Читать книгу Beiß ins Gras, Marshal! Wichita Western Sammelband 7 Romane - W. W. Shols - Страница 48
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ОглавлениеEs war lange nach Mitternacht. Aus dem Tanzsaal drang noch Musik, in den Billardräumen hörte man die Kugeln zusammenstoßen, und um die Spieltische drängten sich Trauben von Männern und Frauen.
Suzanne hatte alle Hände voll zu tun. Die wenigsten ihrer Gäste dachten schon daran nach Hause zu gehen. Henry schwankte hinter der Theke hin und her. Eine Zigarre steckte zwischen seinen wulstigen Lippen. Er stank nach altem Schweiß und Alkohol. Suzanne hatte die Whiskeys nicht gezählt, die er im Lauf der Stunden hinuntergekippt hatte.
"Beweg dich ein bisschen", fauchte er sie an. "Die Männer dort hinten am Pokertisch haben leere Gläser vor sich stehen." Suzanne nahm eine volle Whiskyflasche und ging zu dem Spieltisch.
Seit anderthalb Jahren war sie mit Loominal verheiratet. So nannte sie ihn - Loominal. Nicht mehr Henry, wie früher. Sie hatte die Entscheidung oft bereut und den Tag verflucht, an dem sie Boston verlassen hatte.
Natürlich hatten sie gute Monate erlebt, bevor er damals in die Rockies aufgebrochen war, um Gold zu schürfen. Natürlich war er groß und stark, und konnte einer Frau das Gefühl geben absolut sicher zu sein. Und natürlich hatte er damals am Bear River eine Menge Gold gefunden.
Aber menschlich war er eine Niete. Und im Bett sowieso.
Sie lächelte, während sie den Männern die Gläser füllte. Wohlwollende Blicke trafen sie. Freundliche Worte wurden ihr zugerufen: "Danke Sue, nett von dir Sue, siehst wieder prächtig aus, Sue. Hast du den alten Bullen unter Kontrolle? Wieder ne Menge los, heute Abend, was?", und so weiter.
Die Leute schätzten sie, die meisten würden schon gar nicht mehr kommen, wenn Loominal allein hinter der Theke stehen würde. Niemand mochte den mürrischen, jähzornigen und ständig betrunkenen Wirt. Aber Suzanne - die mochten die Leute von Abilene.
Das war einer der Gründe, die sie noch immer durchhalten ließen. Der andere: Die Hoffnung. Wie so viele Menschen hoffte sie, dass sich eines Tages alles ändern würde. Dass ihre Träume wahr werden würden, dass sie noch einmal von vorne anfangen konnte.
Sie ging zurück an die Theke. Ein Mann rutschte eben auf einen Barhocker. Suzanne kannte ihn, er hatte einen Friseurladen am anderen Ende der Main Street.
"Einen doppelten, Henry, aber ganz schnell!", hörte Suzanne ihn sagen. Seine Stimme klang brüchig. Sie sah, dass seine Hand zitterte.
"Was ist los mit dir, Frank?", erkundigte sie sich. "Hat dich ein Rind auf die Hörner genommen?" Loominal knallte ihm einen Whisky auf den Tresen.
"Der Marshal ist tot", sagte der Mann mit gehetzter Stimme. "Woolster hat ihn erschossen. Ihn und einen seiner Assistenten."
Suzanne presste die Hände gegen die Lippen und wurde blass. Loominal, ihr Mann, stierte den Friseur aus kleinen, geröteten Augen an. "Wie kam das?", fragte Suzanne leise.
Der Friseur kippte seinen Whisky hinunter und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. "Der Marshal wollte Roe und Belton verhaften. Angeblich haben sie den >Joy Stars< auseinander genommen..."
Suzanne und ihr Mann sahen sich an. Schrecken stand in Suzanne Augen, Zorn in Henry Loominals. Sie wussten, dass Henning scharf auf den >Joy Stars< war. Und sie wussten, dass die beiden Revolvermänner für ihn arbeiteten.
"...dabei sollen sie zwei Cowboys erschossen haben..." Lominal stellte dem Mann den nächsten Whisky hin. "...mir egal, von mir aus sollte jeder 'nen Orden kriegen, der einen von diesen wilden Texanern zur Hölle schickt. Jedenfalls taucht plötzlich Charley Woolster auf und schießt auf die Marshals." Auch den zweiten Whisky kippte er in einem Zug herunter. "Vielleicht hat auch Belton geschossen, genau hab ichs nicht gesehen, es ging alles verdammt schnell..."
"Und dann?", fragte Suzanne. Männer sammelten sich um Frank Lester, den Friseur. Mit neugierigen Gesichtern hörten sie zu.
"Tja - und dann...". Frank nahm eine Zigarre entgegen, die ihm jemand anbot. "Dann tauchte plötzlich dieser Teufelskerl auf, was weiß ich, wo der auf einmal herkam, so ein junger Bursche mit blonden Locken - ich hab ihn gestern rasiert und ihm die Haare gestutzt... der hat Woolster erschossen, und Belton und Roe vertrieben, und zwei ihrer Männer getötet..."
Die Gäste drängten sich nun um den Friseur von Abilene. Wieder und wieder musste Frank Lester erzählen, wie Charley Woolster den Marshal und seinen Assistenten getötet hat, wie der zweite Assistent sich vor Angst in die Hose gemacht hat, und wie dann dieser Teufelskerl, den keiner kannte, dem Spuk ein Ende gemacht hat.
Suzanne zog ihren Mann ein Stück zur Seite. "Hast du kapiert, Loominal - Henning hat sich Chappels Bordell unter den Nagel gerissen", flüsterte sie.
"Doch mir egal, wer die Weiber in Abilene auf den Strich schickt..."
"Idiot!", zischte sie. "Weißt du nicht, dass Henning erst Ruhe geben wird, wenn ihm auch das letzte Hotel, der letzte Saloon in Abilene gehört?"
Er packte ihre Handgelenke und drückte zu. "Nenn mich nie wieder Idiot...!"
Sie schnaubte verächtlich und machte sich los. "Hast du vergessen, dass er neulich hier war und dich so ganz nebenbei gefragt hast, was du für die >Kansas Pacific Railway Hall< bezahlt hast?"
"Ach!" Er stieß sie grob zurück. "Leck mich doch..."
Wie meistens kam Suzanne auch in dieser Nacht erst gegen drei Uhr Morgen ins Bett. Sie schlief allein. Das hatte sie durchgesetzt, als sie kaum ein Jahr verheiratet war. In der Schlafkammer neben ihrer hörte sie ihren Mann schnarchen. Und ihrem Kopf hörte sie die Stimme des gierigen Henning - was hat dich der Laden gekostet, Henry?
Sie ahnte, dass Henning sich als nächstes die >Kansas Pacific Railway Hall< unter den Nagel reißen wollte. Sie ahnte es, wie man einen nahenden Hurrican ahnt. Erst kurz vor Sonnenaufgang fiel sie in einen unruhigen Schlaf.