Читать книгу Sammelband 7 Grusel-Krimis: Rhapsodie der Monster und andere Horror-Romane - W. K. Giesa - Страница 23

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Krachend schloss sich der Fels. Das Gelächter verstummte. Grabesstille trat ein, und ein Grab war es wohl auch, in dem sie sich befanden. Ihr eigenes Grab. Aber sie wurden nicht zermalmt. Sie konnten sich frei bewegen, obwohl ihnen der Rückweg versperrt war.

»Verstehst du das, Roger?«

»Ich begreife, dass wir am Leben sind, und das ist zunächst mal ein erfreulicher Gedanke. Das Gestein scheint eine amorphe Masse zu sein, obwohl es sich durchaus hart anfühlt. Wir stoßen auf keinen Widerstand. Demnach haben wir zwei Möglichkeiten. Wir können unseren Rückzug fortsetzen und darauf hoffen, dass wir in absehbarer Zeit wieder ins Freie stoßen. Wir können aber auch die Suche nach Lee McFever beziehungsweise der Hexenrippe fortsetzen, und das scheint mir das Vernünftigere zu sein.«

In seiner Hand hielt er den Kris von Malakka. Er hatte diesen gebogenen Dolch von einem Dämonenpriester erhalten und mit ihm schon manchen Kampf gegen Wesen der Finsternis zu seinen Gunsten entschieden. Der nussgroße, rote Edelstein, der den Griff verzierte, war angeblich das blutende Auge einer magischen Gottheit. Der Kris war eine der wirkungsvollsten Dämonenwaffen, die Grey besaß.

Der Chinese hatte sich für die Kreuzklinge entschieden. Hierbei handelte es sich um ein Kruzifix, dessen längster Schenkel mit zwei scharfen Schneiden versehen war. Am anderen Ende befand sich ein runder Spiegel. Ließ O’Ying mit seiner Hilfe natürliches Licht auf eine Spukgestalt reflektieren, konnte er ihr beträchtlichen Schaden zufügen. Natürliches Licht war zwar inmitten des Felsens nicht vorhanden, aber auch die Klinge war nicht zu unterschätzen. Neben seinem Bannkreisel arbeitete der Asiat mit ihr am liebsten.

Sie waren allein, sie konnten lediglich ahnen, dass dies nicht mehr lange so bleiben würde.

»Vielleicht irrt McFever an anderer Stelle durch den Fels«, vermutete Wu O’Ying. »Meinst du nicht, wir sollten nach ihm rufen, damit wir schneller zueinanderfinden? Wahrscheinlich traut er uns nicht, aber er muss inzwischen begriffen haben, dass er sich in Gefahr befindet.«

»Also gut. Versuchen wir’s!«

Sie riefen laut den Namen des Gesuchten, erhielten aber keine Antwort.

»Entweder er will uns nicht hören, oder er kann es nicht«, meinte Roger Grey.

»Oder er kann uns nicht antworten. Auf jeden Fall müssen wir weitersuchen. «

»Jetzt sollten wir unsere Ruten benutzen«, sagte der Engländer. »Wenn sich die Hexenrippe tatsächlich hier irgendwo befindet, müssten wir ihre Strahlungen auffangen.«

Sie zogen die silbernen Drahtgebilde aus den Taschen und registrierten wirklich schon nach kurzer Zeit schwache Ausschläge.

»Sie sind nicht besonders stark«, fand der Chinese. »Von der Hexenrippe, in der eine so große Kraft wohnen soll, hätte ich mehr erwartet.«

»Ehrlich gesagt,, ich auch. Es kann natürlich sein, dass an dieser uralten Geschichte gar nichts dran ist. Immerhin liegen die angeblichen Ereignisse ungefähr vier Jahrhunderte zurück.«

»Ob Rippe oder nicht«, sagte O’Ying, »hier haust ein Dämon, und ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich völlig grundlos in einen Felsen verkriecht. Alle Untersuchungen haben ergeben, dass die Hexenrippe tatsächlich existiert. Allerdings wäre denkbar, dass ihre Kraft im Laufe der Zeit nachgelassen hat.«

»Dann wäre kein Wächter erforderlich, Wu. Ich glaube eher, dass irgendetwas ihre Strahlungen abschirmt.«

»Dann müssen wir es aus dem Weg räumen.«

»Ganz meine Meinung.«

Sie schritten voran, wobei sie nur eine Taschenlampe benutzten, um die Batterien der anderen zu sparen. Sie wussten nicht, wie lange sie in dem merkwürdigen Fels bleiben mussten, der sich so hart anfühlte, wenn sie dagegen klopften, und der sich ihnen doch nicht als Hindernis in den Weg stellte.

»Es ist wie eine völlig in sich abgeschlossene Welt«, meinte Wu O’Ying.

»Eine Welt, in der es nichts gibt außer totem Gestein.«

Unmerklich wurden die Ausschläge der Silberruten stärker. Sie befanden sich in der richtigen Richtung. Roger Grey stockte. Wu O’Ying lief auf ihn auf.

»Verdammt!«, fluchte der Chinese. »Dein Rücken ist auch nicht gerade weich. Gib gefälligst Signal, bevor du dich entschließt, dein eigenes Denkmal zu mimen!«

Grey streckte die Hand aus.

»Da vorn liegt etwas«, flüsterte er.

Jetzt sah es auch der Chinese. Seine ohnehin kleinen Augen verschwanden fast vollständig.

»Das gefällt mir nicht«, sagte er. »Es könnte eine Leiche sein.«

Roger Grey widersprach: »Dazu ist es viel zu groß.«

Wu O’Ying packte die Kreuzklinge fester.

»Der Dämon? Meinst du, dass er dort auf uns lauert?«

»Jedenfalls müssen wir noch vorsichtiger sein. Irgendwann muss ja mal was passieren. Wir haben zweieinhalb Stunden gebraucht, den Felsen zu umrunden, dann müssten wir ihn innerhalb einer Stunde durchqueren. Ich stelle aber fest, dass wir schon fast die doppelte Zeit unterwegs sind. Da stimmt etwas nicht.«

»Natürlich nicht, Roger. Dieser Felsen ist nach meiner Meinung lediglich das Tor zu einer anderen Welt, in der wir uns im Augenblick befinden. Sie kann unvorstellbar groß sein. Vielleicht finden wir nie wieder heraus.«

Vorsichtig pirschten sie sich heran. Jeden Moment rechneten sie mit einem heimtückischen Angriff, aber nichts dergleichen geschah. Alles blieb gespenstisch ruhig, so, als sollten sie zunächst entnervt werden.

Als sie den Hügel erreichten, der tatsächlich viel größer war als ein Leichnam, hielten sie den Atem an.

»Entsetzlich!«, sagte Roger Grey nach einer Weile. »Es ist schlimmer, als ich befürchtet habe.«

»Wie viele mögen es sein?«

»Hundert mit Sicherheit, vermutlich aber weit mehr. Sie sind zum Teil schon zerfallen, bei anderen sind die Skelette noch komplett, einige tragen sogar noch Teile ihrer Kleidung. Sie sind als Letzte gestorben.«

Es handelte sich um die sterblichen Überreste von Menschen, die hier aufgeschichtet waren. Ein makabrer Hügel aus Gebeinen. Ein Massengrab.

»Sie alle sind hergekommen, um die Hexenrippe zu holen«, sagte der Chinese schaudernd. »Keinem gelang es, keiner überlebte.«

Roger Grey sah den Freund an.

»Ich weiß, was du sagen willst.«

Wu O’Ying nickte.

»Ist es nicht so, Roger? Ausgerechnet uns soll es anders gehen? Gerade wir sollen stärker sein als diese Unglücklichen der vergangenen Jahrhunderte?«

»Wir besitzen starke Waffen«, erinnerte der Geistervernichter zuversichtlich.

»Wir sind nicht die einzigen. Auch Lee McFever war gut ausgerüstet.«

»War? Wer sagt dir, dass er nicht längst triumphiert?«

»Er selbst. Nach Harp Canners Beschreibung muss er das dort sein.«

Roger Grey sah in die Richtung, die der Arm des Chinesen ihm wies. Er ließ einen Zischlaut hören. Kein Zweifel, der Tote, der mit gebrochenen Augen auf ihn starrte, war der Gesuchte. Auch er hatte es nicht geschafft. Trotz aller Bannmittel, die er seinem Freund gestohlen hatte. Es war ihm nicht anders ergangen als allen anderen, und offenbar war er schon seit zwei Tagen nicht mehr am Leben.

»Das wär’s dann wohl«, sagte O’Ying betroffen. »Selbst wenn wir uns noch so beeilt hätten, wir hätten ihn nicht mehr retten können. Durch Canners Zaudern ging zu viel Zeit verloren. Wir können nur noch den Rückzug antreten.«

»Nein!«, stieß Roger Grey wütend hervor. »Jetzt erst recht. Dieser Totenhügel ist ein Mahnmal. Wir dürfen nicht zulassen, dass er noch weiter wächst. Selbst wenn wir draußen verkünden würden, was wir gesehen haben, würden sich immer wieder Männer finden, die glauben, stärker als alle anderen zu sein, stärker sogar als diese gnadenlosen Wächter.«

»So wie wir«, warf O’Ying ein,

»Mag sein, dass du recht hast, Wu, aber es ist unsere Aufgabe, diesem grauenhaften Spuk endlich ein Ende zu bereiten.«

Der Asiat lachte auf.

»Natürlich, du hast recht. Wer sollte den Kampf aufnehmen, wenn nicht wir? Erst wenn die Hexenrippe gefunden und geborgen wurde, hat das sinnlose Sterben ein Ende. Aber was dann, wenn der Besitz der Rippe uns verändert?«, gab Wu O’Ying zu bedenken. »Möglicherweise werden wir durch sie wie Lonsam. Machthungrig und böse.«

Roger Grey dachte nicht daran, diesen Einwand mit einer Handbewegung fortzuwischen. Er wusste genau, dass es nichts Unmögliches gab. Gerade auf dem Gebiet der Magie ergaben sich immer wieder Konstellationen, die man vorher nicht für denkbar gehalten hätte. Auch er war nicht stark genug, als dass ein magisches Mittel ihn nicht zu seinem Nachteil hätte verändern können.

»Einer kann auf den anderen aufpassen«, erklärte er. »Sobald jemand merkt, dass die Rippe einen unheilvollen Einfluss auf den Freund ausübt, muss er sie zerstören. Das wollen wir uns an diesem Ort, angesichts des Grauens schwören.«

»Die Hexenrippe würde uns unschätzbare Dienste im Kampf gegen die Unirdischen leisten«, meinte Wu O’Ying zögernd.

»Das soll sie auch«, bestätigte der Rothaarige eifrig, »aber es soll ausschließlich ein Kampf gegen das Böse bleiben. Wenn sich darin etwas zu ändern droht, verzichten wir besser auf die Superwaffe.«

Die beiden Männer reichten sich die Hände und schworen sich, argwöhnisch über die Wirkung der Rippe zu wachen und den Freund vor dem verhängnisvollen Einfluss zu bewahren, falls dies erforderlich war.

»Roger, wir werden ...«

Wu O’Ying brach jäh ab. Eine kalte Knochenhand hatte nach seiner Schulter gegriffen und hielt ihn fest. Noch immer hatte er die Kreuzklinge in der Faust. Er sah seinen Gegner nicht, er spürte ihn lediglich. Ohne dem anderen eine Chance zu geben, riss er sich los, wirbelte herum und stieß mit der Klinge zu. Der Erfolg war verheerend.

Der ganze Berg der Skelette geriet ins Wanken. Zu spät begriff Wu, dass lediglich eine harmlose Skeletthand auf ihn gefallen war, ohne ihn zu gefährden, die Lawine, die über ihm zusammenbrach, war nicht mehr aufzuhalten.

Roger Grey sprang herzu und versuchte, den Freund mit sich fortzureißen. Zu spät! Der Chinese wurde unter den Gebeinen begraben, und Grey erhielt von einem Schädel einen derartigen Schlag, dass er einige Yards zurücktaumelte, ehe er sich wieder fing. Auch die Taschenlampe flog davon und erlosch.

»Wu!«, schrie der Engländer und suchte verzweifelt nach seiner Ersatzlampe.

Keine Antwort erfolgte.

Roger Grey erkannte, dass er in diesem Augenblick ziemlich hilflos war. Er konnte nichts sehen. Wenn der Dämon jetzt über ihn herfiel, würde er leichtes Spiel haben. Aber kampflos wollte er sich nicht geschlagen geben.

»Wu! Verdammt!«

Der Freund rührte sich nicht. War er schon tot? Bildete er das jüngste Glied dieses aus dem Gleichgewicht geratenen Schreckenshügels?

Endlich flammte die Ersatzlampe auf. Sie war schwächer als die erste, doch ihr Licht reichte aus, um zu erkennen, dass der Chinese verschwunden war. Befand er sich unter den Gebeinen. War er erstickt oder erschlagen?

Roger Grey zögerte keine Sekunde. Wichtiger, als den Dämon zu bezwingen oder die Hexenrippe zu erobern, war auf jeden Fall, den Freund zu retten, falls dies noch möglich war. Er legte die Lampe so neben sich, dass sie ein möglichst großes Umfeld beleuchtete. Den Kris schob er in seinen Gürtel. Dort konnte er ihn sofort herausreißen, falls das erforderlich war. Dann begann er, die Leichen beiseite zu räumen.

Es war eine grauenvolle Tätigkeit, denn die Toten stellten sich als erstaunlich störrisch heraus. Die Skelette schlugen mit baumelnden Armen nach ihm, als wäre noch Leben in ihnen. Von oben stürzte Lee McFever herab. Sein Mund war wie zum Schrei geöffnet, doch er schrie nicht. Er war stumm für immer.

»Wu! Hörst du mich?«

Da war nur ein Ächzen, ein Knarren längst erstarrter Glieder. Es roch nach Fäulnis.

Wie waren all die Unglücklichen zu Tode gekommen? Es waren keine Wunden sichtbar. Ihre Köpfe waren zwar zum Teil verrenkt, doch das mochte von dem Sturz herrühren.

Da war ein Geräusch ...

Roger Grey hielt den Atem an, aber nun war nichts mehr zu hören. Wahrscheinlich hatte nur wieder ein dürrer Knochen geknackt.

»Wu?«

Der Chinese antwortete nicht. Die aufkeimende Hoffnung brach in sich zusammen.

Von irgendwoher klangen Schritte.

Dem Mann blieb fast das Herz stehen. Ausgerechnet jetzt! Er musste Wu finden. Er hatte keine Zeit, sich um Dämonen zu kümmern. Aber danach wurde nicht gefragt. Die Schritte kamen näher, und bald würde er sehen, zu wem sie gehörten. War das das Ende?

Seine Arme wühlten durch bleiche Knochen.

Da! Eine Hand. Sie bewegte sich. Ihre Finger krümmten sich, als wollten sie nach ihm greifen.

Roger Grey schluckte krampfhaft, während er hörte, dass sich die Schritte immer weiter näherten.

Jetzt krallte sich die Hand in seinem Ärmel fest. Das war nicht die zufällige Bewegung eines Toten. Dahinter steckte Absicht.

Der Geistervernichter packte entschlossen diese Finger und zuckte zurück. Sie waren warm, sie gehörten keinem Leichnam, keinem Spuk.

Es war Wu! Er lebte noch! Er konnte sich noch bewegen, wenn auch nur schwach.

Roger Grey hielt nichts mehr. Mit einem Aufschrei warf er alles zur Seite, was ihm im Weg war. Systematisch legte er einen Arm des Chinesen frei, der sich ihm sofort entgegen reckte. Der Arm endete in einer Schulter. In unmittelbarer Nähe war der Hals, und dann endlich hatte er den Kopf.

»Himmel und Hölle!«, schnaufte Grey. »Kannst du nicht ein bisschen mithelfen?«

Wu O’Ying war offensichtlich benommen. Er erkannte den Freund nicht, hielt ihn wohl für einen Feind, denn sein Gesicht verzerrte sich, und es war nur gut, dass er sich nicht freier bewegen konnte, sonst hätte er sich zweifellos auf den Mann gestürzt, der ihm helfen wollte.

Die Schritte waren nun ganz nahe. Eine Stimme war ebenfalls zu hören. Sie fluchte, jedenfalls ließ der Tonfall das ahnen, zu verstehen waren die Worte nicht.

Roger Grey zerrte an seinem Partner. Er bekam ihn nicht frei. Die Last von unzähligen Toten hielt ihn gefangen. Mit Gewalt war da nichts auszurichten. Er musste die Leichen Stück für Stück wegschaffen.

Aber das Schlimmste war vorüber. Wu konnte wieder atmen. Schlimmstenfalls hatte er etwas gebrochen und einen Schock. Das wäre allerdings arg genug, denn um gegen einen Dämon zu kämpfen, brauchte man seine fünf intakten Sinne und heile Glieder. Und wer sagte eigentlich, dass es sich nur um einen einzigen Gegner handelte? Hieß es in den überlieferten Berichten nicht, dass die Hexenrippe von mehreren Wächtern in Sicherheit gebracht worden war?

Der Hüne bot seine ganze Kraft auf. Er musste es schaffen. Zu zweit besaßen sie eine größere Chance gegen die Erbarmungslosen. Er wuchtete einen Leichnam nach dem anderen beiseite.

Roger Grey spürte seine Arme kaum noch. Wie sollte er noch kämpfen? Er hatte sich völlig verausgabt.

Für diese Frage blieb ihm keine Zeit mehr. Plötzlich sah er sich einer Gestalt gegenüber, die er bereits kannte, aber falsch eingeschätzt hatte.

»Ihr habt meine Warnung in den Wind geschlagen«, sagte der Schäfer leise, aber drohend. »Ihr wisst, was euch erwartet. Seht die Toten! Ihr gehört bereits dazu.«

Roger Grey griff zum Kris, ohne ihn jedoch vorerst aus dem Gürtel zu ziehen. Um Wu O’Ying konnte er sich nicht mehr kümmern, aber er sah aus den Augenwinkeln, dass der Freund sich jetzt allein bemühte, die verbliebene Last abzuschütteln.

»Ich weiß nicht, welch blutige Rolle du spielst«, antwortete er. »Jedenfalls hast du schwere Schuld auf dich geladen.«

»Ich bin ein Hüter«, sagte der Schäfer. »Doch ich hüte nicht nur Schafe, wie ihr wohl gemeint habt, ich hüte die Hexenrippe, nach der die Menschen aus lauter Machtgier suchen.«

»Uns treibt nicht Machtgier. Wir wollen dem grausamen Spiel endlich ein Ende bereiten. Es sind genug getötet worden.«

»Ha! Von wem sprichst du? Von den Menschen oder von den Dämonen?«

»Welche Frage?«

»Das dachte ich mir. Du willst die Menschen beschützen, doch dafür sollen wir Dämonen vernichtet werden. Dazu willst du die Rippe.«

»Ich werde sie auch bekommen. Was damals mit Enna geschah, war sicher unrecht, aber wiegt ihr Tod hundert Menschenleben auf? Enna hatte längst verziehen. Sie hätte sogar den Fluch zurückgenommen, wenn die Ereignisse es noch zugelassen hätten. Ihr, die ihr euch als Wächter aufspielt, seid schlimmer. Unversöhnlicher Hass ist in euch und treibt euch dazu, eine Rache bis in alle Ewigkeit fortzuführen, die gar nicht eure Rache ist.«

»Geschwätz! Gelangt die Rippe in Menschenhand, wird das Unheil, das Lonsam einst anrichtete, wieder aufleben.«

»Das lass unsere Sorge sein.«

»Das könnte dir so passen«, zischte der Schäfer. In seinen Augen loderte Hass. Durch Argumente oder Beteuerungen war er bestimmt nicht zu beeinflussen. Er sprang auf den Geistervernichter zu, doch dieser riss den Kris aus dem Gürtel und wehrte den Angreifer damit ab.

Der Dämon wich zurück, ohne eine Wunde davonzutragen. Er fauchte und stampfte mit dem Fuß auf.

Roger Greys Selbstbewusstsein kehrte zurück. Offenbar war dieser Kris eine Waffe, die dem Dämon gar nicht in den Kram passte. Seine Hand zuckte erneut vor, doch wieder stieß sie ins Leere.

Hinter ihm polterte es. Die noch aufgeschichteten Toten gerieten in Bewegung. Roger Grey sprang reaktionsschnell zurück, doch darauf hatte der Dämon nur gewartet, denn der Geistervernichter wurde von hinten gepackt und mit großer Kraft davongeschleudert. Mit dem Kopf voraus prallte Grey gegen den Felsen. Er hielt den Kris zwar krampfhaft umklammert, konnte aber nicht verhindern, dass ihm sekundenlang die Sinne schwanden. Als er wieder klar denken konnte, sah er, dass der Dämon das Interesse an ihm verloren hatte und sich Wu O’Ying zuwandte, der sich gerade benommen aufrichtete und sich zu orientieren versuchte.

»Wu, pass auf!«, brüllte er. Sein Schädel drohte zu zerspringen. Er überlegte, ob er den Kris schleudern sollte, aber wegen des Chinesen erschien ihm das zu riskant.

Wu hatte aber die Gefahr selbst erkannt. Er warf seinen Arm hoch, und nun sah Roger Grey, was der Freund in der geballten Faust hielt: eine schmale, spitze Rippe.

Die Hexenrippe!

Der Chinese musste sie in dem Durcheinander bleicher Knochen gefunden haben. Fürwahr ein sicheres Versteck für diese Waffe.

Der Dämon wollte sich auf den Hageren stürzen, doch die Rippe in dessen Faust stoppte ihn.

Wu O’Ying befreite sich mit der linken Hand von einem Skelett, das noch immer an ihm hing. Klappernd polterten die Gebeine zu Boden. Die Arme zuckten mit einer Schlenkerbewegung. Dann lagen sie still.

Roger Grey bedeutete seinem Partner, etwas zur Seite zu gehen, damit er den Kris werfen konnte, aber Wu achtete nicht auf ihn. Er fixierte seinen Gegner des Schattenreiches und stieß immer wieder mit der Faust vor, die die Rippe hielt.

»Komm nur!«, zischte er wütend.

Und der Dämon kam. Plötzlich stürzte er sich mit gellendem Schrei auf den wesentlich Kleineren und legte seine Hände um dessen Hals.

»Stoß zu!«, schrie Roger Grey entsetzt. Warum wehrte sich der Chinese denn nicht?

Wu riss seinen Arm vor. Die Rippe prallte gegen den Dämon, aber dieser löste seinen Würgegriff nicht. Er heulte nicht auf und wankte nicht. Wie der Felsen, in dem sie sich zur Zeit aufhielten, stand er unverrückbar und unbesiegbar.

Wu O’Ying führte den nächsten Hieb aus. Er stach immer wieder zu, aber kein Stoß brachte ihm sichtbaren Erfolg. Der dämonische Schäfer lachte höhnisch.

»Hexenrippe, ha! Du Tor! Hast du dir wirklich eingebildet, du würdest sie unter den Gebeinen dieser Frevler entdecken? Du hältst nichts als einen gewöhnlichen Knochen, an dem kein Hund mehr nagen mag.«

Er riss beide Arme hoch, und Wu O’Ying hing darin wie in einer eisernen Klammer. Er hatte keine Möglichkeit mehr, sich zur Wehr zu setzen.

Roger Grey begriff schnell. Diese Rippe, die Wu zufällig in die Hand geraten sein mochte, besaß nicht die geringste Wirkung. Sie hatten sich beide täuschen lassen, und der Freund würde diesen Irrtum mit dem Leben bezahlen müssen, wenn er nicht sofort handelte.

Wu japste nach Luft. Sein Gesicht lief blau an. Er strampelte wie eine hilflose Marionette, obwohl er immer wieder versuchte, die Beine dem Angreifer in den Leib zu rammen. Zweimal schaffte er es, aber mit diesen Mitteln war ein Dämon nicht zu beeindrucken.

Roger Grey nahm Maß und warf den Kris von Malakka.

Der Dämon musste die Gefahr gespürt haben, denn Sekundenbruchteile vorher wandte er sich um, drehte sich blitzschnell und versuchte, die Klinge mit seinem Opfer aufzufangen. Ganz schaffte er es nicht mehr. Die Drehung gelang nur halb, und der Kris sauste zwischen ihm und dem Chinesen hindurch, ohne einen von beiden zu verletzen. Der gebogene Dolch flog weiter, bis er an der Felswand abprallte und auf den Boden fiel.

Roger Grey besaß noch andere Dämonenwaffen. Die Sichel zum Beispiel, die wie ein Bumerang wirkte, aber er hatte gerade erlebt, dass er einen tödlichen Wurf nicht riskieren durfte, solange sich Wu in Gefahr befand.

Er sprintete also los und warf sich dem Dämon entgegen. Er wusste, dass er ihn nicht von den Füßen reißen konnte, aber er wollte ihn wenigstens von Wu ablenken, dessen Abwehrbewegungen bereits schwächer wurden. Mit einer Hand tastete er nach dem Kris, als er ihn packte, riss er den Arm augenblicklich hoch und grub die Klinge in den Rücken des Dämons.

Der Schäfer brüllte auf. Er schüttelte sich wie ein Kampfstier, der sich bemüht, die in seinem Rücken steckenden Banderillas loszuwerden. Der Griff, mit dem er Wu O’Ying gepackt hielt, lockerte sich. Der Chinese konnte sich mit einem Aufbäumen befreien. Gleichzeitig riss der Dürre die Kreuzklinge aus der Scheide und bohrte sie seinem Widersacher tief in die Brust.

Ein Schwall schwarzer Flüssigkeit ergoss sich aus der Wunde. Sie verströmte einen bestialischen Gestank und ließ die Augen der Männer tränen. Roger Grey und Wu O’Ying rissen ihre Waffen aus dem vergehenden Dämon, den sie gemeinsam besiegt hatten.

Sie wussten, dass das erst der Anfang war.

»Wie fühlst du dich, Wu?«, erkundigte sich Grey besorgt.

Der Chinese zeigte sein berüchtigtes Lächeln.

»Wie neugeboren«, erklärte er. Er zeigte auf die Skelette, die in beträchtliche Unordnung geraten waren. »Oder wie von den Toten auferstanden. Ich habe schon Angenehmeres erlebt. Diese Rippe, die ich plötzlich zwischen die Finger bekam, für einen Moment habe ich mir tatsächlich eingebildet, dass es die gesuchte Hexenrippe sein müsse. Das hätte ins Auge gehen können. Bist du auch in Ordnung?«

Der Geistervernichter nickte. Ihm war nichts geschehen, und da er sah, dass sein Partner einigermaßen wohlauf war, spürte er auch kaum noch die Anstrengung, die hinter ihm lag.

Von dem Dämon war nur noch eine schwärzliche Lache übrig, die ebenfalls in dem felsigen Boden versickerte.

»Wie geht es nun weiter?«, wollte der Asiat wissen.

»Ich fürchte, darauf haben wir wenig Einfluss«, antwortete Roger Grey. »Wir bekommen schon wieder Besuch.«

Er hatte recht. Diesmal aber erschien eine Frau, und beide dachten dasselbe: Enna!

Die Freunde blieben beisammen. Sie ließen sich durch die klapprige Gestalt nicht täuschen. Falls sie wirklich die Hexe vor sich hatten, würden sie ihre gemeinsame Kraft brauchen, um ihr zu trotzen. Der Kris und die Kreuzklinge waren bereit, doch die Hexe zeigte sich erstaunlich sanft.

»Es ist euch also gelungen«, flüsterte sie. »Keiner vor euch konnte den Dämon bezwingen. Ihr seid stärker. Wanisa muss sich vor euch beugen.«

»Wer ist Wanisa?«, wollte Roger Grey misstrauisch wissen.

»Ich bin Wanisa, Ennas Mutter, die auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde und Rache für ihre Tochter geschworen hat. Seht dort hin!« Sie deutete mit dürrer Hand auf die Toten. »Das ist mein Werk. Sie alle kamen, um Ennas Rippe zu holen, weil es sie nach Macht und Reichtum gelüstete. Ihr aber seid aus anderem Grund hier. Ihr wollt die bösen Mächte bekämpfen, so wie ich es einst tat und wie auch Enna meinem Weg folgte.«

»Soll das heißen«, meldete sich Wu O’Ying, »dass wir die Hexenrippe bekommen?«

Wanisa seufzte. Es klang resignierend.

»Ich habe keine andere Wahl. Ihr seid zu stark für mich. Ihr habt euch nicht abweisen lassen, und sogar der Dämon konnte euch nicht widerstehen. Meine Rache hat ein Ende gefunden. Hütet die Rippe gut! Wenn sie nicht mit Verstand benutzt wird, kann sie zum Verhängnis werden.«

Die Freunde sahen sich zweifelnd an. Die Bereitwilligkeit der Hexe kam ihnen nicht geheuer vor.

»Da ist noch was im Busch«, flüsterte Wu O’Ying.

»Das Gefühl habe ich auch«, gab Roger Grey genauso leise zurück. »Wir dürfen uns nicht einschläfern lassen. Vielleicht ist das ihre Taktik. Ich glaube nicht, dass sie uns die Rippe freiwillig aushändigen wird.«

»Stimmt. Wir werden sie ein bisschen kitzeln müssen.«

Wanisa winkte ihnen.

»Folgt mir!«, befahl sie und schlich davon, ohne sich zu vergewissern, ob die Männer ihrer Anordnung entsprachen.

Sie hoben die Schultern und gingen hinter der Hexe her. Wanisa führte sie durch den leeren Raum, in dem es keine Orientierungshilfen gab. Sie drehte sich nicht nach ihnen um. Anscheinend hatte sie sich wirklich mit ihrer Niederlage abgefunden.

»Wie sollen wir hier jemals wieder herausfinden?«, meinte O’Ying. »Das Hexenluder ist raffiniert und gibt nicht auf, sage ich dir. Und wenn sie sich doch geschlagen gibt, dann wird sie triumphieren, wenn wir zwar die Rippe haben, aber in dem Felsen zugrunde gehen müssen.«

»Über diesen Punkt können wir uns Gedanken machen, wenn es soweit ist«, schlug Roger Grey vor. Er ließ den Blick nicht von der Hexe. Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Kampf, dem viele Männer zum Opfer gefallen waren, schon zu Ende sein sollte. Aber welche Niedertracht hielt Wanisa noch für sie bereit?

»Es wird warm«, fand der Chinese.

»Stimmt. Es knistert, als wäre in der Nähe ein Feuer.«

»Ein höllisches Feuer?«

»Wir müssen mit allem rechnen.«

Sie gingen noch einige Minuten, dann sahen sie den flackernden Lichtschein. Rot, gelb und orange zuckte es über die Wände. Holz krachte, Ruß wehte heran. Der Geruch verbrannten Fleisches drang in ihre Nasen.

Des Geistervernichters Blick war nach vorn gerichtet.

»Ich kann mir denken, was wir gleich zu sehen bekommen werden.«

»Nämlich?«

»Den Scheiterhaufen, auf dem Enna gerichtet wurde.«

»Meinst du, dass wir jetzt auf ihm enden sollen?«

»Schon möglich, aber freiwillig lasse ich mich nicht grillen.«

»Ich auch nicht. Außerdem würde ich einen zähen Braten abgeben.«

Minuten später sahen sie das lodernde Feuer vor sich. Funken stoben. Verhaltenes Stöhnen klang aus den Flammen, als winde sich tatsächlich ein Opfer darin, doch es war niemand zu sehen.

Die Hexe blieb in einigem Abstand von dem Scheiterhaufen stehen und hielt den Kopf gesenkt. Sie bot ein Bild des Jammers.

Wu O’Ying wurde plötzlich aufgeregt. Er fuchtelte mit der Hand und krächzte: »Da liegt sie. Schau nur, Roger! Das muss die Hexenrippe sein. Sie steckt mitten in der Glut. Wer sie haben will, dürfte sich kräftig die Finger verbrennen.«

Auch Roger Grey hatte den unscheinbaren Knochen gesehen. Er teilte die Ansicht des Chinesen, dass es sich diesmal um die echte Hexenrippe handelte. In seinen grauen Augen leuchtete es auf. In diesem Augenblick war er wieder der Kämpfer.

»Es gibt Schlimmeres als ein paar warme Fingerspitzen«, murmelte er. »Wenn die Alte uns nur deshalb hergeführt hat, weil sie sicher war, wir würden vor ein bisschen Feuer kapitulieren, dann wird sie gleich eine böse Überraschung erleben. Behalte sie im Auge, Wu! Noch traue ich ihr nicht. Irgendetwas führt sie im Schilde.«

Er ging langsam auf das Feuer zu, während der Chinese sich der Hexe näherte, um bei Bedarf sofort eingreifen zu können. Die beiden Männer waren ein eingeschworenes Team, das schon viele kritische Situationen gemeistert hatte. Jetzt standen sie vor einem ihrer größten Triumphe, und sie hatten nicht die Absicht, ihn sich im letzten Augenblick noch aus der Hand reißen zu lassen.

Wanisa reagierte kaum. Sie sah den Geistervernichter nur betrübt an und ließ dann wieder den Kopf hängen. Erst als sich Roger Grey bis auf einen Schritt dem brennenden Holzstoß genähert hatte und sich nach der Rippe bückte, um sie mit entschlossenem Ruck aus der Glut zu reißen, lachte sie kreischend auf und flog mit gewaltigem Satz auf Wu O’Ying zu, der selbst den Freund gebannt beobachtet hatte, weil er sicher war, dass ein eventueller Angriff zweifellos dem Räuber der Rippe gelten musste. Deshalb wurde er von Wanisa überrascht und geriet in verhängnisvollen Nachteil.

Während er einen mörderischen Schlag von der Hexe erhielt, dachte er daran, dass Roger Grey ja jetzt die Rippe besaß und ihm sicher rasch zu Hilfe eilen würde. Hier unterlag er einem schweren Irrtum, denn der rothaarige Hüne, dessen Haare sich im Augenblick kaum von den lodernden Flammen unterschieden, sah sich selbst beträchtlichen Schwierigkeiten gegenüber, denn wie aus dem Erdboden gewachsen bauten sich plötzlich drei finstere Kerle vor ihm auf, die keinen Hehl daraus machten, dass sie gekommen waren, um ihn zu töten.

Roger Grey sah seine düsteren Ahnungen bestätigt. Der Kampf fing jetzt erst richtig an. Wanisa, die heimtückische Hexe, hatte ihnen eine ergreifende Komödie vorgespielt, und obwohl er sie durchschaut zu haben glaubte, entsetzten ihn doch die Geschütze, die sie nun auffuhr. Von Resignation konnte bei der Alten keine Rede mehr sein.

Die drei, die er nur aus den Augenwinkeln hinter sich sah, jagten ihm eisige Schauer über den Rücken, obwohl die Hitze in der Nähe des Feuers fast unerträglich war. Sie besaßen keine Köpfe und waren in schwarze Gewänder gehüllt. Offenbar handelte es sich um Geköpfte, die sich der Rache der Hexe angeschlossen hatten. Der Verdacht lag nahe, dass es Opfer des Blutrichters Lonsam waren. Sie waren durch die Hand des Henkers gestorben, und in einem von den Grausigen steckte noch das blutige Henkersbeil.

Sie stürzten gleichzeitig auf ihn zu, und Roger Grey konnte nur noch instinktiv in die rote Glut fassen, während er sich bereits seinen Gegnern zuwandte, um sie abzuwehren.

Wilder Schmerz durchzuckte ihn. Das Feuer fraß sich durch seine Hand, erfasste den Arm und jagte von hier durch den ganzen Körper und füllte ihn mit kaum zu ertragender Hitze.

Er biss die Zähne zusammen, um nicht zu schreien.

Dazu fand er auch keine Zeit mehr, denn nun brauste es wie ein Wirbelsturm heran. Unzählige Fäuste packten ihn und zerrten an ihm. Sie drohten, seinen Körper in Stücke zu reißen. Dabei grölten und kreischten sie wie tausend entfesselte Furien.

Er stieß mit beiden Fäusten nach ihnen und stellte erleichtert fest, dass wenigstens einer für kurze Zeit zurückwich. Er begriff auch gleich den Grund, denn erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er die Rippe aus der Glut geholt hatte. Sie befand sich in seiner rechten Hand, und davor schien der Geköpfte ziemlichen Respekt zu besitzen.

Der Unheimliche heulte auf, aber schon griffen die beiden anderen erneut an und bemühten sich, Roger Grey in die züngelnden Flammen zu drängen. Sein Jackenärmel fing bereits Feuer.

Roger Grey hielt den Kris von Malakka in der Linken, doch damit konnte er kaum Eindruck schinden. Diese Waffe war für die Finsterlinge zu schwach. Sie bedrängten ihn immer massiver, und als sie ihn zum Stolpern brachten, wäre er kopfüber in die krachende Glut gestürzt, hätte er nicht noch geistesgegenwärtig darüber hinwegspringen können.

Nun lag eine Barriere zwischen ihm und seinen drei Gegnern. Er hatte einige Sekunden Zeit, um Luft zu holen.

Seine Augen suchten seinen Partner, und er erschrak. Wu O’Ying saß in der Klemme. Auch seine Kreuzklinge versagte gegen die Hexe. Sie spielte regelrecht mit ihm, doch schon bald würde sie zum tödlichen Schlag ausholen. Nur die Hexenrippe konnte jetzt noch helfen. Wenn sie nicht hielt, was ihr sagenhafter Ruf versprach, waren sie beide verloren. Wanisa hatte mit verdeckten Karten gespielt. Jetzt erst zeigte sie ihre Hand voller Trümpfe. Diese Trümpfe besaßen zwar keine Köpfe, aber sie stachen.

Der Geistervernichter steckte den Kris zurück. Er behinderte ihn lediglich, ohne von Nutzen zu sein. Die Rippe in seiner Rechten sah erst recht harmlos aus. Ob sie es wirklich war, würde er erst feststellen, wenn es ihm gelang, einen der Schwarzverhüllten damit zu verletzen. Vorläufig wichen sie ihm noch geschickt aus.

Jetzt kamen sie um das Feuer herum und schlugen wie wilde Tiere nach ihm. Aus ihren dürren Fingern wuchsen Krallen, die wie Rasiermesser waren. Jede von ihnen war in der Lage, furchtbare Wunden zu schlagen.

Roger Grey hieb mit der Hexenrippe zu, und die Krallenhand verschmolz zu einem unförmigen Klumpen. Der Geköpfte brüllte in ohnmächtigem Schmerz und zog die verkrüppelte Hand zurück. Aber schon hatte Grey seine andere Seite erwischt. Auch sie verformte sich und war nicht mehr fähig, zu stechen oder zu schneiden.

Unterdessen sah Wu O’Ying seine Felle davonschwimmen. Der Hexe war er nicht gewachsen. Nicht mit den Waffen, die ihm zur Verfügung standen. Er konnte auch nicht warten, bis Roger mit der Hexenrippe ihn unterstützte. Der Partner war selbst noch vollauf beschäftigt. Ehe er sich von seinen Bedrängern befreit hatte, war er, O’Ying, längst vernichtet.

Als Wanisa voller Hohn wieder nach ihm schlug, durchzuckte den Chinesen ein verwegener Gedanke. Er wich so schnell, wie er noch in der Lage war, dem Hieb aus und rannte los. Gellendes Gelächter stimmte die Hexe hinter ihm an.

»Du kannst mir nicht entfliehen«, schrillte sie. Mit weiten Sätzen jagte sie hinter ihm her. Ihr Gewand flatterte um ihre knöchernen Glieder.

An Flucht dachte Wu O’Ying auch nicht. Niemals hätte er den Freund im Stich gelassen, obwohl der auf seine Unterstützung kaum angewiesen war. Er lief auf Roger Grey zu, und prompt wirbelte einer der Unheimlichen zu ihm herum und versperrte ihm den Weg. Wu packte mit beiden Händen zu und riss den Stiel des Beiles an sich, das in dem Geköpften steckte. Das stählerne Blatt rührte sich nicht, und schon fühlte der Chinese die Hexenfinger an seinem Hals. Sie drückten erbarmungslos zu.

Roger Grey erkannte die Situation. Mit weit ausholenden Schlägen hieb er um sich und durchbohrte den Finsterling, auf dessen Beil Wu O’Ying es abgesehen hatte.

Während der schwarze Geist unter dem Stich der Hexenrippe röchelnd verging, löste sich das Beil, und der kleine Chinese wirbelte es wie ein Hammerwerfer um sich. Die Hexe kreuzte die Schwungbahn, und der Stahl teilte ihren Körper in der Mitte.

Es war, als bräche die Welt auseinander.

Wanisa kreischte in höchsten, aber schnell ersterbenden Tönen. Das Henkersbeil stellte sich als ähnlich wirkungsvolle Waffe wie die Hexenrippe heraus, mit der Roger Grey soeben den letzten der drei Vermummten niederstreckte.

Die letzten Worte der Hexe hingen in der Luft: »Hütet meiner Tochter Rippe, damit das Verhängnis sich nicht erneuere!«

Der Feuerstoß explodierte mit ohrenbetäubendem Krachen. Die beiden Männer wurden durch die Druckwelle fortgeschleudert und überschlugen sich während des Fluges, bei dem sie sich aus den Augen verloren.

Nach Ewigkeiten, wie ihnen schien, prallten sie auf der Erde auf. Roger Grey konnte nur mit Not verhindern, dass er selbst in die Hexenrippe stürzte, die er noch immer krampfhaft festhielt. Was dann mit ihm geschehen wäre, konnte er sich an fünf Fingern abzählen. Ihn schauderte noch nachträglich bei dem Gedanken, dass sich die Rache Wanisas doch noch um ein Haar erfüllt hätte.

Er suchte den Freund, der bereits auf ihn zukam. Etwas taumelnd noch, aber dem äußeren Anschein nach unversehrt. Der Dürre schwenkte das Henkersbeil wie eine Trophäe, und das war es ja auch.

»Ich kann es zwar nicht dauernd mit mir herumschleppen«, sagte er, »aber für besonders harte Nüsse werde, ich es bereithalten.« Sein Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, denn er wusste, dass die Gefahr endgültig überstanden war.

Von dem Felsen war nichts mehr zu sehen. Der Boden war nicht nur glatt, es wuchs sogar Gras darauf und dort, wo der Leihwagen stand, erkannten sie ein paar saftige Büsche.

»Hier regiert das Leben wieder«, stellte Roger Grey erleichtert fest. »Der Bann der Hexe ist endlich gebrochen. Niemand wird mehr sein Leben verlieren, weil er die Hexenrippe erbeuten will.«

Der Chinese sah den Freund zweifelnd an.

»Bist du sicher?« fragte er.

Roger Grey verstand.

»Du befürchtest, dass die Unbelehrbaren nun versuchen werden, mir die Hexenrippe abzujagen.«

»Ja, und sie werden in der Wahl ihrer Mittel nicht zimperlich sein. Wanisa hat drohendes Unheil prophezeit.«

Der Geistervernichter schüttelte heftig den Kopf.

»Nein!«, erklärte er unerbittlich. »Die Hexenrippe werde ich nur im äußersten Notfall im Kampf gegen böse Dämonen einsetzen. Wenn jemand seine Hand danach ausstreckt, werde ich Wege finden, ihn zur Vernunft zu bringen, ohne dass Blut fließt. Im Übrigen werde ich diese furchtbare Waffe lieber eigenhändig zerstören, wenn die Gefahr besteht, dass sich ihre dämonische Kraft gegen die Menschen richtet. So haben wir es geschworen, und so soll es geschehen.«

Er reichte dem Partner die Hand, und dieser schlug beruhigt ein.

ENDE

Sammelband 7 Grusel-Krimis: Rhapsodie der Monster und andere Horror-Romane

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