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Die Pariser Friedenskonferenz
ОглавлениеDie Friedenskonferenz begann am Nachmittag des 18. Jänner 1919 im französischen Außenministerium am Quai d’Orsay eigentlich bloß als eine Konferenz der siegreichen Alliierten. Die Franzosen hatten dieses Datum bewusst gewählt, handelte es sich doch um den Jahrestag der für sie so demütigenden Gründung des Deutschen Reiches im Spiegelsaal von Schloss Versailles im Jahr 1871. Damals hatte Frankreich den Krieg gegen Deutschland verloren, nun waren die Vorzeichen umgekehrt.
In der Eröffnungsansprache bezeichnete Staatspräsident Raymond Poincaré den Ersten Weltkrieg als einen »Kreuzzug der Menschheit für das Recht.« Die Alliierten, so das französische Staatsoberhaupt, hatten sich 1914 dem Drang der von Deutschland angeführten Mittelmächte nach Hegemonie in Europa und schließlich sogar nach der Weltherrschaft entgegenzustellen. Den Sieg der Alliierten nannte Poincaré nun einen »Sieg des Rechts«, die Friedenskonferenz einen »großen Gerichtshof«. Nach der Einstellung der Feindseligkeiten sei nach Gerechtigkeit zu suchen. »Was aber die Gerechtigkeit zuerst fordert, nachdem sie verletzt worden ist, sind Wiederherstellungen und Wiedergutmachungen für jene Völker und Menschen, die beraubt oder misshandelt worden sind.«
Wilson schlug Poincarés alten politischen Gegner, den linksbürgerlichen französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau, als Vorsitzenden der Friedenskonferenz vor; nicht bloß aus Gründen der Tradition und Höflichkeit oder weil Frankreich »durch die Leiden und Opfer, die es während des Krieges gebracht hat, einen besonderen Tribut« verdiene, sondern vor allem als Huldigung des Mannes, der ein »großer Diener« seines Landes sei. Gleich nach seiner Ernennung kündigte Clemenceau an, dass die Friedenskonferenz dem Programm Wilsons folgen würde, wonach sie einen »Frieden der Völker« schaffen wolle. Doch dieses Statement war bloß Höflichkeit. Der erfahrene Politiker hatte wenig übrig für Idealisten, »die die internationalen Kriege unterdrücken wollen, um uns in Frieden den Annehmlichkeiten des Bürgerkrieges auszuliefern«.
Die »Großen Drei« mit Zylinder: David Lloyd George, Georges Clemenceau und Thomas Woodrow Wilson
Entgegen den von Wilson genährten Erwartungen blieb es schließlich im weiteren Verlauf bei der Geheimdiplomatie. Die Öffentlichkeit wurde doch nicht zu den Sitzungen zugelassen, denn die Alliierten waren sich – allem voran in der Frage der Behandlung Deutschlands – keineswegs einig. Die zahlreichen Kommissionen und Arbeitsgruppen trafen insgesamt 1646 Mal zusammen und verhedderten sich dabei zunehmend in Detailfragen, anstatt das große Ganze zu sehen. Auch wenn noch so viele Expertenkommissionen tagten und es formal – mit Italienern und Japanern – den aus den Regierungschefs und Außenministern der Großmächte gebildeten Rat der Zehn gab, lag die wahre Macht doch in den Händen der »Großen Drei«, den Vertretern der USA, Großbritanniens und Frankreichs: Woodrow Wilson, David Lloyd George und Georges Clemenceau. Wenn auch der Oberste Rat offiziell das höchste Gremium darstellte, war es doch eine schlichte Tatsache, dass der Vierte im Bunde, der Ministerpräsident aus Rom, Vittorio Orlando, bei den informellen Gesprächen, die für gewöhnlich in der amerikanischen Privatresidenz stattfanden, von den drei anderen führenden Staatsmännern nie als politisch ebenbürtig behandelt wurde. Als er dann am Ende über die Frage eines italienischen Fiumes (Rijeka) gar zu weinen begann, war er für seine Gesprächspartner endgültig nur noch mühsam. Doch selbst die oft autoritär agierenden »Großen Drei« ließen bisweilen den gegenseitigen Respekt vermissen: als etwa Lloyd George bei einem der manchmal chaotisch verlaufenden Treffen im Zuge einer hitzigen Diskussion aufsprang und seinen französischen Gesprächspartner beim Genick packte, bis Wilson endlich die beiden Streithähne trennen konnte. Aber auch der als kontrolliert geltende US-Präsident verlor während der Pariser Friedenskonferenz immer wieder die Contenance.
Abgesehen von dieser Entgleisung galt der aus Wales stammende Premier mit dem Beinamen »der Zauberer« als Meisterverhandler, gewiefter Taktiker mit bemerkenswerten Fähigkeiten und Redner mit immenser Überzeugungskraft. Seine taktische Beweglichkeit war für manchen allerdings eine Charakterschwäche. Colonel Edward House, der aus Texas stammende engste Berater Wilsons, sah in Lloyd George einen oberflächlichen »Unheilstifter«, jemanden, »der seine Meinung ändert wie ein Wetterhahn«. In der Kampagne zu den britischen Parlamentswahlen übte sich der liberale Premier tatsächlich noch in radikalem Populismus und forderte, den Deutschen den »Knockout-Schlag« zu versetzen und ihren ehemaligen Kaiser Wilhelm zu hängen. Auf der Konferenz in Paris besann sich Lloyd George aber wieder seiner Rolle als Staatsmann und beabsichtigte vielmehr, ganz in alter Bismarck-Manier als »ehrlicher Makler« zu fungieren. Keineswegs im Zweifel über die Kriegsschuld des Hohenzollernreichs, wollte er Deutschland zwar bestrafen, es gleichzeitig für eine gesunde europäische Zukunft aber keinesfalls ruinieren. Daher hatte sich seiner Ansicht nach Frankreich mit seinen Wünschen zurückzuhalten. Die Deutschen sollten einen Frieden bekommen, den sie akzeptieren konnten, ohne nur mehr an Rache zu denken. Ein ruhiges Europa würde London die Möglichkeit bieten, sich auf sein Empire zu konzentrieren. Aber Großbritannien hatte im Vergleich zu Frankreich von einem regenerierten Deutschland viel weniger zu befürchten und durchaus mehr zu gewinnen. Diese Position teilte es mit den Vereinigten Staaten, die planten, sich nach erfolgreicher Ausübung ihrer Schiedsrichterrolle auf der Konferenz nicht mehr in Europa einzumischen.
Die ausgedehnte Diskussion der oft uneinigen Siegermächte über den Vertrag mit Deutschland erzeugte jedoch in weiterer Folge nicht nur eine höchst gereizte Stimmung, sondern auch erheblichen Zeitdruck. Zu allem Übel wurden viele Staaten in Europa von Krisen geschüttelt, so auch Frankreich, wo Clemenceau gerade den Attentatsversuch eines Anarchisten überlebt hatte. Der mittlerweile in die Jahre gekommene »Tiger« erholte sich rasch, begnadigte den zum Tode verurteilten jungen Mann und machte sich sogar über dessen miserable Schießkünste lustig.
Die »Großen Drei«, längst müde und genervt, waren sodann nicht mehr willens, sich auf lange Debatten mit am Ende doch nur uneinsichtigen Deutschen einzulassen. Die Sieger entschieden sich für die unübliche Vorgehensweise, einfach Bedingungen zu stellen, auf die die Vertreter der besiegten Staaten lediglich schriftlich zu antworten hatten. Letzteren sollte nicht bloß jegliche direkte Verbindung zu den Delegationen der Alliierten, sondern auch die Zusammenarbeit untereinander verwehrt bleiben. Dass es zu Verhandlungen zwischen den gegnerischen Parteien an einem gemeinsamen Tisch gar nicht kam, bedeutete einen erheblichen Bruch der diplomatischen Tradition eines klassischen Friedenskongresses und musste ein Diktat der Sieger befürchten lassen.