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Christine holte sich im Speisesaal einen Orangensaft. Essen konnte sie nicht. Als sie mit dem Glas langsam die Treppe hinaufging, holte Wyndthausen sie ein. Auch er trug ein Glas Orangensaft mit einem Strohhalm drin. Er ging mit ihr im Gleichschritt die glatten, nach der Mitte zu gemuldeten Stufen hinauf. Er war frisch, vergnügt, kein bißchen angestrengt. »Ihnen bekommt das Probieren gut«, sagte sie neidisch. Er blieb stehen, saugte an seinem Orangensaft und nuschelte: »Es ist mein Beruf, gnä’ Frau. Ein Künstler, der über seinen Beruf stöhnt, soll gefälligst Trambahnschaffner werden, Schalterbeamter oder Gerichtsschreiber. Das strengt lange nicht so an.« Christine prostete ihm zu: »Großen Dank. Ich werde mich bei der Straßenbahndirektion bewerben.« Er sah sie mit schiefem Kopf listig-lustig an: »Ich wollte Sie nicht kränken. Aber Sie spielen doch nur ›zuweilen‹.« – »Ich habe anderthalb Jahre nicht gespielt ... das ist alles.« – »Was macht man eigentlich, wenn man nicht spielt?« fragte er. »Kann mir das überhaupt nicht vorstellen. Ich würde ... ja, was würde ich? Ersticken oder platzen oder ... Sie haben doch auch ’ne Menge Kraft. Was haben Sie bloß derweil damit gemacht?«

Christine ging ein paar Stufen weiter. Sie schaute sich nach ihm um. Er war stehen geblieben und schaute fragend zu ihr hinauf. Sie sagte lustig: »Derweil? Derweil war ich verheiratet.« – »So? Sie waren verheiratet? Oder sinds ... aber das hat nichts damit zu tun. Ich bin auch verheiratet. Meine Frau tut mir leid, wenn ich nicht spiele.«

»Treppengeständnisse«, stellte Christine vergnügt fest. Er stieß mit ihr an. »Drunten bei Pluto trinken sie doch Granatapfelsaft. Hat Ihnen der geschmeckt?« Christine verstand seine Anspielung nicht. »Ach so ... Sie lernen auch bloß Ihre Rolle, und damit hat sich’s. Ich habe alles gelesen, was ich über Triptolemos und Persephone, über Pluto, Psyche und Zeus ergattern konnte.« – »Deshalb kennen Sie den Granatapfelsaft, aha.« – »Ja ... aha! ein fades Getränk. Aber weil Persephone von Pluto den Saft angenommen hat, muß sie in der Unterwelt bleiben. Verstehen Sie das? Dies fade Zeug soll Unwiderruflichkeit bedeuten? Diedrichsen hat’s so hingeschrieben. Aber ob er weiß, was er geschrieben hat?« – »Orangensaft ist also weniger gefährlich?« fragte Christine. »Ganz ungefährlich«, lachte Wyndthausen. »Sonnenwelt-Saft ›sunkist‹.«

Er stellte sein Glas auf die Treppe, sprang die letzten Stufen hinauf und verschwand in seinem Zimmer. Christine machte eine spöttische Verbeugung. Ein ungezogener Knabe. Lief einfach weg. Grußlos, lautlos. Sie stellte ihr leeres Glas neben seins. Sie drehte sein Glas so, daß die Strohhalme sich berührten. Sie fand das sehr komisch. Warum eigentlich?

Sie zog ihren hellblauen Tages-Pyjama an, gurgelte ausgiebig, sprühte sich mit Kölnisch Wasser ein, legte sich ins Bett, nahm ihre Rolle vor und schlief sofort fest ein. Sie träumte von Granatapfelsaft, der aus einem griechischen Krug wie aus einer Quelle hervorströmte, ohne Ton auf den Tisch plätscherte und auf der Holzplatte versprühte, verschwand. Unablässig, ein Bach von trübem, süßlichem, duftlosem Saft. Eine Hand nahm den Krug auf. Sie hörte die dunkle, die plutonische Stimme ihres Mannes. (Ja ... er, ihr Mann Carl Magnus war Pluto. Im Traum wußte sie das genau. Im Wachen vergaß sie es immer wieder.) Er sprach. Sie verstand seine Worte nicht. Der Traum versank in die Unterwelt. Die Sonne fiel ins Fenster, wanderte über ihr schlafendes Gesicht. Sie spürte in den Schlaf hinein die rosa Helligkeit, die Wärme der Oberwelt. Sie wachte erst auf, als die Sonne verschwunden war, als ein sanfter Regen gegen die Scheiben zischelte, als die Traufe, die neben ihrem Fenster herniederging, zu gluckern begann. Sie schaute sich unlustig im Zimmer um. Eine staubige, plüscherne Ungemütlichkeit! Das rote Sofa roch muffig. Die Stühle standen stökkerig wie 13jährige Mädchen, die nicht wissen, wohin mit den dünnen Beinen. Gemütlich sitzen konnte man nirgends. Und schreiben auch nicht. Der kleine Tisch stand natürlich in der dunkelsten Ecke, ohne Beleuchtung drüber. Die mit Blumenranken bedruckten Vorhänge konnte man nicht vorziehen. Der Wasserbahn am breiten Waschbecken tropfte tuckernd, eilig. Atemlos wie eine Uhr, die die Zeit nicht ermessen, sondern verjagen will. Nein. Hier konnte sie nicht bleiben. Sie zog sich eilig an. Im roten Regenmantel, die Kapuze über den Kopf gezogen, verließ sie den Gasthof.

Der Granatapfelbaum

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