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Zum Nachmittagsschlaf hatte sich Christine das Chaiselongue mit der türkischen Decke ans Fenster gerückt. Sie lag sehr unbequem. Denn die Sprungfedern waren ausgeleiert. Sie quietschten bei der kleinsten Bewegung. Die Kopfstütze war so hoch, daß sie eher saß als lag. Aber sie brauchte die dünnbeinigen Stühle nicht zu sehen, nicht das Riesenbett mit den Muschelornamenten. Nicht den Schreibtisch in der dunklen Ecke. Sie konnte in den sanften Frühlingssonnenschein hinausschaun, in die Landschaft, die sich durch den leichten Dunst, schon hundert Meter vom Dorf entfernt, bläulich verfärbte. Sie schlief ein paar Minuten. Sie träumte von Carolus Magnus, ihrem Mann. Er ging eingehakt mit Wyndthausen über die Wiesen von Grönefeld, dem Gut ihrer Mutter. Die Wiesen waren noch steingrau, grüngrau und am Rande verschneit wie an dem Tage, an dem sie weggefahren war. Aber überall, wo die beiden hingelangten, schmolz der Schnee unter ihren Schritten. »Plätteisenfüße«, sagte Wyndthausen lustig. Er blieb mit Magnus stehen, wandte sich um und zeigte auf die Fußspuren, die sie hinterlassen hatten. In allen Spuren blühten Krokusse.

Die Männer lachten. Seltsamerweise Wyndthausen mit dem Lachen von Magnus und Magnus mit dem Lachen Wyndthausens. Das war eine teuflische Synchronisation. »Bitte, benutzt eure eigenen Stimmen«, bat Christine böse und erwachte.

Sie sprang auf. Sie riß ihren roten Regenmantel vom Haken. Sie lief aus dem Hotel, über die mittagsstille Dorfstraße, am Friedhof vorbei, am Mühlbach entlang, wasserabwärts in den Wald hinein. Sie ging querwaldein durch kleine Mulden, die vom Laub zugeweht waren und in deren Grund noch etwas Schnee schimmerte. Sie durchquerte ein weißes Birkenwäldchen, Stamm an Stamm glänzend. Sie fand am Südhang ein Weidengebüsch und gleich daneben eine Mulde. Hier waren Leberblümchen aufgeblüht, ein ganzer Teppich von blauen Blumen, in der Farbe etwas heller als ihre Augen. Sie breitete ihren roten Mantel daneben aus. Sie lag ganz geschützt vor Blicken und Winden. Sie warf ihre Kleider ab und legte sich nackt zwischen die blauen Blumen. Endlich ließ der Druck ihres Herzens nach. Sie lag lächelnd mit geschlossenen Augen. Das war das Ende des Winters. Und sie gab zu, daß es ein entsetzlich kalter, kahler, unendlich trüber Winter gewesen war. Warum eigentlich? Sie hatte ihren Mann aus freien Stücken geheiratet, aus einer großen Zuneigung, aus einer tiefen Hochachtung, aus dem Wunsch, geschützt und gesichert zu sein. Aber ist man in der Dunkelheit geschützt? Und es war unmöglich, die Dunkelheit seines Gemütes aufzuhellen, die kühle Melancholie aus seinem Herzen zu vertreiben, seine Trauer über die Welt, über die Unzulänglichkeit des Lebens aufzuheben. Denn – so hatte er ihr einmal gesagt – wenn man die Wirklichkeit betrachtet, ist es nicht möglich, unbeschwert zu leben. Man kann also nur die Augen schließen oder die Welt betrauern.

Sie richtete sich auf, sie öffnete die Augen. Hatte Magnus recht? Konnte man offenen Auges nur das Dunkele sehen? Sie lugte über den Rand der Mulde, über den blauen Teppech der Leberblümchen hinweg, durch die weißen Birkenstämmchen hinunter in die gläsern-blaue Ferne. Warum konnte das für ihren Mann, für Magnus, kein Trost sein, so ein Bild des lieblichen Friedens? Warum sahen seine dunklen Augen immer nur die dunkle Welt? Warum verbreitete er Schatten um sich, schwere, lastende Schatten, die alle Freuden aus dem Hause trieben? Warum konnte sie ihm nicht helfen? Liebte sie ihn nicht genug? Nein, sicher nicht. Oder konnte Liebe nichts gegen Melancholie ausrichten? Jetzt erst erkannte sie das, was sie schon lange gefühlt hatte, nämlich, daß ihre Seele verkümmert war, daß ihr Leben blumenlos, farblos geworden war, daß sie tatsächlich in der Unterwelt auf den sonnenlosen, bleichen Wiesen gelebt hatte und daß das nun vorbei war.

Sie hob den Kopf. Sie mußte hell auflachen. Sie sah unten, auf dem Sandweg, dreißig oder fünfzig Meter entfernt, eine flaschengrüne Samthose auftauchen, einen Pullover, kückengelb, der wie eine Fahne wehte. Sie sah Henri Wyndthausen im Trabe über den Weg laufen und dorfzu verschwinden. Sie zog sich eilig an. Sie mußte ihn sprechen, damit sie erfuhr, daß er nicht mit der Stimme ihres Mannes sprach, sondern mit seiner eigenen, metallischen, klingenden hellen Stimme.

Der Granatapfelbaum

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