Читать книгу Charleston, Jazz & Billionen - Walter Rauscher - Страница 14
Trianon
ОглавлениеUngarn hatte sich bei Kriegsende von Österreich losgesagt und befand sich seither auf einem radikal republikanischen Weg. Nichtsdestotrotz wurde es von der Entente ebenso als Nachfolger der zerfallenen Doppelmonarchie angesehen und für den Weltkrieg mitverantwortlich gemacht. Dementsprechend wurde mit Ungarn auf der Friedenskonferenz verfahren. Als sich abzeichnete, dass die Sieger in Paris planten, das alte Reich des heiligen Stephan zugunsten seiner Nachbarn erheblich zu verkleinern, trat die Regierung zurück. Die Macht wurde »dem Proletariat der Völker Ungarns« übergeben.
Es folgten die 133 Tage Terrorherrschaft der bolschewistischen Räte unter dem in russischer Kriegsgefangenschaft zum kommunistischen Agitator geschulten Béla Kun. Das Land litt unter den militärischen Operationen der ungarischen Roten Armee gegen die von Frankreich unterstützten Besatzungstruppen der Nachbarstaaten und unter der blutigen Reaktion der gegenrevolutionären Nationalisten; deren Armee wurde vom letzten Oberbefehlshaber der k. u. k. Kriegsmarine, dem ehemaligen Flügeladjutanten Franz Josephs, Miklós Horthy, angeführt. Geschlagen floh Béla Kun mit seinen Genossen nach Österreich. Aus der Volksrepublik und der nachfolgenden Räterepublik wurde wieder das Königreich Ungarn – jedoch vorerst ohne König. Karl von Habsburg weilte im Exil in der Schweiz.
Es dauerte bis zum 4. Juni 1920, bis in Trianon der Vertrag mit den Siegermächten des Ersten Weltkrieges unterzeichnet wurde. Dieser Friedensschluss galt für die Magyaren als nationale Katastrophe. Er beschränkte Ungarn auf sein altes, ethnisch einheitliches Kernland. Das Königreich musste mehr als zwei Drittel seiner Fläche abtreten und verlor knapp zwei Drittel seiner Einwohner. Ein ganzes Land demonstrierte seinen nationalen Schmerz. Trauerglocken läuteten von allen Kirchtürmen. In der Nationalversammlung beklagte ihr Präsident István Rakovszky die Zerstückelung eines »tausendjährigen Reiches«, sprach wie deutsche und österreichische Politiker zuvor von »Unmöglichkeiten, die nicht erfüllt werden können«, und prophezeite durch ein solches Dokument »ewigen Unfrieden« unter den Völkern.
Mit den beiden restlichen besiegten Mittelmächten, mit Bulgarien und der Türkei, wurde in den Pariser Vororten Neuilly-sur-Seine und Sèvres Frieden geschlossen. Letzterer, am 10. August 1920 unterzeichnet, galt für die aufgebrachten türkischen Nationalisten als Freibrief zur Zertrümmerung ihres Landes. Sèvres führte aber auch zum Ende der Jahrhunderte währenden osmanischen Herrschaft und zur Umwandlung des Staates von der Monarchie in eine Republik unter dem Nationalhelden Mustafa Kemal Atatürk. Militärischer Widerstand und die internationale Entwicklung zu Beginn der Zwanzigerjahre ermöglichten es der Türkei, den bis dahin nicht ratifizierten Vertrag durch die Ergebnisse der Konferenz von Lausanne vom 24. Juli 1923 in Teilen zu verbessern.