Читать книгу Der Granatapfelbaum - Walther von Hollander - Страница 10

5

Оглавление

Sie ging einen Waldweg, der, durch Birken getrennt, neben der Chaussee herlief. Es roch nach Frühling. Der sanft rauschende Regen ging ganz gerade herunter. Nur wenn die Autos auf der Chaussee vorbeibrausten, wenn sie den sprühenden Schmutzregen über den Fußweg warfen, spürte sie die Nässe. Weich schwingende Sandwege lockten. Aber sie fürchtete sich vor der Dämmerung. Merkwürdig: sie kannte sonst keine Waldangst.

In den letzten Wochen hatte sie bei Schnee und Schneegestöber manchen Nachtritt gemacht, auf Flora, ihrer nervösen Apfelschimmelstute, die vor jedem Hasen erschreckte, vor den Rehen, die über die Mondscheinwege wechselten und selbst vor Brombeerranken, die im Winterwind wehten. Keine Angst ... und jetzt ... hier im Riedinger Forst fürchtete sie sich. »Du wirst verdammt allein sein«, hatte Carl Magnus, ihr Mann, gesagt. Ja – sie war allein. Ob das eine Verdammnis war oder ein Glück, das würde man sehen. Sie blieb stehen. Sie hatte – zum erstenmal in diesem Jahr – den Ruf der Waldtauben gehört. Das lockende, kehlige »Gurru«. Sie stand unter einer riesigen Birke. Der Regen setzte aus. Der Himmel im Westen erhellte sich, und die schon tief abgestiegene Sonne blitzte für ein, zwei Minuten über die regenblanke Chaussee. Ihr wurde in diesem Augenblick klar, daß sie das großherzige Angebot ihres Mannes annehmen würde, daß sie sich scheiden lassen mußte. Eine ihrer Gaben war ein sehr feines Ohr. Sie konnte aus Stimmen die verborgenen Herzenszüge eines Menschen herausspüren. Ihr Gehör bewahrte auch, getreu wie eine Schallplatte, längst verronnene Gespräche auf, Lautstärke und Klanggehalt der Stimmen von Menschen, die ihr nahestanden. Jetzt, hier im Wald, sprach die dunkle Stimme ihres Mannes: »Du kannst es machen, wie du willst. Mit mir zusammenbleiben. Dich zeitweise von mir trennen, solange du willst. Oder dich scheiden lassen, damit wir beide wieder allein sind.« Sie sah sein schmales Gesicht mit dem breiten Kinn. Die üppigen, schwarzen Haare, korrekt gescheitelt. Die schmalen Lippen zusammengepreßt. »Ich verspreche wenig«, sagte seine Stimme. »Aber ich halte jedes Versprechen.« Wann hatte er das gesagt? An dem Tage, als sie beschlossen zu heiraten. In Paris – vor anderthalb Jahren. Auf dem Flohmarkt, an einem sehr sonnigen Tag. Er saß mit ihr vor dem kleinen Laden eines Altwarenhändlers. Er feilschte gerade um ein Barocksofa. Er schlug mit seinem Ebenholzstock auf die Polster, daß der Staub herausdampfte und im Mittagslicht glänzte. Er setzte sich und zog sie auf »sein« Sofa. Er nahm das Möbel in Besitz. Er ergriff ihre Hand und steckte ihr einen Ring an den Finger, den er eben gekauft hatte.

Christine, jetzt unter der Birke im Riedinger Forst, Christine schaute auf den Ring an ihrer Hand. Es war der Turmalinring aus Paris. Sie zog ihn ab und steckte ihn in ihre Tasche. Eilig ging sie weiter. Die Autos auf der Chaussee vermehrten sich. Sie zogen bei beginnender Dämmerung lange Leuchtspuren. Einige fuhren schon mit hellen Lichtern. Ein Suchlicht blitzte über den Weg. Sie zog ihre rote Kapuze über den Kopf. Das sah sehr komisch aus. Ein großer, roter Zwerg im farblosen Wald. Wyndthausen zog ihr die Kapuze ab. »Keine gute Tarnkappe«, sagte er. »Man sah Sie kilometerweit.« Christine fragte: »Wen wollten Sie mit Ihrem gräßlichen Suchlicht im Walde aufstöbern?« – »Es ist gar nicht so leicht, ’ne Nadel in einem Heuhaufen zu finden«, sagte er. Er hakte sie unter und führte sie zu seinem Wagen. »Das ist er«, sagte er stolz, »mein Traumwagen ... einen schnelleren findst du nicht.« Er öffnete die Tür und verbeugte sich. Er verwandelte sich in einen herrschaftlichen Chauffeur, mit Schirmmütze unter dem Arm. Er knallte die Tür zu und lief mit zackigen Bewegungen diensteifrig um den Wagen herum. »Gnä’ Frau hatten im Hotel hinterlassen, daß ich gnä’ Frau hier abholen sollte.« Christine holte den Turmalinring aus ihrer Tasche und setzte ihn wieder auf. Wyndthausen erzählte: »Man hat Ihre Flucht beobachtet. Ein Rentner mit Schirmmütze und Spazierstock hat mir die Richtung gezeigt.« – »Mein Rentner«, sagte Christine. »Gestern, als ich ankam, hat er mich eingewiesen.« – »Ihr Rentner«, lachte Wyndthausen, »er hat keine Ahnung von Ihnen. Grad, daß er Ihren Mantel kannte. Knallrot. Lieben Sie sowas?« Christine nickte. »Kleinmädchentraum?« fragte er weiter. »Mama erlaubte nur schlichte Regenmäntel, grau oder beige. Stimmt’s?« – »Stimmt«, lachte Christine, »und kanariengelbe Pullis durfte ich auch nicht tragen.« – »Die trage ich nun für Sie«, sagte Wyndthausen. Sie flogen mit 120, 130 Kilometern über die Chaussee. Im Lichte der entgegenkommenden Autos blitzte das weiße, verchromte Plexiglas-Ungeheuer wie eine Erscheinung auf. »Der geflügelte Zauberwagen des Triptolemos«, sagte Christine. »Ach so, ein bißchen wissen Sie doch schon über Triptolemos, Ihren irdischen Gemahl?« – »Nur ein bißchen.« Sie schaute ihn von der Seite an. Im Licht des großen Armaturenbrettes glänzte das Antlitz des Triptolemos durchscheinend. Klar, im Feuer gehärtet. Aber Wyndthausen war nicht Triptolemos. Warum fuhr sie eigentlich mit ihrem Bühnenpartner in die Stadt? – Nun – warum nicht? Da waren auch schon die ersten Stadtlichter, die über die Straßen gebogenen Neonlaternen. Als Landkind liebte sie die blumige Buntheit der Stadt. Die lichtüberschütteten Schaufenster: Porzellane, Konserven, Wein, Blumen. Da war ein Kleiderkaufhaus, zehn Fenster, starre Figuren mit hölzernem Lächeln, Sommerkleider tragend, Herrenanzüge, Burschenjacketts. Sie fuhren auf einen Kinopalast zu. Auf einem scheunentorbreiten Plakat, hell angestrahlt, war Wyndthausen zu sehen, Wyndthausen, der Backfischtraum, mit einem schönen Frack und einem Gentleman-Lächeln. Sie fuhren schnell vorbei. Er schien sich nicht entdeckt zu haben. Dunklere Gassen kamen, Kirchen, deren Türme sich in den unsichtbaren Himmelsabend verloren. In der Nähe des alten Rathauses hielten sie. Wyndthausen hakte Christine wieder unter. Er führte sie auf ein spitzgiebeliges, altes Haus zu, die »Altdeutschen Weinstuben«. Man mußte eine altertümliche, scheppernde Zugglocke läuten. Die Tür wurde von einem als Küfer verkleideten Kellner aufgeschlossen. Sie stiegen zwölf Stufen hinab, an bunten Glaslaternen vorbei. Sie betraten ein Tonnengewölbe mit holzverschalten Wänden. Sie waren die ersten Gäste. Wyndthausen nahm ihr den roten Mantel ab. »Den müssen Sie immer tragen«, sagte er, »sonst könnte ich Sie mal verfehlen, und das wäre doch schade.«

Sie setzten sich auf die Holzbänke. Wyndthausen nahm die Speisekarte. »Wir müssen mächtig viel essen«, stellte er fest. »Bis jetzt sind wir beide noch zu dünn für diese Marterbänke.«

Der Granatapfelbaum

Подняться наверх