Читать книгу Charleston, Jazz & Billionen - Walter Rauscher - Страница 12
Versailles
ОглавлениеDie Besiegten hatten auf Wilsons Friedensprogramm, auf die berühmten 14 Punkte des US-Präsidenten vom 8. Jänner 1918, als Grundlage der Konferenz in Paris gesetzt. Die deutsche Delegation unter der Leitung von Außenminister Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau legte ihre Strategie darauf aus, in Verhandlungen zu einer möglichst günstigen Auslegung dieser teilweise vage formulierten amerikanischen Nachkriegskonzeption zu gelangen. Doch am Nachmittag des 7. Mai 1919 kam im Hotel Trianon-Palace dann alles ganz anders. Als Sieger und Besiegte endlich aufeinandertrafen, ließ sich Clemenceau, Revanchist seit Jahrzehnten, gleich zu Beginn zu der unheilschwangeren Ankündigung »Die Stunde der Abrechnung ist gekommen« hinreißen.
Der glühende Patriot Brockdorff-Rantzau fühlte sich daraufhin herausgefordert und wählte von den vorbereiteten Redetexten den schärfsten. Max Warburg, Hamburger Bankier und wichtiges Mitglied der deutschen Abordnung, gibt die Szenerie anschaulich wieder: »Die Erinnerung an diesen Tag bedrückt mich noch heute. Während Clemenceau seine Rede im Stehen hielt, blieb Graf Brockdorff-Rantzau während seiner Antwort sitzen. Das hat sich als böser faux pas erwiesen. […] Brockdorff-Rantzau war durch das endlose Warten und die über alle Maßen demütigende Behandlung, aber auch durch die Unmöglichkeit einer Aussprache mit den Gegnern, so tief empört, dass er sich, in geradezu kindischer Weise, vorgenommen hatte, Gleiches mit Gleichem zu vergelten.« Den Deutschen wurde schließlich der Vertragsentwurf ausgehändigt, mündliche Verhandlungen, auf die sie ursprünglich gehofft hatten, waren nicht vorgesehen, der besiegten Seite blieb lediglich die Möglichkeit einer schriftlichen Reaktion.
Die Versailler Konferenz
Tiefste Empörung erfasste eine ganze Nation. »Wenn dieser Entwurf oder ein ihm ähnlicher durchgeführt werden sollte, so ist es Zeit, an der Zukunft der Menschheit zu verzweifeln«, hieß es in der Frankfurter Zeitung. »Diesen Frieden kann kein Deutscher unterzeichnen«, schrieb Gustav Stresemann, der zu der herausragenden politischen Persönlichkeit der Weimarer Republik in den Zwanzigerjahren werden sollte, für die Wiener Neue Freie Presse. In der deutschen Nationalversammlung erklärte ihr aus dem Badischen stammender Präsident Constantin Fehrenbach von der katholischen Zentrumspartei, dass der Friedensvertrag »eine Versklavung des deutschen Volkes für ewige Zeiten« bedeute. Ministerpräsident Philipp Scheidemann, der gegen Ende des Krieges von einem Balkon des Reichstagsgebäudes die Republik ausgerufen hatte, äußerte sich nicht weniger dramatisch: »Wir stehen am Grabe des deutschen Volkes, wenn all das, was sich hier Friedensbedingungen nennt, zur vertraglichen Tatsache wird.« Für den Kasseler Sozialdemokraten glichen die Bestimmungen der Sieger »einem befristeten Todesurteil«. Er stellte klar: »Dieser Vertrag ist nach Auffassung der Reichsregierung unannehmbar!« Daraufhin brauste im Parlament minutenlanger Beifall auf, die Versammlung erhob sich. Das Kabinett Scheidemann trat einige Wochen später zurück.
Selbst Lloyd George erschienen die Bedingungen für Deutschland zu hart und letztlich nicht realisierbar. Mit seinem Wunsch nach maßvollen Veränderungen stieß er jedoch auf den unerbittlichen Widerstand Clemenceaus, der eine Aufweichung der Bestimmungen in seinem eigenen Land nicht zu vertreten vermochte. Wilson wollte ebenfalls von Erleichterungen für Deutschland nichts wissen. Er war durch Brockdorffs arrogantes Auftreten zutiefst beleidigt und scheute zudem davor zurück, die angespannten Beziehungen der drei Sieger zueinander weiter zu strapazieren. Die deutsche Delegation konnte zwar schlussendlich noch kleinere Verbesserungen durchsetzen, den Schmerz einer ganzen Nation vermochten diese allerdings nicht zu lindern.
Nach den endgültigen Bestimmungen des Vertrages kehrte Elsass-Lothringen nach fast einem halben Jahrhundert zu Frankreich zurück. Deutschland musste außerdem Posen und den größten Teil Westpreußens an Polen abtreten, Danzig kam als Freie Stadt unter kommissarische Aufsicht des Völkerbundes. Die Tschechoslowakei erhielt das Hultschiner Ländchen. Die Entente sollte das Memelgebiet verwalten. Darüber hinaus wurden Volksabstimmungen für das von Belgien besetzte Eupen-Malmédy, für Nordschleswig und Teile Ostpreußens und Oberschlesiens festgesetzt. Im Westen erhielt das Saarland für 15 Jahre ein Völkerbundregime, seine Kohlengruben fielen an Frankreich. Das Rheinland wurde entmilitarisiert und befristet besetzt. Deutschland verlor seine Kolonien und letztlich 13 Prozent seines Staatsgebiets. Es büßte ein Zehntel seiner Bevölkerung ein. 3,5 Millionen Deutsche lebten fortan außerhalb des Reiches. Zudem wurde der »Anschluss« Österreichs untersagt.
Es war den Siegerstaaten besonders daran gelegen, Deutschland als Militärmacht auszuschalten. Demgemäß enthielt der Vertrag Bestimmungen, die den Militarismus mitten ins Herz trafen: Die Wehrpflicht wurde abgeschafft, der Große Generalstab aufgelöst, die Reichswehr auf eine Größe von 100 000 und die Marine auf 15 000 Berufssoldaten beschränkt. Die Haltung einer Luftwaffe, von U-Booten, Panzern oder Gaswaffen war Deutschland nicht gestattet. Die einst so prestigeträchtige Hochseeflotte musste bis auf kleine Teile ausgeliefert, militärische Befestigungsanlagen bis 50 Kilometer östlich des Rheins geschleift werden.
Als besonderes Unrecht wurde in der Weimarer Republik das Urteil der Alliierten aufgenommen, Deutschland und seinen Verbündeten – Österreich, Ungarn, Bulgarien und die Türkei – die alleinige Schuld am Ausbruch des Weltkrieges zu geben. Das Deutsche Reich wurde daher dazu angehalten, Wiedergutmachung zu leisten. Die Franzosen hatten diese Verpflichtung ins Spiel gebracht, nachdem es klar geworden war, dass mit einer tatkräftigen Unterstützung durch die USA und Großbritannien in absehbarer Zukunft nicht gerechnet werden konnte. Frankreich zu stärken und Deutschland zu schwächen, war Clemenceaus Plan, den Frieden zu bewahren; eine Strategie, von der Lloyd George erst mühevoll überzeugt werden musste. Die Frage der Reparationen sollte zum Dauerthema der internationalen Politik in den Zwanzigerjahren werden. Dass nach den Vorstellungen der Sieger verschiedene Repräsentanten des alten Kaiserreiches, allen voran Kaiser Wilhelm II., als Kriegsverbrecher galten, die ausgeliefert und vor Gericht gestellt werden sollten, bedeutete vor allem für die aristokratisch-bürgerlichen Kreise in Deutschland eine weitere Entehrung.
Der Versailler Vertrag schränkte Deutschland zwar in seiner Souveränität ein, doch ökonomisch blieb es der mächtigste Staat in Europa, dessen Wirtschaft sich rasch erholte. Das Reparationsproblem war mehr ein politisches denn ein finanzielles. Und musste das Reich auch schmerzliche Gebietsabtrennungen an seiner Ostgrenze über sich ergehen lassen, besaß es mit dem wiedererrichteten Polen nun einen wesentlich schwächeren Nachbarn als früher mit dem zaristischen Russland. Zudem führte der Wechsel vom Kaiserreich zur Republik nicht zum großen gesellschaftlichen Bruch. Nach der Niederschlagung der revolutionären Brandherde gaben erst recht wieder die alten Eliten den Ton an.
Der Friedensschluss hinterließ zu guter Letzt weitgehend Unzufriedenheit – auf beiden Seiten. Im Deutschen Reich hatte man lange nur von einem Siegfrieden gesprochen. Noch im März 1918 hatte Deutschland im Frieden von Brest-Litowsk dem zur Fortsetzung des Krieges unfähigen Russland überaus harte Bedingungen diktiert. Von solch maßlosen Bestimmungen war der Pariser Friedensschluss weit entfernt. Aber das in Deutschland vorherrschende Selbstverständnis als militärisch eigentlich unbesiegte Macht erlaubte letztlich keinerlei Einbußen durch nachteilige Bestimmungen. Folgerichtig konnte für die Nationalisten der Friedensvertrag keinesfalls so bleiben, wie er schließlich unter dem Druck eines bevorstehenden alliierten Einmarsches und der anhaltenden britischen Seeblockade am 28. Juni 1919 im Spiegelsaal von Versailles von Vertretern der neuen Reichsregierung unter Protest unterzeichnet worden war. Sie forderten dessen Revision.
Selbst unter den Siegern herrschte keineswegs echte Freude oder Erleichterung. »Frankreich bleibt trotz seines Sieges gemartert und ruiniert«, hieß es beispielsweise im Matin. Wieder zurück in Washington, stellte sich Wilson dem amerikanischen Volk und seinen politischen Vertretern. »Dieser Vertrag ist nicht so, wie wir und die anderen Delegationen ihn gewünscht hätten«, erklärte der US-Präsident dem Senat den Friedensschluss von Versailles. »Aber diese unvermeidlichen Kompromisse verletzen keinen Grundsatz.« Wilson ignorierte in diesem Statement die mehrmalige Missachtung des von ihm selbst einst so hochgehaltenen Prinzips der nationalen Selbstbestimmung, von der gerade Österreich in besonderem Maße betroffen sein sollte.
Dem US-Präsidenten war es am wichtigsten gewesen, seine Idee des Völkerbundes zu verwirklichen. Diese Liga der Nationen sollte, so hoffte er, nicht nur den Frieden behaupten, sondern auch notwendige Korrekturen an den Ungerechtigkeiten der Pariser Vorortverträge vornehmen. Gegenüber den Franzosen, die aus Sorge vor einem wiedererstarkten und revanchistischen Deutschland ein Bündnis mit den angelsächsischen Mächten einforderten, appellierte er an das »Vertrauen auf den guten Glauben der Nationen, die dem Völkerbund angehören«. Mochten in Frankreich manche nun tatsächlich auf einen endgültigen und ewigen, in der Vereinigung aller Völker begründeten Frieden hoffen, zog etwa die linksgerichtete Humanité ein weit realistischeres Resümee: »Als Wilson nach Europa kam, glaubten alle Völker, dass er die hohen Ideen, die er verkündete, verwirklichen werde. Aber die Enttäuschung ist vollkommen.« In Washington zeigte sich der Kongress mit dem Ergebnis derart unzufrieden, dass die USA den Friedensvertrag nicht ratifizierten.