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Der Prozess gegen die Hexe war nur eine Formsache. Das »Schuldig« stand von vornherein fest. Obwohl Lonsam nicht als Belastungszeuge erschien, gab es für Richter Thunderbill keinen Zweifel daran, dass dieser Mann wieder mal einer Ausgeburt der Hölle das Handwerk gelegt hatte. Lonsam war für das Dorf ein Segen. Als Ankläger traten die Falcos auf, die von Lady Gwendolyn angeführt wurden, Ihr Mann konnte nicht erscheinen. Seinen Verstand hatte die Hexe auf dem Gewissen.

Obwohl die Form des Prozesses gewahrt wurde, ging doch alles ungewöhnlich schnell. Die Hinrichtung wurde für den Nachmittag anberaumt.

Zeit genug für die Dorfbewohner, sich auf dem Marktplatz zu versammeln, um sich einen der vorderen Plätze zu sichern. Man wollte nichts versäumen, und vor allem wollte man von den maßgeblichen Leuten gesehen werden. Das war wichtig in einer Zeit, in der es genügte, der Zauberei angeklagt zu werden, wenn man nicht bereit war, lautstark bei der Verbrennung einer Hexe zu jubeln.

Die Richtstätte hatte nicht neu aufgebaut werden müssen. Sie war noch vom letzten Mal bereit. Lediglich trockenes Holz und Strohbündel hatten herbeigeschafft werden müssen.

Der Himmel über dem Dorf war bleigrau. Die richtige Stimmung für ein Todesurteil. Umso ausgelassener war die Menge, die unter diesem unheilschwangeren Himmel sich lautstark die Zeit vertrieb. Der vierschrötige Mock führte wieder mal das Wort.

»Wetten, dass Jeff jetzt in seiner Kammer hockt und darüber sinnt, wie er der verdammten Hexe helfen könnte?«, schrie er. »Warum ist er denn nicht hier, he? Ich finde das reichlich merkwürdig.«

»Merkwürdig?«, kreischte eine Frau. »Verdächtig ist das. Äußerst verdächtig.«

»Jeff ist zu Hause geblieben, weil seine Frau krank ist«, ließ sich ein älterer Mann hören.

»Das sind Ausflüchte«, begehrte ein anderer auf. »Seine Lissy ist nur krank, weil die Hexe sie mit ihrem bösen Blick angesehen hat.«

Das war Wasser auf Mocks Mühlen. »Du hast recht, Barno. Enna wollte Jeffs Frau aus dem Weg schaffen, damit sie ihn ganz für sich gehabt hätte. Dass die beiden was miteinander hatten, ist doch klar. Nur deshalb hat sie sein Korn geschützt. Das meine hat der Hagel zerschlagen.«

»Kein Wunder, Mock«, brüllte ein drahtiger Bursche. »Du warst ja auch viel zu faul, es rechtzeitig einzubringen. Stattdessen bist du lieber bei Hanno im Wirtshaus gesessen.«

Der Vierschrötige wirbelte zu dem Sprecher herum und musterte ihn wütend. Sekundenlang überlegte er, ob er dem flinken Cardy mit seinen harten Fäusten gewachsen war. Diesen Schimpf durfte er schließlich nicht unwidersprochen lassen. Doch dann kam ihm in den Sinn, dass es eine viel bessere Möglichkeit gab, mit dem lästigen Burschen fertigzuwerden.

»Du hängst dein loses Maul ziemlich weit zur Hexe hinüber, Cardy«, sagte er ölig. »Manch einer scheint ja ganz vernarrt in ihre blauen Augen zu sein. Bist du hier, um uns gegen sie aufzuhetzen? Das würde mich nicht wundern. Einer wie du nimmt, was er kriegen kann. Und sicher würde sich Enna bei dir erkenntlich zeigen.«

Cardy erkannte blitzschnell die Gefahr, in die ihn der andere manövrieren wollte. Er hatte viele Möglichkeiten, sich aus dem rasch aufkeimenden Verdacht zu winden. Er konnte alles abstreiten, aber je lauter er schrie, umso misstrauischer würde man werden. Er konnte Mock die Antwort mit den Fäusten erteilen. Auch das war ein Argument, dass nur zu schnell falsch ausgelegt wurde. Schließlich blieb noch die Flucht, aber die war erst recht ein Eingeständnis seiner angeblichen Schuld. Die Möglichkeit, kurzerhand einen anderen zu verdächtigen, möglichst einen Schwachen, der zu ungeschickt war, seinen Hals rechtzeitig aus der drohenden Schlinge zu ziehen, widerstrebte ihm. Er war nur hier, weil jeder das erwartete. Er glaubte nicht an Hexen und Zauberei. Er wollte nicht schuld sein, dass ein Unschuldiger seinetwegen an diesem verhängnisvollen Aberglauben zugrunde ging.

Aber er selbst wollte das auch. Was also sollte er tun? Mocks glitzernde, triumphierende Augen hingen an ihm. Der Vierschrötige nahm einen tiefen Schluck aus seinem Bierkrug. Er war sich seines Sieges sicher. Da kam dem Bedrängten ein Ereignis zu Hilfe, das ihn der Aufmerksamkeit der anderen enthob.

»Sie kommt!«, keifte eine Frau und fuchtelte aufgeregt mit ihrer gichtigen Hand dorthin, woher ein zweirädriger Karren rumpelte. Der Karren wurde von einem mageren Gaul gezogen. Davor und dahinter gingen je zwei Büttel mit gestrengen Mienen, vor denen die Menge zurückwich. Auf dem Karren kauerte Enna, die ein Kleid aus grauem, grobem Tuch trug. Ihre Füße waren nackt, ihr schmales Gesicht bleich. Sie sah aus, als wäre sie bereits tot. Nur in ihren blauen Augen zuckte noch ein wenig Leben. Sie hielt den Blick gesenkt, denn sie wusste, dass ihr nur Hass entgegenschlug. Die aufgehetzte Meute war ohne Erbarmen.

Trotzdem hob sie von Zeit zu Zeit den Kopf, während der Karren zur Richtstätte rollte, neben der sich inzwischen Richter Thunderbill, einige Schergen, ein Geistlicher und der Henker eingefunden hatten. Enna versuchte jenen Mann zu entdecken, dessen abscheuliches Tun sie noch immer nicht begriff. Immerhin hatte sie die Nacht mit der Frage verbracht, ob sie berechtigt gewesen war, ihn zu verfluchen. Schließlich hatte Lonsam sie zwar den Häschern ausgeliefert, aber zuvor war sie diesen nur durch seine Hilfe entronnen. Was auch immer seinen Gesinnungswechsel bewirkt haben mochte, er hatte sich lediglich ein Geschenk zurückgeholt, das ihn wohl inzwischen reute. Aber der Fluch war ausgesprochen, und sie konnte ihn nicht zurücknehmen, weil sich der Geistervernichter nicht vor ihr blicken ließ.

Das Raunen ebbte ab und verstummte schließlich ganz, als der Karren nur wenige Meter vor dem Holzstoß entfernt hielt, und kräftige Arme die Hexe herunterzerrten.

An der Kirche rollte eine Kutsche vorbei, die von vier weißen Pferden gezogen wurde. In der Kutsche saß Lady Gwendolyn. Sie war pünktlich und hatte den Augenblick ihres Auftritts so raffiniert gewählt, dass sie sogar für kurze Zeit der Hexe die Schau stahl, denn alle Köpfe wandten sich nach ihr und ihrem prächtigen Gefolge um.

Der Kutsche folgten Berittene. Danach kamen offene Kaleschen mit Edeldamen. Alle wollten miterleben, wie die Hexe, die Sir William auf dem Gewissen hatte, ihrer gerechten Strafe zugeführt wurde.

Enna wurde unter dem Jubel der Anwesenden auf den Holzstoß geführt und an einem Pfahl festgebunden. Richter Thunderbill verlas die Anklageschrift und verkündete das Urteil, wobei erneut Genugtuung gezeigt wurde. Die Todeskandidatin erschien völlig teilnahmslos. Offenbar begriff sie nicht, dass sie die nächste Stunde nicht überleben würde. Der Geistliche, ein knochiger Mann mit unruhigen Augen, sprach einige Worte, die der Verurteilten Trost auf ihrem letzten Weg zusprechen sollten.

Als Thunderbill dem Henker, einem grobschlächtigen Kerl, den man extra von Inverness hatte kommen lassen, einen Wink gab, verneigte dieser sich kurz vor Richter und Tribüne, tauchte einen Holzspan in das bereitstehende Becken mit den glühenden Kohlen und entzündete ihn. Mit dieser Fackel schritt er zum Scheiterhaufen und hielt sie an eines der Strohbündel, aus dem sofort die Flammen schlugen. Ein Aufseufzen ging durch die Menge.

»Das heilige Feuer möge deine verruchte Seele reinigen«, predigte der Geistliche.

Dann wurde Ennas Körper von den zuckenden Flammen eingehüllt. Kein Laut drang über ihre Lippen.

»Hört ihr es?«, schrie Mock. »Sie schreit nicht mal. Nur eine Hexe kann so verstockt sein.«

Die Spannung löste sich, während schwärzliche Rauchschwaden vom Wind über den Marktplatz getragen wurden. Krüge krachten aneinander. Hanno, der Wirt, hatte alle Hände voll zu tun.

Das Feuer fraß sich weiter.

Lady Gwendolyn erhob sich. Sie hatte genug gesehen. Sir William war gerächt. Es war nicht nötig, dass sie noch länger bei ihren Untertanen blieb. Als sie sich von einem eleganten Herrn zu ihrer Kutsche geleiten ließ und einige Frauen tuschelten, dass es der Gräfin möglicherweise gar nicht so unangenehm war, ihren schweinsköpfigen Gemahl gegen diesen Prachtburschen eingetauscht zu haben, entstand hinter der Menge eine Bewegung. Stimmen wurden laut. Jemand fluchte, andere zeterten.

Köpfe ruckten herum - und nun sahen es alle!

Ein schwarzes Pferd galoppierte an der gaffenden Meute vorbei, durchbrach ihre Reihen und stürmte direkt zur Mitte des Platzes. Auf dem Rappen saß ein Reiter, dessen Gesicht nicht zu erkennen war, denn es war verhüllt. Der Mann trug einen weiten, schwarzen Umhang, der hinter ihm her wehte und ihm gespenstiges Aussehen verlieh.

Frauen kreischten. Einige fielen in Ohnmacht, oder taten zumindest so.

Der Vierschrötige schob sich weiter vor und brüllte: »Das ist kein anderer als Jeff. Er will seine Teufelsbraut befreien. Packt ihn! Er gehört zu der Hexe ins Feuer ...»

Tatsächlich hielt der unheimliche Reiter genau auf den lodernden Scheiterhaufen zu. Dort stellten sich ihm die Schergen in den Weg und versuchten, ihn vom Pferd zu reißen, obwohl sie sich eines gewissen Unbehagens nicht erwehren konnten. Der Unbekannte stieß die Faust vor, und zwei der Burschen flogen gefährlich nahe an dem Holzstoß vorbei und blieben wimmernd liegen. Der Schlag konnte sie unmöglich so schwer getroffen haben, aber sie zogen es vor, sich mit dem Reiter, der ihnen nicht geheuer war, nicht näher einzulassen.

Die vier anderen lachten roh und verächtlich. Zwei sprangen den Vermummten von hinten an, während die beiden anderen seinen Gaul hielten. Der Schwarze flüsterte einige Worte, und das Pferd stieg wiehernd auf die Hinterläufe, während es seine Vorderhufe in die Gegend schleuderte.

Wieder fanden sich zwei Büttel im Staub, der sich vom Ruß inzwischen dunkel gefärbt hatte. Die restlichen beiden besorgten sich armdicke Knüppel und schwangen sie über ihre Köpfe.

Die Menge hielt den Atem an.

Der Henker trat näher und stemmte seine Fäuste in die Seiten. Er war davon überzeugt, nicht eingreifen zu müssen. Die beiden Prügel reichten zweifellos aus.

Der Mann im Umhang breitete seine Arme aus. Hohl klangen unverständliche Worte unter seiner Kutte. Die Knüppel krachten herab, aber die Büttel schlugen sie sich gegenseitig auf die Köpfe. Benommen torkelten sie zurück, und nun war der Weg zur Hexe für den Fremden frei.

»Sie hat ihm geholfen«, schrie Mock. »Er ist mit der Hexe im Bund. Jeff ist ein Zauberer. Er will Enna dem Feuer entreißen.«

Alle hörten es, aber niemand wagte es, seine Hand gegen den Beschuldigten zu heben, der offensichtlich in der Lage war, fremde Arme nach seinem Willen zu lenken. Nur der bullige Henker lachte wild auf und warf sich dem Dreisten entgegen. In seiner Faust blitzte ein breites Messer, mit dem er normalerweise die Gerichteten vom Pfahl schnitt. Der Stahl der Klinge blitzte unter dem flackernden Schein der rötlichen Flammenglut. Er zuckte herab und grub sich in den schwarzen Stoff des Umhangs.

Doch dann geschah etwas, womit keiner gerechnet hätte.

Der Henker schrie auf und ließ das Messer fallen. Er steckte seine Hand, auf der sich gewaltige Brandblasen zeigten, zwischen seine Knie und jammerte vor Schmerz. Der Unbekannte gab seinem Pferd die Sporen, und es setzte über den grausamen Diener der Gerechtigkeit mit weitem Sprung hinweg. Der Mann im Umhang glitt aus dem Sattel und lief auf den Scheiterhaufen zu, auf dem Enna die letzten Qualen erduldete. Keine Hand hielt ihn mehr auf. Nicht nur die neugierige Menge, auch Richter Thunderbill und der Geistliche wichen entsetzt zurück.

Für Sekunden verschwand der Unheimliche in den hochaufschießenden Flammen. Als er wieder auftauchte, war deutlich zu erkennen, dass er etwas unter seinem Umhang verbarg.

»Er hat sie geraubt«, plärrte Mock. »Tötet ihn! Worauf wartet ihr noch?«

Er sah sich suchend um. Dann schleuderte er kurzerhand seinen schweren Bierkrug hinter dem Flüchtenden her, der inzwischen wieder bei seinem Pferd angelangt war und sich gerade in den Sattel schwang.

Das war das Signal für die anderen. Hundert Rücken bückten sich. Hundert Arme reckten sich, hundert Hände griffen nach Steinen, die sie dem Frevler zugedachten.

Ein wahrer Geschosshagel prasselte hinter dem davon galoppierenden her. Die Entfernung war noch nicht sehr groß. Trotzdem traf kein einziger Stein. Alle verfehlten sie den Teufelsreiter knapp. Das ging nicht mit rechten Dingen zu!

Der Unheimliche verschwand in einer Staubwolke. Er wurde nicht verfolgt. Allen fehlte der Mut. Vor allem jenen, die ein Pferd zur Verfügung hatten.

Die Edelmänner umringten Lady Gwendolyn, die vor Angst fast von Sinnen war. Hier konnten sie ihren Mut besser beweisen, und sie liefen nicht mal Gefahr, einen Schlag abzubekommen oder gar verhext zu werden.

Als der schwarze Spuk verschwunden war, kehrte zögernd wieder Ruhe und Übersicht ein. Vor allem der Geistliche verlangte, es müsse jemand nachsehen, ob die Hexe tatsächlich verschwunden sei. Wer sollte das tun? Die Flammen waren so dicht, dass sie jeden Blick hindurch verwehrten, und so feuerfest wie der berittene Teufel war keiner von ihnen. Deshalb warteten sie, bis das Feuer niedergebrannt war. Dann würde sich ja zeigen, was wirklich geschehen war. Das konnte noch eine Weile dauern. So lange aber wollte Mock nicht warten.

»Lasst uns zu Jeff gehen!«, schrie er. »Wir holen ihn uns. Diese Freveltat muss er büßen.«

Einige stimmten begeistert zu, andere äußerten ihre Bedenken: »Er besitzt dämonische Kräfte. Er kann uns alle vernichten, wenn wir ihn erzürnen. Habt ihr nicht gesehen, wie er mit dem Henker und dessen Gehilfen umgesprungen ist?«

Natürlich hatte auch Mock das gesehen, aber er hatte dem Bier schon so reichlich zugesprochen, dass er die Ansicht vertrat, dass Jeff ohne seinen Umhang lange nicht mehr so unheimlich sein würde. Da mussten ihm die meisten recht geben, und eine große Schar entschlossener Männer zog los, um sich den Hexer zu holen.

Jeff sah sie zwar kommen, aber er hatte keine Ahnung, was sie von ihm wollten. Allerdings ließ ihn ihr Geschrei nichts Gutes ahnen.

»Was ist geschehen?«, flüsterte seine Frau vom Krankenlager aus.

Er drehte sich zu ihr um und hob die Schultern.

»Ich weiß es nicht, Lissy«, sagte er, aber unwillkürlich bildeten sich seine Hände zu Fäusten, und er schielte nach dem Dreschflegel, den er mit ins Haus genommen hatte, weil er ihn hatte reparieren wollen.

»Du solltest die Kinder fortschicken, Jeff! Ich fürchte, es gibt Streit. Ich höre Mocks Stimme. Er ist schon wieder betrunken.«

»Die Kinder sind bei der Arbeit.«

»Sie sind sehr fleißig«, meinte die Kranke, »aber sie sind noch so jung und haben schwache Arme. Ich wollte, Enna würde uns wieder helfen.«

Jeff schwieg verbissen. Er hatte es nicht übers Herz gebracht, seiner Frau zu sagen, dass man das Mädchen heute verbrannt hatte. Sie wusste nichts davon, dass man sie beschuldigt hatte, eine Hexe zu sein.

Draußen grölten die Männer.

»Komm heraus, Jeff!« Das war der Vierschrötige. »Oder sollen wir dich erst holen?«

Der kleine Mann schob sein Kinn vor. Sicher hatte Mock wieder irgendwelche Lügen verbreitet. Er wollte ihm schaden.

»Gib sie heraus, du Teufelsfreund!«, schrie einer.

»Was wollen sie von dir?«, fragte Lissy.

»Ich werde sie fragen«, sagte Jeff, griff nach dem Dreschflegel und trat vor die Tür.

»Was habt ihr?«, erkundigte er sich. »Wen soll ich herausgeben?«

»Tu nicht so ahnungslos! Die Hexe natürlich. Wo hast du sie versteckt? In deinem Bett? Wartet ihr nur noch darauf, dass deine Frau endlich stirbt?«

Jeff glaubte, nicht richtig zu hören. Er verstand nur eins. Sie sagten ihm nach, dass er Lissys Tod wünschte. Mit einem Wutschrei stürzte er sich auf sie. Blindlings schlug er mit dem Dreschflegel zu, und vereinzelte Schreie bewiesen ihm, dass er auch traf.

Aber er war allein, und sie waren mindestens zwanzig starke Kerle, die dazu noch getrunken hatten. Ein paar mussten Hiebe einstecken, aber die anderen erwischten ihn von hinten und warfen ihn zu Boden. Sie entwanden ihm seine Waffe, und nun wandte sie sich gegen ihn selbst. Er schrie kläglich auf und schüttelte seinen Kopf.

Sie waren wie in einem Rausch und fühlten sich stark, weil es ihnen gelungen war, den Mann zu überwinden, der auf dem Marktplatz für Entsetzen gesorgt hatte.

In der Nähe weinte ein Kind. Es war Jeffs jüngster Sohn, der durch den Lärm angelockt worden war. Er lief zu seiner Mutter und berichtete ihr alles. Die kranke Frau erschrak, quälte sich aus dem Bett und wankte zur Tür. Das Kind musste sie stützen.

»Mörder!«, stöhnte sie und brach auf der Schwelle zusammen.

Mock ließ einen Augenblick von seinem wehrlosen Opfer ab.

»Er betrügt dich mit einer Hexe«, schrie er. »Wahrscheinlich haben sie dich vergiftet, damit sie dich los sind.«

»N...nein ...«, stammelte die Frau. »Das ist nicht wahr.«

»Frag ihn doch selbst! Heute wurde Enna verbrannt, aber dein Jeff hat sie aus den Flammen geholt. Du kannst mir leid tun, Lissy.«

Sehr mitleidig klang das Gelächter, das er ausstieß, allerdings nicht. Es war voller Spott und Triumph, und die meisten taten es ihm gleich.

»Enna?«, flüsterte die Kranke ungläubig. »Eine Hexe? Was seid ihr nur für schreckliche Menschen? Lasst Jeff in Ruhe ... Er hat euch nichts getan. Ihr seid betrunken. Das ist die ganze Wahrheit.«

Mühsam wankte sie auf die Männer zu, die mit dem Prügeln aufhörten, und die Frau wie ein wandelndes Gespenst an starrten. Sogar Mock verlor die Fassung, ließ den Dreschflegel fallen und wandte sich zur Flucht. Einige folgten ihm, und schon bald rannten sie alle Hals über Kopf davon.

Lissy glaubte zu träumen. Sah sie schon so furchtbar aus, dass diese brutalen Kerle vor ihr Reißaus nahmen? War sie bereits vom Tod gezeichnet? Auch Jeff, der sich stöhnend aufzurichten versuchte, starrte sie entgeistert an. Aber er lief nicht davon. Er wäre dazu auch gar nicht fähig gewesen. Die Männer hatten ihn schrecklich zugerichtet.

»Enna!«, hauchte er.

Die Kranke wandte den Kopf, und nun sah auch sie das Mädchen, das neben ihr stand. Sie konnte sich nicht erklären, woher es so plötzlich gekommen war.

Enna zeigte ein schmerzliches Lächeln, als sie sagte: »Es war das letzte Mal, dass ich euch helfen konnte. Geht fort von hier, auch wenn es euch schwerfällt, den Hof zurückzulassen ... Doch nehmt dafür euer Leben mit.«

Lissy wollte dankbar nach der Hand der Jüngeren greifen, aber sie griff ins Leere. Die Erscheinung zerrann wie ein Traumbild.

Jeff erhob sich. Er fühlte seine Schmerzen nicht mehr, und seine Wunden hatten aufgehört zu bluten.

»Wir wollen tun, was Enna geboten hat«, erklärte er feierlich. »Mock und die anderen werden wiederkommen, und dann bringen sie den Richter mit.«

»Aber Enna ...«

»Enna ist tot. Sie wurde heute hingerichtet. Was uns erschien, war nur ihr Geist. Wir müssen ihr dankbar sein.«

Lissy schluchzte. Sie ließ sich von Jeff ins Haus zurückführen und half ihm, die nötigsten Sachen zusammenzupacken. Erst viel später, als sie längst ihrem Heimatdorf den Rücken gekehrt hatten und vor den möglichen Häschern flohen, erkannten sie, dass Lissy auf wunderbare Weise ihre Krankheit überstanden hatten. Tage später fanden sie einen Ort, an dem sie sich niederließen. Sie arbeiteten fleißig, blieben aber trotzdem arm. Doch keiner von ihnen wurde jemals wieder der Hexerei beschuldigt.

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