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Balsberg

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Quentin kam gut voran. Er konnte immer mehr Einzelheiten von Balsberg erkennen. Und was er sah, steigerte seine Vorfreude immer weiter. Was für eine Riesenstadt! Da gab es sicher tausende neuer Dinge zu entdecken! Aber zuerst musste er eine Arbeit finden.

Den ganzen Weg malte er sich aus, was er für tolle Sachen in der großen Stadt unternehmen könnte. Darüber vergaß er sogar, eine Mittagspause zu machen.

Der Fahrweg wurde immer breiter. Von rechts und links mündeten immer mehr Seitenwege ein. Ab und zu begegnete er Bauern, Händlern und anderen Wandersleuten. Aber Quentin nahm sich keine Zeit für lange Gespräche, viel zu spannend war das, was da vor ihm lag.

Dann kamen die ersten Aussiedlerhöfe. Auf den Feldern wurden die letzten Reste der Ernte eingebracht, überall herrschte Hochbetrieb. Goldene Korngarben standen auf den Stoppeln oder wurden auf große Leiterwagen aufgeladen. Ab und zu konnte Quentin einen Blick in eine Scheune werfen, in der das Korn inmitten riesiger Staubwolken aus den Ähren gedroschen wurde.

An einer Kreuzung, an der sein Weg auf eine Fahrstraße traf, stand ein großes Weghaus. Hier kehrten Reisende ein, denen die Unterkünfte in der Stadt zu teuer waren, oder auch Wanderer, die sich stärken wollten, ohne erst in die Stadt gehen zu müssen.

Quentin setzte sich auf eine Bank bei einem Brunnen und sah dem Treiben zu. Seine Laune war ausgezeichnet, in zwei bis drei Stunden würde er in der Stadt sein.

Schnell aß er ein Stück Brot, das ihm ein Bauer unterwegs geschenkt hatte, und trank einen Schluck Brunnenwasser dazu. Dann ging es wieder weiter.

Es war ein wundervoller Sommertag. Die Grillen zirpten ihre Lieder in den Büschen und Wiesen, Kühe lagen friedlich wiederkäuend auf den Weiden, alle waren in guter Stimmung. Am Himmel waren nur ein paar kleine Schäfchenwolken zu sehen, kein Zeichen deutete mehr auf die schweren Regenwolken hin, die noch vor ein paar Tagen über den Horizont gezogen waren. Quentin pfiff ein fröhliches Wanderlied und marschierte zügig auf die Stadt zu.

Nach einer Weile kamen die ersten Wohnhäuser. Jetzt war Quentin im äußeren Gürtel der Stadt angekommen. Begierig nahm er alle Bilder in sich auf. Höfe und Wohnhäuser wechselten sich ab, hier und da gab es einen von Blumen übersäten Garten. Freundliche Menschen überall. Quentin dachte fast, er würde träumen. Er war in Balsberg angekommen!

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Milan ließ sich erschöpft auf den laubbedeckten Boden fallen. Er war seit zehn Stunden ohne Pause unterwegs und ziemlich erschöpft. Aber da es bis zum Einbruch der Nacht noch zwei bis drei Stunden waren, konnte er nicht lange verschnaufen. Hastig trank er ein paar Schlucke Wasser aus dem kleinen Bach, an dem er sich befand. Dann füllte er seine Flasche auf.

Nur ein paar Minuten noch! Milan legte sich auf den Rücken und sah in das Blätterdach des Waldes hinauf. Was war nur in Filitosa geschehen? Ein Überfall? Hielten die Schutzzauber nicht mehr? Er zermarterte sich schon den ganzen Tag lang den Kopf, aber er fand keinen wirklich guten Grund, warum ausgerechnet aus Filitosa der Ruf gekommen war. Das war doch das Zuhause aller Magier. Das bestgehütete Geheimnis in diesem Land! Sollte trotz aller Vorsichtsmaßnahmen doch jemand dahintergekommen sein? Naja, nachdenken konnte er auch unterwegs noch! Ächzend rappelte sich Milan hoch und klopfte die Blätter von seiner Hose.

Dann ging es weiter.

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Quentins Stimmung war bei Weitem nicht mehr so gut wie zu dem Zeitpunkt, als er durch das Stadttor gegangen war. Er hatte nun schon bei fünf Schänken, drei Gasthäusern und verschiedenen anderen Geschäften nachgefragt. Aber niemand hatte eine Arbeit für ihn. Quentin war der Verzweiflung nahe.

Irgendwie musste doch etwas zu finden sein! Seine Vorräte waren aufgebraucht, und außerdem wusste er nicht, wo er schlafen sollte. Das Leben in der großen Stadt hatte er sich wirklich anders vorgestellt!

Eine Zeitlang hatte Quentin Straße um Straße abgesucht, aber mittlerweile irrte er ziellos in der Stadt umher und entfernte sich dabei immer weiter vom Zentrum. Die Geschäfte waren spärlicher geworden. Längst war der Abend angebrochen.

Quentin kam an einem riesigen neuen Kornspeicher vorbei, an dem emsig gebaut wurde. Fragen kostet nichts, dachte er bei sich und suchte nach einem Handwerksmeister. Aber leider bekam er auch hier keine Arbeit. Enttäuscht ging er weiter.

Neben dem neuen Kornspeicher war ein älteres, viel kleineres Gebäude. Auch hier wurde Getreide gelagert. Quentin setzte sich an die Wand des kleinen Speichers und dachte nach. Er war müde. Seine Füße taten weh. Er lehnte den Kopf an die Wand und schloss die Augen.

Da hörte er leise ein ihm wohlbekanntes Geräusch. Es war der Klang von aufeinanderreibenden großen Steinscheiben. Quentin sprang auf und schaute suchend umher. Dann hatte er nur wenige Häuser entfernt sein neues Ziel entdeckt.

Aus einem aufgestauten Bach floss Wasser auf ein großes Schaufelrad, das sich gemächlich drehte. Dieses Schaufelrad lief auf einer Welle, die durch ein Mauerloch im Inneren des Hauses verschwand. Quentin wusste genau, wie es drinnen aussehen würde: Auf der Welle würde ein senkrechtes Zahnrad befestigt sein, das in ein waagerechtes Zahnrad griff und dieses drehte. Unterhalb des waagerechten Zahnrades würde sich eine mächtige Steinscheibe befinden, die über eine andere, noch größere Steinplatte mit den ihm so wohlvertrauten Geräuschen immer im Kreis herum rieb. Und zwischen den beiden Steinen wurde Korn zu dem gemacht, was er kannte, solange er denken konnte: Mehl.

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Eine Mühle! Hoffnungsvoll ging Quentin auf die Eingangstür zu und trat ein. Er sah einen kräftigen Mann oben auf einer Bühne über den Mühlsteinen stehen. Der Mann schüttete gerade Korn in einen Trichter, an dessen unterem Ende es aus einem kleinen Loch zwischen die Mühlsteine rieselte.

Außer dem Mann war niemand zu sehen. Quentin wartete geduldig, bis der Müller den Sack in den Trichter geleert hatte und wieder von der Bühne herunterstieg. Dann sprach er ihn an. „Guten Tag, Müllermeister! Ich bin Quentin und suche Arbeit. Habt Ihr vielleicht etwas für mich zu tun? Ich bin schon seit vielen Tagen auf Wanderschaft, habe nichts mehr zu essen und auch kein Dach über dem Kopf.“

Der Müller schaute Quentin grübelnd an. „So so. Du bist wohl zuhause ausgerissen, was?“ „Nein, so ist es nicht“, widersprach Quentin und erzählte dem Müller, warum er auf Wanderschaft war. Die Sache mit den Gegenständen, die ihm Geschichten erzählten, ließ er allerdings aus. Als er geendet hatte, sah ihn der Müller nachdenklich an.

„Also gut“, sagte er, „Ich denke, ich kann es mit Dir versuchen. Mein zweiter Geselle Cedrik hat mich heute Morgen Hals über Kopf verlassen. Seine Großmutter ist schwer erkrankt, und er wollte unbedingt zu ihr. Also kann ich im Moment zwei helfende Hände gut gebrauchen! Ich werde Dich in die Lehre nehmen. Du bekommst freie Kost und Unterkunft, dazu gebe ich Dir zuerst einmal einen halben Taler in der Woche. Wenn Du geschickt und fleißig bist, können wir in ein paar Wochen noch einmal über Deinen Lohn reden. Einverstanden?“

Quentin nickte heftig, weil er vor lauter Freude keinen Ton herausbekam. Der Müller fuhr fort: „Komm mit, ich zeige Dir, wo Du schlafen kannst. Danach wasch Dich ordentlich, das Essen ist bald fertig!“ Mit diesen Worten verließen sie die Mühle und gingen in das angebaute Wohnhaus.

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Samuel, Mearas alter Lehrer, hatte die Koordination der Vorbereitungen übernommen. Als Erstes hatte er alle Lehrlinge zusammengerufen, die die Betriebe in Filitosa leiteten. Denen hatte er genauestens erläutert, was als Nächstes zu tun war.

Alle mussten mit Proviant ausgerüstet werden, damit bei der Suche möglichst wenig Zeit verschwendet wurde. Alle brauchten eine Decke, Kochutensilien, nützliche Werkzeuge. Eben alles, was man für eine mehrwöchige Reise einpacken musste. Und natürlich auch einen Rucksack, worin alles Platz fand.

Dann hatte der erste Tag einer arbeitsreichen Woche begonnen. Die Lehrlinge hatten wieder ihre Betriebe aufgesucht. Wer aus seinem eigenen Betrieb nichts beitragen konnte, half an anderer Stelle. Auch dies wurde von Samuel koordiniert. Von frühmorgens bis tief in die Nacht wurde die größte Suchaktion vorbereitet, die die Magier jemals durchgeführt hatten.

Amina war mit ihrer Metzgerei mit am härtesten betroffen. Normalerweise musste sie nur einen kleinen Teil unverderblicher Waren vorhalten, um Reisende ausstatten zu können. Jetzt sollte innerhalb von nur einer Woche eine Meute von über zweihundert Magiern, Gesellen und Lehrlingen ausgerüstet werden!

Der Bestand an Schweinen und Rindern würde in den nächsten Tagen spürbar abnehmen. Im Schlachthaus, in der Metzgerei und in der Räucherkammer herrschte Hochbetrieb.

Amina gönnte sich kaum eine Pause. Spät abends ging sie noch die Listen mit den aktualisierten Warenbeständen durch. Erst als sie sah, dass sie ganz gut im Zeitplan lag, beschloss sie, Feierabend zu machen.

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Nach dem Abendessen ging Quentin noch einmal allein hinaus in die Mühle. Er strich sanft mit den Fingern über die großen schweren Mühlsteine, die ihm von einem ruhigen und ausgeglichenen Leben erzählten.

Nach einer Weile ging er wieder ins Haus zurück und wünschte allen eine gute Nacht. Dann ging er ins Bett. An diesem Abend schlief Quentin seit langer Zeit wieder als glücklicher Junge ein.

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Meara sank todmüde ins Heu. Sie hatte mindestens einen halben Tag verloren, weil sie auf ihrem Weg auf ein großes Moor gestoßen war. Der Schutzschild funktionierte zwar bei Hindernissen, die ihr im Weg waren, aber festen Boden brauchte sie trotzdem unter den Füßen. Es war Meara nichts anderes übrig geblieben, als um das Moor herumzuwandern.

Mehrmals war sie bis über die Knie in den tückischen Grund eingesunken, weil sie dachte, der Boden sei fest. Irgendwann hatte sie sich dann entschieden, langsamer zu gehen und genauer auf die Stellen zu schauen, auf die sie ihren Fuß setzen wollte. Ab diesem Zeitpunkt ging es wesentlich besser, und im Ergebnis kam sie so schneller voran, als wenn sie sich alle Stunde mühsam aus dem Morast herausarbeiten musste.

Bei Einbruch der Nacht war sie dann auf die Hütte eines Torfstechers gestoßen. Für ein paar Münzen war dieser bereit, ihr etwas zu essen und einen Schlafplatz zu geben.

Nun lag sie also im Heu und war wütend auf sich selbst. Dabei konnte sie ja eigentlich gar nichts dafür, dass das Moor auf ihrem Weg lag. Aber wenn das noch ein paar Mal passierte, würde sie niemals rechtzeitig ankommen!

Auch Meara machte sich schon den ganzen Tag Gedanken darüber, was in Filitosa wohl vorgefallen sein würde. Aber sie konnte sich ebenso wenig wie Milan einen Reim darauf machen. Während sie noch vor sich hingrübelte, fiel sie in einen tiefen und traumlosen Schlaf.

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Am nächsten Tag waren Filitosas Hähne auf ihren Misthaufen ziemlich erbost über die Magier: Als sie gerade anfangen wollten zu krähen und das Dorf zu wecken, mussten sie feststellen, dass die Arbeit überall bereits wieder begonnen hatte.

Amina hatte sich am Vormittag mit Adina zum Frühstück verabredet. Sie tauschten sich über ihre jeweiligen Fortschritte aus. Es war alles sehr aufregend, da waren sich die Zwillinge einig.

Amina war allerdings noch ein klein wenig aufgeregter als Adina. Sicher würde Milan auch kommen! Sie mochte den hochgewachsenen Schmiedegesellen schon seit langer Zeit. Leider hatte sie sich nie getraut, ihn anzusprechen, sondern ihn immer nur aus der Ferne bewundert. Wenn er in die Metzgerei kam, musste ihn sogar immer jemand anderes bedienen, weil Amina vor Aufregung keinen einzigen Ton herausbrachte. Dann war er auf Wanderschaft gegangen, und Amina war wochenlang untröstlich gewesen. Und nun würde sie ihn nach zwei Jahren endlich einmal wiedersehen!

Adina war die Aufregung ihrer Schwester nicht entgangen. Sie freute sich für sie, konnte es aber auch nicht lassen, Amina aufzuziehen.

Nachdem die beiden noch ein wenig herumgealbert hatten, ging jede wieder an ihre Arbeit. Ein weiterer langer Tag musste so gut es ging genutzt werden!

Der 7. Lehrling

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