Читать книгу Sammelband 7 Grusel-Krimis: Rhapsodie der Monster und andere Horror-Romane - W. K. Giesa - Страница 19
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ОглавлениеLee McFever kauerte auf dem sandigen Boden und starrte seine Hände an. Er konnte sich nicht erklären, wie das Blut daran gekommen war. Sie waren besudelt, dabei besaß er nicht die kleinste Wunde, von einer harmlosen Hautabschürfung abgesehen.
Was hatte das zu bedeuten? War es das Zeichen, dass er sich dem erhofften Ziel näherte? Wirkte in der Nähe tatsächlich noch ein Dämon, obwohl schon Hunderte von Jahren seit damals verstrichen waren?
Es war kein Wasser in der Nähe, deshalb konnte McFever das Blut nicht abwaschen. Er beschränkte sich darauf, die Hände mit einem Tuch zu reinigen, doch das Blut erneuerte sich schon nach kurzer Zeit.
Was besagte es schon? Es war überhaupt nicht erwiesen, dass es sich um echten Lebenssaft handelte. Es gab in dieser Gegend unterschiedliche Erden. Auch rötlichen Ton. Wenn durch diesen Feuchtigkeit sickerte, war es nicht ausgeschlossen, dass sie sich verfärbte.
McFever lachte gekünstelt. Er redete sich ein, dass die ganzen Schauergeschichten, die man sich über das Versteck der Hexenrippe erzählte, lediglich auf Trugschlüssen basierten.
Der Mann richtete sich auf und erhob sich. Er fühlte sich ein wenig besser, gestand sich aber nicht ein, dass dieses Empfinden nur dicht an der Oberfläche lag.
Entschlossen schritt er weiter. Die Dämmerung brach herein. Er hoffte, noch vor Dunkelheit auf den felsigen Unterstand zu stoßen, der in den alten Aufzeichnungen erwähnt wurde. Dort wollte er sein Nachtlager aufschlagen und Schutz vor Kälte und Feuchtigkeit suchen.
Wie zufällig hielt er die rechte Hand stets in der Nähe der Hüfte. Dort hing ein eigenartiges Gebilde, das er aus einer Vitrine Harp Canners genommen hatte. Wegen seines offensichtlich bevorzugten Platzes schien es sich um ein besonders wirksames Bannmittel zu handeln. Es sah nicht viel anders aus als ein von Jahrtausenden ausgewaschener Stein, und nur bei Zuhilfenahme von viel Fantasie ließen sich gewisse körperähnliche Formen ahnen. Vielleicht handelte es sich um einen magischen Urgott, der mächtiger war als alles, was sich heutzutage noch in den finsteren Zwischenwelten herumtrieb.
Lee McFever marschierte vorwärts und summte einen alten Schlager vor sich hin. Ihm wurde nicht bewusst, dass er sich genauso verhielt wie jemand, der sich im Dunkeln fürchtete. Er markierte Gleichgültigkeit, aber in Wirklichkeit war jede Faser seines Bewusstseins aufs Äußerste gereizt. Erst als er den vermuteten Unterstand erreichte, fühlte er sich wieder besser. Es war gut zu wissen, dass er sich auf die Aufzeichnungen verlassen konnte. Demnach würde er am morgigen Tag gut vorankommen und gegen Abend wahrscheinlich bereits am Ziel seiner Wünsche sein. Die Hexenrippe würde ihm gehören, und wenn er auch nicht die Absicht hatte, durch sie zum Despoten zu werden, so war er doch zuversichtlich, dass er mit ihrer Hilfe sein Leben erfolgreicher gestalten würde.
Er spürte einen gesunden Appetit und verzehrte einen beträchtlichen Teil seines Proviants. Er brauchte nicht zu sparen, denn er würde schneller wieder zu Hause sein, als er ursprünglich erwartet hatte. Er genehmigte sich auch eine Dose Bier, und anschließend überfiel ihn wohlige Müdigkeit. Nachdem er sich in seine Decken gewickelt hatte, schlief er fast augenblicklich ein und gab tiefe Schnarchtöne von sich.
Lange war ihm diese friedliche Ruhe nicht vergönnt. An sein Ohr drangen Stimmen, deren Worte er allerdings zunächst nicht verstand. Es war ein Flüstern, was aber offensichtlich ihm galt.
Lee McFever riss die Augen auf und versuchte, die Finsternis zu durchdringen. Schlagartig verstummte das Flüstern. Es war so still wie in einem Grab. Der Mann schüttelte ärgerlich den Kopf. Er hatte geträumt, was denn sonst? Er legte sich wieder zurück und schloss die Augen.
Sofort waren die Stimmen wieder da. Diesmal klangen sie deutlicher, aber immer noch zu gedämpft, um zu verstehen, was sie sagten.
McFever wollte unwillig aufspringen, doch dann überlegte er, dass es schließlich nicht ausgeschlossen war, dass sich noch andere Leute hier befanden. Die Hexenrippe reizte viele, und möglicherweise war man ihm heimlich gefolgt, um sich durch ihn an das Versteck führen zu lassen. Bequemer ging es schließlich nicht mehr. Aber wer konnte wissen, dass er die Lage ziemlich genau kannte? Seine Saufkumpane beim alten Pat? Denen traute er einen solchen Streich nicht zu. Sie glaubten nicht an die Existenz der Rippe, und für so ein nächtliches Unternehmen waren sie allesamt zu phlegmatisch.
Aber Harp Canner wusste davon. Er hatte ihm ja selbst die alten Schriften zu lesen gegeben. Der Mann wusste jetzt genauso viel wie er selbst, und er war natürlich stocksauer auf ihn, weil er ihn nicht nur niedergeschlagen, sondern auch bestohlen hatte.
Harp also!
Aber mit wem flüsterte er? Wer befand sich bei ihm? Wen hatte er eingeweiht?
Auch auf diese Frage fand er eine schnelle, einleuchtende Antwort. Da gab es diese beiden Burschen, auf die Harp offenbar so große Stücke hielt. Grey und ein Chinese namens O’Ying. Angeblich hatten sie sich bisher nicht zur Hexenrippe gewagt, aber wenn sie eine Möglichkeit sahen, sie ohne großes Risiko in ihren Besitz zu bringen, würden diese großartigen Helden sie zweifellos nutzen. Es war natürlich viel einfacher, ihn vorzuschicken, um ihm die Beute hinterher abzunehmen.
Lee McFever verzog grimmig das Gesicht. Das habt ihr euch gedacht. So leicht lässt sich McFever nicht austricksen. Da müsst ihr schon ein bisschen früher aufstehen.
Er überlegte, wie er den unsichtbaren Lauschern ein Schnippchen schlagen konnte, und er kam zu dem Schluss, dass es am klügsten war, sich während der Dunkelheit davonzustehlen. Sie würden es nicht ahnen, denn sehen konnten sie ihn nicht, und ahnen würden sie es ebenfalls nicht, denn woher sollten sie wissen, dass er sie entdeckt hatte?
So unangenehm ihm der Gedanke war, seinen Weg mitten in der Nacht fortzusetzen, so diebisch freute er sich darüber, dass Harp und seine Bande am nächsten Morgen lange Gesichter ziehen würden.
Er begann, sich lautlos aus den Decken zu schälen, als die Stimmen wieder anhoben. Sie waren nun ganz nahe, und Bruchstücke der Unterhaltung konnte er verstehen.
Er erschrak. Damit hatte er nun doch nicht gerechnet,
»... sein Tod ... Rache ... muss sterben ... kann uns nicht entfliehen ...«
Schweiß brach ihm aus allen Poren. Trotz der Kühle der Nacht schwitzte er wie im Fieber.
Das konnte doch nicht wahr sein! Sie wollten ihn kaltblütig ermorden? Nahm ihm Harp Canner den Streich so übel, dass er seine Wut nicht mehr unter Kontrolle bekam?
Nein, Harp hatte diesen Gedanken sicher nicht gehabt. Grey und O’Ying mussten die Halunken sein. Ihre Gier nach der Rippe, die sie unbedingt besitzen wollten, trieb sie sogar zu diesem Verbrechen. Er musste fort von hier. Sie waren zu zweit und sicher gut bewaffnet. Sie wussten, wo er lag, und konnten ihn sogar im Dunkeln erschlagen, ohne dass er eine Chance besaß. Sie rückten ja immer näher heran.
In seiner Erregung gelang es ihm nicht mehr, jedes Geräusch zu vermeiden, aber darauf achtete er nicht. Nur fort! Erst wenn er die Hexenrippe hatte, brauchte er sich vor den Killern nicht mehr zu fürchten. Sie würden ihm nichts mehr anhaben können. Das wussten sie sicher auch, und deshalb waren sie gezwungen, ihn schon vorher zu erledigen. Vielleicht blieben ihm nur noch wenige Augenblicke.
Lee McFever kroch davon. Er hoffte, die Richtung einigermaßen getroffen zu haben, und vor allem, ihnen nicht ausgerechnet in die Arme zu laufen. Sie gaben sich auch keine Mühe, leise zu sein. Offenbar waren sie vollkommen sicher, dass er ihnen nicht entgehen konnte.
... nicht fliehen, hörte er sie jetzt sagen. Es war kein Flüstern mehr.
Frevler ... ins Verderben ...
Danach brachen sie in so schallendes Gelächter aus, dass sich McFever entsetzt die Ohren zuhielt.
Das waren nicht Grey und der Chinese. So verrückt konnten die unmöglich sein. Wer auch immer hinter ihm her war, sie wollten ihm Furcht einjagen, bevor sie ihn töteten.
Er sprang auf und ließ jegliche Vorsicht außer Acht. Jetzt galt es nur noch, schnell zu sein. Schneller als seine Verfolger!
Er rannte los und prallte mit voller Wucht gegen die Felswand. Er sah Sterne und bunte Kreise, aber er raffte sich wieder auf, denn ihm war klar, dass er sich keine Schwäche erlauben durfte. Seine Hände tasteten nach einem Fluchtweg, und sie fanden wirklich einen. Es war nur ein schmaler Spalt, aber Lee drängte sich hinein und hoffte, dass die Mörder korpulenter waren als er.
Aber schon hörte er sie wieder, und nun befanden sie sich sogar vor ihm, obwohl das doch gar nicht möglich war.
Er lief zurück und suchte den Spalt, durch den er sich gezwängt hatte. Er war nicht mehr da. Die Wand war geschlossen und er dahinter gefangen.
Er schalt sich einen Narren. Natürlich musste der Spalt irgendwo sein. Er fand ihn nur in seiner Erregung nicht. Aber irgendetwas musste geschehen. Er durfte hier nicht Wurzeln schlagen.
Lee McFever trug eine kleine, aber starke Taschenlampe bei sich. Am liebsten hätte er sie angeknipst, doch das hätte ihn verraten.
Jetzt war wieder absolute Stille.
Er rannte, ohne sich um die Richtung zu kümmern. Die Hauptsache war, dass er seine Verfolger abhängte. Da er zum Schlafen die Schuhe ausgezogen hatte, konnte er sich verhältnismäßig lautlos bewegen. Nur von Zeit zu Zeit streifte sein Arm einen Stein oder einen Baum.
McFever zuckte zusammen. Ein Baum? Wie kam ein Baum in dieses Felsgebilde? Woher nahm er Nahrung, woher das erforderliche Sonnenlicht? Das konnte nur bedeuten, dass er sich schon wieder im Freien befand.
Der Mann blieb stehen, um zu verschnaufen. Er war außer Atem. Seine Verfolger hatte er anscheinend abgehängt. Sie waren nicht mehr zu hören.
Wieder streifte der Ast eines Baumes über seine Schulter. Lee McFever griff danach und stieß einen gellenden Schrei aus. Der Ast war eine Hand, eine Knochenhand mit dürren Fingern, durch die eisige Kälte kroch.
Sein Herz drohte auszusetzen. Er griff sich an die Brust, aber die Totenhand war schon vor ihm dort. Sie krallte sich in den Stoff seines Hemdes, und nun glühte dicht vor ihm ein gespenstischer Schädel, der eine Dämonenfratze glich.
Schlagartig wurde Lee McFever bewusst, dass nicht Grey und O’Ying ihm nach dem Leben trachteten, und schon gar nicht sein Freund Harp Canner. Die Geister waren es, die sich ihm in den Weg stellten, die Wächter der Hexenrippe. Sie wollten verhindern, dass er zu ihr gelangte.
Wilde Wut stieg in ihm auf. Er war nicht hergekommen, um kurz vor dem Ziel zu kapitulieren. Andere hatten aufgegeben. Zu dieser Sorte gehörte er nicht, wenn ihm auch momentan ein bisschen mulmig war. Aber schließlich hätten sie ihn längst töten können, wenn sie das gewollt hätten. Und selbst wenn sie es wollten, vielleicht waren sie gar nicht dazu in der Lage. Sie waren tot, und er lebte, und ein Lebender war allemal stärker als ein Gerippe.
Seine Faust umschloss den seltsamen Stein, den er an der Hüfte trug, während die andere vorstieß, um das Skelett beiseite zu fegen. Hohles Gelächter war die Quittung. Es wischte wie Spinnweben über sein Gesicht. Dann war auch das vorüber.
Lee McFever entsann sich wieder seiner Lampe. Es hatte wohl keinen Sinn, noch länger in die Irre zu laufen. Womöglich fand er sich später überhaupt nicht mehr zurecht. Er hatte keinen Proviant bei sich. Zu verhungern, war auch kein erstrebenswertes Ende.
Der dünne Lichtfinger der Batterielampe fraß sich durch die Finsternis. Zitternd blieb er auf einer bewegungslosen Gestalt hängen, die nur wenige Schritte von dem Mann entfernt stand. Es war eine Frau.
»Enna!«, krächzte McFever. Ihm wurde siedend heiß. Wer sonst sollte diese Frau sein, die ihn so unheimlich anstarrte, als überlegte sie die geeignete Todesart für ihn.
»Ich bin nicht Enna«, sagte die Gestalt, »sondern Wanisa, ihre Mutter. Ich habe Rache geschworen, Rache für mein Kind.« Sie sprach eigentlich wie ein normaler Mensch, fand McFever. Doch sie umwehte das Flair drohenden Unheils.
Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und reckte die Faust mit dem magischen Stein vor.
Die Hexe wich zurück. Sie fauchte und krümmte ihre knochigen Spinnenfinger. McFever fühlte sich gleich stärker. Ein kühner Gedanke schoss ihm in den Sinn.
»Führ mich!«, befahl er. »Bring mich zu der Rippe, oder ich töte dich!«
Wanisa lachte.
»Ich bin tot, du Narr. Ich fürchte dich nicht.«
Lee McFever ließ sich nicht beirren.
»Mich fürchtest du vielleicht nicht«, sagte er lauernd, »aber wie steht es mit diesem Stein? Ist er dir auch gleichgültig?«
Die Hexe duckte sich. Ein blutiger Schimmer trat in ihre roten Augen.
»Das Amulett hilft dir nicht«, stieß sie heiser hervor. »Du bist nicht der Mann, der mich vernichten könnte. Enteile, bevor es zu spät ist!«
Lee McFever grinste. Für ihn war das Einlenken der Hexe nichts weiter als ein Eingeständnis ihrer Schwäche und Ohnmacht. Sie war seinem Zauberstein nicht gewachsen, und diesen Vorteil wollte er nutzen. Er trat ein paar Schritte vor und hielt ihr das Amulett entgegen.
»Vorwärts!«, zischte er, und bei dem Gedanken an die Hexenrippe, die bald ihm gehören würde, flackerte es gierig in seinen Augen. Das Gefühl, einen scheinbar Mächtigeren zu beherrschen, gefiel ihm nicht schlecht. Man konnte sich daran gewöhnen.
»Wenn du nicht parierst, geht es dir schlecht.«
Die Hexe warf ihm einen vernichtenden Blick zu, doch sie gehorchte und setzte sich in Bewegung. Lee McFever folgte ihr. Er war nun ganz ruhig. Was sollte ihm jetzt noch passieren?
Während er hinter der Spukgestalt ging, fand er endlich Zeit, sich ein wenig umzusehen. Er stellte fest, dass sie sich in keiner Höhle befanden, wie er erwartet hatte. Er sah auch keine Bäume. Ihn umgab absolute Leere. Es war überhaupt nichts da. Nur die Hexe und er.
Ein bisschen merkwürdig war das schon, und schon jetzt überlegte er, wie er aus diesem Nichts wieder herausfinden sollte. Es gab keine Richtung, kein oben oder unten. Es war, als durchschritten sie einen imaginären Raum.
Er nahm sich vor, die Hexe zu zwingen, ihn wieder zurückzuführen, sobald er die Rippe besaß. Erst danach würde er sie vernichten. Noch brauchte er ihre Hilfe.
Es war ein seltsames Weib, das da vor ihm schlich. Es schien die Last der Jahrhunderte auf den dürren Schultern zu tragen. Wanisa war mit einem dünnen Gewand bekleidet, das in allen Farben schillerte, wobei gelb und orange dominierten. Das Gewand befand sich in ständiger Bewegung, obwohl sich kein Windzug regte. Es sah fast wie Flammen aus. Ja, es war tatsächlich Feuer. Die Hexe war in Feuer gehüllt, dabei strömte sie eine unsagbare Kälte aus, die das Blut gefrieren ließ. Es knackte und knisterte. Lee McFever glaubte die Flammen zu hören. Ganz nahe.
Er rückte zu der Hexe auf, denn er hatte den Eindruck, dass sie ihre Schritte beschleunigte. Sie wollte ihn abschütteln, aber das ließ er nicht zu. Sie würde ihn nicht allein mit ihrem billigen Höllenzauber lassen.
»Bilde dir nur keine Schwachheiten ein!«, zischte er böse. »Wenn du versuchst, mich hereinzulegen, werfe ich dir das Amulett zwischen deine Knochen. Ich bin schon jetzt auf die Wirkung gespannt.«
Wanisa zuckte herum. Sie sah furchterregend aus, doch sie beherrschte sich. Offenbar sah sie ein, dass sie dem Mann ausgeliefert war.
»Du wirst deine Freveltat bereuen«, kreischte sie.
McFever lachte nur. Flammen leckten nach ihm. Sie rissen von dem Gewand der Hexe ab und züngelten ihm entgegen. Holzscheite krachten und stürzten ihm vor die Füße, dass er stolperte und der Länge nach hinfiel. Ärgerlich raffte er sich auf. Er musste sich zusammenreißen, dass er der Hexe nicht das Amulett zu schmecken gab, aber noch brauchte er sie als Wegweiser. Sie wandte ihm ihr höhnisches Gesicht zu. Es sah siegessicher aus. Sie bluffte, denn sie musste wissen, dass sie ihr dämonisches Spiel verloren hatte.
»Ich gebe dir noch genau fünf Minuten«, fauchte er aggressiv. »Sind wir dann nicht am Ziel, hast du dir die Folgen selbst zuzuschreiben.«
Sie kicherte.
»Wir werden am Ziel sein.«
Lee McFever verlor die Beherrschung. Er hatte diesen verdammten Mummenschanz satt. Er stürzte sich auf die Hexe und schrie sie an: »Verdammtes Aas! Deine Zauberkünste kannst du an einem anderen ausprobieren.«
»Das werde ich auch«, sagte sie feixend. »Alle, die nach dir kommen, werden sie erleben.«
»Nach mir kommt niemand mehr. Wo ist die Rippe? Gib sie heraus!«
Er hielt ihr das Amulett dicht unter die verkrümmte Nase, achtete jedoch darauf, dass er sie nicht berührte.
Wanisa wurde wieder kleinlaut. Sie verlegte sich aufs Bitten.
»Sie wird dir kein Glück bringen«, meinte sie. »Man wird sie dir wieder abjagen wollen. Du wirst viele Feinde haben. Unter den Menschen und den Dämonen.«
»Das braucht dich nicht zu kümmern. Ich bin bestimmt nicht so töricht wie Richter Lonsam, der sich von einer hübschen Hexe narren ließ.«
Wanisa wurde sehr klein. Sie sank förmlich in sich zusammen, als sie mit ihrer Knochenhand nach rechts deutete. Gerade dorthin, wo die Flammen am dichtesten prasselten.
McFever s Augen traten aus den Höhlen.Dort lag sie. Schmal und spitz und bleich. Ein unscheinbarer Knochen nur und doch der Inbegriff der Stärke.
Die Hexenrippe!
Sie lag mitten in der mörderischen Glut.
Er durfte sich dadurch nicht abschrecken lassen. Es war nur ein kurzer Augenblick, der zu überstehen war.
Er warf der Hexe einen triumphierenden Blick zu und ging zu der Glut hinüber. Auch hier versuchte er die Kraft des Amuletts, und tatsächlich wichen die lodernden Flammen davor zurück.
»Besser konnte es nicht laufen«, murmelte der Mann. »Ich danke dir, Harp. Du hast mir wirklich sehr geholfen. Das vergesse ich dir nicht. Wir bleiben Freunde, und du wirst begreifen, warum ich dich kränken musste.«
Er beugte sich herab und griff nach der Rippe.
Der Schmerz, der ihn durchzuckte, war nur kurz, dann hielt er die kostbare Waffe in der Faust und wandte sich strahlend zu der Hexe um.
Doch Wanisa war verschwunden. Nur ihre Stimme tönte: »Hast du wirklich geglaubt, mich zwingen zu können?« Ihr Lachen durchdrang ihn. Es kroch in jeden Spalt seiner Seele.
Ihn schauderte. Nur fort von hier! Er würde den Weg auch allein finden.
Bevor er in Gang kam, sah er die drei Finsterlinge. Sie rückten von allen Seiten gegen ihn vor, nur von einer Seite nicht, aber da war das undurchdringliche Feuer.
Sie waren schrecklich anzusehen, denn es waren Geköpfte. Zwischen den Schultern des einen steckte noch ein blitzendes Beil. Es war voll Blut. Lee McFever schrie auf. Zwar hatte er nie die Existenz von Spukgestalten an gezweifelt, doch es war ein Unterschied, ob man daran glaubte oder ob sie einem greifbar gegenüberstanden.
Sie besaßen zwar keine Köpfe, aber sie fanden ihn doch. Unbeirrt wankten sie auf ihn zu, ächzten und stöhnten. Ihr Klagen klang dumpf durch den unendlichen Raum. Es wurde nur durch das Knistern der Flammen unterbrochen.
Der Mann schloss sekundenlang die Augen und nahm allen Mut zusammen. Er besaß ja die Rippe. Was konnten die Unheimlichen dagegen ausrichten, wenn auch nur ein Funken Wahrheit an all den Geschichten war?
Fest packte er den spitzen Knochen und stürmte vor. Er hieb wie wild um sich, traf aber auf keinen Widerstand. Dagegen legten sich zwei Hände um seinen Hals. Sie saßen unverrückbar fest wie ein Fuchseisen. Er versuchte, den Spuk, der offenbar hinter ihm stand, mit der Rippe zu erreichen. Vergebens.
Zum ersten Mal wurde Lee McFever klar, dass es nicht genügte, die Hexenrippe zu besitzen. Man musste auch verstehen, sie einzusetzen.
Ihm wurde heiß. Die Hexe hatte ihn hereingelegt. Sie hatte so getan, als befände sie sich in seiner Gewalt, dabei wollte sie ihn nur in die Falle locken.
Er warf das Amulett, das er noch immer in der Hand hielt, einem der Geköpften entgegen. Die Gestalt wich gedankenschnell aus und drang von der anderen Seite gegen ihn vor. Der Druck an seinem Hals verstärkte sich. Er bekam kaum noch Luft. In seinen Ohren begann ein Rauschen. Es kündigte das Ende an.
Nein! Er wollte nicht sterben. Er war doch unbesiegbar. Er besaß die Rippe.
Wild schlug er um sich. Eines dieser Phantome stand unmittelbar vor ihm. Das grausige Beil blinkte.
McFever rammte mit einem Aufschrei die Rippe vor. Sein Arm erhielt einen fürchterlichen Schlag, der ihn lähmte. Knochen knackten. Sein Kopf ruckte zur Seite. Die Hexenrippe entfiel seiner Hand und durchbohrte ihn, als er auf sie stürzte ...