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Woodrow Wilson – der neue Messias

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Die Erwartungen an das Pariser Großereignis waren hoch. Woodrow Wilson hatte diese seit Monaten geschürt. Nach den Vorstellungen des pazifistisch orientierten US-Präsidenten sollte der Friedensschluss eine neue Weltordnung, ein besseres Zeitalter für die Völker der Erde einläuten. »Wir sind, kurz gesagt, zu dem Zwecke hier, darauf zu halten, dass auch mit den Grundlagen dieses Krieges aufgeräumt wird«, ließ das demokratische Oberhaupt des nunmehr mächtigsten Staates in den ersten Tagen der Konferenz die Öffentlichkeit wissen. Optimistisch, ja schon beinahe naiv anmutend ging Wilson bei seinem Konzept einer neuen Weltordnung vom Guten im Menschen aus. Völker, die selbstbestimmt lebten, würden den Frieden wünschen und nicht den Krieg suchen. Die europäischen Staatsmänner – gleichsam als gebrannte Kinder der Geschichte – dachten in vollkommen anderen, durchwegs zynischen Kategorien. Für sie lag die Neigung zur Gewalt in den Nationen selbst. Deshalb brauchte es Allianzen und militärische Abschreckung, um das Schlimmste zu verhindern und eine Ordnung nach alten Maßstäben aufrechtzuerhalten.

Wilson war der erste amtierende US-Präsident, der den alten Kontinent besuchte, und er war der erste, der dessen Geschicke maßgeblich beeinflusste. Der aus Virginia stammende Intellektuelle, der am Anfang des 20. Jahrhunderts Princeton zu einer bedeutenden Universität gemacht hatte und nun meinte, für die gesamte Menschheit zu sprechen, sah selbst den Moment gekommen, in dem die USA als mittlerweile mächtigste Nation eine neue Weltordnung errichten konnten. Und es sollte – nach amerikanischem Vorbild – eine Weltordnung des Friedens und der Sicherheit unter dem Vorzeichen eines kapitalistischen Wirtschaftssystems sein. Wilson hielt es für »die heilige Pflicht«, dauerhafte Abmachungen im Sinne von Gerechtigkeit und Frieden zu treffen. Daher erklärte er die Errichtung eines Völkerbundes zur vordringlichsten Aufgabe, ja zu einer »Lebensfrage«.

Der Präsident, der 1917 hart mit sich gerungen hatte, sein Land an der Seite der Entente in den Krieg zu führen, war jedoch auch von der Notwendigkeit überzeugt, die Deutschen für ihre Schuld am Ausbruch des Weltbrandes zu bestrafen. Eine solche Auffassung war durchaus ein Teil seines Sendungsbewusstseins, die Welt nach dem Vorbild der nach seinem festen Glauben friedliebenden, fortschrittlichen und uneigennützigen Vereinigten Staaten von Amerika zu bekehren. Für ihn hatte das alte System Europas, das schließlich auch die Katastrophe des Weltkrieges verschuldet hatte, total abgewirtschaftet. Aber, so entsprach es der bisweilen unduldsamen Engstirnigkeit Wilsons, die Alte, von den USA gerettete, Welt musste auch tun, was man ihr sagte. Ein gegen den Kommunismus immunes Europa sollte möglichst rasch ökonomisch wieder auf die Beine kommen, damit allen voran die Alliierten den USA ihre immensen Schulden zurückzahlen konnten. Dafür brauchte es nicht zuletzt eine intakte deutsche Wirtschaft.

Doch nach den Erfolgen der republikanischen Opposition bei den letzten Kongresswahlen war die Position des gottesfürchtigen Moralisten, dem allgemein Züge eines protestantischen Predigers und selbstgerechten, ja tyrannischen Egoisten nachgesagt wurden, in Washington bereits nachhaltig erschüttert. Darüber hinaus war dem im persönlichen Umgang harten und bisweilen rücksichtslos dogmatischen Wilson klar geworden, dass er für die Zusammenarbeit mit seinen europäischen Verbündeten ohnehin Abstriche in Bezug auf seine idealistischen Pläne machen musste. Zu mehr Realismus gezwungen, blieben daraufhin seine Statements im Vorfeld der Friedenskonferenz bereits überaus vage.

Die Besiegten des Krieges vermochten Wilsons Gedankenwelt nicht gründlich genug zu deuten und machten sich daher über den bevorstehenden Friedensschluss falsche Hoffnungen – gerade, was das Selbstbestimmungsrecht der Völker betraf. In Wien beispielsweise hatte am 12. November 1918 die Provisorische Nationalversammlung nach einstimmigem Beschluss die Republik Deutschösterreich vor einer großen Menschenmasse auf der Ringstraße ausgerufen – als demokratischen Bestandteil der Deutschen Republik. Außenstaatssekretär Otto Bauer beeilte sich, Wilson gegenüber bereits am Tag danach in einer telegrafischen Note die Hoffnung auszusprechen, »dass Sie, den von Ihnen so oft ausgesprochenen Grundsätzen entsprechend, diese Bestrebungen des deutschen Volkes in Österreich unterstützen werden«.

Tatsächlich wurde von den Völkern Europas vielerorts Wilsons Reise zur Friedenskonferenz dem Kommen eines Messias gleichgesetzt. »Die Massen jubelten ihm zu wie Jesu beim Einzug in Jerusalem«, hieß es im Pester Lloyd. »In atemloser Spannung hängt die Menschheit in diesen Tagen an Ihren Lippen. Aus Ihrem Munde erwartet sie die Verkündigung der Heilsbotschaft«, schrieb ihm wiederum in einem Memorandum die Tiroler Landesregierung, die um ihren Landesteil südlich des Brenners bangte und seinen mächtigen Schutz erbat.

Die Menschen ersehnten eine neue Weltordnung, einen gerechten Frieden, einen »Wilson-Frieden«. Aber all die Begeisterung, die ihm von der Bevölkerung der Verbündeten bei seinen Besuchen Großbritanniens, Frankreichs und Italiens entgegenbrandete, das Blumenmeer, die Beflaggung der Häuser und Straßen, der überbordende Vertrauensvorschuss selbst der Politik, gaben dem US-Präsidenten zu denken. Wilson war bei all seinem missionarischen Habitus keineswegs blind. Schon bald begann er die Komplexität der Probleme im Nachkriegseuropa zu erkennen, ihm dämmerte die Sorge, den hohen Erwartungen nicht gerecht werden zu können. Zudem wurden Wilson zunehmend die unterschiedlichen Interessen der Sieger bewusst: Ging es ihm selbst vorrangig um den Völkerbund, war Clemenceau in erster Linie um den Schutz Frankreichs vor Deutschland und Lloyd George um die britische Vorherrschaft zur See besorgt.

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