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Prolog: Ein Jahrzehnt findet sein Genie
ОглавлениеMit dem Jahr 1920 begann nicht nur ein neues Dezennium, es schien auch ein neues Zeitalter anzubrechen. Dieses, so herrschte die allgemeine Sehnsucht vor, sollte ganz anders als die Zeit davor werden, eine Epoche des Aufbruchs, des Abschieds von alten Konventionen, der Hoffnung nach so viel Elend. Nach dem Alpdruck eines verheerenden Krieges, der Heimsuchung durch die Spanische Grippe, jahrelanger Versorgungsnot in einer Zeit von Revolutionen und gewaltiger gesellschaftlicher Umbrüche wollten die Menschen das Leben endlich wieder genießen – wenn möglich in vollen Zügen, ohne Zurückhaltung und Zensur. Ein Musikstil gab einer ganzen, wenn auch kurzen Epoche seinen Namen: der Jazz. Man spielte und hörte ihn, man tanzte ihn als Charleston, man lebte ihn. Zunächst sprach man noch von einem »Jazzrummel«, doch nicht zuletzt F. Scott Fitzgerald (Der große Gatsby) schrieb sodann von einer »Jazzära«. Mit Bezug auf die Weimarer Republik und in erster Linie Berlin nennt man diese Zeit auch die »Goldenen Zwanzigerjahre«, im Englisch-Amerikanischen die »Roaring Twenties«. In Frankreich schließlich wird dieses ganz besondere Dezennium vor allem auf Paris bezogen »les Années folles« bezeichnet – die verrückten Jahre.
Stefan Zweig meinte in dieser Zeit eine Rebellion der Jugend gegen das Althergebrachte zu erkennen. Der desaströse Krieg, die innenpolitische Unruhe nach der Weltkatastrophe und die allgemeine wirtschaftliche Krise diskreditierten die in die Jahre gekommene Generation der Elite, die letztlich für all die Misere verantwortlich war, in den Augen der jungen Menschen völlig. Die Jugend verlor, in Die Welt von Gestern anschaulich geschildert, den Respekt, legte ihre Autoritätsgläubigkeit ab und wollte von traditionellen Werten nichts mehr wissen. Es schien, als beabsichtigte sie, regelrecht Rache zu üben und ihre Elternwelt sooft wie möglich vor den Kopf zu stoßen. Von der Zukunft erwartete sich die junge Generation »eine vollkommen neue Welt, eine ganz andere Ordnung«. Es war die Zeit der Extreme, in der Politik, in der Kunst, im Lebensstil. Grenzen wurden ausgelotet und überschritten, die Provokation sollte alte Verkrustungen aufreißen. »Auf allen Gebieten begann eine Epoche wildesten Experimentierens, die alles Gewesene, Gewordene, Geleistete mit einem einzigen hitzigen Sprung überholen wollte«, erinnerte sich der österreichische Schriftsteller, der in jenen Jahren große Erfolge feierte.
Es war eine rastlose Zeit. In den Städten drängten sich die Menschen auf den Straßen und Plätzen, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, auf dem Weg zum Arbeitsplatz oder am Wochenende überall dort, wo es Vergnügungen, Rummel gab. Massenveranstaltungen standen hoch im Kurs. Es regierte die noch durch die Medien befeuerte große Neugier, sodass sogar die Rolltreppen in Kaufhäusern als Novität ein interessiertes Publikum fanden. Maschinen faszinierten, innovative Technologie begeisterte. Der Glaube an den Fortschritt war im Zeitalter der Massenproduktion nicht zuletzt aufgrund der zunehmend stärker einsetzenden Werbung bei vielen ungebrochen.
Das Leben bot Verlockungen aller Art, und es wurde freizügiger. Es kam zu einer regelrechten Revolution der Moral und des sozialen Verhaltens, zu einer Erosion der Traditionen. Die Städter benahmen sich ungezwungener als in der alten Zeit. Die Kleider und Röcke der Frauen wurden nicht nur kürzer, in der Kunst und in der Unterhaltung war nun sogar viel nackte Haut zu sehen. Illustrierte brachten beinahe in jeder Ausgabe Nacktfotos von Tänzerinnen und Nachwuchskünstlerinnen, von turnenden oder badenden jungen Frauen. »Wir genieren uns nicht«, »Die Mode der Nacktheit« oder »Die gut ausgezogene Frau« betitelten selbst Kulturmagazine jene Abbildungen eines neuen, mutigeren und gar nicht mehr prüden Lebensstils. Dass es allein in Berlin 50 reine »Damen-Klubs« gab, gehörte zum modernen Selbstverständnis der urbanen Welt dazu. Dass entlassene Offiziere und vor der Revolution geflüchtete russische Aristokraten in Frack oder Smoking mit streng zurückfrisiertem, pomadisiertem Haar als Gigolos in Tanzpalästen ihr Auskommen suchten, zeigte wiederum, dass die gelockerten Sitten zuweilen mit wirtschaftlicher Not einhergingen.
Die laute, schrille, wilde Zeit war zudem ein Phänomen der Großstadt. Diese war schließlich auch das Zentrum des Massenkonsums. Auf dem Lande, in den Dörfern und kleineren Provinzstädten verlief das Leben unter den Vorgaben einer oft autoritären Kirche, dem Druck der einer alten strengen Tradition verbundenen Gesellschaft und als Folge eines entbehrungsreichen Alltags in der Landwirtschaft vollkommen anders. In der bescheidenen Nüchternheit einer lediglich auf den harten Broterwerb konzentrierten Existenz kannte man die Verrücktheiten der Jazzära höchstens vom Hörensagen. Hier ließ der Aufbruch in die Moderne noch lange auf sich warten. Selbst in der Stadt gab es naturgemäß große Unterschiede in der Lebensführung. Kleine Geschäftsleute, einfache Handwerker oder Arbeiterfamilien konnten sich die Ausschweifungen des Nachtlebens, den Erwerb eines Autos oder einen selbst noch so bescheidenen Urlaub außerhalb der eigenen vier Wände nicht leisten. Für sie standen das Auskommen mit dem wenigen, was man hatte, und die Sorge vor dem Abgleiten in die Armut im Vordergrund.
Darüber hinaus waren nicht alle Menschen den Neuerungen und dem Irrwitz des Jahrzehnts gegenüber aufgeschlossen. In seinem Roman Der Steppenwolf lässt Hermann Hesse seinen Protagonisten Harry Haller verächtlich über »die Menschen in den überfüllten Eisenbahnen und Hotels, in den überfüllten Cafés bei schwüler aufdringlicher Musik, in den Bars und Varietés der eleganten Luxusstädte« sinnieren. Dieser kann das Interesse für »diese Massenvergnügungen, diese amerikanischen«, nicht verstehen, nicht begreifen, was es zu suchen gab, »in den Weltausstellungen, auf den Korsos, in den Vorträgen für Bildungsdurstige, auf den großen Sportplätzen«.
Howard Carter untersucht den Sarg des Pharaos Tutanchamun.
Die Zwanzigerjahre waren unter vielem anderen eben auch eine Ära der Sensationen, Dramen und Rekorde aller Art. Die Geschehnisse rund um die Entdeckung des altägyptischen Grabmals von Tutanchamun durch Howard Carter, das Erreichen bislang unvorstellbarer Geschwindigkeiten durch Fritz von Opel in einem Raketenauto oder die Weltumrundung Hugo Eckeners mit seinem Zeppelin waren nur drei Ereignisse dieser Dekade der Extreme und Spektakel, die die Welt in Atem hielten. Millionenfach besuchte Messen, große Sportveranstaltungen, der Erfolg von Kino, Schallplatte und neuerdings des Radios bewiesen, dass die Menschen in bis dahin unbekanntem Ausmaße informiert und unterhalten werden wollten.
Eine neue Zeit brauchte auch neue Gesichter: unverwechselbare, herausragende Persönlichkeiten, Helden, Idole. Und sie brauchte ein Genie. So konnte es geschehen, dass ein naturwissenschaftlicher Theoretiker, der als junger Forscher noch als Verlierer, ja als Schande für die Familie galt, der sogar von seinen Kollegen, die seine Erkenntnisse zunächst selbst nicht verstehen konnten, für verrückt gehalten worden war, dass aus einem Technischen Experten dritter Klasse, einem »ehrwürdigen eidgenössischen Tintenscheißer mit ordentlichem Gehalt« am Patentamt in Bern beinahe im wahrsten Sinne des Wortes eine Lichtgestalt menschlichen Geistes wurde: Am 10. Dezember 1922 erhielt Albert Einstein – in Abwesenheit – den Nobelpreis für Physik.
Schon seit Jahren hatte Einstein mit dem Erwerb der höchsten Auszeichnung, die ein Wissenschaftler für seine Arbeiten erhalten konnte, spekuliert. Doch innerhalb der Wissenschaft war man sich über die Richtigkeit und den Wert seiner Theorien keineswegs vollkommen einig. Einstein hatte eine Reihe namhafter Gegner, die seine Thesen bestritten und die Welt von deren Unhaltbarkeit zu überzeugen suchten. Nach jahrelangem Widerstand erhielt er 1922 den Nobelpreis auch nicht für seine Hauptarbeit, die Relativitätstheorie, sondern für die Entdeckung des Gesetzes der fotoelektrischen Wirkung. Diese datierte bereits aus seinem »Wunderjahr 1905« und wurde schließlich zur Basis der Quantenmechanik.
Wegen einer Vortragsreise nach Japan blieb es Einstein zu guter Letzt gar verwehrt, an der Preisverleihung am 10. Dezember 1922 in Stockholm teilzunehmen. Das Preisgeld überließ er Mileva Marić, seiner ersten Ehefrau, die seinerzeit für die Familie ihre Laufbahn als Physikerin aufgegeben hatte, und den beiden gemeinsamen Söhnen. Auf dem Weg zu internationaler Berühmtheit hatte er ihr dies voller Selbstvertrauen in seine weitere Karriere bereits bei der Scheidung Anfang 1919 versprochen. Einstein, ein Mann mit vielen Gesichtern, war allerdings weder ein mitfühlender Vater, noch ein treuer Ehemann.
Bereits zu Beginn der neuen Dekade galt der am 14. März 1879 in Ulm geborene, freiheitsliebende Revolutionär der Naturwissenschaften als »kosmische Berühmtheit«. Sein neuer Blick auf die Welt, seine intellektuelle Furchtlosigkeit, die sich in der Auflehnung gegen traditionelles Denken manifestierte, faszinierten die Öffentlichkeit. Seine umwälzenden Ideen machten ihn zum Liebling der Massen. Die Öffentlichkeit bewunderte diesen, wie sie meinte, genialen Kauz, der die Welt mit den Augen eines Kindes betrachtete, begeisterte sich für seinen Humor, seine Schlagfertigkeit, seine ungewöhnlich direkte Art.
Sein Äußeres trug unzweifelhaft mit dazu bei. Auf seine Zeitgenossen hinterließ er aufgrund seines unkonventionellen Erscheinungsbilds weniger den Eindruck eines trockenen, strengen Gelehrten als vielmehr den eines Künstlers oder Dichters. Auch wenn seine eigentlichen Forschungen für viele unbekannt blieben, attestierte man ihm allgemein eine unbestreitbare Aura des Genialen. Einstein erreichte Menschen, die sich für gewöhnlich nicht mit Physik beschäftigten. Seine Zuhörerschaft war bunt gemischt, wie beispielsweise ein Vortrag im bis auf den letzten Platz besetzten Großen Saal des Wiener Konzerthauses unter Beweis stellte: Zu Universitätsprofessoren gesellten sich in der österreichischen Hauptstadt weilende britische Offiziere, Bankdirektoren, Ärzte, Techniker, Studenten, und es fiel auf, dass das Publikum aus besonders vielen Frauen bestand.
Für seine Bewunderer führte Einsteins Relativitätstheorie die Welt an die höchsten Probleme menschlicher Philosophie heran, stellte physikalisch-mathematisch ein komplett anderes Lösungsmodell auf. Noch vor dem Ersten Weltkrieg hatte der Wahlschweizer am Patentamt in Bern, als Professor in Zürich, Prag und schließlich Berlin sowie als Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik an der Preußischen Akademie der Wissenschaften unter seinem Mentor Max Planck nichts Geringeres als eine neue Theorie der Gravitation und des Universums entwickelt. Einstein brach dabei mit der traditionellen Lehrmeinung, wonach Zeit und Raum fest und unveränderlich wären. Er erkannte sie vielmehr als variable Größen des physikalischen Geschehens. Für seine Anhängerschaft bedeutete diese Erkenntnis einen gewaltigen Schritt für die Menschheit: »Wir stehen an einem Wendepunkt in der Geschichte des Menschengeistes. Die Zukunft wird Einsteins Theorie gehören«, hieß es in einem Zeitungskommentar. Der als das Genie des 20. Jahrhunderts schlechthin gefeierte Physiker sah seine Theorie freilich als logische Folge der Erkenntnisse seiner Vorgänger Galilei und Newton, nicht als Revolution. Dem Hype um die Quintessenz seiner Forschungsarbeit stand er distanziert gegenüber: »Über Relativität ist so viel geschrieben worden«, meinte er einmal. »Recht viel Gescheites, aber noch viel mehr Dummes.«
Vom wissenschaftlichen Standpunkt betrachtet lag für Einstein der eigentliche Wert seiner Theorie »in ihrer logischen Einfachheit«. Demnach gaben »einige wenige Prinzipien die Erklärung für viele komplizierte Vorgänge«. Aber selbst wenn bereits Taxifahrer angeregt über die Relativitätstheorie diskutierten, glaubten Einsteins Physikerkollegen keineswegs, dass gewöhnliche Menschen in der Lage wären, diese so schwierige Materie zu begreifen. Auch seine zweite Frau (und Cousine) Elsa ließ sie sich von ihm wiederholt erläutern. Mochte sie dabei die komplexen Zusammenhänge zunächst noch verstehen, musste sie jedoch schließlich zugeben, sie tags darauf wieder vergessen zu haben. Ihr Mann hielt seine Theorie als für gewöhnliche Menschen allerdings ohnehin uninteressant. Außerdem empfand sich Einstein für durchaus ungeeignet, seine Erkenntnisse einem breiteren Publikum allgemein verständlich zu vermitteln. Doch dies tat der Begeisterung keinen Abbruch. Er selbst vermochte die große Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nicht zu verstehen. »Es scheint mir, dass diese Tatsache wert ist, psychopathologisch untersucht zu werden.«
Offensichtlich gab es aber eine weit verbreitete Sehnsucht nach einem Genie, das die aus den Fugen geratene Welt neu erklärte. Die Gesellschaft war in nervöser Aufbruchsstimmung, und Einstein sollte ihr helfen, das Universum und seine Gesetze besser zu verstehen. Nachdem die alte Ordnung durch einen von ihr selbst verschuldeten Krieg abgewirtschaftet hatte, kam ein unkonventioneller Freigeist, der sich um traditionelle Vorstellungen nicht sorgte, gerade recht. Die Autoritäten eines überkommenen Zeitalters waren erschüttert, in Teilen Europas entmachtet, verjagt, in Russland regelrecht vernichtet sogar. Im Gegenzug erschien für eine neue Epoche eine echte geistige Autorität umso mehr willkommen.
Einstein galt wohl als der klügste Mensch der Welt. In jeder Metropole, die er mit seinem Besuch beehrte, wurde er bejubelt. So feierte er etwa auch in Paris Triumphe. »Alle Vorträge«, so hieß es während seines Aufenthalts in der französischen Hauptstadt Anfang April 1922, »trugen ihm Ovationen ein.« In New York erwarteten 50 000 Menschen seine Ankunft. Die Presse verfolgte ihn auf Schritt und Tritt. Einstein empfand Interviews jedoch als eine Art Striptease und versuchte, angesichts seiner wachsenden Popularität vergeblich, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Er wollte sich lieber seiner Arbeit widmen oder Violine spielen. »In meinem Leben spielt das künstlerisch Ahnungsvolle eine nicht geringe Rolle«, ließ der Wissenschaftsstar die Reportermeute nach seiner Überfahrt über den Atlantik wissen. »Daraus ist auch meine große Liebe für die Musik zu erklären.«
Der Triumphzug eines Genies: Albert Einstein nimmt die Ovationen der Menge entgegen.
Für die öffentliche Meinung war Einstein der »Albertus Magnus moderner Wissenschaft«. In der allgemeinen Hysterie um seine Person wurde er bisweilen sogar als Seher und Prophet bezeichnet. Seine große Medienpräsenz und Beliebtheit trugen ihm vonseiten der Wissenschaft den Vorwurf ein, eines seriösen Forschers unwürdig, Reklame in eigener Sache zu machen. Dem Kult um seine Person standen daher auch Neid und Feindschaft gegenüber. Ernst Gehrcke war einer seiner prominentesten Gegner aus dem Bereich der Wissenschaft. Der deutsche Physiker verdammte die Relativitätstheorie als Massensuggestion und führte die große Popularität Einsteins lediglich auf das Betreiben der Presse zurück. Die extreme Rechte in Deutschland hetzte gegen ihn als Juden und Pazifisten. Ein Besuch in Moskau bescherte ihm gar den Ruf, Bolschewist zu sein, obwohl er sich eine Zeit lang auf dem Index der sowjetischen Geheimpolizei befunden hatte.
Tatsächlich war Einstein kein naiver oder weltfremder Wissenschaftler, sondern ein politischer Mensch, mit Sympathien für den Sozialismus und mit zum Teil subversiven Zügen. Seit jeher hatte er sich gegen Autoritäten aufgelehnt, Militarismus und Krieg verabscheut. Vom allgemein vorherrschenden Nationalismus dieser Zeit ließ er sich nicht anstecken. Im Alter von 16 Jahren hatte er bei seinem Wechsel in die Schweiz seinen deutschen Pass zurückgegeben. Als nichtgläubiger Jude unterstützte er später den Zionismus, war er Mitbegründer der Hebräischen Universität in Jerusalem und beobachtete den wachsenden Antisemitismus in Berlin gegenüber den aus Osteuropa eingewanderten Juden mit wachsendem Unbehagen. Sowohl sein politischer Hintergrund als auch seine Stellung als jüdischer Wissenschaftler von Weltruf trugen ihm den Hass der Völkischen ein. So war er auf der Attentatsliste jener rechtsradikaler Kreise zu finden, die 1922 den liberalen Reichsaußenminister Walther Rathenau, einen Hoffnungsträger der Weimarer Republik, ermordeten.
Auch unter den bürgerlichen Rechtskonservativen hatte Einstein nicht allzu viele Freunde. Als die Stadt Berlin ihm, der bislang in Schöneberg lebte, 1929 zu seinem 50. Geburtstag ein Haus schenken wollte, löste dies heftige Diskussionen aus. Einstein entschied sich daraufhin, sich aus eigenen Mitteln in Caputh an den Havelseen ein bescheidenes Holzhäuschen direkt am Wasser bauen zu lassen. Die brandenburgische Idylle sollte sodann bis zur Machtergreifung Hitlers nicht nur Domizil, sondern auch Arbeitsplatz jenes Mannes sein, den die zur Verrücktheit neigende gesellschaftliche Stimmung der Zwanzigerjahre zum Jahrhundertwissenschaftler, ja zum Fixstern der Forschung auserkoren hatte.
Natürlich lebten und arbeiteten zu jener Zeit noch eine stattliche Anzahl anderer Koryphäen der Wissenschaft: im Bereich der Physik die Deutschen Max Planck und Werner Heisenberg sowie der Däne Niels Bohr, die wie beispielsweise die Österreicher Fritz Pregl, Richard Zsigmondy (beide Chemie) und Karl Landsteiner (Medizin) für ihre bahnbrechenden Forschungsergebnisse ebenfalls den Nobelpreis erhielten. 1923 wurde wiederum dem kanadischen Chirurgen und Physiologen Frederick Banting für die Entdeckung des Insulins diese Ehre zuteil. Zu einem Idol der Massen, zur Ikone geistiger Leistungsfähigkeit stilisiert, wurde jedoch bloß jener so oft porträtierte Mann, der für die Verrücktheit der Menschen stets ein spitzbübisches Lächeln übrig hatte.