Читать книгу Mimi und der Millionärsklub - Viveca Lärn - Страница 8
Sechstes Kapitel
ОглавлениеArne, Eddie und ich hatten die ganze Woche nicht für ein einziges Millionärstreffen Zeit. In der Zweiten hat man so viel zu tun, dass die Schultern richtig runterhängen, wenn man schlafen geht. Wenn ich an einem sonnigen Tag im April nur das Mathebuch vornehmen soll, muss ich achtmal gähnen.
Freitag jedenfalls hab ich zusammen mit Arne Eddie bei seiner Tagesmama abgeholt. Er war draußen beim Spielen. Von unten bis oben sah er wie ein einziger Matschhaufen aus, aber er war trotzdem süß, denn er lächelte, als er mich entdeckte, und das tun nicht alle.
«Werden wir heute Millionäre?», fragte er Arne und mich, als wir zum Fluss runtergingen, um nachzusehen, wie es mit dem Eis war. «Heute will ich Martinsson heißen. Andersson von Schmidt kann ja jeder heißen.»
Ich erzählte Arne, dass ich letzten Sonntag angefangen hatte, auf der Straße nach Millionären zu suchen, und das hielt er für eine prima Idee.
«Aber es ist der falsche Ort. Er ist zu klein, viel zu klein», sagte er düster.
«Und was sollen wir dann machen?»
«Wir müssen in die Stadt. Morgen um elf geht ein Bus nach Göteborg», sagte er. Im selben Augenblick hauten er und Eddie ab, ohne tschüs oder sonst was zu sagen.
Aber ich stand da mit meinem Problem. Ich wusste genau, was Mama sagen würde, wenn ich sagte, dass ich allein nach Göteborg hineinfahren wollte.
Jedenfalls würde sie nicht «Hurra» sagen.
Und Papa erst. Ihn brauchte ich gar nicht erst zu fragen.
Abends spielten Papa und ich Schach oder wie man das nun nennen soll, und Mama las in ihrem dicken Buch über den Mississippi.
«Viele aus meiner Klasse fahren samstags allein nach Göteborg», sagte ich.
«Vergiss es», sagte Papa. «Hast du meinen Bauern geklaut?»
«Ihre Eltern finden es gut, wenn sie sich ans Busfahren und an den Verkehr gewöhnen und so was.»
«Klar», sagte Papa. «Das glaub, wer will. Willst du nicht endlich deine Dame versetzen?»
«Nicht, dass ich es unbedingt möchte», sagte ich. «Aber der Bus braucht nur zwanzig Minuten, und dann kann man im Einkaufszentrum spazieren gehen.»
«Einkaufszentrum!», schrie Mama. «Das ist ja lebensgefährlich. Nenn mir jemanden, der am Samstag ins Einkaufszentrum fährt, dann erzähl ich ihm, was da los ist.»
«Woher weißt du das denn?», fragte Papa.
«Du hast gewonnen», sagte ich zu Papa und kippte das Schachbrett um, sodass die Figuren auf den Fußboden fielen.
«Ich?», sagte Papa erstaunt. «Ich hab nicht mal gehört, dass du ‹Schach› gesagt hast.»
Ich ging in mein Zimmer, um nachzudenken. Ich lag auf dem Rücken und beguckte die drei besonderen Flecken an der Decke, und es war ein Gefühl, als ob das ganze Dach über mir zusammenbrechen würde. So hoffnungslos war es. So entsetzlich hoffnungslos.
Ich sah mich schon, wie ich zu Eddie und Arne zum Busbahnhof lief und sagte, dass ich nicht mitfahren Durfte! Ich durfte nicht. Dann würde Arne ein bisschen grinsen, und schließlich würde er lauthals lachen, dass er fast umkippte. Und Eddie würde anfangen zu kichern und schließlich vor Lachen brüllen, bis er auch umfiel, auf Arne drauf.
Dann würde Arne sich vielleicht jemand anders suchen, mit dem zusammen er Millionär sein wollte. Jemand, der normale Eltern hatte und jeden Samstag im April ins Einkaufszentrum fahren durfte.
Jetzt merkte ich, wie mir die Tränen kamen, und als ich daran dachte, dass es sicher noch zehn Jahre dauern würde, ehe ich allein ins Einkaufszentrum fahren durfte, da fand ich, dass es genauso gut hundert sein könnten. Wenn man auf dem Rücken im Bett liegt und heult und zur Decke raufguckt, dann laufen die Tränen in zwei Richtungen und landen oberhalb der Ohren auf dem Kopfkissen. Das ist ein komisches Gefühl.
Ich entschloss mich, liegen zu bleiben und für immer zu weinen und gar nicht erst zum Busbahnhof runterzugehen. Besser, sie standen da und wunderten sich und erfuhren gar nichts. Sie konnten ja glauben, ich sei tot.
In dem Augenblick kam Mama in mein Zimmer, ohne anzuklopfen.
Sie fing an, listige Fragen zu stellen, warum ich in die Stadt wollte, und schließlich hatte sie alles aus mir rausgeholt (aber nicht das mit dem Millionärsclub). Ich weinte auf ihrem Schoß. Lange war es ganz still. Nur mein Schluchzen war zu hören und das Ticken von meiner neuen Krokodillederuhr.
Mama starrte auf das Rollo. Plötzlich hüpfte sie richtig hoch im Bett.
«Weißt du was, Mimi», sagte sie, «wie verlottert es in deinem Zimmer aussieht mit der kaputten Rolloschnur?»
Ich folgte ihrem Blick. Das sah ihr ähnlich, dass sie ausgerechnet jetzt jammerte. Ich hab schon seit ungefähr drei Jahren eine kaputte Rolloschnur ohne Puschel dran, und deswegen hat sich niemand besondere Sorgen gemacht. Gerade heute Abend gab es übrigens anderes, was viel verlotterter aussah in meinem Zimmer. Der Kleiderhaufen auf dem Stuhl und der umgekippte Papierkorb und die Chipstüte im Bücherregal, um nur einige Sachen zu nennen.
«Ich wollte sowieso morgen ins Gardinengeschäft fahren», sagte Mama. «Dann kaufe ich dir eine neue schöne Schnur.»
«Aha», sagte ich, «sehr interessant.»
Mama guckte auf die Uhr. «Ich glaub, ich nehm den Elf-Uhr-Bus. Dann können wir um zwei nach Hause fahren.»
«Oder um drei», sagte ich und umarmte sie.