Читать книгу Sammelband 7 Grusel-Krimis: Rhapsodie der Monster und andere Horror-Romane - W. K. Giesa - Страница 14
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Die Hexenrippe leistete ihrem Besitzer treue Dienste. Zwar wurden die Angriffe von Dämonen und anderen Ungeistern seltener, doch wenn sich einmal ein Bewohner des Schattenreiches erdreistete, ihn heimzusuchen, dann jagte Lonsam ihn kurzerhand zum Teufel. Da er auch die Menschen nicht mehr zu fürchten brauchte, wuchs die Macht des Richters, und es war nur eine Frage der Zeit, bis er Richter Clain von seinem Platz verdrängte, und von da an wurde er der engste Vertraute Lord Goffreys.
Mehr konnte er eigentlich nicht verlangen, aber als er auf dem Gipfel des Erfolges stand, spürte er, dass er trotz seiner Macht einsam geblieben war. Er erkannte, dass eine Frau an seiner Seite fehlte. Eine Frau, die ihm jeden Wunsch von den Augen ablas, die er vorzeigen konnte, um die ihn jeder im Land beneidete.
Lonsam hatte sich daran gewöhnt, sich jeden seiner Wünsche zu erfüllen. Er brauchte nur ein Wort zu sagen, und er erhielt das, was er verlangte. Nur wenige widersetzten sich seinen Forderungen, und diese Narren bereuten es schon bald.
Er suchte sich also eine Frau, aber so leicht ihm diese Suche auch gemacht wurde, er wurde dabei immer unzufriedener. Er fühlte schnell, dass es zwei Gründe gab, dass er keinen Mangel an Gesellschaft litt. Entweder sie fürchteten ihn und wagten deshalb nicht, sich ihm zu entziehen, oder sie waren von seiner Macht angetan und wollten sich an seiner Seite darin sonnen.
Beides missfiel ihm. Er wollte um seiner selbst willen geliebt werden, und es machte ihn rasend, dass man ausgerechnet dazu eine Frau nicht zwingen konnte. Das war etwas, wovor sogar er kapitulierte.
Doch dann geschah es, dass er auf einem Empfang Lord Goffreys ein bezauberndes Mädchen kennenlernte. Es wurde ihm, wie viele andere, vorgestellt, und von diesem Moment an hatte er nur noch Blicke für jene Anne, die nicht aus dem Hochland stammte und daher noch nichts von ihm gehört hatte. Er wunderte sich selbst, wie linkisch er sich in ihrer Nähe benahm. Dabei konnte ihn doch längst nichts mehr außer Fassung bringen.
Sie tanzten miteinander, führten lange Gespräche über viele Themen und wohnten gemeinsam dem Feuerwerk bei, das der Lord zu Ehren seiner Gäste veranstaltete. Als er schließlich um die Gunst bat, sie nach Hause begleiten zu dürfen, lehnte sie verschämt ab.
Keine andere hätte diese Zurückweisung wagen dürfen. Anne jedoch ließ er unbeschadet gehen, und er verbrachte eine unruhige Nacht, weil sie ihm nicht mal verraten hatte, wo er sie finden konnte.
Anderntags bekniete er den Lord, ihm die Anschrift des Mädchens zu nennen, doch dieser blickte ihn irritiert an und behauptete, nicht zu wissen, von welcher Anne er rede. Er könne sich in dieses Mädchen, das sich unter seinen Gästen befunden haben solle, nicht erinnern.
Richter Lonsam wollte aufbrausen. Auch Lord Goffrey war für ihn nicht mehr tabu. Aber er befand sich in verliebter Stimmung, und die wollte er sich nicht durch Unappetitliches verderben lassen. Er forschte also weiter, aber niemand konnte ihm bei der Suche helfen.
Er war schon verzweifelt, als er Anne zufällig wiedertraf. Sie ging ihm nicht aus dem Weg und bat um Verständnis für ihr Verhalten.
»Ich wollte mir erst über meine Gefühle klar werden, Richter«, gestand sie errötend.
»Und?«, hakte Lonsam erregt nach. »Bist du dir klar geworden?«
»Ich fürchte, ja«, kam es leise zurück. »Die Tage ohne Sie waren die entsetzlichsten meines Lebens.«
Der Richter glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Er zitterte, er, vor dem die Mächtigen erstarrten, zeigte Gefühl.
»Lass uns dieses Land verlassen«, stammelte er. »Wir suchen uns einen Platz, an dem wir glücklich sein können.«
Sie blickte ihn erstaunt an.
»Fort von hier? Bist du nicht gern Richter?«
Er antwortete nicht sofort. Er war sich nicht mehr sicher, was ihn glücklicher gemacht hatte: die Macht oder dieses zarte Geschöpf.
»Ich war es gern«, wich er aus. »Aber jetzt bist du da. Damit wird alles anders.«
»Glaubst du wirklich?«
»Natürlich, Anne. Wir lassen die Vergangenheit hinter uns und fangen noch mal ganz von vorn an.« Er griff nach ihr, um sie sanft an sich zu ziehen, und sie ließ es geschehen.
Als er sie küssen wollte, öffnete sie ihre Lippen und sagte ruhig: »Und die Männer, die du gemordet, die Frauen, die du geschändet hast, und die Kinder, die durch dich zu Waisen geworden sind, sollen auch sie noch mal neu beginnen?«
Er prallte zurück. Was wusste sie alles? Änderte das ihre Liebe zu ihm? Musste er auch sie zwingen?
»Was ist mit Richter Thunderbill, den du töten ließest, mit Mock, den du eigenhändig erschlugst, und mit Enna, der Hexe, die du schnöde verrietst?«, fuhr Anne unbeirrt und ohne Furcht fort.
Schlagartig wurde dem Mann klar, dass Anne nicht die war, die sie zu sein vorgab. Irgendjemand musste sie zu ihm geschickt haben. Jemand, der ihm schaden wollte. Lord Goffrey etwa?
»Was willst du?«, stieß er hervor. »Mich erpressen? Weißt du nicht, dass das schon andere vor dir versucht haben?«.
»Ich weiß, Lonsam. Sie sind alle tot. Du bist in deinen Mitteln nicht wählerisch. Willst du mich auch umbringen? Versuch es doch!«
Der Mann schüttelte heftig den Kopf.
»Nein!«, ächzte er. »Wovon redest du? Niemals würde ich das tun. Dich liebe ich doch. Mit dir will ich leben.«
»Und wenn ich nicht will?«, fragte sie mit leisem Spott.
»Dann ... dann ...«
»Dann brauchst du Gewalt, nicht wahr? Du hast ja die Hexenrippe. Damit kannst du dir jeden unterwerfen, meinst du. Aber du irrst dich. Selbst eine Waffe wie diese Rippe muss man mit Verstand benutzen, damit sie nicht zum Verhängnis wird. Du warst sehr töricht. Deshalb wendet sich ihre Macht gegen dich.«
»Schweig!«, brüllte er. »Ich will das nicht hören.«
»Mörder!«, zischte sie. In ihren sanften, blauen Augen funkelte der Hass.
Rasend vor Wut riss er die Hexenrippe aus der ledernen Scheide, die er stets unter dem Hemd trug und stürzte sich mit einem wilden Aufschrei auf Anne. Mit einem einzigen Stoß rammte er ihr den schmalen, spitzen Knochen in die Brust. Dabei wimmerte er auf, als hätte ihn die tödliche Waffe selbst getroffen, denn er hatte den Menschen umgebracht, den er als einzigen geliebt hatte.
Das Mädchen lächelte. Es war ein hartes Lächeln, und vor allem dachte Anne gar nicht daran umzufallen und zu sterben. Sie zog die Rippe aus der Brust und lächelte noch immer.
»Du kannst mich nicht mit meinen eigenen Gebeinen töten«, sagte sie. »Erinnerst du dich nicht, dass ich dich verfluchte? Die Einsamkeit war mein Fluch. Die Einsamkeit und die Leere in dir haben dich mir ausgeliefert.«
»Enna!« Der Richter stöhnte, als er die Hexe wiedererkannte.
»Ja, ich bin es! Du hast mich verraten und meinen Mördern ausgeliefert, nur um dein eigenes Leben zu retten. Dafür hätte ich noch Verständnis gehabt, denn ich habe schon immer versucht, den Bedrängten zu helfen. Aber du hast meine Rippe missbraucht. Du bist mit ihr zum Mörder geworden. Wir, meine Freunde und ich, werden dafür sorgen, dass diese Waffe nicht wieder in die Hände eines Unwürdigen fällt.«
Langsam bewegte sie ihren Arm vor und durchbohrte den Mann, der zu keiner Gegenwehr fähig war, mit der Hexenrippe.
Richter Lonsam starb einsam, wie er gelebt hatte. Der Fluch der Hexe hatte ihn ereilt.
Enna reckte den Arm, in dessen Hand sie noch die Rippe hielt, wie zum Schwur. Danach löste sich ihre Gestalt auf und verschwand.
Die Rippe blieb zurück. Jedoch nicht lange. Dann wurde sie von zwei Dienern der Finsternis geholt und an einen Ort gebracht, an den sie kein Unbefugter mehr finden sollte.
Zur Sicherheit hielten sie dort Wache. Nie wieder sollte geschehen, was der entfesselte Richter verschuldet hatte.