Читать книгу Sammelband 7 Grusel-Krimis: Rhapsodie der Monster und andere Horror-Romane - W. K. Giesa - Страница 13
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ОглавлениеMock und seine Kumpane kannten nur ein Ziel. Als sie über den Marktplatz hetzten, stießen sie auf eine betretene Menge. Die Stimmung war verflogen. Dafür hatte der gespenstische Reiter gesorgt. Noch unheimlicher aber war, dass Ennas verkohlte Leiche am Pfahl hing. Sie war tot, darüber gab es keinen Zweifel.
»Aber wer war dann das Weibsbild neben Jeffs Frau?«, fauchte Mock verstört. »Ich habe die Hexe doch deutlich gesehen, und ihr anderen auch, oder?« Eifriges Kopfnicken bestätigte diese Aussage.
»Es war Ennas höllischer Geist«, murmelte einer und bekreuzigte sich. »Er geht noch immer um. Wehe uns, wenn uns seine Rache trifft!«
»Die Hexe hat keine Macht mehr«, erklärte Richter Thunderbill so laut, dass es jeder hören konnte, der nicht mit seinem eigenen Geschrei beschäftigt war. »Dieser Unbekannte hat ihr eine Rippe aus der Brust gerissen. Seht her! Dort ist die.Lücke. Genau an der Stelle, an der wir Menschen unser Herz haben.«
Jeder konnte sich von der Richtigkeit der Worte überzeugen. Die Leiche der Hexe war nackt. Das Kleid aus grobem Tuch war zu Asche zerfallen. Die Wunde in ihrer Brust war deutlich zu erkennen. Eine Rippe war herausgebrochen worden.
»Es wird behauptet, dass in dieser Rippe die ganze Kraft einer Hexe wohnt«, flüsterte eine zahnlose Alte. »Wurde sie im reinigenden Feuer gehärtet, stellt sie eine nahezu unüberwindbare Waffe dar. Wer sie besitzt, braucht weder die Mächtigen der Irdischen noch der Unirdischen zu fürchten.«
Diese Weisheit löste erregtes Raunen aus. Kaum einem gefiel dieser Gedanke. Jemand weilte in ihrer Mitte, dem man nichts anhaben konnte. Weder durch Handgreiflichkeiten noch durch Verleumdungen konnte man ihm schaden. Sogar der Henker war ihm gegenüber hilflos. Solange man diesen Menschen in Ruhe ließ, mochte es ja noch angehen, aber wehe, man machte ihn sich zum Feind.
Der vierschrötige Mock wurde überraschend kleinlaut. Ihm fiel ein, dass Jeff allen Grund hatte, sich an ihm zu rächen. Dass er es tun würde, stand für Mock außer Frage, denn er glaubte, dass alle Menschen so reagieren mussten, wie er selbst das tun würde. Ihm wurde unbehaglich in seiner Haut. Er grübelte, wie er die gerufenen Geister wieder los wurde, doch ihm fiel keine Lösung ein. Während die übrigen noch über den unerhörten Vorfall diskutierten und sich die Köpfe heiß und die Kehlen durstig redeten, schlich er unbemerkt davon. Er hatte den Entschluss gefasst, zu Jeff zu gehen und um Schönwetter zu bitten, so schwer ihm das auch fiel. Nur die Aussicht, dass er aus Jeffs neugewonnener Macht möglicherweise für sich selbst einen Nutzen ziehen konnte, machte ihm diese Erniedrigung schmackhafter. Seine Hoffnung zerrann, als er feststellen musste, dass Jeff mit seiner Familie verschwunden war.
Im ersten Augenblick war er direkt enttäuscht. Doch dann sah er ein, dass es für ihn nicht günstiger hätte laufen können. Das Dorf war Jeff zu unbedeutend geworden. Er wollte an einem geeigneteren Ort seine Macht erproben. Vielleicht hörte man nie wieder von ihm, vielleicht wurde er aber auch schon bald auf einen Thron gehoben.
Mock war das egal. Für ihn war die Hauptsache, dass Jeff ihn in Ruhe ließ.
Dass Lonsam etwas mit der unerhörten Freveltat zu tun haben könnte, kam niemand in den Sinn. Der Schuldige stand fest, warum sollte man noch nach einem anderen suchen? Der Magier blieb daher unangefochten. Er hatte zwar genauso wenig Freunde wie früher, aber es fiel auch kein Verdacht auf ihn. Er hatte ja zu keiner Zeit mit der Hexe in Verbindung gestanden.
Lonsam selbst war dagegen voller Unruhe und Ungeduld. Nach schweren inneren Kämpfen hatte er sich dazu entschlossen, Enna den Häschern auszuliefern. Als Ferrus, der Dämon, ihm die Hölle heiß machte, wusste er, dass ihm allenfalls noch die Hexenrippe helfen konnte. Hätte er auf diese Chance verzichten sollen? War es nicht ein Wink des Schicksals, dass ihm ausgerechnet jetzt Enna ins Haus geweht wurde?
Der Magier versuchte, den Gedanken an den Fluch zu verdrängen. Er besaß die Rippe, das allein zählte. Mit ihr würde er, so hoffte er zuversichtlich, sich gegen jeden Fluch behaupten. Lonsam sehnte den Augenblick herbei, an dem er endlich die Wirkung seiner neuen Waffe erproben konnte.
Tage und Wochen vergingen, und der Magier wurde in seinen Träumen vom Bild der im Feuer sterbenden Enna verfolgt. Sie blickte ihn aus ihren unschuldigen blauen Augen an, und als er die Rippe aus ihrer Brust brach, verfluchte sie ihn. Immer wieder, bis er jedes Mal schweißgebadet erwachte. Er fühlte sich elend und schuldig. Er magerte ab, weil er keine Nahrung mehr zu sich nahm, und nach einem Monat rang er sich zu dem Entschluss durch, sich selbst der Hexerei zu bezichtigen, um sich damit von seiner Schuld reinzuwaschen.
Ihm war klar, welche Folgen das für ihn hatte. Man würde ihn zum Tod verurteilen. Er würde auf dem Scheiterhaufen enden wie Enna und deren Mutter. Selbst Richter Thunderbill würde ihn davor nicht bewahren können, und er wollte auch keine Gnade.
Der Magier ordnete seinen Nachlass, steckte die Hexenrippe als Beweis zu sich und verließ sein Haus, um sich auf den Weg zum Richter zu begeben. Die ersten Schritte fielen ihm schwer. Es war weniger der Tod, den er fürchtete, als das Keifen der sensationslüsternen Meute, die Schmähungen und die üble Nachrede, die erst verklingen würde, wenn man ein nächstes Opfer gefunden hatte und er in Vergessenheit geriet.
Mehr als einmal war er drauf und dran umzukehren und alles so zu lassen, wie es war. Doch dann schalt er sich einen Feigling, dessen Freude am Leben ohnehin vorüber war. Er hatte für dieses Dasein keine Berechtigung mehr. Er musste einen Schlussstrich ziehen.
Richter Thunderbill wohnte etwas außerhalb des Dorfes auf einer bewaldeten Anhöhe. Es war kein Prachtbau, aber immerhin unterschied er sich beträchtlich von den ärmlichen Häusern, in denen die Bauern ihr Leben fristeten. Schon von weitem sah Lonsam die getünchten Mauern durch das Grün der Bäume und Büsche leuchten. Es gab kein Zurück mehr, und nun fiel es ihm auch leichter.
Eine Dienstmagd öffnete ihm auf sein Läuten. Er verlangte, den Richter zu sprechen, doch erfuhr er, dass der Herr krank sei. Es ginge ihm nicht gut. Wahrscheinlich würde er die kommende Nacht nicht überleben.
Lonsam erschrak. War das ein Zeichen? Sollten die Zweifel wieder beginnen? Vor allem bedrückte ihn, dass er nichts von der Krankheit gewusst hatte, zeigte ihm doch dieser Umstand, dass er sich nicht mehr für das Leben im Dorf interessierte.
»Was fehlt ihm?«, fragte er. Es war kein eigentliches Interesse. Er wollte nur Zeit gewinnen, um seine Gefühle wieder unter Kontrolle zu bekommen. Helfen konnte er dem Richter ohnehin nicht.
Die Dienstmagd blickte sich hastig um, von der Furcht geplagt, beobachtet zu werden, und senkte die Stimme: »Niemand weiß es. Der Arzt steht vor einem Rätsel, und der Priester fürchtet, er sei von einem Dämon besessen, der ihn dafür bestrafen will, dass er so viele Hexen und Magier dem Flammentod überantwortet hat.«
»Ein Dämon?« Lonsam zuckte zusammen. »Hat man diesen Ungeist gesehen? Hat der Richter von ihm gesprochen?«
»Das nicht, aber in den Nächten tobt es oft fürchterlich durchs Haus. Dann schreit der Herr auf, und am nächsten Morgen ist er noch schwächer. Es ist ein großes Unglück.«
»Ich will ihn sehen.«
»Den Dämon?«
»Unsinn! Den Richter. Sag ihm, dass es sehr wichtig ist. Ich biete ihm an, ihn zu heilen.«
Die Dienstmagd sperrte den Mund weit auf.
»Seid Ihr denn Arzt?«
»Das wird Richter Thunderbill erfahren«, entgegnete der Magier schroff.
Die Magd verschwand, und kurze Zeit später kehrte sie zurück und führte den Besucher ins Krankenzimmer. Lonsam erschrak. Er kannte den Richter als einen kraftstrotzenden Mann. Was dort vor ihm in dem schweißnassen Bettzeug lag, war nicht viel mehr als ein lebender Leichnam. Jetzt begriff er, dass der Arzt jede Hoffnung aufgegeben hatte.
»Wer bist du?« Die schwache, kaum hörbare Stimme hatte noch vor wenigen Wochen mit durchdringender Lautstärke das Urteil über Enna auf dem Marktplatz verkündet.
»Ich bin ein Freund, der dir helfen will, Richter.«
»Mir kann niemand mehr helfen. Mit mir geht es zu Ende.«
Lonsam setzte sich zu dem Todkranken auf die Bettkante und blickte ihn forschend an.
»Und wenn ich dieses Ende verhindern könnte? Was wäre dir dein Leben wert?«
Die Reaktion auf diese Aussicht war so schwach, dass nicht mal die Augenlider flatterten. Thunderbill glaubte nicht an diese Möglichkeit. Er hatte sich aufgegeben und wartete nur noch auf seinen Tod, der ihn von dem Schrecken der Nächte befreien sollte.
»Was gibst du mir, wenn ich dich heile?«, drängte Lonsam.
»Was verlangst du?«
»Dein Amt, Richter. Ich will in diesem Bezirk Recht sprechen. Wenn du deinen Nachfolger vorschlägst, wird man auf dich hören.«
Lange sagte der Richter nichts. Dann bewegte er seine trockenen Lippen und flüsterte: »Mein Freund, Richter zu sein, ist eine schwere Prüfung. Du kannst es nur einer Seite recht machen. Den Menschen oder den Geistern. Wenn dir die einen zujubeln, verdammen dich die anderen. Es ist ein Teufelskreis, in dem du so enden müsstest wie ich.«
Lonsam lächelte wissend.
»Dieses Risiko gehe ich ein. Ich habe deine Tochter gerettet, ich rette auch dich. Lass mich die Nacht in deinem Haus verbringen. Wenn du morgen früh nicht in der Lage bist, eine Stunde durch den Wald zu laufen, kannst du dein letztes Urteil sprechen. Über mich.«
Thunderbill versuchte, sich aufzurichten, sank aber kraftlos in die Kissen zurück.
»Was spielst du für ein Spiel?«, hauchte er.
»Eines, das dir nützt, Richter. Entscheide dich!«
Der Kranke ächzte. In ihm war kein Funken Kraft mehr. Er musste dreimal ansetzen, ehe er die Worte herausbrachte: »Morgen bist du Richter - oder tot.«
Lonsam war voller Zuversicht. Er hatte sich in den letzten Jahren schon mit vielen Geistern herumgeschlagen. Er wusste, wie man diese Brut anzupacken hatte.
Er kehrte in sein Haus zurück und holte alles, was ihm jemals in seinem Kampf gegen das Übersinnliche nützlich gewesen war. Es handelte sich überwiegend um Bücher mit magischen Formeln, aber auch um Elixiere, deren Zusammensetzung nur er kannte, um Kultgegenstände aus Silber und natürlich um sein großes, hölzernes Kruzifix. All das brachte er in das Haus des Richters und begann bereits am frühen Abend, Thunderbill so zu präparieren, dass sich eine magische Schutzmauer um den Kranken bildete, die zu durchbrechen für jeden Dämon schwer sein würde.
Er verlangte, dass die Familie des Richters das Haus für diese Nacht verließ, wogegen sich besonders die Frau des Todkranken sperrte. Sie hielt es für eine Sünde, in seiner letzten Stunde von der Seite ihres Gefährten zu weichen. Doch der Magier setzte sich durch, und natürlich schickte er auch die Dienstmagd und das übrige Personal fort, was nicht auf Widerstand, sondern auf Erleichterung stieß. Niemand sollte unnötig gefährdet werden. Außerdem fürchtete Lonsam eine Behinderung in seinen Aktionen.
Thunderbill selbst musste natürlich bleiben. Erstens hätte er einen Transport kaum überlebt, und zweitens kam der Dämon schließlich seinetwegen. Wenn er sich nicht mehr im Haus befand, würde auch der Geist ausbleiben, und alles war umsonst.
Die Nacht brach herein. Der Richter wurde unruhig, denn er wusste, dass sein Peiniger ihn schon bald wieder heimsuchen würde. Feine Schweißperlen bildeten sich auf seiner zerfurchten Stirn. Er glaubte nicht an eine Rettung. Er hätte diesen Mann wegschicken müssen. Auch er würde sterben. Aber es war angenehm, nicht allein zu sein. Gemeinsam starb es sich leichter.
Lonsam dachte nicht ans Sterben. Jetzt nicht mehr. Er sah wieder eine Aufgabe vor sich, an der er sich messen wollte. Er hatte alles getan, was in seinen Kräften stand. Nun hoffte er nur noch, dass nicht auch dieser Dämon vor ihm kneifen würde. Auf diese Art wollte er nicht Sieger werden.
Mit wachsender Unruhe ging er im Krankenzimmer auf und ab. Die Minuten krochen dahin wie zäher Schleim. Dies würde vermutlich die längste Nacht seines Lebens werden.
Dann begann es ...
Zuerst erhob sich ein Stöhnen und Heulen, das direkt aus den Mauern zu dringen schien. Richter Thunderbill wimmerte und hielt sich die Ohren zu. Seine Hände zitterten vor Schwäche. Lonsam ließ sich dadurch nicht beirren. Um ihn in Angst zu versetzen, musste es schon dicker kommen.
Es kam auch. Die Mauern dröhnten und drohten zu bersten. Ein Sturm wirbelte durchs Haus und richtete in allen Räumen Verwüstungen an. Lediglich im Krankenzimmer herrschte Ruhe. Die Geisterabwehrmittel zeigten ihre Wirkung. Doch schon bald wurde auch hier an der schweren Bohlentür gezerrt.
Thunderbill schrie auf.
Der Magier winkte ihm beruhigend zu und kontrollierte die Bannmittel, die den Richter schützen sollten. Er fand alles unversehrt und wandte sich entschlossen der Tür zu. Der Kampf konnte beginnen.
»Unseliger!«, schrie eine Stimme von draußen. »Hast du meine Warnung vergessen? Ich habe dir gesagt, dass ich dich holen werde. Jetzt ist die Stunde gekommen. Stirb!«
Lonsam prallte zurück. Schlagartig verlor auch er die Farbe aus dem Gesicht. Mit keinem Gedanken hatte er daran gedacht, dass ausgerechnet Ferrus sich den Richter als Opfer ausgesucht hatte. Ferrus, der einzige Dämon, den er fürchtete wie sonst nichts auf der Welt.
Ich Narr, dachte er, ich habe mich einschläfern lassen. Ich bildete mir ein, er hätte seine Rache begraben ...
Ohne darauf zu achten, dass ihn Thunderbill entgeistert anstarrte und begriff, dass ihm dieser großmäulige Mann auch nicht helfen konnte, weil in ihm selbst nichts als Furcht war, wich er bis in die äußerste Ecke des Raumes zurück und blickte auf die Tür, deren Bohlen sich gefährlich wölbten. Er hockte vor der Schlange wie die Maus, die auf den unvermeidlichen, tödlichen Biss wartet.
Übersprudelnd murmelte er Beschwörungen und wusste doch, dass ihre Kraft gegen Ferrus viel zu gering war. Er rief sämtliche Heiligen an, obwohl er stets lieber auf die Macht der Zauberei vertraut hatte. Plötzlich fühlte er sich wieder klein, und ohnmächtiger Zorn stieg in ihm auf, dass er sich von seiner Überheblichkeit hatte hereinlegen lassen.
»Geh fort!«, flüsterte er. »Suche dir ein anderes Opfer! Ich will auf das Richteramt verzichten. Was geht es mich an, wenn Thunderbill stirbt? Mir hilft auch keiner.«
Seine Bitten blieben ungehört. Mit berstendem Krachen sprang die Tür auf, und der Dämon quoll in den Raum. Der Richter bäumte sich auf und riss abwehrend seine mageren Arme vors Gesicht, doch Ferrus schenkte ihm keinen Blick. Die glühende Gestalt des bösen Geistes wandte sich dem Magier zu, der winselnd in der Ecke lag und auf sein Ende wartete.
Lonsam hoffte, dass es wenigstens schnell vorüberging. Er wollte nicht gequält werden, wenn er schon sterben musste. Er fühlte sich emporgerissen, und im nächsten Augenblick flog er gegen eine Wand. Aufheulend klatschte er auf den Boden und versuchte, sich kriechend unter dem Bett zu verstecken. Es half ihm nichts. In diesem engen Raum gab es kein Versteck, aus dem der Dämon ihn nicht herausholen würde. Er wurde an den Beinen gepackt, und obwohl er nun in blinder Verzweiflung das hölzerne Kreuz dem Dämon entgegen stieß, konnte er sich nicht befreien.
Unbarmherzig glühte das rote Auge des Unholds über ihm. Es drohte ihn zu verschlingen. Er fühlte die Nähe des Todes, und er hatte Angst vor dem, was danach kam. Würde er dem Dämon bis in alle Ewigkeit dienen müssen?
Ein gefräßiger Rachen öffnete sich vor ihm. Daraus quollen lähmende Dämpfe, die ihm nahezu den Verstand raubten. Der Magier schlug wild um sich. Die silbernen Kultgegenstände, die er zu beiden Seiten des Krankenbettes aufgebaut hatte und auf deren dämonenvernichtende Kraft er sich bisher immer verlassen konnte, waren längst auf den Fußboden gefegt worden. Ferrus hatten sie nicht aufgehalten. Er war stärker und mächtiger als alle anderen vor ihm.
Lonsam wusste in diesem Moment, dass er selbst nur ein Winzling war. Alles, was er bisher geleistet hatte, bedeutete nichts. Er hatte den Zorn des Dämons auf sich gelenkt, das war aber auch schon alles.
Ferrus schlug mit der Krallenhand nach ihm. Er hätte ihn längst töten können, doch er spielte wie eine Katze mit ihm. Er zögerte das Ende hinaus.
Lonsam hatte immer gewusst, in welche Tasche er greifen musste, um das richtige Mittel gegen seinen jeweiligen Feind hervorzuziehen. Diesmal hatte er nach und nach alles versucht, doch Ferrus hatte ihm kaum die Möglichkeit gelassen, sich zu wehren. Nun war er waffenlos. Er besaß nur noch seine Fäuste und Zähne, doch die waren gegen einen Unwirklichen nicht zu gebrauchen.
Eine brennende Blutspur lief quer über sein Gesicht. Der Schmerz drohte ihn zu überwältigen. Ein Hieb traf seine Brust und schleuderte ihn quer durch den ganzen Raum. Halb besinnungslos blieb er auf Thunderbills Krankenlager liegen. Dort gehörte er wohl auch hin. Es würde sein Totenbett werden.
Lonsam griff an die Brust, denn die Schmerzen steigerten sich. Seine Hand zuckte zurück. War er schon tot? Hatte der Dämon ihn bereits auseinandergerissen? Fühlte er nicht dort eine seiner Rippen ganz deutlich zwischen den Fingern? Atemlos zog er sie vollends aus seiner Brust. Doch nein, sie gehörte ihm gar nicht. Es war die Hexenrippe! An ihren Besitz hatte er sich noch nicht gewöhnt. Deshalb hatte er die ganze Zeit nicht an sie gedacht.
Doch nun war es zu spät. Ferrus hatte bereits über ihn gesiegt. Er brauchte ihm nur noch den Todesstoß zu versetzen, und dazu holte er gerade aus.
Mit Triumphgeschrei fiel der Dämon über ihn her. Er begrub ihn unter sich, und wenn Lonsam auch noch reflexartig die spitze Rippe nach oben stieß, so änderte das nichts mehr.
Der Dämon brüllte auf. Einen vergleichbaren Laut hatte Lonsam nie zuvor gehört. Es war, als würden die Teufel sämtlicher Höllen gemeinsam schreien. Die Fensterscheiben zersprangen. Die Möbel in dem Raum stürzten zusammen. In einer der Mauern klaffte ein handbreiter Spalt, der sich nicht wieder schloss.
Der Magier presste sich mit der linken Hand ein Ohr zu. In der anderen hielt er die Rippe, und er stach erneut zu. Immer wieder, bis die unsägliche Last von seinem Körper wich und ihn freigab.
Ferrus, der fürchterliche Dämon, war besiegt. Die Rippe der Hexe Enna hatte es ermöglicht. Sie hatte die Feuerprobe bestanden.
Nach diesem Sieg war Lonsam wie verwandelt. Nichts war mehr von seiner Verzagtheit zu spüren. Der Gedanke, sich freiwillig dem Scheiterhaufen auszuliefern, hatte keinen Platz mehr in seinem Gehirn. Er hatte erlebt, was es hieß, unbesiegbar zu sein, und dieses Bewusstsein wollte er bis zur Neige auskosten.
Nachdem der Dämon entmachtet war, wurde auch Thunderbill in kurzer Zeit wieder gesund. Alle im Dorf priesen das Wunder.
Der Richter indessen erinnerte sich nur ungern an das Versprechen, das er dem Magier in Bedrängnis gegeben hatte. Er dachte nicht daran, sein Amt abzutreten. Jetzt war er wieder stark, und vor dem Dämon brauchte er sich schließlich nicht mehr zu fürchten. Er stellte sich also taub, als ihn Lonsam auf seine Zusage ansprach, und als dieser sich zu einer Drohung hinreißen ließ, warf er ihn aus dem Haus.
Lonsam drehte sich nicht mal nach Thunderbill um. Gesenkten Hauptes schlich er ins Dorf zurück, und es schien, als hätte er die Lektion, die ihm der Richter erteilt hatte, gelernt. Am nächsten Tag verschwand er von der Bildfläche. Als die Nachricht durchsickerte, dass er in Inverness gesehen worden sei, atmete Thunderbill auf. Diesen lästigen Burschen war er endgültig los.
Seine Erleichterung dauerte nicht lange. Einige Tage später fuhr ein Gespann vor seinem Haus vor, dem zwei würdige Herren entstiegen. Ihnen folgten vier Burschen, die zwar nicht sehr intelligent, dafür aber sehr kräftig aussahen. Der Richter freute sich über den hohen Besuch, war ihm doch sein Amtskollege aus der Hauptstadt kein Unbekannter.
Dessen Begleiter stellte sich als Lord Goffrey heraus, jener Mann, der im gesamten Hochland das Sagen hatte. Thunderbill fühlte sich hochgeehrt und überschlug sich fast vor Höflichkeiten, doch Richter Clain bremste seinen Überschwang.
»Uns wurde angezeigt, Richter, dass ihr eine Buhlschaft mit einem Dämon hattet, die euch nicht nur die ganze Kraft raubte, sondern die euch auch die Pflichten gegenüber Gesetz und Ordnung vergessen ließ. Bekennt ihr euch schuldig?«
Thunderbill wurde so bleich, wie er seit seiner Krankheit nicht mehr gewesen war.
»Wer behauptet das?«, fragte er mit belegter Stimme.
»Ein Mann, der über jeglichen Verdacht der Falschaussage erhaben ist, der künftige Richter dieses Dorfes - euer Nachfolger.«
»Mein Nachfolger? Aber ich gebe mein Amt nicht auf. Ich werde noch viele gerechte Urteile fällen. Eure Lordschaft«, er verneigte sich gegen Lord Goffrey, »werden keinen Grund zur Klage finden.«
»Ein Toter kann nicht mehr richten«, sagte Richter Clain eisig. »Ich denke, es ist auch in eurem Sinn, wenn wir diese unerfreuliche Geschichte ohne großes Aufsehen erledigen. Es würde nur dem Ansehen unseres Berufsstandes schaden.« Er gab den vier Muskelmännern einen Wink, und sie rückten gegen Thunderbill vor. Einer von ihnen hielt ein Beil in den Fäusten.
»Aber es ist alles nicht wahr«, kreischte der Bedrängte. »Dieser Lump, der mich verklagt hat, ist selbst ...«
Das scharfe Beil war schneller als seine Worte. Sein Kopf fiel, und einer der Henkersknechte steckte ihn in einen mitgebrachten Sack. Die Leiche wurde weggeschafft, und schon eine halbe Stunde später wurde auf dem Marktplatz bekanntgegeben, dass der neue Richter Lonsam in Zukunft die geltenden Gesetze anwenden würde.
Der Magier hatte sein Ziel erreicht. Er besaß nun nicht nur Macht über die Dämonen, die die Hexenrippe fürchteten, er gewann auch Macht über die Menschen, und diese lernten ihn wegen seiner Bluturteile fürchten.
Er erinnerte sich an einen Burschen, der schon zur Zeit Richter Thunderbills ein offenes Wort nicht gescheut hatte. Ein Kerl, der Ungemach liebte, wenn es auf Kosten anderer ging, und der die Gabe besaß, Gefahr für sein eigenes Leben rechtzeitig zu wittern und wirksame Maßnahmen dagegen zu treffen. Ein gefährlicher Mann also: Mock!
Lonsam arrangierte mit ihm eine geheime Zusammenkunft, wobei er andeutete, dass er große Pläne mit ihm hege, falls er sich als brauchbar herausstelle.
Sie trafen sich während der Nacht auf dem Friedhof, und Lonsam war überzeugt, dass Mock schon durch die Wahl dieses Ortes in Nachteil geriet, denn selbst diesem vierschrötigen Burschen musste ein nächtlicher Gottesacker unheimlich sein. Er dagegen war mit derlei vertraut. Seit der letzten Begegnung mit Ferrus hatte er das Grauen verlernt.
Lonsam hatte sich alles genau überlegt. Falls die Hexenrippe bei einem Menschen versagte, würde er Mock am folgenden Tag anklagen und hinrichten lassen. Eine andere Möglichkeit blieb ihm dann nicht mehr.
Mock erschien im letzten Augenblick. Ihm war anzusehen, dass ihm der Treffpunkt nicht behagte, und er wollte sich dort nicht länger aufhalten, als dies unumgänglich war.
»Du hast ein Anliegen, Richter?«, fragte er ziemlich respektlos.
Lonsam fühlte Wut in sich aufsteigen. Was nahm sich dieser Bursche heraus?
»Deine Zunge ist kühn, Mock«, versetzte Lonsam. »Leute wie du leben meist nicht lange.«
Der Vierschrötige lachte unbesorgt.
»Solange man die richtigen Freunde besitzt, hat man nichts zu fürchten«, sagte er.
Der Richter kniff die Augen zusammen, während er unauffällig nach der Hexenrippe tastete, die er unter dem Hemd verbarg.
»Und du meinst also, eine Freundschaft mit mir würde dir nützen?«
Mock machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Wer spricht von dir? Du bist nichts weiter als ein Machtsüchtiger, der über seine eigene Gier stolpern wird. Solche Freunde sind mir zu gefährlich. Ich bin für mehr Sicherheit.«
Sein Blick glitt über Lonsams Schulter hinweg, und dieser zuckte blitzschnell herum. Er erstarrte. Hinter ihm stand, wie aus dem Erdboden gewachsen, mit größerer Wahrscheinlichkeit aber hinter einem der Grabsteine aufgetaucht, der Henker mit seinem Beil.
»Was soll das heißen?« Er wirbelte zu Mock herum, doch dann fiel ihm ein, dass er dem Henker besser nicht den Rücken zuwandte. Er trat daher schnell zur Seite und hatte nun beide Männer vor sich.
Mock grinste.
»Das soll heißen, dass ich keine Lust habe, darauf zu warten, bis du mir den Henker schickst. Deshalb habe ich ihn selbst geholt. Allerdings nicht für mich, sondern für dich!«
»Du bist verrückt, Mock ... Dafür wirst du sterben.«
»Hattest du das nicht ohnehin vor? Hältst du mich für so naiv, dass ich deine Absicht nicht von Anfang an durchschaute?« Er zog ein breites Messer aus dem Stiefel, und auf einen Wink hob der Henker das Beil.
Lonsam wich zurück, bis er mit dem Rücken gegen ein schmiedeeisernes Grabkreuz prallte. Die beiden anderen rückten nach. Der Stahl ihrer Waffen blitzte im fahlen Mondlicht.
»Tu deine Pflicht, Henker!«, schrie Mock höhnisch. Wie oft hatte er diese Worte aus dem Mund des Richters gehört. Der bullige Beilschwinger stürmte vorwärts. Er war wie eine Naturgewalt, die sich durch Menschenhand nicht aufhalten ließ.
Lonsam riss die Rippe heraus.
»Was hast du da?«, höhnte Mock, »Willst du uns mit einem Hundeknochen besänftigen?«
Der Henker achtete überhaupt nicht auf das bleiche Ding in der Hand des Richters, schlug zu und ließ das Beil mit aller Kraft niedersausen.
Ein Todesschrei wehte über den Friedhof. Schaurig klang es bis zum Dorf hinüber, und manch einer von denen, die aufwachten, verkroch sich unter der Bettdecke. Die Hand des Henkers entkrampfte sich. Das Beil polterte zu Boden. Es war nicht blutig.
Der Richter zog die Hexenrippe aus der Brust des Angreifers und achtete nicht mehr darauf, wie der Henker zusammenbrach und röchelnd verschied.
Er wandte sich seinem anderen Gegner zu, der zwar noch immer das breite Messer hielt, der aber sichtlich kleinlauter geworden war.
»Mit der Wahl der richtigen Freunde ist das so eine Sache«, spottete Lonsam. »Nicht immer sind es die mit dem größten Beil oder gar mit dem größten Maul.« Dann trat er einen Schritt vor und rammte Mock die Hexenrippe ins Herz. Am anderen Morgen klagte er einen Mann des Mordes an den beiden an, den aus dem Weg zu räumen er schon seit Tagen einen Vorwand gesucht hatte.
Das größere Problem bestand darin, einen neuen Henker zu finden, aber wer hätte es gewagt, sich dem Befehl Richter Lonsams zu widersetzen?