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2.3 Werteverlust seit den 1980er-Jahren?
ОглавлениеDie Forschungsergebnisse des erwähnten US-Politologen Inglehart gelten für den Zeitraum Ende der 1960er- bis Mitte der 1970er-Jahre. Spätere Forschungen relativieren seine Ergebnisse dahingehend, dass sie zwar einen Wandel hin zu postmateriellen Werten postulieren, aber weiterhin einen hohen Konsens über die Bedeutung der Grundwerte Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Frieden und Sicherung der physischen Existenz unterstellen. Doch das Bekenntnis zu diesem Konsens garantiert nicht, dass sich die Menschen auch danach richten.
Neue Innerlichkeit
In den 1980er- und 1990er-Jahren verringerte sich der Einfluss von Staat und Kirche weiter. Der Kampf zwischen Kapitalismus und Kommunismus um die „besseren Werte“ erlosch mit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“. Die ständige Betonung der Wertüberzeugungen von Demokratie, Meinungsfreiheit und Marktwirtschaft westlicherseits und Gemeinschaftlichkeit, Klassenlosigkeit und Planwirtschaft östlicherseits wich zugunsten einer neuen Innerlichkeit. Sekten füllten das entstandene Vakuum. Statt Sinn zu stiften, verbreiten sie Unsinn, der von den Sinnsuchenden aber oft erst später als solcher erkannt wird.
Hohe Erlebnisdichte
Neben den Arbeits- trat der Freizeitmarkt mit einer noch nie dagewesenen Erlebnisdichte im Alltagsleben. Im Moment der Erfüllung entsteht bereits die Frage, was denn nun als Nächstes kommen soll. Die Befriedigung stellt sich deshalb nicht mehr ein, weil die Suche nach ihr zur Gewohnheit geworden ist. Je mehr das Erlebnis zum Lebenssinn wird, umso größer wird auch die Angst vor dem Ausbleiben neuer Höhepunkte. Werte im ethischen Sinn und der durch die Medien angeheizte Erlebnishunger sind kaum kompatibel. Lebenssinn entwickelt sich immer mehr zu einer knappen Ressource. Der Erlebnisreichtum bewirkt einen Orientierungsdschungel, von dem das Wochenmagazin DER SPIEGEL in einer Titelgeschichte schreibt: „Die jüngste Generation muss mit einer Werteverwirrung zurechtkommen, deren Ausmaß kaum abzuschätzen ist. Klare Maßstäbe für Recht und Unrecht, Gut und Böse (…) sind für sie kaum noch erkennbar.“ Aus anderen Quellen geht hervor, dass Jugendliche aus Hass, Spaß, Langeweile und Frust Gewalt anwenden.
Keine Lust zum Arbeiten?
Doch auch hier gilt das Prinzip der Ausnahme, der Gegensätzlichkeit und Widersprüchlichkeit. Während die Sozialforscherin Elisabeth Noelle-Neumann vom Allensbacher Demoskopie-Institut eine zunehmende Arbeitsunlust der jungen Generation beschrieb, kommt der im Sold der Zigarettenfirma BAT stehende Sozialforscher Horst Opaschowski zu optimistischen Ergebnissen. Er schreibt, dass sich der deutlich größere Anteil aller Berufstätigen (40 Prozent) für Leistung ausspreche, gefolgt von weiteren 36 Prozent, die sich für eine Kombination zwischen Leistung und Lebensgenuss entscheiden. Nur 21 Prozent wollen gerade so viel tun wie notwendig.
Leistung muss Spaß machen und Sinn stiften
Die Ergebnisse Opaschowskis sollten nicht im Sinne einer Renaissance der alten Pflichtwerte interpretiert werden. Wenn Leistung gezeigt wird, dann muss die Arbeit auch Spaß machen und Sinn stiften. Die nachrückende Generation ist entschlossen, ein angenehmes Leben zu führen, statt „von der Stange“ zu leben.
Arbeit und Freizeit verschmelzen
Im Zentrum der Sinnsuche steht die Freizeit. Die Bereiche Arbeit und Freizeit verschmelzen mehr und mehr, so dass ein Pendeln zwischen beiden Bereichen begonnen hat. Im Berufsleben gewinnt die Balance zwischen Arbeit und Freizeit stärkeres Gewicht. Selbstverwirklichung wird sowohl in der Freizeit wie in der Arbeit gesucht. Doch trotz dieser Entwicklung ist bis heute kaum eine Veränderung von Personalführung und Organisationsstruktur als Folge des Wertewandels zu beobachten.