Читать книгу Der Granatapfelbaum - Walther von Hollander - Страница 11

6

Оглавление

Wyndthausen aß mit Inbrunst und Sorgfalt. Er sprach dabei nur, was sich auf die Speisen bezog, auf die leckeren Pasteten, die leider nicht echte Schildkrötensuppe, das zarte Filet und das zerkochte Wirtshausgemüse. »Was lernen die Köche eigentlich drei Jahre lang?« räsonierte er. »Fleisch braten, Pastetchen backen, aus. Sie werden’s noch auf der Tournee kennenlernen. Höchstens drei Gasthöfe in ganz Deutschland haben Achtung vor Gemüse.« Sie tranken einen alten Burgunder. Zum Schluß bot er Christine eine Zigarette an. Es war eine Sonderanfertigung. Schmale, dünne Zigaretten. Er ließ das Etui offen auf dem Tisch liegen. Auf dem linken Innendeckel waren 6, 8 Namen zu lesen. »Komisch, daß Sie ein Raucher sind«, sagte Christine. Er tupfte die Zigarette aus. »Bin kein Raucher. Rauche nur gelegentlich. Wenn ich guter Laune bin.«

Christine verbeugte sich. Er zog eine zweite Zigarette aus dem Etui. Auch die andere Seite war mit eingravierten Namen geschmückt, Christine nahm eine Zigarette, um die Namen zu enthüllen. Er bemerkte ihren neugierigen Blick und knipste das Etui zu. Er sagte: »Immer nur Autogramme geben, ist langweilig. Ich sammle auch Autogramme.« – »Unverwischbare«, spottete Christine. »Herren gravieren sich nicht ein?« Er fragte freundlich: »Sind Sie sehr neugierig?« Christine nickte. »Fein«, sagte er. »Kommt allerdings darauf an, auf wen man neugierig ist. Die meisten Menschen sind langweilig. Finden Sie nicht auch?« Christine antwortete nicht. Er nahm ihre Hand und strich mit einem Finger zart über den Handrücken. »Sind Sie Schweiger?« – »Nur gelegentlich«, antwortete Christine, »wenn ich guter Laune bin.« Er brabbelte: »Der Kutscher der Retourkutsche kutschte retour. Das war eine Sprachübung bei meinem alten Lehrer Frankenberg. Kennen Sie ihn?« Christine kannte ihn dem Namen nach. Sie hatte mal bei einer Schülerin Frankenbergs studiert.

»Dann sind wir also verwandt«, stellte Wyndthausen befriedigt fest. »Sie sind ’ne Art Theaternichte von mir. Darf ich Ihnen das Bühnen-Du anbieten? Vorübergehend und ohne Verpflichtung beiderseits.« Christine hob ihr Glas und schaute ihn prüfend an: »Ich bin für’s Szenen-Du. Auf der Probe, wissen Sie? Das verpflichtet noch weniger.« Wyndthausen sagte im Ton eines Amtsrichters: »Beschlossen und verkündet: Ich werde Sie duzen, und Du darfst mich siezen.« – »Ich nehme das Urteil an«, sagte Christine. Er beugte sich zu ihr und küßte sie überraschend auf den Mund. Christine tat, als hätte sie es nicht gemerkt. Nach einer Weile sagte sie: »Eigentlich schade. Heute hätte ich Sie ganz gerne geduzt.« – »Das Szenen-Du?« – »Nein. Ein richtiges, privates.«

Er konnte nicht antworten, weil ein freundlicher, asthmatischer Herr auf ihren Tisch zutrat, der Wirt der »Altdeutschen Weinstube«. »Welche Ehre«, rief er, »welche Freude, Sie bei uns begrüßen zu dürfen, Herr Wyndthausen. Ich habe Sie gerade gestern im ›Luxor‹ bewundern dürfen. Ein herrlicher Film.« Wyndthausen seufzte pathetisch: »Wieder diese Verwechslung. Zum Verzweifeln. Man kommt nicht zu seiner eigenen Existenz.« Der Wirt ließ sich nicht abweisen. Er breitete das Gästebuch vor ihm aus. Er bat »den hohen Gast« um eine Eintragung. Er könne sich überzeugen, daß er im Gästebuch nicht in schlechte Gesellschaft geriet. Der Herr Kreispräsident hatte sich gerade am vorigen Mittwoch eingetragen. Der Regierungspräsident ... hier bitte. Herr Botho von Zapf im vorigen Monat. Der Direktor des hiesigen Theaters, Herr Schwälble, war Stammgast. Ein Kollege von Herrn Wyndthausen. Freilich nicht zu vergleichen mit dem illustren Gast. Und hier, zum Beschluß, der Präsident der Handelskammer, und da wäre es doch sehr nett von Herrn Wyndthausen ... Wyndthausen bedauerte aufrichtig. »Ich darf in keine Stadt mehr gehen, wo ein Wyndthausen-Film gespielt wird. Nun muß ich auch Sie enttäuschen. Mein Name ist Triptolemos. Ich bin Grieche. Darf ich Sie mit meiner Frau bekannt machen?« Christine reicht dem Wirt die Hand. Wyndthausen erläuterte eifrig weiter, wie unangenehm es für ihn sei, als solider Geschäftsmann mit einem Schauspieler verwechselt zu werden. Man wisse doch schließlich, wie Künstler leben. Wie oft habe er schon seiner Frau schwören müssen ... daß er die jungen Damen, die sich überall an ihn herandrängten, gar nicht kenne. Aber sie glaube es nicht. Christine nickte düster: »Wie kann ich das glauben? Ein wahres Kreuz!« Der Wirt, halb verlegen, halb ungläubig, bat Herrn Triptolemos dennoch, seine Unterschrift zu geben. Er ging, um neue Gäste zu begrüßen. Er mußte Frau von Zapf, der Regierungspräsidentin, berichten, daß der Gast leider nicht der berühmte Henri Wyndthausen war.

Henri malte unterdessen mit griechischen Buchstaben – er konnte nur das Gymnasial-Griechisch – seinen Namen und den seiner Frau Persephone geb. Demeter in das Buch. Dazu ein Zeugnis für den Koch. Gemüse ungenügend, Fleisch vorzüglich. Versetzung in ein erstklassiges Lokal gefährdet. Er war ganz in seine Arbeit vertieft.

»Haben Sie Abitur gemacht?« fragte Christine. Er nickte: »Ich wirke dümmer als ich bin.« – »Wollen wir nach Hause fahren?« fragte Christine. Er schüttelte den Kopf. »Ist Ihr Zimmer auch so scheußlich?« Er nickte. »Jetzt sind Sie Schweiger. Warum?« Er klappte das Gästebuch zu und reichte es ihr. »Schreib du jetzt was rein. Zur Erinnerung an einen schönen Abend.« – »Ich brauche nichts zur Erinnerung. Ich bin nicht vergeßlich.« Sie kritzelte ihren Namen auf ein Stück Papier und reichte es ihm. »Zum Gravieren ... in Ihr Etui.« Er schob das Papier zurück und sagte: »Schreib Persephone.« Sie schrieb gehorsam: Persephone. Er steckte das Zettelchen ins Etui. Er stieß mit ihr an. »Ich muß es Dir ganz schnell mal sagen. Es wird schön sein, mit dir zu spielen. Du verstehst zwar noch nicht ganz, was du kannst und was ich will.« – »Oh, ich verstehe Sie ganz gut«, unterbrach Christine. »Du sollst nicht mich verstehen, sondern hier ...« er schlug mit der Hand auf das Gästebuch – »hier, den Triptolemos und was man damit aussagen kann. Diedrichsen hat die Glocke läuten gehört, weiß natürlich nicht, wo sie hängt. Da muß man sich schon ein bißchen die Worte zurechtbiegen, damit die Sätze passen. Nicht zu mir passen, das ist wurscht. Sondern zu der Figur. Du willst noch zuviel von Christine Meßwarb erzählen. Von dem Reichtum deines Herzens sozusagen.« – »Ich hab’ kein reiches Herz«, protestierte Christine. »Na schön ... dann von der Armut des Herzens oder was du erlitten hast.«

Christine winkte dem Kellner und bestellte zwei Demeter-Korn, doppelt. Wyndthausen ging wieder aufs »Sie« zurück. »Das haben Sie sehr gut gesagt, zwo Demeter doppelt. Aber die trinken Sie. Es tät’ mir um meinen Wagen leid. Und Sie haben mir auch ein bißchen leid getan, weil Sie so lange nicht gespielt haben. Durften wohl nicht? Ehemanns-Verbot, denk’ ich mir. Und nun?« – »Prost«, sagte Christine und kippte den ersten Demeter hinunter. »Ja, Prost«, sagte Wyndthausen. »Es ist nett von dir, daß du nichts davon erzählen willst. Was Pluto angestellt hat, geht Triptolemos nichts an.« – »Verzeih’ mir meinen Tod«, sagte Christine spöttisch. Er schaute sie mit seinen schönen, funkelnden Augen herrisch an. Er packte ihre beiden Hände. Er sagte: »Gut, daß du’s endlich weißt. Das ist der Mittelpunkt. Der Angelpunkt. Darum spiel’ ich’s. ›Verzeih’ mir meinen Tod‹ – ... dachte zuerst, das ist so’n echter, feierlicher Schmus eines dichterischen Kopfes. Kann die dichtenden Dichter nicht leiden. Warum ... na ... andermal. Nachher hab’ ich’s endlich kapiert. Verzeih mir meinen Tod ... das stimmt. Ist verflucht wahr. Zwiespältig. Listig und traurig zugleich. Das Schicksal packt den Menschen an der Gurgel, würgt ihn. Und mit einmal ist er tot. Und der, der den anderen nicht beschützt hat, der ihn nicht vor der Unterwelt bewahrt hat, der ist dem Verschwundenen böse. Er nimmt dem Toten seinen Tod übel. Hat recht. Wenn einer wegstirbt ... wem tut’s weh? Dem Toten nicht. Dem Triptolemos doch natürlich. Denn du ... Persephone, hast unten deine abgeschiedene, passive Schattenliebe. Deine Winterleidenschaft. Und mir bleibt nichts anderes übrig, als auf der Wiese zu warten, von der du weggeraubt wurdest. Zu warten, daß die Blumen wieder blühen und ich dir den Willkommensstrauß pflücken darf. Ist es so, oder ist es nicht so? Verzeih’ mir das, was das Schicksal mir angetan hat. Aber es ist entweder unverzeihlich, oder man braucht’s nicht zu verzeihen. Verstehst du das?«

Christine befreite sich aus seinem heftigen Griff. Sie trank den zweiten Demeter-Korn. Sie schaute ihn, wie sie meinte, undurchdringlich an. Er sagte leise: »Du liebst mich also?« Sie senkte ihre Augen. Er wiederholte seine Frage. Sie antwortete spöttisch: »Verzeih’, was das Schicksal mir angetan hat.« Er sagte: »Ist das ernst oder lächerlich?« Sie antwortete: »Ziemlich lächerlich.« Gleich darauf gingen sie. Sie fuhren durch die frühabendliche Stadt. Es war erst kurz nach neun Uhr. Sie kamen am Kino vorbei. Das Plakat mit Wyndthausen im Frack war noch erleuchtet. Er sprang aus dem Wagen, stellte sich mit seinem gelben Pullover und den flaschengrünen Hosen neben den Wyndthausen im Frack und Zylinder, der da als Stehfigur ausgestellt war. Und seltsam: der Herr im gelben Pullover glich in diesem Augenblick völlig dem Herrn in Frack und Zylinder. Welche Kraft der Verwandlung, dachte Christine neidisch. Dabei brauchte er in Diederichsens Stück nur einen immer gleichen, unverwandelten Mann zu spielen, den Triptolemos. Und sie mußte sich aus dem Mädchen Kore in die strenge Persephone, die Gattin des Hades-Herrschers, diese wiederum sich in die liebende Frau des Triptolemos verwandeln.

Als Wyndthausen wieder neben ihr saß, fragte er: »Was hast du eben gedacht?« Sie antwortete: »Daß ich drei Herzen haben müßte.« Er fragte, indem er sie sanft, zärtlich-weich anfuhr: »Und für wen das dritte, wenn ich fragen darf?« Sie antwortete: »Für Kore, das Mädchen. Aber davon verstehn Sie nichts!«

Der Granatapfelbaum

Подняться наверх