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Verwirrende Begegnung und magische Geschichten

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Es war ein buntes und geschäftiges Treiben auf dem Marktplatz. Händler priesen laut ihre Ware an, feilschten mit Kunden um den besten Preis oder verteilten Kostproben ihrer Lebensmittel. Es war unglaublich voll. Die Menschen schoben sich in Trauben zwischen den einzelnen Ständen hindurch. Es grenzte schon fast an ein Wunder, dass Quentin relativ schnell alle Händler fand, die Finja ihm beschrieben hatte.

Als er mit den Einkäufen fertig war, sah Quentin zur Turmuhr des Rathauses hinauf. Es war erst kurz vor elf, er hatte noch jede Menge Zeit! Also ließ er sich willig mit der Menge durch die Gassen zwischen den Ständen treiben und nahm alles begierig in sich auf. Es gab die unterschiedlichsten Händler und Stände. Hier bot ein Tuchhändler Stoffe in den herrlichsten Farben feil, dort war ein Besenbinder während des Verkaufens damit beschäftigt, weitere Birkenreiser zu einem neuen Besen zusammenzubinden.

Bei einem Gewürzhändler blieb Quentin etwas länger stehen. Was er hier vor sich liegen sah, konnte er kaum glauben. Düfte und Farben in einer Pracht, die fast zu viel für seine Augen und seine Nase waren. Immer wieder roch er an Substanzen, die er nie zuvor gesehen hatte. Der Händler erklärte ihm, dass die gelben Fäden Safran seien, so wie viele andere Sachen hier ein sehr seltenes Gewürz aus einem fernen Land, das dort sei Kreuzkümmel, das rote Pulver sei Paprika, die schwarzen Körner Pfeffer. Henna, Alizarin und Indigo zum Färben von Tüchern. Das, was Quentin erst für übergroße Haselnüsse hielt, wurde ihm als Muskatnuss vorgestellt, er roch zum ersten Mal in seinem Leben Zimt und Ingwer, Piment, Koriander, Cardamom und Kurkuma. Für die Hälfte seines Trinkgeldes erstand Quentin nach zähem Handeln ein wenig Koriander und eine halbe Muskatnuss. Diese Gewürze wollte er Finja mitbringen.

Immer noch schwindelig von den ganzen Düften ging es weiter.

Die Menge schob ihn auf einen größeren Platz, auf dem eine einfache Holzbühne aufgebaut war. Schausteller! Gerade trat ein Artist auf, der mit Keulen, Fackeln und allerlei anderen Gegenständen jonglierte. Quentin klatschte begeistert.

Kaum hatte der Artist seinen Auftritt beendet, da kam ein kleiner Mann in einer roten, mit vielen glänzenden Knöpfen besetzten Jacke auf die Bühne und kündigte als nächsten Künstler einen Derwisch an.

Der Derwisch war in den buntesten Farben gekleidet. Als die fremdartige Musik begann, fing er auf seltsame Art an zu tanzen. Immer schneller ging die Musik, und immer schneller wurde der Tanz. Dann fing der Künstler an, sich zu drehen. Immer schneller, immer schneller. Die weiten bunten Kleider sahen aus wie ein Regenbogen. Die Musik wurde noch schneller, aber der Derwisch hielt den Takt.

Dann plötzlich verstummten die Instrumente schlagartig, und genauso plötzlich stoppte der Derwisch mitten in der Bewegung. Quentin rechnete damit, dass er jetzt vor Schwindel in die Menge taumeln und hinfallen würde, doch der Derwisch ging mit festen Schritten zum vorderen Rand der Bühne und verneigte sich lächelnd.

Quentin war begeistert. Er hatte den Einkaufskorb zwischen seine Füße gestellt und klatschte wie wild Beifall. Die Menge tobte ebenfalls. Ein paar Schausteller gingen mit Körben umher, um Geld einzusammeln, und Quentin gab gern etwas dazu. Was für ein Spaß!

Er nahm an, dass jetzt niemand mehr kommen würde. Ein solcher Auftritt konnte einfach nicht überboten werden. Er nahm den Korb und wandte sich zum Gehen, als erneut der kleine Mann mit der roten Jacke auf die Bühne trat und mit großen, bedeutungsschweren Worten die Hauptattraktion des Wanderzirkus ankündigte: den Magier.

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Meara war sehr zufrieden. Durch die Ebene war sie viel weiter gekommen, als sie noch am Morgen angenommen hatte. Die Sonne schien heiß vom Himmel, und Meara sehnte sich nach etwas Schatten, in dem sie ihre Mittagsrast verbringen konnte.

Nicht weit vor sich sah sie einen großen, einzeln stehenden Baum, unter dessen mächtiger Krone bereits ein Fuhrwerk stand. Ein Mann machte sich am Pferdegeschirr zu schaffen.

Als Meara etwas näher gekommen war, stellte sie fest, dass das Pferd ausgespannt war und der Mann unter dem Baum im Schatten saß. Offensichtlich machte auch er eine Pause. Eigentlich legte Meara keinen Wert darauf, in ein Gespräch über woher und wohin verwickelt zu werden, aber es gab nun einmal keinen anderen Baum, so weit das Auge reichte, und so fügte sie sich in ihr Schicksal.

Kurze Zeit darauf trat sie unter die große Kastanie und grüßte den Fremden, einen jungen Mann mit einem offenen Gesicht und stahlblauen Augen. Er stellte sich als Hendrik vor und lud sie ein, sich zu ihm zu setzen.

Noch bevor Meara ihre wenigen Früchte auspackte, um eine Kleinigkeit zu Mittag zu essen, bat er, ihr etwas von seinen Vorräten abgeben zu dürfen. Er habe es nicht mehr so weit, und sein Rücken würde sich über etwas weniger Gewicht im Rucksack sehr freuen. Meara fragte lachend, warum er den Rucksack nicht auf den Wagen legte.

Da erzählte ihr Hendrik, irgendetwas würde mit dem Pferd nicht stimmen, es lahme auf der rechten Vorderhand und könne den Wagen kaum noch ziehen. Ob er es überhaupt nochmals anspannen könne, wisse er nicht. Und wie er die Ladung Kürbisse und Gurken nach Hause bringen solle, könne er auch noch nicht sagen.

Meara hatte noch gar nicht gemerkt, dass mit dem Pferd etwas nicht in Ordnung war. Nun ging sie hinüber zu dem Hengst, der unruhig im Schatten stand und es offenbar vermied, mit dem rechten Vorderhuf aufzutreten. Behutsam nahm sie seinen Kopf, streichelte über die Nüstern und beruhigte ihn mit leisen Worten. Dann tastete sie vorsichtig seinen rechten Vorderlauf ab, bis sie an der Fessel eine heiße, angeschwollene Stelle bemerkte. Der Hengst zuckte unter der Berührung zusammen und schnaubte, tat aber weiter nichts, sondern blieb geduldig stehen.

Meara drehte sich zu Hendrik um. „Das Pferd könnt Ihr auf keinen Fall wieder einspannen, die Fessel ist vollkommen entzündet! Wie weit ist es bis zu Eurem Hof?“

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Gespannt stellte Quentin den Korb wieder zu Boden und wartete. Dann trat begleitet von lautem Trommelwirbel der Magier auf die Bühne.

Es war ein großer schlanker Mann im mittleren Alter. Die gesamte Kleidung war schwarz. Über der Hose und dem Hemd trug er einen robenähnlichen Umhang, über dessen Kragen das schwarze glänzende Haar bis weit auf den Rücken hinunterhing. Die gepflegten Hände waren genau wie das Gesicht fast weiß. Über dem schmalen Mund erhob sich zwischen markanten Wangenknochen eine fast raubvogelartige Nase. Die gesamte Erscheinung zog sofort die Zuschauermenge in ihren Bann. Stille breitete sich aus.

Quentin hatte ein ganz seltsames Gefühl in der Magengegend. Er registrierte jedes noch so kleine Detail der Kleidung, die doppelte Reihe silberner Knöpfe am Revers, die filigrane silberne Gürtelschnalle, bemerkte den reich verzierten silbernen Ring am linken Zeigefinger, der mit einem blutroten Stein besetzt war – der einzige Farbfleck an der ansonsten schwarz-weißen Erscheinung.

Das Faszinierendste jedoch waren die Augen des Magiers. Quentin hatte noch niemals einen Menschen mit so pechschwarzen Augen gesehen. Unter buschigen dunklen Augenbrauen erforschten sie mit durchdringendem Blick aufmerksam die Menge, es machte fast den Eindruck, als wenn sie etwas suchen würden. Langsam schweiften sie von Mann zu Frau und weiter zu den Nebenstehenden. Dann blieb ihr forschender Blick auf Quentin ruhen.

Der Magier sah ihm fest in die Augen. Quentin bekam Angst. Er hatte das Gefühl, als würde ihm der Magier mit seinem stechenden Blick bis auf den tiefsten Grund seiner Seele schauen. Quentin wollte wegrennen, aber seine Füße waren wie mit Eisen an den Boden geschlagen. Es kam ihm vor, als sei die Zeit stehen geblieben, und er glaubte zu spüren, wie der Magier in seinen Gedanken las wie in einem Buch. Dann zuckte ein kaum wahrnehmbares Lächeln um die schmalen Lippen des Magiers, und er wanderte mit seinem Blick weiter.

Quentin schwitzte. Er wollte gleichzeitig vor Angst weglaufen, aber auch vor Neugier unbedingt dableiben. Die Neugier siegte.

Der Magier hatte inzwischen die Erforschung der Menge fast beendet. Jetzt sah er ein hübsches junges Mädchen in der ersten Reihe mit seinen durchdringenden Augen an. Sie war wie erstarrt. Langsam ging er auf sie zu. Die Zuschauer wurden unruhig, aber niemand traute sich, ein lautes Wort zu sprechen. Direkt vor dem Mädchen blieb der Magier stehen und bewegte die Hände in seltsamen Bewegungen direkt vor dem verängstigten Gesicht. Dann, wie aus dem Nichts, hatte er einen kleinen Blumenstrauß in der Hand.

Er lächelte ein unglaublich gewinnendes Lächeln und gab dem Mädchen die Blumen. Damit brach der Bann, der über der Menge lag. Laut applaudierten die Zuschauer, schlugen sich gegenseitig auf die Schulter und nannten einander Angsthase. Keiner wollte mehr davon wissen, welch tiefe Furcht noch vor einer Sekunde das eigene Herz gefesselt hatte.

Auch Quentin fühlte sich erleichtert. Dann kamen Schlag auf Schlag die wunderbarsten Kunststücke. Der Magier ließ Kartenspiele in seinen Händen erscheinen und verschwinden, zog einem kleinen Jungen ein buntes Tuch scheinbar aus dem Mund, angelte hinter dem rechten Ohr eines Zuschauers ein Hühnerei hervor und hinter dem linken Ohr einer Zuschauerin einen Taler. Tosender Applaus.

Quentin versuchte die ganze Zeit, die Tricks zu durchschauen, zu sehen, aus welchem Ärmel oder welcher Rockfalte der Magier die ganzen Gegenstände hervorholte, aber er konnte beim besten Willen nichts erkennen.

Der Magier bat eine Frau mit einem Kranz aus geflochtenen Haaren aus dem Publikum auf die Bühne. Er stellte sie so, dass sie ihn anblickte, streckte die Hände mit den Handflächen nach unten vor sich, drehte sie um und hatte plötzlich in jeder Hand eine wunderschöne weiße Rosenblüte. Die Frau bekam vor Überraschung nur ein kleines „Huch!“ über die Lippen, war aber ansonsten völlig gebannt und bewegte sich kaum, als der Magier ihr die Rosen in den Haarkranz legte.

Dann trat er hinter sie. Er hatte die Hände auf dem Rücken verschränkt und beugte sich langsam mit dem Gesicht zu ihren Haaren vor. Er blies ganz sanft in die Rosenblüten, und plötzlich waren in den Haaren keine Blüten mehr, sondern zwei weiße Tauben, die erschreckt aufflatterten und in den Himmel davonstoben.

Ungläubiges Staunen, dann verfiel die Menge in einen neuen Beifallssturm. Aber die Vorführung war noch nicht vorbei.

Der Magier entließ die immer noch ungläubige Frau zurück in die Menge und nahm dann ein elegantes Kurzschwert aus einer Kiste. Er ging damit zu einem kräftigen Mann, der die Schärfe prüfte. Offensichtlich war dieser von der Echtheit und dem Schliff überzeugt, was angesichts des blutenden Ritzes in seinem Daumen auch niemanden verwundern durfte. Um den Rest des Publikums zu überzeugen, warf der Magier ein seidenes Tuch in die Luft und ließ es beim Herunterschweben auf dem Schwert landen. Das Tuch teilte sich in zwei Hälften. Jetzt war auch der letzte Zweifler überzeugt davon, dass das Schwert nicht nur echt, sondern auch äußerst scharf war.

Der Magier trat in die Mitte der Bühne, das Schwert ausbalanciert auf der ausgestreckten flachen Hand. Dann warf er es mit einem kraftvollen Schwung in die Luft. Das Schwert blieb völlig waagerecht und wirbelte dabei um die eigene Achse. Es stieg mehrere Meter hoch und kam dann zurück. Der Magier stand mit ausgebreiteten Armen und wartete. Die Blicke der Zuschauer flogen zwischen Schwert und Magier hin und her. Was hatte er vor?

Immer schneller fiel das Schwert, aber der Magier stand vollkommen ruhig und wartete. Noch drei Meter, noch zwei. Die weit ausgebreiteten Arme des Magiers flogen nach vorn.

Er wollte doch wohl nicht klatschen? Das Schwert würde seine linke Hand mühelos durchstoßen! Die rechte Hand würde dabei noch von hinten auf den Schwertknauf drücken! Aber unbeirrt fiel das Schwert, und ebenso unbeirrt flogen die Arme nach vorn.

Es klatschte. Die Menge schrie auf. Viele hatten den Blick mit verkniffenem Gesicht zur Seite gerichtet, aber diejenigen, die weiter hingesehen hatten, würden noch jahrelang von dem erzählen, was sie nun zu sehen bekamen:

Die Hände des Magiers trafen das Schwert an der Spitze seiner Klinge und am Knauf. Aber anstatt sich durch seine linke Hand zu bohren, verschwand das Schwert in einem grellen Lichtblitz. Die Hände klatschten zusammen, und auf dem rechten Handgelenk des Magiers saß ein Falke.

Atemlose Stille.

Dann brach stürmischer Applaus los. Der Magier verneigte sich mit unergründlichem Lächeln vor seinem begeisterten Publikum. Damit war die Aufführung beendet.

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Quentin verstand nichts mehr. Was er gerade mit eigenen Augen gesehen hatte, war absolut unmöglich! Völlig verwirrt nahm er seinen Korb auf und drehte sich um. Zufällig fiel sein Blick dabei auf die Rathausuhr. Es war kurz vor Zwölf!

Gerade wollte er loslaufen, da kroch ihm eine Gänsehaut den Rücken hinauf. Irgendetwas hatte sich wie eine eiskalte Hand förmlich um seinen Nacken gekrallt und zwang ihn, sich wieder umzudrehen.

Hilflos schaute Quentin in die tiefschwarzen Augen des Magiers, der langsam auf ihn zukam. Als er nur noch einen Schritt entfernt war, schnellte seine nach oben geöffnete leere Hand vor. „Das ist für Dich, Quentin“, sagte er mit einer tiefen, melodischen Stimme und drehte dabei seine Hand um. Fast automatisch hielt Quentin seine Hand unter die des Magiers, und hinein fiel eine walnussgroße gelblich schimmernde Kugel.

Quentin blickte fasziniert in seine Hand und hob dann wieder den Blick, um sich zu bedanken. Aber der Magier war verschwunden.

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Der Einspänner war schwerer, als Meara gedacht hatte. Nach dem gemeinsamen Mittagessen hatte sie Hendrik vorgeschlagen, den Wagen zu seinem Hof zu schieben und das Pferd nebenher laufen zu lassen. Hendrik hatte erfolglos protestiert, nach kurzem Disput waren sie schließlich aufgebrochen.

Hin und wieder hielten sie an, nicht nur, weil sie verschnaufen mussten, sondern weil Meara verschiedene Kräuter am Wegrand sammelte. Nebenbei erklärte sie Hendrik, wofür welches der Kräuter gut war. Hendrik fragte mehr als einmal, woher Meara so viel wisse, aber die Hexe wich ihm immer wieder geschickt aus.

Am späten Nachmittag erreichten sie schwitzend und vom Straßenstaub bedeckt Hendriks Hof. Sie wuschen sich den gröbsten Dreck aus dem Gesicht und von den Armen, dann machte sich Hendrik daran, den Wagen abzuladen.

Meara war mit den Kräutern in die Küche gegangen. Ein alter Knecht hatte ihr noch ein paar Utensilien besorgt, um die sie gebeten hatte, und war wieder aus der Küche geschlurft. Dann ging es los.

Zuerst mussten die sieben Kräuter peinlich sauber gewaschen werden. Nebenbei wurde langsam Fett in einem Topf zerlassen. Dann wurden die Kräuter in einer bestimmten Reihenfolge in einem Mörser so lange bearbeitet, bis sie zu einem Brei geworden waren. Das alles war eine langwierige Arbeit. Es war allerdings unheimlich wichtig, dass alle Kräuter gleichmäßig fein zerstoßen waren, denn sonst konnten sie ihre Wirkung nicht voll entfalten. Meara konzentrierte sich.

Endlich war alles zu ihrer Zufriedenheit. Das Fett hatte die richtige Flüssigkeit, die Kräuter waren perfekt zerstoßen. Langsam gab sie das heiße Fett unter ständigem Rühren in den Kräuterbrei. Dann bewegte Meara kurz die Finger und murmelte leise „Saira lennan“. Der Mörser zitterte kurz und stand dann wieder still, als wenn nichts geschehen wäre. Anschließend goss sie die Masse in einen kalten Topf, worin das Fett schnell wieder fester wurde. Die Salbe war fertig.

Hendrik hatte ihr schon eine Zeit lang aufmerksam zugesehen. Meara bemerkte ihn erst, als sie fertig war, und erschrak bis ins Mark. Hoffentlich hatte er den Zauber nicht bemerkt!

„Entschuldigt, ich wollte Euch nicht erschrecken!“, beeilte sich Hendrik, Meara zu beruhigen. „Es ist ganz erstaunlich, was Ihr alles könnt!“ Hendrik lächelte. „Dann muss die Salbe jetzt ja nur noch wirken.“

Meara lächelte unsicher zurück. „Das tut sie ganz sicher.“

Als das Pferd versorgt war, wollte Meara sich verabschieden, aber Hendrik ließ sie nicht gehen. „Es ist schon fast dunkel, da kommt Ihr ohnehin nicht weit. Ich habe viel Platz in meinem Haus und außerdem äußerst selten so kluge und bezaubernde Gäste.“ Er zwinkerte ihr zu.

Meara bekam gegen ihren Willen ganz rote Wangen, aber sie nahm die Einladung gern an. Hendrik war wirklich ein sehr netter Kerl!

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Die Sonne hatte sich dem Horizont schon deutlich genähert, als Milan an einem kleinen See ankam. In ein bis zwei Stunden würde es Nacht sein. Im seichten Wasser standen ein paar Graureiher und suchten nach kleinen Fischen. Unsichtbare Vögel zwitscherten im hohen Schilf.

Milan war hungrig, unterwegs hatte er nur wenig zu essen gefunden. Aber noch mehr sehnte er sich nach einem Bad. Als er in der Nähe des Ufers einen Lagerplatz gefunden hatte, machte er zuerst ein kleines Feuer, streifte sich dann schnell die Kleider ab und ließ sich ins erfrischend kalte Wasser fallen.

Die Reiher waren von dem Geplantsche und Gepruste alles andere als begeistert und flogen krächzend davon. Milan hatte ihnen das Abendessen verdorben.

Nachdem er sich gründlich gewaschen hatte, stapfte Milan wieder ans Ufer zurück. Die Sonne hatte bereits den Horizont berührt und beleuchtete seinen von Schrammen und blauen Flecken übersäten Körper. Milan suchte in seiner Gürteltasche, bis er eine kleine Dose mit Salbe gefunden hatte, und rieb sich die schlimmsten Stellen mit der heilenden Substanz ein. Die Salbe kühlte stark und milderte die pochenden Schmerzen.

Dann machte er sich daran, seine zerrissene Kleidung notdürftig zu flicken. Als er fertig war, betrachtete er sein Werk. Auf einer Hochzeit konnte er sich mit diesen Lumpen sicherlich nicht sehen lassen, aber für den restlichen Weg würden sie ihren Zweck erfüllen. In zwei bis drei Tagen würde er ohnehin in Filitosa sein, dann konnte er sich sicher ausgiebiger um sein arg mitgenommenes Äußeres kümmern.

Etwas später hockte Milan hungrig in seine Decke eingewickelt am kleinen Feuer und starrte in die Flammen. Er dachte noch einmal an seinen Beinahe-Absturz und schauderte. Was hatte er doch für ein Glück gehabt!

Während er ins langsam herunterbrennende Feuer schaute, fielen ihm die Augen zu. Ohne dass er es noch wirklich mitbekam, rollte er sich neben dem Feuer in seiner Decke ein und fiel in einen tiefen, erholsamen Schlaf.

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Quentin war den Rest des Tages völlig in Gedanken versunken. Beim Abendessen erzählte er den anderen dann von seinen Erlebnissen auf dem Marktplatz. Zuerst schilderte er in aller Ausführlichkeit, was er alles gesehen hatte. Dabei fiel ihm ein, dass er ja für Finja ein Geschenk mitgebracht hatte. Er holte das kleine Päckchen aus seiner Tasche und reichte es ihr über den Tisch. Finja machte große Augen, als sie sah, dass Quentin von seinem ersten Geld etwas für sie gekauft hatte. Sofort kam sie um den Tisch herum und drückte Quentin an sich, dass ihm fast die Luft wegblieb.

Falk saß am Kopfende des Tisches und sah ihn unbemerkt mit einem glücklichen, fast väterlichen Blick an. Er mochte den Jungen wirklich sehr, dabei war er doch erst zwei Tage bei ihnen!

Dann erzählte Quentin vom Auftritt des Magiers. Er stand immer noch stark unter dem Eindruck der unbegreiflichen Kunststücke, die er gesehen hatte. Falk lachte lauthals über die Tricks und rief immer wieder: „Der ist sein Geld aber wert gewesen!“ Medard hatte in das Gelächter eingestimmt, war aber offensichtlich auch etwas sauer, dass er nicht selbst dabei gewesen war. Naja, irgendeinen Grund zum Sauersein fand Medard schließlich immer.

Natürlich zeigte Quentin allen die kleine Kugel, die in seiner Hand schimmerte. Erst als er erzählte, wie er sie bekommen hatte, fiel ihm auf, dass der Magier ihn mit Namen angesprochen hatte – den er ja eigentlich gar nicht wissen konnte.

Finja hatte die ganze Zeit still dagesessen und fragte Quentin nun, ob sie die Kugel einmal haben dürfe. Quentin gab sie ihr bereitwillig, aber sobald Finja sie nahm, erlosch der Schimmer. Finja gab ihm die Kugel zurück, und sie begann sofort wieder zu leuchten.

Mit seltsamem Blick stand Finja auf und ging nach draußen. Quentin folgte ihr, nachdem er den Tisch abgeräumt hatte, während Falk und Medard noch sitzen blieben und über eine Lieferung redeten. Er fand Finja vor dem Haus auf der Bank und setzte sich zu ihr.

„Was habt Ihr, Finja?“, wollte Quentin wissen.

„Mir geht es gut, keine Sorge. Mir ist nur vorhin etwas eingefallen, woran ich schon lange nicht mehr gedacht habe. Es ist wirklich sehr, sehr lange her“, begann Finja, und dann hörte Quentin eine Geschichte, über die er nicht zum Schlafen kommen sollte.

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Finja erzählte ihm von ihrer Kindheit. Auch sie war in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Ihr Elternhaus war klein, aber gemütlich, und stand, genau wie das Haus von Quentins Eltern, am Waldrand, nur nicht an einem Bach. Finjas Kindheit war wunderschön. Ihr Vater war Maurer gewesen und hatte immer genug zu tun, sodass sie keine Not leiden mussten. Zu ihrer Mutter kamen immer viele Menschen, auch aus den umliegenden Dörfern, und kauften verschiedene Salben und Tinkturen, die sie in kleinen Dosen und Fläschchen aufbewahrte. Finja half ihrer Mutter oft beim Sammeln von Kräutern im Wald, beim Auskochen und Zerstampfen, beim Filtern, Mischen, Reduzieren oder Strecken der Flüssigkeiten, nur so richtig begreifen konnte sie das alles nicht. Die Menschen, die bei ihnen etwas kauften, behandelten ihre Mutter jedenfalls immer freundlich und respektvoll.

Eines Tages fand Finja inmitten der Töpfe, Tiegel, Mörser und Flaschen eine walnussgroße gelblich-weiße Kugel. Sie nahm sie in die Hand und fragte ihre Mutter, was das sei.

Und als ihre Mutter die Kugel in die Hand nahm, begann sie zu leuchten.

„Wie meine Kugel?“, fragte Quentin erstaunt.

„Ja, genau wie Deine Kugel“, antwortete Finja. „Quentin“, fuhr sie fort, „Du hast eine ganz seltene Gabe. So wie meine Mutter sie hatte. Du wirst im Laufe der Zeit merken, dass Du Dinge kannst, die andere nicht können. Was genau das ist, musst Du irgendwie selbst herausfinden. Allerdings kannst Du auch nicht mit jedem darüber sprechen. Die Menschen mögen es nicht, wenn jemand anders ist. Auch meine Mutter hat es niemals offen eingestanden, dass sie Dinge konnte, die anderen verschlossen blieben.“ Gedankenverloren schüttelte sie den Kopf. „Ich habe bestimmt tausend Mal versucht, eine heilende Salbe herzustellen, habe alles genauso gemacht wie sie, aber es ist mir nie gelungen. Irgendwann habe ich aufgehört, darüber nachzudenken. Eigentlich hatte ich es bis heute Abend sogar vergessen, bis Du Deine Kugel gezeigt hast. Hm, noch nicht einmal Falk weiß etwas davon.“ Finja seufzte. „Quentin, wenn Du einmal mit jemandem reden möchtest, kannst Du gern zu mir kommen. Ich kann mir gut vorstellen, dass Du Dich manchmal sehr einsam fühlst.“

Sie nahm Quentin in den Arm und drückte ihn an sich. Und da brach alles, was sich über die letzten Wochen aufgestaut hatte, aus ihm heraus. Mit Tränen in den Augen erzählte er Finja seine ganze Geschichte und wie sehr er seine Familie und Simon vermisste. Nachdem er sich langsam wieder beruhigt hatte, versprach Finja ihm, den anderen nichts davon zu erzählen.

Als Quentin endlich im Bett lag, musste er über vieles nachdenken. Und als es am östlichen Horizont bereits wieder dämmerte, kam ihm ein tröstender Gedanke: Es musste noch andere geben, die so waren wie er! Er war nicht allein!

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Korbinian stand beim ersten Hahnenschrei bereits wieder in seinem Kontor. Er hatte nicht viel geschlafen, höchstens drei oder vier Stunden, aber er war trotzdem nicht müde. Viel zu wichtig war die exakte Planung der „drei Speichen“, wie die Suchketten mittlerweile genannt wurden. Wenn es in wenigen Tagen losging, mussten jeder Zauberer und jede Hexe ihren Platz kennen. Konzentriert betrachtete er eine große alte Karte, als sich leise die Tür öffnete.

Auf Zehenspitzen betrat Adina das Kontor. Sie trug ein Tablett mit frischem Gebäck und einer großen Kanne Kaffee und stellte es vorsichtig auf einen kleinen Tisch an der Wand – den einzigen Tisch, der nicht unter Karten, Schriftrollen und sonstigem Material begraben war. Sie wollte sich bereits wieder lautlos entfernen, als Korbinian sie ansprach. „Adina, meine Liebe, willst Du mir nicht ein wenig Gesellschaft leisten? Bitte setz Dich doch zu mir!“

„Aber nur, wenn ich Dich nicht von der Arbeit abhalte!“, entgegnete Adina.

„Nein, nein, ganz bestimmt nicht!“ Korbinian rückte ihr einen Stuhl heran. „Komm, lass uns einen Kaffee trinken und erzähl mir, wie Ihr vorankommt.“

Eine Weile saßen sie zusammen, und Adina berichtete von unzähligen Säcken Mehl, Hunderten von Eiern, ganzen Büschen von Kräutern und dem, was ihre Helfer und sie daraus für die Suchmannschaft herstellten. Die Lagermöglichkeiten wurden langsam knapp, aber irgendwie würde es schon gehen.

Als Adina wieder gegangen war, kehrte Korbinian gestärkt und mit klarem Kopf wieder an seine Arbeit zurück. Wenn sich nicht Adina und die anderen Lehrlinge so um ihn kümmern würden, hätte er bestimmt inzwischen schon häufiger das Essen und Trinken vergessen ... Schmunzelnd machte er sich wieder über die Karten her.

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Samuel war zufrieden mit den Vorbereitungen. Bei seinen täglichen Kontrollgängen durch die Lagerräume sah er sauber gestapelte Berge von Reisesäcken, Trinkflaschen und -schläuchen, festen Decken, Proviantbeuteln, Gürteltaschen und sonstigen nützlichen Sachen für eine lange Reise. In allen Gebäuden des Dorfes waren Notbetten aufgestellt, um den anreisenden Hexen und Zauberern kurzfristig ein Dach über dem Kopf zu gewähren, bevor die große Suche begann.

Samuel war ganz und gar in seinem Element. Obwohl er eigentlich gelernter Zimmermann war, hatte er in der langen Zeit, in der er kreuz und quer durch das Land gezogen war, für ein paar Jahre in einem großen Schloss das gesamte Hauspersonal geführt. Auch damals bestand sein Tag aus ständigem Organisieren. Er musste die Dienerschaft dort einsetzen, wo es gerade nötig war, Handwerker beauftragen, die Bestellungen der Küche überwachen und so weiter. Das hatte ihm sehr viel Spaß gemacht, und deshalb lief er auch jetzt den ganzen Tag mit einem Lächeln auf dem Gesicht durch Filitosa.

Als er mit dem Rundgang fertig war, lagen auf seinem Schreibtisch bereits wieder Dutzende von Papieren. Bei den meisten handelte es sich um „Laufzettel“, die von den Schreibern kopiert wurden und jedem Neuankömmling helfen sollten, sich zurechtzufinden. Auf der einen Seite waren alle Anlaufstellen für die jeweiligen Ausrüstungsgegenstände verzeichnet, auf der anderen befand sich eine Karte des Landes, ganz ähnlich der, die an der Wand des Conveniums aufgetaucht war.

Er prüfte jedes einzelne Blatt auf Fehler, und wenn alles in Ordnung war, schloss er die Augen, hielt die Hand über die Karte und murmelte leise „Wikkæ gaskeinan“. Jedes Mal, wenn er den Zauber beendet hatte, erschienen lauter kleine rote Punkte auf der Karte, die sich langsam, aber zielstrebig auf einen Ort zubewegten: Filitosa.

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Noch drei Tage bis zum Beginn der Suche.

Viele Zauberer und Hexen waren bereits eingetroffen und der kleine, bis vor ein paar Tagen noch verschlafene Ort Filitosa glich mehr und mehr einem Marktplatz. Überall standen kleine Gruppen und unterhielten sich über die bevorstehende Suche oder tauschten sich über andere Sachen aus. Viele von ihnen hatten sich seit Jahren nicht gesehen, da gab es jede Menge zu erzählen.

Jeder Neuankömmling wurde in der Empfangshalle des Haupthauses begrüßt, erhielt einen Laufzettel und wurde zunächst zu seiner Unterkunft gebracht. Dann ging es kreuz und quer durch das Dorf, um die Ausrüstung zusammenzustellen.

Die Küche im Haupthaus lief in drei Schichten auf Hochtouren. Für jeden, der gerade angekommen war und Hunger oder Durst hatte, stand ein kleiner Imbiss bereit, auch wenn es nicht die gewöhnlichen Essenzeiten waren.

Alle Handwerksbetriebe hatten von frühmorgens bis spät in die Nacht geöffnet, um die Ausrüstung der Suchmannschaft zu vervollständigen oder auch persönliche Gegenstände wie Kleidung bereitzustellen.

Alle waren auf die große Versammlung gespannt, die am Abend des letzten Tages stattfinden sollte. Bis dahin wurde viel spekuliert, denn Korbinian war nur selten zu sprechen. Aber Adinas Idee der drei Speichen sprach sich natürlich herum, dafür sorgten schon die Lehrlinge.

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Aminas Tagesablauf hatte sich eingespielt. Sie stand in aller Frühe auf, war die Erste in der Metzgerei und machte den Plan für den Tag. Wenn dann die anderen zur Arbeit kamen, war schon alles vorbereitet.

Wenn am späten Abend die letzte Wurst in der Räucherkammer hing, die Geräte gründlich gereinigt waren und alle gegangen waren, saß Amina noch in ihrem kleinen Kontor und war mit dem Führen der Listen beschäftigt. Wenn sie dann endlich damit fertig war, löschte sie das Licht und ging noch auf einen Plausch zu Adina hinüber.

Die Vorräte stapelten sich in den Lagerräumen. Amina hatte noch ein Nachbarhaus als Lager dazunehmen müssen, sonst hätte gar nicht alles hineingepasst. Sie war schon ein bisschen stolz darauf, was sie mit ihrer Handvoll Helfer alles hinbekommen hatte.

Immer wieder dachte sie an Milan, aber ein solch starkes Gefühl wie zwei Abende zuvor hatte sie nicht mehr gehabt. Sie war sehr gespannt auf seine Ankunft, nicht zuletzt, weil sie sich selbst davon überzeugen wollte, dass es ihm gut ging.

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Quentin grübelte. Den ganzen vergangenen Tag hatte er auch schon gegrübelt. Er wusste einfach nicht, wie es weitergehen sollte.

Einerseits mochte er Finja und Falk sehr gern und, wenn er es sich recht überlegte, sogar Medard ein bisschen. Außerdem machte ihm die Arbeit viel Spaß. Andererseits wusste er seit dem nächtlichen Gespräch mit Finja, dass er nicht der Einzige war, der „anders“ war. Und er wollte unbedingt diese „anderen“ finden, denn er wusste, dass nur sie ihn wirklich verstehen würden.

Wenn er allerdings an den Magier vom Marktplatz dachte, lief ihm auch jetzt noch ein kalter Schauer über den Rücken. War der Magier auch einer von den „anderen“? Was von dem, was er aufgeführt hatte, war ein Trick, und gab es tatsächlich Kunststücke darunter, die in Wirklichkeit Magie waren?

Wenn das stimmte, dann war der Magier vom Markt ja ein echter Zauberer! Und war er selbst, der Müllerssohn Quentin, dann auch ein Zauberer?

Nein, das konnte nicht sein. Oder doch?

So drehten sich seine Gedanken ständig im Kreis, bis Medard ihn recht ruppig in die Seite knuffte und anmaulte: „Wenn Hoheit dann mit Nachdenken fertig sind, könntet Ihr vielleicht die Güte besitzen, Eure hochwohlgeborenen Hände an diesen schlichten Kornsack anzulegen?“

Medard war echt sauer, aber er hatte ja recht: Quentin hatte wirklich schon genug Zeit mit Grübeln vertan. Mit ein paar entschuldigenden Worten machte er sich an die Arbeit.

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Meara war in einem Landstreifen angekommen, den sie gut kannte. Als sie noch Lehrling in Filitosa war, hatte sie ab und zu mit anderen lange Wanderungen unternommen. Natürlich nicht nur zum Spaß: In dieser Gegend gab es seltene Kräuter, die in Filitosa nicht wuchsen. Schon ein paar Generationen vor ihr hatten die Bewohner den Versuch aufgegeben, diese Kräuter in Filitosa anzupflanzen: Es klappte einfach nicht. Und so wurden regelmäßig ein paar Lehrlinge ausgesandt, um die Vorräte wieder aufzufüllen.

In Gedanken war sie wieder bei einer dieser Wanderungen, als sie an einem Wald vorbeikam, in dem sie schon einmal diese besonderen Kräuter gefunden hatte. Fast unbewusst ging sie vom Weg ab und in den Wald hinein.

Wenig später kam sie an die Stelle, an der die Kräuter innerhalb eines kreisrunden Hexenrings wuchsen. Meara fing sofort an, die Kräuter vorsichtig abzuschneiden und in ihrem Beutel zu verstauen. Konnte ja nicht schaden, wenn sie den jetzigen Lehrlingen einen Weg abnahm, oder?

Als sie mit den Kräutern fertig war, entdeckte Meara in der Nähe einen wilden Apfelbaum. Schnell pflückte sie ein paar von den reifen Früchten und setzte sich, um zu Mittag zu essen.

Kauend und gleichzeitig grinsend blickte sie zu dem Hexenring hinüber. Wenn die Menschen wüssten, dass diese Hexenringe überhaupt nichts mit Zauberei zu tun hatten, sondern nur eine besondere Art von Pilzen waren ... Aber so waren die Kräuter jedenfalls bestens geschützt!

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Milan hatte am Vormittag einem Bauern geholfen, eine Kuh wieder einzufangen, die sich von ihrem Strick losgerissen und anschließend auf den Weg gemacht hatte, um die große, weite Welt auf eigene Faust zu erkunden. Der Bauer war schon völlig verzweifelt, als Milan ihn traf, denn er war allein, und so konnte ihm die Kuh immer wieder ausbrechen, bevor er sie einfangen konnte.

Nach ein paar schweißtreibenden Versuchen hatten sie die Kuh endlich zu fassen bekommen. Nun stand sie wieder friedlich mit den anderen beiden Kühen zusammen, die der Bauer ins nächste Dorf zum Schlachter bringen wollte.

Der Bauer hatte sein Brot mit Milan geteilt, dessen Proviantbeutel ja auf dem Grund der Schlucht lag. Es war ein einfaches, aber schmackhaftes Mahl. Nach ein paar herzlichen Abschiedsworten war Milan dann in die eine, der Bauer in die andere Richtung weitergezogen.

Jetzt war es bereits wieder Nachmittag. Vor Milan lag ein kleines Dorf. Er wäre zu gern in die Schänke eingekehrt, aber sein Geld war fast alle, und er wollte mit seinen zerrissenen Sachen auch nicht auffallen.

Also umging er die Häuser in einem weiten Bogen. Gegen Abend kam er an einem Aussiedlerhof an, wo er um ein wenig Essen und ein Nachtlager im Heu bat. Die Bäuerin schnitt ihm eine dicke Scheibe leckeren Schinken ab und gab ihm ein halbes selbst gebackenes Brot dazu. Milan verschlang sein Essen mit großem Appetit und legte sich bald zum Schlafen nieder. Am Morgen sollte es in aller Frühe weitergehen.

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Meara war bei Sonnenuntergang einfach weitermarschiert. Sie wusste zwar, dass sie noch ein gutes Stück Weg vor sich hatte, aber die Spannung hätte sie ohnehin nicht schlafen lassen.

So stapfte sie zielstrebig durch die stille Nacht dahin. Gegen Abend war sie noch ein paar Wanderern begegnet, aber nun war sie ganz allein unter einem prächtigen Sternenhimmel.

Ein neugieriges Käuzchen begleitete sie ein Stück ihres Weges und flatterte mal hierhin, mal dorthin von Baum zu Baum. Meara versuchte es zu locken, aber es blieb immer in sicherem Abstand. Nach einer Weile flatterte es ein paar Mal um sie herum und verschwand dann mit einem letzten „Hu-huuh!“ in die Richtung, aus der es gekommen war.

Gegen Mitternacht erreichte Meara eine Quelle, die neben dem Weg aus einem Hang sprudelte. Durstig trank sie das kühle, erfrischende Wasser und setzte sich dann ins Gras, um zu verschnaufen. Noch etwa fünf Stunden, dann müsste sie am Ziel sein.

In Gedanken an die Zeiten als Lehrling aß sie ihr letztes Stück Brot und dazu die beiden Äpfel, die vom Mittag noch übrig waren. Es war eine schöne Zeit gewesen in Filitosa. Immerzu hatte sie mit den anderen Lehrlingen Spaß gehabt, auch wenn es viel zu lernen gab. Es war eine kleine, behütete, starke Gemeinschaft gewesen. Meara war gespannt, ob das immer noch so war.

Als sie aufgegessen hatte, trank sie noch ein wenig von dem frischen Wasser und machte sich wieder auf den Weg. Stunde um Stunde verging. Die Sterne zogen über Meara auf ihrer alten Bahn dahin. Es wurde immer dunkler, und wenn der Mond nicht gewesen wäre, hätte Meara ihren Plan irgendwann aufgeben müssen. Sie schaute nach oben. In zwei Tagen würde Vollmond sein. Hoffentlich ein gutes Omen für den Grund der Zusammenkunft, was auch immer es sein mochte.

Meara kam Filitosa immer näher, und ihre Vorfreude wuchs mit jedem Schritt, den sie auf das Dorf der Magier zuging. Plötzlich spürte sie etwas.

Sofort war sie vom Weg verschwunden und versuchte aus einem Gebüsch heraus den Grund für ihre Unruhe zu entdecken.

Eine Weile sah sie nichts, nur den Weg vor sich, der auf eine Kreuzung zulief. Dann spürte sie mehr, als sie es wirklich sah, eine Bewegung neben dem Weg direkt an der Kreuzung. Mit all ihren Sinnen konzentrierte sie sich auf den Punkt, an dem sie die Bewegung wahrgenommen hatte.

Schlagartig wich die Anspannung von ihr. Sie stand auf und ging mit einem Lächeln auf die Kreuzung zu. „Ich glaube, wir haben den gleichen Weg!“, rief sie in die Dunkelheit.

Der 7. Lehrling

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