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Die Jahrhunderte gingen ins Land, und die Zeit der Hexenprozesse und Scheiterhaufen war längst vorbei. Auch im Schottischen Hochland brauchten nur noch solche Leute den Richter zu fürchten, die tatsächlich ein Verbrechen begangen hatten.

Wenn über die langen Jahre hinweg jener Richter Lonsam und die Hexe Enna nicht in Vergessenheit geraten waren, so lag das ausschließlich an der Rippe, um die sich die abenteuerlichsten Geschichten rankten.

So ganz genau wusste keiner mehr, was sich einst zugetragen hatte, aber ein Körnchen Wahrheit lag wohl in jedem Gerücht, und wenn sich immer wieder Leute fanden, die nach versunkenen Städten und sagenhaften Goldschätzen suchten, die irgendein Tyrann vor seiner Flucht vor einem noch Stärkeren vergraben haben sollte. Warum sollte es dann keine unerschrockenen Männer geben, die der Wahrheit um die Hexenrippe auf den Grund gehen wollten?

Lee McFever war ein unerschrockener Bursche, der weder Tod noch Teufel fürchtete. Er war zwar im Wirtshaus für seine Prahlereien bekannt, aber es störte ihn nicht, dass man ihn auch diesmal nur ungläubig belächelte.

»Dir gehen wir nicht mehr auf den Leim, Lee«, lallte einer seiner Saufkumpane. »Die Hexenrippe gibt es genauso wenig wie das Ungeheuer von Loch Ness. Bring uns eins von beiden, und ich zahle dir bis an dein Lebensende deine Zeche, die du hier beim alten Pat machst.«

»Ist das nicht ein Wort?«, grölte ein anderer. »Ein Mann wie du sollte sich das nicht zweimal sagen lassen.«

Lee McFever grinste verächtlich.

»Die alte Nessy ist ein bisschen zu unhandlich«, tönte er, »aber so eine Rippe, noch dazu die von einer zarten Frau, lässt sich mit Leichtigkeit in jeder Tasche unterbringen. Also entscheide ich mich lieber dafür. Ihr hört von mir, Freunde.« Damit erhob er sich, warf ein paar Münzen auf den Tisch, nahm seinen Hut und verschwand durch die Tür der Kneipe. Seine Kumpane blickten ihm kopfschüttelnd nach.

»Den hat es wieder mal erwischt«, sagte einer.

Sie diskutierten noch lange über den Spinner, mit dem man zwar trinken, aber leider nicht vernünftig reden konnte. Dann wandten sich ihre Gespräche anderen Themen zu, und sie vergaßen McFever. Was sie nicht wussten, war die Tatsache, dass der Großspurige das Wichtigste verschwiegen hatte. Er hatte alte Schriften in die Hände bekommen, aus denen ziemlich genau der vermutliche Ort hervorging, an dem man die Hexenrippe suchen musste.

McFever war auch alles andere als ein Spinner oder Träumer. Dass er ein bisschen viel trank, hatte nichts zu sagen. Er vertrug es, und sein Verstand hatte deshalb noch keinen Schaden genommen. Im Gegenteil! Wenn er in den Kneipen hockte, vernahm er oft Dinge, die ihm so interessant erschienen, dass es wert war, sich näher mit ihnen zu befassen. Auf diese Art hatte er auch vor einiger Zeit zum ersten Mal von der Hexenrippe gehört, und diese Erzählung hatte ihn seitdem nicht wieder losgelassen.

Von Beruf war McFever selbständiger Kaufmann. Es ging ihm nicht schlecht, aber er hätte nichts dagegen gehabt, wenn es ihm noch besser ginge. Dazu sollte ihm die sagenumwobene Rippe verhelfen. So spontan sein Entschluss auch ursprünglich gewesen war, so exakt hatte er sich doch anschließend alles überlegt. Wie gesagt, er war Geschäftsmann, und als solcher pflegte er Risiken abzuwägen und lieber zu verzichten, wenn ein Unternehmen nicht erfolgversprechend erschien.

Ihm war klar, dass es kein Spaziergang werden würde. Allein die Tatsache, dass er den ungefähren Ort kannte, garantierte noch nicht dafür, dass er das kleine Ding auch wirklich entdeckte. Das hatten vor ihm schon andere versucht. Sie hatten aufgegeben, oder man hatte nichts mehr von ihnen gehört. Keinem war es gelungen, die Hexenrippe zu erbeuten, denn das wäre nicht verborgen geblieben. Angeblich sollte die Dämonenwaffe von schrecklichen Geistern bewacht werden. Darüber gab es naturgemäß keine Augenzeugenberichte. Es waren lediglich Vermutungen, denn die Hexe Enna sollte damals etwas Derartiges angekündigt haben. Aber rund vierhundert Jahre waren eine lange Zeit. Welcher Dämon hockte schon so lange neben einer Rippe, wenn ohnehin nicht zu befürchten war, dass sie gefunden wurde. Vierhundert Jahre konnte er viel nutzbringender mit dämonischem Treiben zubringen.

Lee McFever war ein kühler Rechner, aber er glaubte an die Existenz finsterer Mächte. Auch in diesem Punkt war er klüger als die meisten seiner Kumpane, die nur über Dinge zu spotten verstanden, die sie nicht begriffen. Er schloss die Möglichkeit, mit einem Herrn der Unterwelten zusammenzutreffen, nicht aus, und er bereitete sich entsprechend darauf vor. Er entsann sich eines Jugendfreundes, den er zwar jahrelang nicht mehr gesehen hatte, von dem er jedoch wusste, dass er sich mit magischen Praktiken befasste. Er sollte über ausgezeichnete Verbindungen zu Zwischenexistenzen verfügen und ein ganzes Arsenal von Gegenständen besitzen, auf die Dämonen mit Entsetzen reagierten. Der Freund hieß Harp Canner. Zu diesem fuhr er und sprach mehrere Stunden mit ihm.

Harp Canner war in London zu Hause. Er bewohnte ein schlichtes Haus im Norden und lebte ziemlich zurückgezogen, da er mit seinen geheimnisvollen Studien und gelegentlichen Kontaktaufnahmen zur Geisterwelt vollauf beschäftigt war. Er wunderte sich über den unerwarteten Besuch und war anfangs sehr zurückhaltend, denn seine Erfahrungen mit Leuten, die sich mit ihm über das Übersinnliche unterhalten wollten, waren nicht die besten. Die meisten heuchelten zuerst Interesse, um ihn anschließend zu verspotten. Schon bald merkte Harp Canner, dass Lee McFever nicht zu dieser Kategorie gehörte. Sein Wissensdurst war echt, sein Motiv erstaunlich.

»Du willst die Hexenrippe erobern, Lee?« fragte Canner erstaunt. »Weißt du, worauf du dich da einlässt? Auf der Rippe liegt ein Fluch. Nie wird es dir gelingen, sie zu finden und vor allem zu behalten. Du verschwendest nur deine Zeit und, wie ich fürchte, sogar dein Leben.«

McFever lächelte hintergründig. Er zog ein paar vergilbte Blätter aus einer Ledertasche, die er mitgebracht hatte, und reichte sie dem Freund.

»Lies das!«, forderte er ihn auf. »Danach wirst du anders über meine Erfolgsaussichten denken.«

Canner rückte seine randlose Brille zurecht und studierte die Schriften, die von einem Mann angefertigt worden waren, der vor mehr als hundert Jahren der festen Überzeugung gewesen war, das Versteck der Rippe aufgespürt zu haben. Es handelte sich um eine Art Tagebuch, das er während seiner Suche geführt hatte.

»Leider brechen die Aufzeichnungen kurz vor dem Ziel ab«, bedauerte Lee McFever.

»Das wundert mich nicht, Lee«, sagte Harp Canner erneut. »Ein Toter ist nicht mehr in der Lage zu schreiben. Lass die Finger davon. Ich rate dir gut. Viele Männer, die wesentlich mehr von diesem Fach verstanden haben als du, sind gescheitert. Seit die Hexenrippe existiert, wird nach ihr geforscht, und so wird es auch noch nach erneut vierhundert Jahren sein. Die Rippe ist eine furchtbare Waffe, die gegen Dämonen und Menschen gleichermaßen eingesetzt werden kann. Wer sie besitzt, wird unweigerlich seine Macht missbrauchen, so wie es einst Richter Lonsam tat. Es ist gut, dass der Knochen verschollen ist. Gut für dich und gut für uns alle.«

McFever wurde ärgerlich.

»Du willst mir also nicht helfen, Harp? Und ich dachte, wir wären noch immer Freunde.«

»Eben weil wir es sind, beschwöre ich dich, diesen Gedanken aufzugeben. Er würde dich ins Unglück stürzen. Ich selbst, und du kannst mir glauben, dass ich ein besseres Rüstzeug hätte als du, würde es nicht wagen, die Dämonen herauszufordern.«

»Du bist eben nicht ich, Harp«, entgegnete Lee McFever abweisend. »Du warst schon immer mehr Theoretiker, ich aber will den Dingen auf den Grund gehen. Glaube mir, auch du hättest einen Vorteil durch die Rippe, sobald sie sich in meinem Besitz befände. Ich vergesse die nicht, die mir geholfen haben. Ich bin nicht Lonsam.«

»Das weiß ich«, sagte der andere beschwichtigend. »Ich misstraue dir auch nicht. Ich habe nur Angst um dich, und diese Angst ist begründet. Ich habe unlängst mit ein paar Kollegen über dieses Thema gesprochen. Sie sind der gleichen Ansicht wie ich. Mit der Rippe könnte viel Unheil heraufbeschworen werden.«

»Das sagen sie, weil sie feige sind.«

Harp Canner lachte amüsiert.

»Feige? Diese beiden? Einen besseren Witz habe ich seit langem nicht mehr gehört. Weißt du, um wen es sich handelt?«

»Woher sollte ich?«

»Um Roger Grey und dessen Freund und Partner Wu O’Ying.«

Lee McFever zuckte gleichgültig mit den Schultern.

»Soll ich nun in ehrfürchtiges Staunen versinken, Harp? Ich kenne diese Leute nicht. Warum auch?«

Harp Canner schlug fassungslos die Hände zusammen.

»Du kennst Grey und den Chinesen nicht und maßt dir an, über sie zu urteilen? Sie gehören zu den bedeutendsten Koryphäen unserer Zeit auf dem Gebiet der Dämonenbekämpfung. Sie haben schon so manchen katastrophalen Übergriff der Geisterwelt unter Einsatz ihres Lebens verhindert. Es sind lautlose Helden, von deren Taten nicht viel gesprochen wird, doch wer sich entschließt, seine Hand gegen die Dämonen zu erheben, muss sie einfach kennen.«

»Na schön, jetzt kenne ich sie, und wenn du noch so sehr von ihnen schwärmst, ich behaupte, dass ihnen einfach die Courage fehlt, selbst nach dieser Rippe zu suchen. Gerade für sie wäre diese Waffe, mit der sie die Ungeister reihenweise vernichten könnten, eine wertvolle Beute.«

Canner nickte bestätigend.

»Das ist zweifellos richtig, und ich traue den beiden sogar zu, dass sie die errungene Macht nicht missbrauchen würden, aber erstens handelt es sich bei der Hexenrippe um keine Wunderwaffe - Lonsam selbst fand durch sie den Tod - und zweitens ist doch klar, dass sie gerade wegen ihrer unbestrittenen Gefährlichkeit für die Schatten und Nebenreiche besonders gut bewacht wird.«

Lee McFever trommelte mit den Fingern ungeduldig auf die Tischplatte.

»Das hast du mir jetzt oft genug gesagt, Harp. Ich will jetzt endlich wissen, ob du bereit bist, mir zu helfen.«

»Was verstehst du darunter? Soll ich dich etwa auf deinem Wahnsinnstrip begleiten?«

McFever wehrte lachend ab.

»Das will ich dir nicht zumuten. Bleib du besser zu Hause hinter deinem Ofen und plaudere mit deinen Gespenstern, die dich um Mitternacht besuchen, um dir auf der Nase herumzutanzen. Ich möchte von dir nichts weiter als ein paar Waffen, mit denen ich mich nötigenfalls verteidigen kann. Ich weiß, dass du derlei besitzt, obwohl du es nicht benutzt.«

»Du bist erstaunlich gut informiert.«

»Wundert dich das?«

»Bei einem Mann, der Grey und O’Ying nicht kennt, muss mich das freilich wundern.«

»Ich erwarte Hilfe von dir und nicht von irgendwelchen Chinesen, Harp. Ich will mir deine Waffen auch nur ausleihen. Wenn ich erst die Rippe besitze, erhältst du alles zurück, und noch einiges mehr.«

»Nein.«

»Was heißt nein?«

»Ich unterstütze diesen Irrsinn nicht. Du kannst mich nicht zwingen, dich sehenden Auges ins Verderben rennen zu lassen.«

Der Schotte verzog seinen Mund zu einem spöttischen Grinsen.

»So? Kann ich das wirklich nicht, Harp?« Er schlug kurz und trocken zu. Seine Faust schoss wie eine gezündete Rakete vor, und Canner, der nicht im Traum mit einem Angriff gerechnet hatte, fand keine Zeit mehr, sein Kinn zur Seite zu nehmen. Sein Gesicht bekam einen erstaunten Ausdruck. Seine Augen suchten sich eine Stellung, die ihrer üblichen Position widersprach. Die Augenlider klappten zu, und er kippte nach hinten um. Es klang, als fiele eines der zahlreichen Bücher um, die in seinen Regalen standen. Es gab noch mal einen dumpfen Laut. Dann war alles still.

»Tut mir echt leid, alter Junge«, sagte McFever. Aus seinen Worten klang tatsächlich Bedauern. »Es ist deine eigene Schuld. Warum spielst du dich auch zum Magister auf? Auf deine Predigten kann ich verzichten. Ich weiß genau, worauf ich mich einlasse, und wenn ich erst mal die Hexenrippe habe, dann können deine beiden Supermänner einpacken. Dann werde nicht nur ich verständnislos fragen: Grey? O’Ying? Wer ist denn das? «

Er wandte sich von dem Bewusstlosen ab und begann dessen Haus gründlich nach Dingen zu durchsuchen, die er für seine Unternehmung zu benötigen glaubte. Er fand Utensilien, die geheimnisvoll aussahen und die, davon war Lee McFever fest überzeugt, ihre abschreckende Wirkung auf Dämonen jeglicher Schattierung nicht verfehlen würden.

Er packte alles ein und verließ wenig später das Haus, nachdem er ein kurzes Schreiben verfasst hatte, in dem er um Verständnis für die ihm aufgezwungene Handlungsweise bat.

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