue Entwicklung nach und fragt sich, ob es möglich ist, dass vielleicht einer von Felix´ Kunden der Erpresser ist.

„Von wann ist denn der Artikel?“

„Keine Ahnung“, Felix nimmt ihm die Zeitung aus der Hand und studiert das Cover. „Ausgabe September.“

„Letzten Monat also“.

„Sieht ganz so aus.“

„Felix. Ist es vielleicht möglich, dass der Kunde, der die Zeitung bei euch liegen gelassen hat, also ich meine ...“

„Du meinst, ob einer meiner Kunden der Erpresser ist?“

„Ja. Vielleicht. Nein, ich meine ...“

Ben beobachtet Felix, der in Gedanken seinen gesamten Kundenstamm durchgeht. „Also ich weiß nicht. Eigentlich habe ich ja überwiegend Stammkunden und ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von denen zu so etwas fähig ist, geschweige denn, es nötig hat.“

Felix´ Werkstatt ist zwar nicht besonders groß, aber er hat sich in den letzten Jahren darauf spezialisiert, Oldtimer zu reparieren und zu restaurieren. Viele Kunden nehmen deshalb auch gern die weite Anreise in Kauf, weil sie wissen, dass ihre Autos bei Felix in guten Händen sind. Aber natürlich bietet er auch Reparaturen aller anderen Fahrzeuge an, und so kommen auch viele Kunden wegen Inspektionen und normaler Blechschäden zu ihm.

„Wenn du den Typen wenigstens besser beschreiben könntest, aber so? Langer Mantel, schwarzes Basecap“, Felix schüttelt kapitulierend den Kopf, „mit der Beschreibung kommen wir nicht weiter.“

„Was machen wir denn jetzt?“

„Hast du dir mal überlegt, zur Polizei zu gehen?“

„Auf keinen Fall! Wer weiß, was der Typ dann mit Marie macht.“

„Hast du eine bessere Idee?“

„Ich muss Sophie anrufen. Sie muss mir das Geld geben. Außerdem muss ich sie warnen. Vielleicht hast du ja Recht, und es ist tatsächlich eine Verwechselung.“ Ben will gerade zum Telefon greifen als ihm etwas einfällt. „Scheiße!“

„Was ist?“

Frustriert klärt er Felix auf. „Sophie ist gar nicht in der Stadt. Sie umsegelt gerade das Mittelmeer. Vor ein paar Tagen kam eine Ansichtskarte aus Malta bei uns an. Annely hat die Karte an ihre Zimmertür geklebt und erzählt uns seitdem jeden Tag, dass sie sich vom Weihnachtsmann eine Schnorchelausrüstung wünscht und hofft, dass ihre Tante sie das nächste Mal mit auf große Fahrt nimmt. Soweit ich weiß, kommt Sophie erst Ende der Woche wieder.“

„Dann muss sie eben früher zurückkommen. Es kann doch nicht angehen, dass du länger als zwei Minuten darüber nachdenken musst. Sie ist schließlich ihre Schwester und wenn sie das Geld hat, ja bitte, her damit“, beharrt Felix.

„Ja, du hast natürlich Recht. Und Annely muss ich auch irgendwann mal anrufen. Ich weiß gar nicht, was ich ihr sagen soll, wenn sie nach ihrer Mutter fragt?“

„Na das ist ja nicht so schwer. Erzähl ihr einfach, sie ist gerade in die Stadt gefahren oder im Garten beschäftigt. Dir wird schon was einfallen.“ Felix nickt Ben aufmunternd zu.

„Ich schlage vor, du nimmst jetzt erst mal eine schöne heiße Dusche und dann rufen wir an.“ Felix wirft einen Schulterblick auf die Küchenuhr: „Bis dahin sollte Annely unsere Eltern aus dem Bett geholt haben.“

Ben sitzt noch immer wie ein Häufchen Elend auf dem Stuhl. „Meinst du, ich soll ihnen die Wahrheit sagen? Es wäre ganz gut, wenn sie Annely noch eine Weile bei sich behalten könnten.“

Felix denkt einen Moment nach. „Ich denke, wir behalten das erst mal für uns. Schließlich solltest du ja mit niemanden darüber reden und Mum und Dad würden sich nur unnötig Sorgen machen. Ich glaube es bringt uns allen nichts, wenn wir sie auch noch beunruhigen.“

„Du hast Recht“, Ben rückt seinen Stuhl zurück und richtet sich mühsam auf. „Ich bin dann mal duschen.“

Verdächtige Stille

Подняться наверх