Читать книгу Sammelband 7 Grusel-Krimis: Rhapsodie der Monster und andere Horror-Romane - W. K. Giesa - Страница 17

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Es dauerte lange, ehe der an körperliche Schläge nicht gewöhnte Harp Canner wieder zu sich kam. Fassungslos stand er vor den leeren Schubkästen und Vitrinen und flüsterte immer wieder: »Dieser Narr! Dieser selbstmörderische Seiltänzer! Er wird es nicht überleben. Es ist ganz ausgeschlossen. Er muss an der Hexenrippe zugrunde gehen.«

Tränen stiegen ihm in die Augen. Er war nicht zornig, dass McFever ihn ausgepunktet hatte. Die leichte Beule an seinem Hinterkopf würde in einigen Tagen verschwunden sein.

Aber auch Lee würde verschwunden bleiben. Genauso wie seine Vorgänger, die geglaubt hatten, klüger, geschickter oder stärker zu sein als die anderen, und vor allem klüger, geschickter und stärker als die Dämonen.

Was sollte er tun? Er konnte doch nicht zulassen, dass sein Freund ebenfalls diesen sinnlosen Weg ging.

Harp Canner griff zum Telefon, doch dann fiel ihm ein, dass er nicht mal wusste, wo der Freund zur Zeit wohnte. Irgendwo im Schottischen Hochland, aber Näheres war ihm nicht bekannt.

Was sollte er nur tun? Er erwog, ihn durch die Polizei stoppen zu lassen, doch auch diesen Einfall verwarf er wieder. Es gab keine Handhabe gegen den Abenteurer. Es war nicht verboten, in den Hochebenen und Mooren nach alten Gebeinen zu suchen. Man würde ihn allenfalls auslachen.

So verging auch dieser Tag und ebenso der folgende. Er war uneins mit sich selbst, wollte einerseits Lee McFever helfen, andererseits aber auch keinen anderen gefährden.

Aus diesem Grunde verstrich nutzlos viel Zeit, in der McFever einen uneinholbaren Vorsprung erhielt.

Als Harp Canner den Hörer auflegte, entspannte sich sein sorgenvolles Gesicht etwas. Zwar war ihm noch immer nicht bekannt, auf welche Weise die Gefahr für McFever gebannt werden sollte, doch er fühlte sich mit dieser Frage nicht mehr allein. Seine Geduld wurde noch mal auf eine harte Probe gestellt. Schließlich aber läutete es an seiner Tür. Als er öffnete, sah er einen rothaarigen Hünen vor sich, der unverbindlich lächelte.

»Wir müssen unsere Verspätung entschuldigen, Mr. Canner«, sagte der Rothaarige. »Bei dem Verkehr war wieder mal kein Durchkommen. In Bayswater gerieten wir zu allem Überfluss auch noch in einen Unfall, der zum Glück glimpflich verlief. Aber jetzt sind wir ja da.«

»Und dafür bin ich Ihnen außerordentlich dankbar, Mr. Grey«, antwortete Canner erleichtert. Er begrüßte auch Wu O’Ying, der sich im Hintergrund hielt, obwohl er bei seinen Fähigkeiten keinen Grund hatte, sich zu verstecken. Die Männer gingen ins Arbeitszimmer. Canner bot seinen Gästen einen Drink an, den aber beide ablehnten.

»Nach dem, was Sie am Telefon angedeutet haben«, sagte Roger Grey, »brauchen wir alle einen klaren Kopf.«

Harp Canner seufzte. Ein klarer Kopf allein würde nicht ausreichen. Hier war schon fast ein Wunder nötig. Roger Grey, ein Mann mit klaren, grauen Augen und energischem Kinn, sollte dieses Wunder vollbringen. Er und sein chinesischer Partner besaßen den Ruf erfolgreicher Geistervernichter. Ihre Erfolge reichten weit über die Insel hinaus. Sie waren bereits in sämtlichen Kontinenten tätig gewesen, wobei ihr Leben mehr als einmal an dem berühmten seidenen Faden gehangen hatte.

Aber sie lebten noch, und das war wohl der schlüssigste Beweis für ihre Fähigkeiten.

Die beiden hörten schweigend zu, nachdem Grey die Bitte geäußert hatte, ihnen nun die ganze Geschichte mit allen Einzelheiten zu erzählen. Wu O’Ying sah aus, als schliefe er. Er hielt die Augen geschlossen. Aber der äußere Eindruck trog. Der Chinese war äußerst konzentriert. Ihm entging kein einziges Wort.

Harp Canner redete sich seine Sorgen von der Seele. Über sich selbst brauchte er nichts zu sagen. Die Freunde kannten den Kollegen gut genug, wenn er auch nicht der Mann war, der den offenen Kampf gegen die Geisterwelt suchte. Er beschränkte sich mehr auf theoretische Lehren und leistete auf diesem Gebiet Erstaunliches. Lee McFever dagegen war in der Szene der Magie ein Unbekannter. Umso verrückter war sein Plan, die Hexenrippe zu erbeuten.

»Er besitzt ohne Zweifel Courage«, schloss Canner seinen Bericht. »Aber gerade diese Kühnheit, diese Selbstüberschätzung seiner Fähigkeiten, wird ihm zum Verhängnis werden.«

Roger Grey war sehr ernst, als er sagte: »Ich maße mir nicht an, über Ihren Freund ein Urteil zu bilden, da ich ihn nicht persönlich kenne. Aber ich teile Ihre Befürchtung, dass er sich auf ein Unternehmen eingelassen hat, dem er nicht gewachsen ist. Das waren auch andere vor ihm nicht, die auf diesem Gebiet über ungleich mehr Erfahrung verfügten. Hätten wir selbst, mein Partner O’Ying und ich, eine reelle Chance gesehen, an diese Hexenrippe heranzukommen, wir hätten es versucht. Wir sprachen ja schon unlängst darüber, Mr. Canner.«

»Ich weiß, Mr. Grey«, antwortete Canner bedrückt »und genau das habe ich auch McFever gesagt, aber er ließ sich nicht überzeugen. Ich habe lange gezögert, bevor ich mich an Sie wandte, aber ich wusste mir einfach keinen anderen Rat. Ich kenne keinen Menschen, dem ich eher zutrauen würde, meinen Freund vor den Dämonen zu retten.«

Es war, als würde der Chinese aus einem tiefen Schlaf erwachen. Er öffnete die Augen und stellte fest: »McFever hat Sie bereits vor zwei Tagen niedergeschlagen, Mr. Canner, und es steht zu befürchten, dass er sich danach unverzüglich auf die Suche begeben hat. Sein Vorsprung lässt sich also kaum noch aufholen.«

»Ich weiß, Mr. O’Ying. Ich habe wahrscheinlich einen Fehler gemacht, als ich so lange zögerte, aber der Entschluss, mich an Sie zu wenden, fiel mir nicht leicht.«

»Vertrauen Sie uns nicht?«

»Wie können Sie das annehmen?« Harp Canner war ehrlich bestürzt. »Aber gerade weil wir erst vor kurzem dieses Thema diskutierten, glaubte ich, Ihre Antwort schon vorher zu kennen.«

»Und wie lautet Sie nach Ihrer Überzeugung?«, wollte Roger Grey wissen.

Canner biss sich auf die Unterlippe. »Wenn Sie Ihren Prinzipien nicht untreu werden wollen, müssen Sie ablehnen.«

»Prinzipien sind eine feine Sache«, meinte der rothaarige Hüne nachdenklich. »Jeder richtige Mann sollte sie besitzen und sich von ihnen leiten lassen. Doch wenn es um ein Menschenleben geht, ist es besser, den ganzen Prinzipienkram auf den Misthaufen zu werfen.«

»Heißt das, dass Sie ...?«

»... dass wir selbstverständlich versuchen werden, Ihrem Freund zuvorzukommen. Ihrem Freund und vor allem den Dämonen. Sie müssen uns ganz genau schildern, was Sie in den alten Schriften gelesen haben, damit wir den Ort möglichst ohne Umwege finden.«

Das tat Harp Canner. In sein erstaunliches Gedächtnis hatte sich fast jedes Wort des Tagebuches eingeprägt, und die beiden Geistervernichter fanden frühere Berichte und ihre eigenen Beobachtungen bestätigt.

Canner meldete erneute Bedenken an.

»Lee, ich meine Mr. McFever kann ziemlich impulsiv reagieren. Besonders, wenn er sich bevormundet fühlt. Ich habe das am eigenen Kinn zu spüren bekommen.« Er verzog schmerzlich das Gesicht. »Wenn er sich nun so nahe dem Ziel glaubt, und Sie versuchen, ihn zu stoppen, dann könnte es sein, dass er durchdreht.«

»Sie meinen, er würde uns mit der Waffe bedrohen?«

»Wahrscheinlich nicht nur bedrohen, Mr. Grey. Er wird schießen, wenn er keinen anderen Weg sieht. Ich weiß, dass Sie ebenfalls bewaffnet sind und Ihre Revolver nicht nur zur Verzierung dienen. Eine Schießerei zwischen Ihnen wäre schrecklich.«

»Wenn es nach uns geht, wird sie nicht stattfinden.«

»Wie wollen Sie sie verhindern?«

»Ganz einfach.« Roger Grey lächelte wie ein großer Junge. »Wir gehen Ihrem Freund aus dem Weg.«

»Aber dann können Sie ihn doch auch nicht aufhalten.«

»Das halte ich ohnehin für unmöglich. Mr. McFever würde in uns allenfalls lästige Konkurrenten sehen, die ihm seinen Erfolg streitig machen wollen. Wir könnten ihn keinesfalls überzeugen, dass es uns hauptsächlich um die Erhaltung seines Lebens geht.«

»Hauptsächlich? «

»So ist es, Mr. Canner. Überlegen wir doch mal logisch. Seit vierhundert Jahren haben immer wieder Glücksritter, Abenteurer, aber auch Dämonenjäger und ernstzunehmende Wissenschaftler versucht, dem Geheimnis der Hexenrippe auf die Spur zu kommen. Gelungen ist es keinem. Wenn wir Ihren Freund von seinem Vorhaben abbringen oder, was wir nicht hoffen wollen, wenn er dabei sein Leben verliert, wird das seine Nachahmer nicht abschrecken. Vielleicht vergeht ein Jahr, aber dann wird ein neuer Wagemutiger auftauchen und nach ihm wieder einer. Sie alle werden sich wie Lee McFever in tödliche Gefahr begeben und darin umkommen, wenn sie nicht rechtzeitig umkehren. Es geht also nicht nur um das Leben Ihres Freundes, es geht um das Leben vieler Menschen, die wir schon deshalb nicht alle aufhalten können, weil wir nicht lange genug leben.«

Harp Canner war verwirrt.

»Das ist wohl richtig, Mr. Grey, aber für spätere Generationen sind wir schließlich nicht verantwortlich.«

Roger Greys Augen wurden zu Schlitzen.

»Wirklich nicht? Gefallen wir uns nicht immer häufiger in Parolen, dass wir die Umwelt für unsere Kinder erhalten müssten? Um wie viel wichtiger ist es, unsere Nachkommen vor den Verhängnissen anderer Welten zu schützen. Sie fühlen sich für Ihren Freund verantwortlich, obwohl er selbst erwachsen ist. Das ist anzuerkennen, Mr. Canner. Nun gehen Sie noch einen Schritt weiter und denken Sie auch an diejenigen, die Sie nicht mehr kennenlernen werden, die aber dennoch ein Recht haben, dass wir ihnen ein ehrliches Erbe hinterlassen.«

Harp Canner schwieg beschämt. Er hatte geglaubt, diesen Mann zu kennen. Er hatte ihnen für einen unerbittlichen Kämpfer gehalten, der sich der Vernichtung der Dämonen und ihrer Abarten verschworen hatte. Doch Roger Grey war mehr. Er war ein Mensch, der ohne besondere Absicht ein Vorbild war, und das Gleiche traf ohne Zweifel auch für den Chinesen zu.

»Was mein Freund sagen will«, fiel Wu O’Ying ein, »ist, dass immer wieder Männer ihr Leben opfern werden, solange diese Hexenrippe sie lockt. Also werden wir sie in unseren Besitz bringen. Damit helfen wir Mr. McFever und allen anderen.«

»Ganz abgesehen davon, dass wir mit ihrer Hilfe eine gestärkte Position gegenüber den Dämonen einnehmen könnten, was wiederum von unschätzbarem Vorteil wäre«, ergänzte der Rothaarige.

Harp Canner wurde immer verwirrter. Er verstand die Welt nicht mehr. »Habe ich Sie denn falsch verstanden, Mr. Grey? Sagten Sie nicht, dass Sie keine reelle Chance sehen, an die Hexenrippe heranzukommen?«

»Das sagte ich.«

»Aber dann werden Sie beide ebenfalls in diesem Kampf unterliegen. Das möchte ich auf keinen Fall.«

»Wir auch nicht, Mr. Canner.« Wu O’Ying lächelte auf eine Weise, die Eingeweihten verriet, dass er zu unnachsichtigem Kampf entschlossen war. »Wenn man keine Chance sieht, liegt das manchmal nur daran, dass man noch nicht danach gesucht hat. Von heute an werden wir suchen.«

Harp Canner sprang erregt vom Stuhl auf.

»Kann ich Sie wenigstens in irgendeiner Weise unterstützen?«

»Ihr Angebot ist sehr freundlich«, meinte Roger Grey. »Da Ihr Freund Sie jedoch regelrecht ausgeplündert hat, dürfte sich kaum noch ein Gegenstand in Ihrem Besitz befinden, der uns nützlich sein könnte. Vielleicht kommen wir demnächst auf Ihr Wissen zurück. Hinterlassen Sie auf alle Fälle immer, wo wir Sie erreichen können.«

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