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Die österreichische Delegation in Saint-Germain

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Die Nachfolger der einstigen Mittelmächte sollten einzeln, jeder für sich, zur Rechenschaft gezogen werden. Deren Abordnungen wurden in verschiedenen Pariser Vororten einquartiert. Dies geschah schon aus Gründen der Sicherheit, Anschläge in jener noch immer aufgewühlten Zeit waren durchaus möglich.

Die österreichische Delegation bestellte der Oberste Rat nach Saint-Germain-en-Laye. Sie wurde von Staatskanzler Karl Renner angeführt. Der gebürtige Südmährer hatte sich zu Zeiten der Monarchie als gemäßigter sozialdemokratischer Abgeordneter zum Reichsrat und Experte für staatsrechtliche Fragen an der Seite des Gründers der österreichischen Arbeiterbewegung, Victor Adler, profiliert. Seit den Umsturztagen im Herbst 1918 stand der betont konstruktive Politiker an der Spitze der Regierung des neuen deutschösterreichischen Staats.

Der österreichischen Friedensdelegation gehörten über 40 Mitglieder an. Zum Vergleich: Die britische Abordnung zählte beinahe 400 Personen. Die Delegierten aus Wien reisten mit einem aus zehn Waggons bestehenden Sonderzug nach Paris und benötigten für die Reise fast zwei Tage. In Saint-Germain bezogen die Österreicher ihre Unterkünfte in einem ruhig gelegenen Nobelviertel. Staatskanzler Renner erhielt gemeinsam mit drei Sektionschefs eine Villa mit großem Arbeitszimmer, einer Bibliothek und einem schönen französischen Garten mit malerischem Ausblick auf die Seine zugeteilt. In die benachbarte Villa zog der letzte kaiserliche Ministerpräsident, der als Pazifist bekannte Heinrich Lammasch, mit Frau und Tochter ein. Die beiden Anwesen gehörten den Brüdern Reinach, von denen der ältere, Joseph, ein alter Freund Clemenceaus war. »Ich lebe in der Villa eines der reichsten Pariser Geldmenschen«, schrieb Renner seiner Frau Luise, »habe einen eigenen französischen Diener ›Anton‹ […], übe mich im Französischen, halte mit meinen Delegationsmitgliedern Besprechungen ab, studiere Akten und gehe im Park spazieren. Das ist alles!« Doch der Kanzler musste zugeben: »Wir sind vollständig eingesperrt.«


Karl Renner nach der Entgegennahme der Friedensbedingungen in Saint-Germain

Die österreichischen Delegierten, so das Journal des Débats, hätten sofort gezeigt, was sie von den Deutschen unterschied, den Franzosen für den guten Empfang gedankt und ihre gute Laune, ja ihre Freude gezeigt. »Der Wiener gleicht nicht dem Berliner.« Britische Blätter nannten die Mitglieder der Abordnung bald eine »happy, smiling family-party«. Dies mochte darauf zurückzuführen sein, dass man sich so manchen Abend mit Tanz oder Klaviervorträgen vertrieb. »Die Schreibfräulein sind zum Range von Damen der Gesellschaft vorgerückt, was zufällig durch die Qualität der Frauenzimmer etwas weniger auffällig ist«, schrieb der ursprünglich als Delegationsleiter vorgesehene ehemalige k. k. Justizminister Franz Klein privat in die Heimat. »Natürlich täglich ein- oder zweimal Kartenspiel, eine Art Bar ist dazu gekommen.« All dies mochte dazu geführt haben, dass die französische Presse die Österreicher denn auch als »lustige, gern essende und unernste Menschen« beschrieb.

Der äußere Schein trog. Die aus Politikern, Beamten, Experten, Journalisten und Hilfspersonal bestehende Abordnung war gezwungen, ein Leben in vollkommener Isolation zu führen. Für den frustrierten Franz Klein war dies ein »Leben von Gefangenen, die nur am Grün der Bäume und an der frischen Luft sich mehr erfreuen dürfen und besser genährt sind als Sträflinge«. Vom gleichermaßen korrekten wie distanzierten Militär überwacht, standen den Gästen aus Österreich bloß drei Straßen und ein Teil eines Parks für die freie Bewegung zur Verfügung. Außerhalb der durch Holzzäune und Stacheldraht umgebenen Sperrzone der »Ville autrichienne« auch nur einkaufen gehen zu können, bedurfte einer Genehmigung. Renner indes ließ man ein Auto und die Möglichkeit für Ausfahrten, die ihn in Begleitung anderer Delegationsangehöriger bis zu den Schlössern der Loire führten. Da sich der Aufenthalt in Saint-Germain jedoch über Monate hinzog, fand auch Renner schließlich »das Zuwarten unerträglich«, wie er seiner Frau in einem Brief eingestand. »Man bekommt allmählich die Stimmung absoluter Hilflosigkeit, dabei wird das Heimweh immer mächtiger. Es ist Zeit, dass die Geschichte hier ein Ende nimmt.« Seinem Parteifreund Otto Bauer schrieb er von einer allmählich um sich greifenden Verzweiflung innerhalb der Abordnung, »die meisten Mitglieder leiden schon an Stacheldrahtpsychose. Alles fängt an, reizbar zu werden.«

Noch vor der Abreise nach Saint-Germain war dem Staatskanzler allerdings bereits klar geworden, dass »der Gang, den die Friedensdelegation jetzt unternimmt, nicht so sehr einem Gang an den Beratungstisch als einem Bußgang gleichen« würde. Diese Worte hatte er jedenfalls vor der Nationalversammlung in Wien gewählt. Die österreichische Abordnung war eine Woche nach Überreichung der alliierten Friedensbedingungen an das Deutsche Reich in Paris eingetroffen. Diese galten in Deutschland ebenso wie in Österreich schlicht als »unerträglich« und »unerfüllbar«.

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